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Diese Hamburger wollen einen Abholdienst für Altglas und Kleider groß machen

Sie wollen mit ihrem Abholdienst Recyclehero die Kreislaufwirtschaft stärken (v.l.): Alessandro Cocco (Co-Gründer), Nadine Herbrich (Co-Gründerin) und Samir Schulz-Meinen (Co-CEO). - Copyright: Recyclehero
Sie wollen mit ihrem Abholdienst Recyclehero die Kreislaufwirtschaft stärken (v.l.): Alessandro Cocco (Co-Gründer), Nadine Herbrich (Co-Gründerin) und Samir Schulz-Meinen (Co-CEO). - Copyright: Recyclehero

Als Nadine Herbrich und Alessandro Cocco noch zusammenwohnten, hatte keiner wirklich Lust, am Tag nach der WG-Fete, die ausgetrunkenen Wein- und Bierflaschen zum Container oder Leergutautomaten zu bringen. Zu weit war der Weg und möglicherweise zu stark waren die Kopfschmerzen. Der Anblick von angesammelten Glasflaschen in der Küche und auf dem Balkon gefiel ihnen aber auch nicht.

Ihre Überlegung: Ein Abholservice, der Altglas, Pfandflaschen und andere Wertstoffe wie Papier vor der Haustür aufliest und für Privathaushalte und Unternehmen entsorgt – am besten auf nachhaltige Weise mit dem Lastenfahrrad. „Damals war das Lieferdienst-Segment erst im Kommen. Gorillas und Flink gab es noch gar nicht“, sagt Cocco heute. „Trotzdem dachten wir: Wenn sich Leute ihr Essen liefern lassen, warum nicht einen Recycling-Abholservice aufziehen?“

Das Gründer-Duo will bei der ersten Meile der Recycling-Logistik ansetzen, um so zu einer höheren Wiederverwertung beizutragen. Aktuell hält sich die Quote in Deutschland bei 70 Prozent, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.

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Bei einem Gründerwettbewerb 2017 stellten die beiden Hamburger ihre Idee zum ersten Mal vor und gewannen den ersten Platz. Damit stand der Plan: Neben ihren Jobs begannen Herbrich und Cocco ihr Startup Recyclehero rund ein Jahr später zu bootstrappen. „Wir haben uns anfangs ein Lastenfahrrad geliehen. Später – mit unserem ersten eigenen Rad – waren wir noch sehr hemdsärmelig unterwegs, haben die Aufträge auf Zettel geschrieben“, erinnert sich Cocco. Der 38-Jährige war damals noch in Vollzeit bei einer Bank beschäftigt, Mitgründerin Herbrich arbeitete als Asset-Managerin bei einer Immobilienfirma. Fahrten mussten deswegen oft abends oder am Wochenende stattfinden.

300 Restaurants und Geschäfte nutzen den Abhol-Service

Ihre ersten 15 Pilotkunden fanden die Hamburger unter regionalen Restaurants und Geschäften, bei denen sich viel Verpackungsmüll und Altgläser anstauen und für die Zeit und Personal fehlt, um den Müll zu entsorgen. Inzwischen nutzen rund 300 Gastrobetriebe und Einzelhändler in Hamburg regelmäßig Recyclehero. Die meisten von ihnen buchen den Abholdienst im Abonnement und zahlen für Fahrten zweimal pro Woche zwischen 200 und 300 Euro monatlich.

Alternativ sind auch Einmal-Abholungen möglich, die über die Website gebucht werden können. Die Preise unterscheiden sich dabei je nach Wertstoff und Gewicht. Für eine Box voll Altglas, in die rund 45 Weinflaschen passen, zahlen Geschäftskunden rund sieben Euro. Analog ist es bei einem Umzugskarton, der mit Altpapier gefüllt ist. Etwas mehr berechnet das Startup bei Privathaushalten: Sie zahlen für die Dienstleistung rund acht Euro. Günstiger wird es zum Beispiel für Familien, die alle sechs Wochen eine Kiste mit Glas oder Altpapier abgeben wollen. Für beides berechnet das Startup monatlich rund elf Euro. Pfandflaschen holen die Kuriere grundsätzlich kostenlos vor der Haustür ab.

