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In diesen Branchen ist die Furcht vor der Pleite am größten

Durch die Nachfrage- und Umsatzeinbrüche in Folge der Coronakrise müssen bald viele deutsche Unternehmen die Insolvenz anmelden. Ein Branchenüberblick.

In den vergangenen Monaten mussten viele Geschäfte schließen. Nun droht ihnen die Insolvenz. Foto: dpa; Jan Huebner
In den vergangenen Monaten mussten viele Geschäfte schließen. Nun droht ihnen die Insolvenz. Foto: dpa; Jan Huebner

Tausenden Firmen in Deutschland droht ab dem dritten Quartal ein Insolvenzverfahren. Noch gibt es staatliche Hilfen für viele Unternehmen, aber die Schäden durch die Coronakrise sind in der Regel langfristig. In Deutschland wird es laut den Prognosen des Kreditversicherers Euler Hermes bis Ende 2021 etwa 21.000 Pleiten geben.

Besonders heikel ist die Lage für Unternehmen in Branchen, die schon länger unter Druck sind, wie beispielsweise dem Einzelhandel. Appelrath-Cüpper und die Tom-Tailor-Holding sind bereits insolvent.

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Tausende sind faktisch insolvent: Warum vielen deutschen Unternehmen die Pleite droht

Aber auch der Automobilindustrie und dem Maschinenbau ging es schon vor der Krise nicht gut. Die Umsatzpläne für 2020 sahen eigentlich anders aus. Die Nachfrage fällt momentan viel zu gering aus.

Hinzu kommen Unternehmen in der Gastronomie, denen im Lockdown die Umsätze weggebrochen sind. Und die gesamte Tourismus-Branche ringt derzeit ums Überleben.

Während Restaurant-Besuche und Urlaubsreisen nun langsam wieder zunehmen, sind große Veranstaltungen pandemiebedingt weiterhin untersagt. Das Event- und Messegeschäft stockt also nach wie vor. Lesen Sie hier eine Analyse dieser sechs Branchen.

Maschinenbau: Vom Regen in die Traufe

Das Ende für den Lüdenscheider Maschinenbauer Diko kam erst langsam und dann ganz schnell. Bereits im vergangenen Jahr musste das Familienunternehmen, das seit mehr als 20 Jahren Sondermaschinen vor allem für die Automobilindustrie baut, herbe Auftragsrückgänge hinnehmen. Im April stellte das Unternehmen schließlich den Insolvenzantrag – auf dem Höhepunkt der Coronakrise.

Doch die Zahlungsunfähigkeit wäre wohl auch ohne die Pandemie eingetreten. So erklärte der Rechtsanwalt Thomas Neumann, der zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wurde, dem Handelsblatt: „Die Insolvenz hat nichts mit der Coronakrise zu tun, sondern hat ihren Ursprung in den Vorjahren.“ Der Strukturwandel in der Automobilindustrie habe ebenso eine Rolle gespielt wie innerbetriebliche Probleme. „Im Grunde genommen sind keine Aufträge mehr vorhanden“, so Neumann.

Auch wenn Diko ein Extremfall ist: So wie dem Maschinenbauer aus dem Sauerland geht es im Moment vielen Unternehmen aus der Branche, die vor allem die Automobil- und Zulieferindustrie beliefern. Für 2020 hatten die meisten von ihnen nach einem schwachen Vorjahr eigentlich mit einem Anstieg der Nachfrage kalkuliert. Doch dann kam der Lockdown – und statt sich zu erholen, brach die Nachfrage nach Maschinen so stark ein wie lange nicht mehr.

Auch bei den Branchengrößen ist das Kreditrating unter Druck. Foto: dpa
Auch bei den Branchengrößen ist das Kreditrating unter Druck. Foto: dpa

Auch nach dem Lockdown beurteilt ein Großteil der Branche die wirtschaftliche Lage weiterhin als schlecht. In einer Umfrage des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) beklagten 45 Prozent der befragten Unternehmen noch im Juli einen anhaltenden, „merklichen“ Auftragsrückgang. Weitere 34 Prozent schätzten den anhaltenden Einbruch gar als „gravierend“ ein.

