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Jetzt spürt die Insel die Brexit-Folgen

Wurstbrote dürfen nicht in die EU, Fischhändler stoppen Lieferungen und in nordirischen Supermärkten leeren sich die Regale. Mit den neuen Zollregeln bekommen Unternehmen die Folgen des Brexits zu spüren.

Die Stullen des LKW-Fahrers schafften es nicht über die Grenze. Bereits im Hafen von Rotterdam schritten die Zöllner ein und beschlagnahmten die Wurstbrote des britischen Fahrers. Der Grund: Dank des Brexits darf er keine tierischen Lebensmittel mehr in die EU einführen. „Kann ich das Fleisch runternehmen und das Brot noch behalten?“, fragt der Trucker in der Szene, die der niederländische Fernsehsender NPO1 festgehalten hat. Auch das ist nicht möglich. „Welcome to the Brexit, Sir“, entschuldigt sich der niederländische Zollbeamte.

„Welches Brexit-Chaos“, fragte das EU-kritische Revolverblatt Daily Mail Anfang des Jahres in einem Artikel. „Gerade einmal drei Lkw“ seien am Neujahrstag am Hafen von Dover abgewiesen worden, hieß es in leicht triumphalem Ton weiter. Die „düsteren Warnungen“ vor einem drohenden Chaos an Großbritanniens Häfen hätten sich als unbegründet erwiesen, freute man sich bei dem Brexit-Jubelblatt.

Die Freude könnte verfrüht gewesen sein. Die zig Kilometer langen Staus im Südosten Englands blieben zwar auch im neuen Jahr ausgeblieben. Doch anderen Orts haben sich die Brexit-Befürchtungen doch noch bewahrheitet. Zwar verließ Großbritannien schon im Januar 2020 offiziell die EU. Jetzt aber ist die Übergangsphase ausgelaufen, während der die Britten noch zum EU-Binnenmarkt zählten. Seit Jahresbeginn gelten damit neue Zollregeln. Und seit dem türmen sich die Probleme für britische und europäische Unternehmen.

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Schon in der ersten Januarwoche war der grenzübergreifende Warenaustausch deutlich niedriger als üblich. Der Güterkraftverkehrsverband schätzt, dass seit dem Jahreswechsel täglich nur rund 2000 Lkw den Kanal auf Fähren überquert haben. Üblich wären zwischen 5000 und 6000. Der Verband erklärte zudem, dass auf beiden Seiten des Kanals rund ein Fünftel aller eintreffenden Lkw wegen fehlender oder mangelhafter Papiere zurückgeschickt worden sei. Der Logistiker DB Schenker, eine Tochter der Deutschen Bahn, stoppte deshalb die Annahme von neuen Sendungen nach Großbritannien.

Das niedrige Verkehrsaufkommen dürfte damit zusammenhängen, dass zahlreiche britische Unternehmen und Großhändler ihre Lage im Dezember aufgefüllt haben, um auf Unterbrechungen im Januar vorbereitet zu sein. Auf britischer Seite brauchen Lkw zudem seit dem Jahreswechsel eine Einfahrerlaubnis, um in die Grafschaft Kent einfahren zu dürfen, in denen Dover liegt. Um diesen „Kent Access Permit“ – in britischen Medien gerne scherzhaft „Kermit“ genannt – zu erhalten, müssen Spediteure zunächst online nachweisen, dass sie alle Erfordernisse für eine Weiterreise ihrer Lkw nach Europa erfüllen.

In den vergangenen Monaten haben die Behörden zudem mehrere große Lkw-Parkplätze abseits von Dover errichtet, an denen teilweise die notwendigen Zollabfertigungen und Warenkontrollen durchgeführt werden. Auch das trägt dazu bei, ein imageschädliches Chaos direkt vor Dover zu vermeiden. Wie das aussehen könnte, wurde Ende des vergangenen Jahres deutlich, als Frankreich nach dem Aufkommen einer neuen Corona-Mutation kurzfristig seine Grenze zu Großbritannien dichtmachte und tausende Lkw-Fahrer tagelang festsaßen und die Region wegen fehlender Einrichtungen in eine riesige Freilufttoilette verwandelten.
Hinter den Kulissen kommt es wegen des Brexits jedoch schon jetzt zu wesentlichen Einschnitten. So haben zahlreiche Fisch-Produzenten und Großhändler ihre Exporte nach Europa vor wenigen Tagen komplett gestoppt. Denn während es bisher nur einen Tag gedauert hat, um frischen Fisch von Großbritannien nach Frankreich oder Spanien zu transportieren, haben solche Lieferungen in den vergangenen Tagen mindestens drei Tage gedauert. Schuld daran sind die neuen Gesundheitszertifikate, Zollerklärungen und andere Papiere, die notwendig geworden sind, weil Großbritannien nicht länger Teil der Zollunion und des Binnenmarkts ist.