Um die Routen effizient zu planen, fragt Recyclehero beim Buchungsprozess nach der Postleitzahl. Eine eigene Software berechnet dann Streckenverläufe von Haus zu Haus und bis zum nächsten freien Container. Größere Mengen bringen die Fahrer oft direkt zum Wertstoffhof. Von ihrer Firmenzentrale im Schanzenviertel aus fahren die „Heros“ in einem Umkreis von sieben bis acht Kilometern etwa westlich bis nach Ottensen oder östlich bis nach Barmbek. Abholungen am selben Tag sind bislang nicht möglich – das Startup braucht bis zu 24 Stunden Vorlaufzeit. „Wir sind kein Quick-Commerce Anbieter“, sagt Co-Gründerin Herbrich. „Da wir größtenteils Abo-Kunden haben, stehen aber meist 90 Prozent der Tour fest.“ Das vereinfache die Koordination der sieben Elektro-Schwerlastenfahrräder, die das Startup derzeit besitzt. Bei mehr als 1000 Kunden haben die Hamburger insgesamt Wertstoffe abgeholt.

Soziales Engangement rettet Recyclehero durch Pandemie – Kunden werden aufmerksam

Neben Nachhaltigkeit verfolgen die Gründer auch einen sozialen Ansatz: Von den Erlösen, die sie mit der Rückgabe von Pfandflaschen im Supermarkt einnehmen, geben sie die Hälfte an Obdachlose. Zum Beispiel kaufen Herbrich und Cocco davon Wärmflaschen, die sie an Menschen auf der Straße austeilen. Mit Pfand etwas Gutes zu tun, sei für viele Privatleute angenehmer, als die Flaschen im Alltagsstress – häufig im Auto – selbst wegbringen zu müssen, so Co-Gründerin Herbrich. Sie vergleicht den Service mit dem Viva-con-Agua-Prinzip: „Wie bei der Entscheidung, welches Wasser man trinken will, ist den Kunden bewusst, dass sie sich um ihre Wertstoffe kümmern müssen. Für sie ist wichtig, dass ihr Leergut recycelt wird und dass sie damit Hilfsprojekte unterstützen.“

Überhaupt hat sich das Startup mit seinem sozialen Engagement bei vielen Familien mit Kindern, Berufstätigen, Studenten-WGs und Senioren erst während der Pandemie bekannt gemacht. Dadurch, dass Gastrobetriebe und Geschäfte während des Lockdowns 2020 schließen mussten, brachen Recyclehero die Kunden weg. „Corona war für uns eine ganz schöne Kehrtwende“, erzählt Herbrich. Ihr Mitgründer ergänzt: „Wir hatten plötzlich mit Umsatzeinbrüchen zu kämpfen.“

Kurz zuvor hatten die Hamburger ihr Startup als GmbH eintragen lassen, Herbrich kümmerte sich inzwischen Vollzeit um den Aufbau des Abholdienstes. Von 25.000 Euro, die das Gründerduo im Sommer 2019 bei einer Crowdfunding-Kampagne der Hertie-Stiftung eingesammelt hatte, konnten sie drei neue Elektro-Schwerlastenfahrräder anschaffen. Doch mit der voranschreitenden Krise kamen diese immer weniger zum Einsatz. Statt abzuwarten, wollten Herbrich und Cocco ihre frei gewordenen Kapazitäten sinnvoll nutzen.

So begannen sie in Zusammenarbeit mit einem Obdachlosenverein, lokalen Restaurants und dem TV-Koch Tarik Rose für das Projekt „Straßensuppe“ warme Mahlzeiten, Getränke, Schutzmasken und Hygieneartikel an Obdachlose auszuliefern. „Man muss sich vorstellen, dass soziale Einrichtungen aus Panik vor dem Virus vom ein auf den anderen Tag geschlossen haben“, schildert Herbrich. Deshalb wandelte das Startup ein Crowdfunding-Projekt, das eigentlich anlaufen sollte, um ein weiteres Lastenfahrrad zu finanzieren, kurzerhand in eine Spendenaktion für den Suppen-Lieferdienst um. Das mediale Interesse an Recycleheros Aktivismus wuchs dabei zusätzlich. „So gesehen war es für uns eine Win-Win-Situation“, sagt die 36-Jährige. „Wir haben unsere Zeit während Corona gut investiert und konnten parallel unsere Firma aufrechterhalten und die Brand aufbauen.“