Mit Instrumenten wie Kurzarbeit (mehr als 60 Prozent), einer Reduktion des Leihpersonals (rund 50 Prozent) und teilweise auch mit Personalabbau (17 Prozent) versuchen die Firmen, trotz des Umsatzeinbruchs liquide zu bleiben. Allerdings ist fraglich, wie lange das gelingt. Denn wenn die Aufträge wieder anziehen, steigt auch der Kapitalbedarf.

„Üblicherweise sind signifikante Liquiditätsengpässe im Maschinenbau erst zu beobachten, wenn die Konjunktur wieder anzieht“, sagte VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers dem Handelsblatt. „Dann müssen Aufträge vorfinanziert werden – wobei die wirtschaftlichen Kennzahlen, die Banken für die Gewährung von Krediten heranziehen, meistens noch nicht wieder im grünen Bereich angelangt sind.“

Flächendeckende Insolvenzwelle wird nicht erwartet

Eine flächendeckende Insolvenzwelle im Maschinenbau erwartet Wiechers aber nicht – auch wenn die wirtschaftlichen Nöte einzelner Sparten auch nach Corona nicht einfach beendet sein werden. Denn neben den globalen Handelskonflikten, die den exportstarken Maschinenbau überproportional treffen, drückt vielen Firmen auch der Strukturwandel in der Autoindustrie aufs Ergebnis.

„Jene Unternehmen, die unter strukturellen Problemen leiden, muss man dabei unterscheiden von jenen, die vornehmlich unter einer Corona-bedingten Nachfrageschwäche leiden“, sagt Wiechers. Bei Letzteren sei davon auszugehen, dass Aufträge nicht aufgehoben, sondern lediglich aufgeschoben seien. „Wir gehen deshalb davon aus, dass es in diesen Sektoren zu einer deutlichen Erholung kommen wird, wenn die Wirtschaftstätigkeit wieder voll angelaufen ist.“

Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den Erwartungen der Unternehmen selbst wider. So rechnen immerhin 60 Prozent der Firmen laut VDMA-Umfrage mit einer Umsatzsteigerung im nächsten Jahr, wenn auch auf niedrigerem Niveau als noch 2019.

Dabei sind jene Unternehmen besonders optimistisch, die bislang vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen sind – wie beispielsweise Hersteller von Maschinen für die Lebensmittel- oder Pharmaindustrie, die ihre Investitionen weitgehend stabil gehalten haben.

Insolvenzexperte Thomas Neumann stellt sich mit seiner Kanzlei dennoch darauf ein, dass es im späteren Jahresverlauf zu weiteren Insolvenzen kommen wird, „auch weil die Verfahren erleichtert wurden“. Allerdings sei im Moment noch unklar, welche Sektoren es dabei treffen werde. „Ich persönlich erwarte, dass es am Ende eine Marktbereinigung geben wird, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder nach Krisen erlebt haben“, so Neumann.
Kevin Knitterscheidt

Touristik: Eine Branche bleibt am Boden

Seinen Urlaubern nimmt der Reisekonzern Tui seit dieser Woche die Angst vor einem finanziellen Risiko in der Coronakrise. Tui-Kunden, die im Urlaub über Symptome klagen, dürfen gratis einen deutschsprachigen Arzt konsultieren und im Ernstfall ohne Zusatzkosten länger am Urlaubsort bleiben. Eine Absprache mit der Axa-Versicherung macht es möglich.

Eine solche Versicherung bräuchte Tui wohl noch dringender für sich selbst. Denn seit einigen Wochen steht Europas größter Reiseveranstalter unter strenger Beobachtung der Ratingagenturen.