Branchenvertreter sprechen davon, dass dieser zusätzliche bürokratische Aufwand Unternehmen zwischen 500 und 600 Pfund am Tag koste – was zwangsläufig die Kosten und Preise in die Höhe treibe. Die Folge: Viele Kunden in der EU orientierten sich um und bestellten ihren Fisch woanders, auch wegen der Verzögerungen an der Grenze. Ein Unternehmenschef wird mit den Worten zitiert, die Lage käme einer „Katastrophe“ gleich. Donna Fordyce, Chefin des Verbandes Seafoods Scotland, bezeichnet das Zusammenkommen von Coronapandemie, Grenzschließung im Dezember, bürokratischer Probleme und zurückgewiesener Lkw an den Grenzen als „perfekten Sturm“.

Die Probleme beschränken sich nicht nur auf den Export von Fisch. Auch die weiterführende Lebensmittel- und Getränkeindustrie und auch der Lebensmittel-Einzelhandel haben mit den zum Jahreswechsel eingetretenen Veränderungen zu kämpfen. Denn die nun geltenden Ursprungsregeln sehen nur dann einen zollfreien Handel vor, wenn die gehandelten Waren überwiegend von der anderen Seite stammen – eben aus Großbritannien oder der EU. Das hat die bizarre Folge, dass beispielsweise britische Fertigprodukte, die überwiegend aus EU-Rohstoffen gefertigt worden sind, beim Export in die EU zollpflichtig werden. Für Supermärkte bedeutet das, dass Zölle erhoben werden, wenn sie aus der EU bezogene Waren wieder in die EU verkaufen möchten.

Dieses Szenario kommt im Alltag seltener vor, wenn es um den Handel zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien geht. Doch viele britische Großhändler lieferten ihre Waren bislang auch in die Republik Irland. Und da tritt das beschriebene Szenario offenbar vielfach ein. Das Problem erstreckt sich auch auf Nordirland: Denn an den nordirischen Häfen werden weiterhin die Regeln der Zollunion angewandt. Das hat in den vergangenen Tagen schon zu Engpässen in nordirischen Supermärkten gesorgt. Der Fährbetreiber Sena, dessen Fähren Irland mit Wales verbinden, hat wegen des gesunkenen Verkehrsaufkommens für die kommenden Wochen eine Reihe von Überfahrten gestrichen.

Die Regierung in London hat ihre Ziele bei den Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der EU gemäß dem CETA-Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada ausgerichtet. Handelsexperten glauben, dass London dabei übersehen habe, dass wegen der geografischen Nähe Waren sehr viel häufiger zwischen beiden Seiten hin- und her bewegt würden als das beim Handel mit Kanada der Fall sei.

Der Paketdienst DPD hat kürzlich die grenzüberschreitende Beförderung von Paketen vorübergehend komplett eingestellt. Ein Fünftel der eingehende Pakete habe seit dem Jahreswechsel wegen fehlender oder unkorrekter Daten an die Kunden zurückgegeben werden müssen, erklärte das Unternehmen. „Angesichts dieser beispiellosen Umstände halten wir es für richtig, unseren Straßendienst nach Europa, einschließlich der Republik Irland, anzuhalten und zu überprüfen.“ Und auch in die andere Richtung geht kaum noch was: Die Deutsche Post DHL stoppte bereits vor Weihnachten die Annahme von Paketen nach Großbritannien oder Irland.

Das trifft auch den Onlinehandel. Das gehobene Kaufhaus Fortnum & Mason in London will keine Waren mehr auf die andere Seite des Kanals liefern. Bei vielen Händlern scheint Unklarheit über die neuen bürokratischen Anforderungen zu herrschen. Einige Händler in der EU stören sich offenbar an der britischen Vorgabe, die britische Mehrwertsteuer fortan direkt beim Verkauf von Gütern zu erheben – um sie dann an die britischen Behörden weiterzuleiten. Hierfür müssten sich die Händler bei den britischen Steuerbehörden registrieren. Einige von ihnen scheinen beschlossen zu haben, dass sich dieser Aufwand für sie nicht lohnt – und liefern fürs Erste nicht länger nach Großbritannien.

Den wohl vorläufig größten Brexit-bedingten Schrecken dürfte der Exporteur bekommen haben, der kürzlich 185 Tonnen Fairtrade-Bananen aus Ghana nach Großbritannien geliefert hat. Da es London bislang nicht gelungen ist, das Handelsabkommen zwischen der EU und Ghana zu kopieren, wurden für die Lieferung Zölle in Höhe von 17.500 Pfund fällig. Die Regierung in London hofft auf eine Einigung mit Ghana „in den kommenden Wochen“.

Mehr zum Thema: Großbritannien will seine Windstrommengen bis 2030 vervierfachen. Rund um die Insel sind Windparks bereits enorm gewachsen, wie exklusive Satellitenbilder zeigen.