Aussortierte Kleidung geht an Secondhand-Shop

Zudem profitiert das Startup von einem weiteren Pandemie-Effekt: Da durch die Kontaktbeschränkungen mehr Leute zu Hause rumgehockt haben, wurde auch mehr Kleidung aussortiert. Laut Statistischem Bundesamt ist die Menge eingesammelter Kleidung 2020 um fast 80 Prozent, damit 61.000 Tonnen, im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Recyclehero holt deswegen auch Altkleider kostenlos bei Privathaushalten ab. Dazu Herbrich: „Flohmärkte sind nicht für jeden attraktiv. Außerdem ist das konventionelle Textil-Recycling durchaus kritisch zu hinterfragen.“ Die Hamburgerin zielt damit auf den Vorwurf, dass hiesige Altkleider-Exporte in afrikanische Länder lokale Märkte zerstören und die eigene Textil-Produktionen im globalen Süden unterdrücken. Das sozialausgerichtete Startup will dafür sorgen, dass gebrauchte Kleidung im lokalen Kreislauf bleibt. So arbeiten sie mit einem großen Secondhand-Laden zusammen, der ihnen die Kleidung zum Kilopreis unsortiert abnimmt.

Cocco bemerkt: „Die Ware, die wir abholen, hat meist eine viel bessere Qualität als die aus dem Container. Auch, weil wir sie teilweise in wohlhabenderen Gegenden auflesen.“ Dadurch ließen sich beim Weiterverkauf höhere Erlöse erzielen, so der Gründer. Es kommt aber auch vor, dass sich die Mitarbeiter selbst in Einzelstücke verlieben. „Wir tragen bei uns im Team fast alle nur noch Second-Hand, weil die Sachen einfach super sind,“ freut sich Cocco.

Millionensumme soll Dienst in weitere Städte bringen

Von Hamburg aus soll das Startup nun weiterwachsen. Neben Verstärkung für das 17-köpfige Team, die Recyclehero aktuell sucht, soll auch die Expansion in andere deutsche Städte gestartet werden. Dazu hat das Startup im Juli seine Pre-Seed-Runde abgeschlossen und einen niedrigen Millionenbetrag eingesammelt. Neben einer Förderbank beteiligen sich der Angel Investor und Tesla-Manager Tilman Finlay-Freundlich sowie Wilfried Gillrath, Ex-CEO beim Ökostrom-Anbieter Lichtblick, am Recycle-Dienst. Gillrath unterstützt bereits nachhaltige Startups wie Sirplus und die Online-Bank Tomorrow.

Mit dem Kapital wollen die Gründer 2023 ihren Abhol-Service auch in großen Städten wie München, Bremen und Hannover ausrollen. Zudem planen sie, ihre Logistik-Software inklusive E-Lastenfahrrad und Marke an Franchise-Unternehmer zu verkaufen. Diese sollen Recyclehero dann auch in kleinere Städte bringen. Erste Anfragen von potenziellen Partnern erreichen Herbrich und Cocco bereits aus den NRW-Städten Duisburg und Paderborn.

Doch auch sein Annahme-Sortiment will Recyclehero künftig erweitern. „Wir haben uns vorgenommen, jedes Jahr einen neuen Wertstoff dazu zu nehmen“, erklärt Cocco. So überlegt das Gründerteam in ein paar Jahren den Service zum Beispiel um alte Klein-Elektrogeräte zu ergänzen. Die Voraussetzungen etwa für den Transport seien allerdings komplexer und müssten gut geprüft werden. Derzeit feilen die Gründer daran, wie sich Restbestände von Einzelhändlern ins Geschäftsmodell integrieren lassen. Cocco betont: „Wir wollen den Begriff Abfall komplett aus den Köpfen der Leute streichen und zu einem echten Circular Economy Rockstar heranreifen.“