Am 20. Mai stufte Moody’s die Bonität von Tui um zwei Stufen auf „Caa1“ herab, am 8. Juni folgte Standard & Poor’s (S & P) mit der Note „CCC+“. In der Sprache der Bonitätsbewerter steht das für „substanzielles Risiko“ eines Zahlungsausfalls . Ein solches Risiko bestehe auch für Tui, so Moody’s-Analyst Vitali Morgowski – selbst im Fall von Lockerungen im Reisebereich. Der Tui-Umsatz wird 2020 laut Moody’s mindestens um die Hälfte einbrechen, weil Urlauber Flug- und Pauschalreisen meiden.

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus trifft die Touristik wie kaum eine zweite Branche. Mindestens vier deutsche Reiseveranstalter beantragten bereits in den vergangenen Wochen das Insolvenzverfahren. Die Nummer drei der Branche, der Münchener Urlaubkonzern FTI, wird aktuell nur durch einen Staatskredit am Laufen gehalten. Insbesondere die Rückzahlung angezahlter Kundengelder für ausgefallene Reisen hat bei vielen die Liquidität aufgezehrt.

Ab Oktober wird der wirkliche Schaden sichtbar. Dann nämlich endet das Moratorium, das die Bundesregierung Unternehmen für die Anmeldepflicht von Insolvenzen gewährt hat – falls das Moratorium nicht bis März verlängert wird.

Die voraussichtliche Welle an Pleiten, die sich hinter der Ausnahmeregel aufgestaut hat, wird insbesondere einen großen Teil der über 10.000 deutschen Reisebüros treffen. Den meisten von ihnen entgingen nicht nur drei Monate lang wegen des faktischen Verkaufsstopps die Provisionseinnahmen, zum Teil mussten sie darüber hinaus überwiesene Kundengelder zurückerstatten.

Ein Hilfspaket aus Berlin soll nun viele Reisebüros retten. Doch wer schon im Vorjahr keinen Gewinn vorweisen konnte, geht leer aus. Zudem sind die Hilfssummen auf maximal 150.000 Euro beschränkt, was insbesondere für größere Ketten kaum ausreichen dürfte. „Rund ein Viertel der Agenturen wird die Krise nicht überstehen“, schätzt Marija Linnhoff vom Reiseverband VUSR.

Noch trüber sieht es im Hotelgewerbe aus, wo selbst Ketten mit millionenschweren Umsatzeinbrüchen wie Maritim oder Lindner mit 150.000 Euro Unterstützung auskommen müssen. „Wir schätzen, dass 30 Prozent der Betriebe Insolvenz anmelden müssen“, sagt Tobias Warnecke vom Hotelverband IHA. Betroffen wären damit gut 10.000 Unternehmen.

Was vielen zum Verhängnis wird, ahnte vor Wochen schon Dorint-Aufsichtsratschef Dirk Iserlohe: Zwar gestattete die Bundesregierung Hoteliers zum Beginn der Corona-Pandemie, Mietzahlungen drei Monate lang einzubehalten, ohne eine Kündigung fürchten zu müssen.

Wer seit Anfang Juli aber die angehäuften Verpflichtungen nicht auf einen Schlag nachzahlt, gerät in Zahlungsverzug. „Auf dieser Basis können Verpächter ihre Forderungen einklagen, titulieren lassen und diese mit neun Prozent pro Jahr über dem Basiszins vollstrecken“, so Iserlohe. „Damit wird der Geschäftsbetrieb des Pächters unmöglich.“

Selbst üppig Notkredite garantieren in der Coronakrise nicht den Fortbestand. Die 1,8 Milliarden Euro schwere Hilfe der KfW etwa, die Tui Anfang April gewährt wurde, reicht voraussichtlich nur für wenige Monate. Zwar wies der Reisekonzern nach eigenen Angaben dadurch am 10. April 2,1 Milliarden Euro Liquidität aus, die Konzernchef Fritz Joussen durch den Teilverkauf der Kreuzfahrtreederei Hapag-Lloyd später sogar auf rund 2,7 Milliarden verbesserte. Doch das scheinbar komfortable Finanzpolster könnte rasch schon wieder aufgebraucht sein.

„Wir rechnen bei Tui mit einer Cash-Burn-Rate von monatlich 650 Millionen Euro“, erklärte S & P-Analyst Patrick Janssen die aktuelle Lage. Ohne Einnahmen aus dem laufenden Geschäft, so hatte Tui zuvor selbst berichtet, liege diese Burn-Rate sogar bei 700 Millionen bis 1,4 Milliarden Euro. Ein Konzernsprecher relativiert indes diese noch höheren Zahlen: „Die Aufhebung der globalen Reisewarnung sorgt seit Mitte Juni für eine teilweise Wiederaufnahme des Programms und neue Buchungen.“

Doch die Gefahr bleibt bestehen: Sollten die konservativen Annahmen der S & P-Analysten stimmen, geriete Tui ohne eine weitere Finanzspritze spätestens Ende August erneut in Schwierigkeiten.
Christoph Schlautmann

Einzelhandel: Corona bringt das Aus für schwache Händler

Das Szenario, das Stefan Genth entwirft, klingt bedrohlich. Jeder dritte Nicht-Lebensmittel-Händler sei von der Insolvenz bedroht, warnt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Rund 10.000 Unternehmen in der Branche ständen wegen der Folgen der Pandemie auf der Kippe, bis zu 50.000 Geschäfte könnten langfristig geschlossen werden, schätzt der Verband. „Wir erleben einen historischen Einbruch„, klagt Genth. „Viele Unternehmen sind in Existenznot.“

Dass diese Zahlen realistisch sind, zeigten in den vergangenen Monaten zahlreiche Insolvenzen auch namhafter Handelsunternehmen vor allem aus dem Modebereich. So beantragte beispielsweise die Tom-Tailor-Holding im Juni Insolvenz, der chinesische Großaktionär Fosun will das Unternehmen nun komplett übernehmen, um es zu retten. Esprit hat das Schutzschirmverfahren beantragt und will jeden zweiten der 100 Läden in Deutschland schließen. Viele weitere bekannte Händler wie etwa Appelrath-Cüpper oder Gina Tricot haben in Deutschland Insolvenz angemeldet, Hallhuber ist im Schutzschirmverfahren.

Besonders bitter war es für den seit Jahren angeschlagenen Konzern Gerry Weber. Erst im Januar kam er aus der Insolvenz zurück und sah wieder eine Perspektive, da trafen den noch geschwächten Händler die Folgen der Pandemie. Nach einem Umsatzausfall von deutlich mehr als 100 Millionen Euro sollen nun die Gläubiger erneut ihre Forderungen stunden, Hunderte Mitarbeiter müssen wohl gehen.

Die Welle trifft auch die Shoppingcenter. In den Malls des Betreibers ECE haben bereits 400 Händler Insolvenz angemeldet, das betrifft acht Prozent der Gesamtfläche. ECE verzeichnet pro Monat rund 70 Millionen Euro Einnahmeausfall. ECE-Eigentümer Alexander Otto geht davon aus, dass sich die Zahl der Insolvenzen noch weiter erhöht. „Da wird im Sommer noch einiges kommen“, sagte er im Interview mit dem „Manager Magazin“.

Bei den meisten Insolvenzen zeigt sich ein ähnliches Muster: Die Pandemie ist nur der letzte Auslöser, in Schwierigkeiten waren die Unternehmen schon länger. „Covid-19 hat als enormer Brandbeschleuniger für Entwicklungen gewirkt, die sich in ihrer Tendenz schon vor der Krise abgezeichnet haben“, bestätigt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts IFH in Köln. Er nennt sinkende Kundenfrequenzen im stationären Handel, mehr Onlinekäufe und ein steigendes Anspruchsniveau auf der Konsumentenseite als Belastungsfaktoren.

Menschenleere Einkaufspassage in Köln (Foto: Revierfoto/ddp)
Menschenleere Einkaufspassage in Köln (Foto: Revierfoto/ddp)

Die Folge: Margendruck, Konzentrationsprozesse, Unternehmens- und Filialschließungen. „Das stellt die Branche vor enorme Herausforderungen“, so Hudetz. „Auch wenn die Frequenzen an vielen Standorten langsam, aber stetig steigen, bedeutet dies noch keine Entwarnung“, warnt der Handelsexperte. Die Kunden suchten gezielt nach einzelnen Produkten, Inspiration und dadurch ausgelöste Zusatzkäufe fänden – nicht zuletzt auch wegen der Hygienemaßnahmen – kaum statt. Das drückt auf die Umsätze.

Beispielhaft für die Entwicklung steht der Warenhausbetreiber Galeria Karstadt Kaufhof. Die Kunden blieben weg, das Onlinegeschäft wurde viel zu spät angegangen. Die Fusion sollte die beiden traditionsreichen Ketten retten, die jahrelang Verluste angehäuft hatten. Doch die ohnehin schon heikle Mission wurde durch die Coronakrise unmöglich. Das Unternehmen flüchtete sich ins Schutzschirmverfahren, mehr als 50 Filialen werden geschlossen, der Ausgang ist ungewiss.

„Wir müssen leider davon ausgehen, dass eine Insolvenzwelle im Herbst zu erwarten ist“, warnt HDE-Geschäftsführer Genth. Er fordert deshalb, die Hürden für staatliche Überbrückungshilfen nicht zu hoch zu setzen. Bei den geringen Margen, die im Handel häufig erzielt werden, könne schon ein Umsatzausfall von 30 Prozent bedrohliche wirtschaftliche Folgen haben.
Florian Kolf

Autozulieferer: Gefährliche Abhängigkeit

Das waren noch Zeiten, als der legendäre Rennfahrer Michael Schumacher auf Hochleistungsfelgen von BBS seine ersten Weltmeistertitel in der Formel 1 einfuhr. Glamour und Glanz sind bei BBS schon lange verblasst. Vergangene Woche, mitten im 50. Geschäftsjahr, meldete der Felgenbauer aus dem Schwarzwald Insolvenz an.

Für das Unternehmen, das 1970 als Hersteller von Kunststoff-Karosserieteilen gegründet wurde, ist es bereits der dritte Insolvenzantrag nach 2007 und 2010. Mal waren hohe Aluminiumpreise der Grund, mal die Folgen der Finanzkrise. Diesmal soll es laut dem Unternehmen am Ausfall von zugesagten Zahlungen und der Coronakrise liegen. Der Lockdown habe zeitweise dazu geführt, dass BBS die Produktion herunterfahren musste.

Der Fall BBS ist typisch für die Branche der Automobilzulieferer. In Krisenzeiten erwischt es als Erstes jene Unternehmen, deren Geschäftsmodell schon länger wackelt und die keine Reserven haben. Die Corona-Pandemie erweist sich dabei als unerbittlicher Brandbeschleuniger.

BBS gehört in der Mehrheit der südkoreanischen Nice Holdings. Die 550 betroffenen Beschäftigten können nun nur noch auf einen neuen Investor hoffen. „Unser Ziel ist es, das Unternehmen weiterzuführen. Und die Chancen dafür sind gut“, erklärt Insolvenzverwalter Thomas Oberle.

Seine Kanzlei hatte schon die vorangegangen Insolvenzen von BBS begleitet und das Unternehmen zum Überlebenskünstler gemacht. Mit dem Insolvenzgeld gewinnt BBS nun abermals Zeit, und die Lieferketten können erhalten bleiben: Zu den Kunden zählen unter anderem Volkswagen, Porsche und Mercedes-Benz.

Auch für die Autohersteller selbst ist die Coronakrise ein Stresstest. In Wolfsburg, Stuttgart und München werden nun schmerzvolle Stellenstreichungen beschlossen. Ganze Werke stehen zur Disposition. In der Folge trifft das selbst die ganz Großen in der Zulieferbranche. Ihr Kreditrating steht unter Druck, wie die Herabstufungen von Continental und ZF zeigen.

Die Probleme in der Autobranche sind groß: Es drohen Preiskämpfe und Überkapazitäten

Zwar gefährdet die Pandemie nicht gleich die Existenz der Branchenriesen. Doch dieser Befund gilt nicht für alle in der Autoindustrie mit ihren eng verzweigten Lieferantenstrukturen. Insbesondere kleinere und mittelständische Zulieferer, deren Eigenkapital und Cash schon vor der Krise gering waren, sind gefährdet.

„Wir werden ab dem Herbst intensiv über die Frage reden, dass es mit unmittelbaren, zeitweisen Staatsbeteiligungen gelingen muss, Firmen tatsächlich zu erhalten, die sonst vom Markt verschwinden würden“, warnte Roman Zitzelberger jüngst. Der Bezirksleiter der IG Metall im Autoland Baden-Württemberg macht sich Sorgen um die Stabilität des Gesamtsystems.

Er plädiert für ein „Painsharing“ zwischen Unternehmen, Arbeitnehmern und Bund. Für zielführend hält der Gewerkschafter eine Reduktion der Arbeitszeit mit einem teilweisen Ausgleich des Verdienstausfalls. Sein Ziel: möglichst viele Jobs erhalten.

Doch das wird schwierig. Spätestens wenn die aktuell ausgesetzte Insolvenzantragspflicht Ende September wieder in Kraft tritt, drohen Dutzende Pleiten in der Autoindustrie, heißt es in Branchenkreisen. Der Grund: Viele kleinere Zulieferer sind stark vom europäischen Markt abhängig.

Doch während die Autoverkäufe in China schon wieder anziehen, lahmt in Europa weiter das Geschäft. Die Folge: Im dritten und vierten Quartal dürfte einer ganzen Reihe von Mittelständlern das Geld ausgehen – ähnlich wie schon bei BBS. Zumal es eher unrealistisch ist, dass der Bund reihenweise notleidende Autofirmen rettet.

So schlimm wie nach der Finanzkrise 2008 als gut 80 Zulieferer binnen eines Dreivierteljahres in die Insolvenz schlitterten, dürfte es zumindest anfangs dieses Mal nicht gleich werden, heißt es in Branchenkreisen. „Viele Zulieferer sind in diese Krise mit größeren Reserven reingegangen als damals. Das hilft nun“, sagt ein Insider. Dennoch bleibe das Grundproblem bestehen: Es fehlt an Stückzahlen. Und zwar weit über 2020 hinaus.

Daher warnt Autoprofessor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management: „Corona wirkt wie ein Katalysator für die Transformation der Branche. Die Margen dürften in den nächsten Jahren stark unter Druck bleiben. Unternehmen, die ihre Hausaufgaben vor der Krise nicht gemacht haben, sind jetzt am stärksten gefährdet.“
Martin Buchenau, Franz Hubik

Messen und Events: Berufsverbot

Seit 30 Jahren ist die Firma Rendel aus Hommerich im Messebau aktiv. Der Familienbetrieb mit neun festen und etlichen freien Mitarbeitern bietet Mittelständlern ein Rundum-Paket aus Standbau und digitaler Visualisierung. „Vor Corona liefen die Geschäfte sehr gut“, erzählt Geschäftsführerin Michaela Kupper. Die Firma baut Messestände in ganz Deutschland. Doch seit März sind Messen pandemiebedingt untersagt.

„Das Berufsverbot ist für unsere Branche eine Katastrophe. Wir haben keinerlei Aufträge mehr“, sagt Kupper. Hinzu kommt: Etliche Kunden haben gebaute, aber ungenutzte Messestände nicht bezahlt.

Mit null Umsatz ins Blaue hinein Überbrückungskredite aufnehmen – dieses Wagnis wollte Kupper nicht eingehen. Im Mai meldete Rendel Messebau Insolvenz an. „Wir sehen keine Perspektive, dass Messen 2020 wieder starten“, sagt die Unternehmerin. Sie erwartet eine heftige Marktbereinigung. Zumal durch günstige Anbieter aus Osteuropa ohnehin ein Preiskampf tobe.

Rendel ist nicht die einzige existenzgefährdete Firma in der zersplitterten und deshalb oft unterschätzten Veranstaltungsbranche. Diese generiert 130 Milliarden Euro Jahresumsatz. Rund eine Million Menschen arbeiten bei Kongress- und Konzertveranstaltern, Eventagenturen oder Bühnenbauern. In den Niederlanden hat Möbelverleiher JMT, der in 13 Ländern aktiv ist, ebenfalls kürzlich Insolvenz angemeldet.

„Zwei Drittel aller Betriebe droht die Pleite“, schlägt Jan Kalbfleisch, Chef des Kommunikationsverbands Famab, Alarm. Die Hilfsprogramme von bis zu 150.000 Euro für drei Monate seien viel zu bürokratisch und könnten die Schäden nicht annähernd wettmachen.

'Night of Light': Veranstaltungsbranche macht mit Lichtkunst-Aktion auf sich aufmerksam

„Die Veranstaltungswirtschaft steht auf der Roten Liste der akut vom Aussterben bedrohten Branchen“, meint auch Tom Koperek, Initiator der „Night of Light“. In der Nacht vom 22. Juni wurden bundesweit mehr als 5000 Gebäude symbolisch rot angestrahlt.

„Unsere Branche braucht echte Hilfe statt Kreditprogramme, sonst kommt eine riesige Insolvenzwelle“, warnt der Unternehmer aus Essen. Seine LK AG mit 120 Mitarbeitern bietet für Kunden wie Evonik oder Hochtief einen Rundumservice für Messeauftritte, Tagungen oder Hauptversammlungen – auch digital.

Seit Monaten hat Koperek keine Einnahmen mehr. Kosten von monatlich mehr als 100.000 Euro laufen weiter. KfW-Kredite würden die Malaise nur hinauszögern, meint er. „Wir bekommen eine künstliche Beatmung, aber am Ende des Jahres ist die Sauerstoffflasche leer.“ Spätestens 2021 seien viele in der Branche so überschuldet, dass sie Insolvenz anmelden müssten.

Messebauerin Kupper versucht, das Beste aus der Not zu machen. Ihre Hallen hat sie vermietet, die Schreinerei aufgegeben. Sie hofft nach der Insolvenz auf einen krisensicheren Neustart – mit einer digitalen Werbeagentur.
Katrin Terpitz

Gastronomie: Sterben auf Raten

Das Brauhaus Webster in Duisburg bietet in der Innenstadt selbst gebrautes Bier und deftige Speisen. „Vor Corona ging es uns finanziell gut“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Marc Weber. Als mit dem Lockdown das Geschäft wegbrach, schickte er die meisten der 40 Mitarbeiter bis Mai in Kurzarbeit. Weber war dankbar, dass er die Gaststätte mit staatlicher Soforthilfe am Leben halten konnte. 25.000 Euro bekam das Brauhaus für die Monate März bis Mai vom Bund und vom Land Nordrhein-Westfalen.

Doch kürzlich kam das unsanfte Erwachen in Form eines Formulars. Weber soll ausrechnen, ob die Finanzhilfe höher ist als sein Umsatzausfall abzüglich eingesparter Kosten wie Mietminderung. Die zu viel gezahlten Mittel soll er an die Landeskasse zurück überweisen. „Obwohl wir Verluste höher als unser Eigenkapital eingefahren haben, müssen wir wohl die Soforthilfe komplett zurückzahlen“, ärgert sich Gastronom Weber. „Dann wäre das Brauhaus Webster überschuldet und müsste nach fast 30 erfolgreichen Jahren Insolvenz anmelden.“

Für viele Wirte und Kleinunternehmer erweist sich die staatliche Soforthilfe, die dazu gedacht war, die Existenz zu sichern, nun als Insolvenzfalle. Personalausgaben nach Abzug des Kurzarbeitergeldes dürfen ebenso wenig als Kosten geltend gemacht werden wie Rechnungen, die zwischen März und Mai anfielen, aber nicht in diesem Zeitraum bezahlt wurden. Diese Regeln waren offenbar vielen Gastronomen nicht bewusst.

Gäste meiden Lokale aus Angst vor Ansteckung. Foto: dpa
Gäste meiden Lokale aus Angst vor Ansteckung. Foto: dpa

„Die meisten Gastronomen hatten im April kein Geld mehr und deshalb Miet- oder Stromzahlungen gestundet. Das erweist sich jetzt als Bumerang“, sagt Weber. Die gestundeten Zahlungen müssen später nachgeholt werden, können aber nach jetzigem Stand nicht aus den Hilfen bezahlt werden. Nach Beschwerden hat die Landesregierung das Verfahren erst einmal auf Eis gelegt und hält Rücksprache mit dem Bund.

Obwohl Restaurants wieder unter Auflagen öffnen dürfen, hat sich die Branche kaum erholt, denn die Gäste fehlen. Im Mai lag der Umsatz der Gastronomie um 54,6 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Das ermittelte das Statistische Bundesamt.

Die Lage ist zweigeteilt: „Gastronomie in Feriengebieten und mit großen Terrassen erzielt bis zu 80 Prozent ihrer alten Umsätze. Kleine Restaurants und Kneipen kommen gerade mal auf 30 bis 40 Prozent“, beobachtet Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga.

„Durch die Abstandsgebote hat die Branche weiter massive Umsatzausfälle.“ Hartges warnt vor einer Pleitewelle – nach zehn Rekordjahren mit 300.000 neuen Stellen im Gastgewerbe: „Die Existenz von 70.000 Betrieben und Hunderttausenden Arbeitsplätzen ist bedroht.“

Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts sahen im Juni zwei Drittel der befragten Gastronomen ihr Überleben gefährdet. Hartges erwartet, dass mindestens ein Drittel der Betriebe vom Markt verschwindet. In vielen Städten haben traditionsreiche Lokale bereits geschlossen – in Düsseldorf etwa Robert’s Bistro oder der Kult-Japaner Kikaku.

Promi-Gastronomin Sarah Wiener musste diese Woche ebenfalls Insolvenz für ihre Restaurants in Berlin und ihren Cateringservice anmelden. Und sie befürchtet, dass das Sterben viele weitere Betriebe trifft. „Für die Vielfalt der Gastroszene – das Besondere, das Wilde – ist das ganz bitter.“

Selbst die Starköchin trifft es: Sarah Wiener meldet Insolvenz für Restaurants und Catering an

Die Gastronomie bräuchte jetzt einen unglaublichen Boom, um das finanzielle Loch der letzten Monate zu kompensieren, meint Wiener. Doch der ist nicht in Sicht. Der Verband Dehoga verlangt deshalb eine Erhöhung und Verlängerung der Überbrückungshilfen über den August hinaus.

Derweil planen der neu formierte Bund der Gastfreundschaft und etliche Kanzleien Sammelklagen, um für die Gastro-Zwangsschließungen Entschädigungen von den Ländern zu erwirken. Sie berufen sich dabei auf das Infektionsschutzgesetz. „Deutschland ohne bunte Gastrolandschaft – dieser Gedanke ist für uns unerträglich“, sagt Johannes Riffelmacher vom Bund der Gastfreundschaft. „Für unsere Branche steht längst alles auf dem Spiel.“

Das gilt auch für das Brauhaus Webster. Selbst im Juni lag der Umsatz erst bei 30 Prozent des Normalgeschäfts. Der Staat hätte sich die Hilfsgelder sparen können, wenn viele Firmen sie wieder zurückzahlen müssen, meint Wirt Weber: „Die Insolvenzwelle ist dadurch nur verzögert, nicht aber gestoppt worden.“
Katrin Terpitz

VIDEO: Wer profitiert vom Milliarden-Konjunkturpaket?