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MTU und Wirecard: Die Kurse eilen dem Wachstum davon

Die Aktien von MTU und Wirecard sind auf lange Sicht extrem erfolgreich. Doch ihre Aktien sind teuer – und deshalb anfällig für Verluste.

Konjunktursorgen? Von wegen! Während BASF, Daimler, Continental und viele andere Industriekonzerne angesichts der sich eintrübenden Weltwirtschaft ihre Ertragsziele zusammenstreichen, hebt Wirecard sie an. Wieder einmal. Der boomende Onlinehandel stimmt den Zahlungsspezialisten fürs Internet zuversichtlicher.

Bis 2025 will der Dax-Konzern seinen Umsatz auf mehr als zwölf Milliarden Euro und den Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen auf mehr als 3,8 Milliarden Euro steigern. Das wäre sechsmal so viel wie 2018. Bislang waren über zehn Milliarden Umsatz und mehr als 3,3 Milliarden Euro Gewinn vorgesehen. Wirecard begründete am Dienstag die deutlich höheren Ziele unter anderem mit den „leistungsstarken Partnerschaften“ wie etwa der japanischen Softbank-Holding.

Bessere Perspektiven, die mit harten Zahlen unterlegt sind – besser geht es eigentlich nicht. Dennoch reagierten Anleger am Dienstag unterkühlt. Die Aktie bewegte sich anfangs kaum und rutschte dann sogar gut zwei Prozent ins Minus.

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Das Problem: Aktionäre haben sich an solche Botschaften längst gewöhnt. Schon im Vorfeld des Kapitalmarkttages waren sich Analysten in ihren Studien sicher, dass Wirecard seinen Auftritt in den USA dazu nutzen wird, um seine Ziele wieder einmal anzuheben. Selbst die Höhe überraschte nicht.

Die enttäuschende Tagesreaktion werden Anleger verschmerzen können, denn Wirecard zählt zu den besten Aktien an der deutschen Börse: allein in den vergangenen fünf Jahren plus 380 Prozent.

Ähnlich erfolgreich, und das ebenfalls auf lange Sicht, ist MTU, der Zulieferer für Flugzeugbauer. Beide Unternehmen wirtschaften zwar in sehr unterschiedlichen Geschäftsfeldern, doch ihre Gemeinsamkeiten sind groß – auch abseits der starken Performance.

Vor gut einem Jahr verdrängte Wirecard zum Herbstbeginn die Commerzbank im Dax, genau ein Jahr später MTU Thyssen-Krupp. Wer es nicht mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier hält, der traditionsreiche deutsche Unternehmen, wie eben auch den Stahlhersteller, im Sinne nationaler Industriepolitik für schützenswert hält, dürfte ob der doppelten Frischzellenkur für den Dax frohlocken.

Erst verdrängt ein reinrassiger IT-Spezialist, womit Deutschland nicht reich gesegnet ist, die vom Steuerzahler aufgefangene und aufgepäppelte Commerzbank. Jene Bank, die sich auch zehn Jahre nach der Finanzkrise noch nicht von ihr erholt hat. Zwölf Monate später wiederholt sich die Geschichte. Der Zulieferer für die Flugzeugbauer dieser Welt, dessen Auftragsvolumen von rund 20 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre reicht, ersetzt den Essener Stahl- und Aufzughersteller.

Dessen Vorstand investierte vor gut einem Jahrzehnt zwölf Milliarden Euro in amerikanische Stahlhütten, die im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut waren, sodass Thyssen-Krupp in eine bedrohliche Schieflage geriet – ohne Aussicht auf Besserung.

Der Dax wird also um zwei Dauerverlierer ärmer und zwei Senkrechtstarter reicher. Seit ihrem Börsengang vor 14 Jahren ist die MTU-Aktie um über 1000 Prozent gestiegen, Wirecard schaffte in den vergangenen 15 Jahren sogar fast 10.000 Prozent.

Doch die ertragreiche Vergangenheit hilft heutigen Anlegern mit Blick auf die Zukunft nicht weiter. Beide Aktien sind stark gestiegen und haben deshalb offenbar viel Wachstum vorweggenommen. Was das für Folgen haben kann, zeigte sich schon bei vergangenen Dax-Aufsteigern wie MLP und Epcos: Ihre Aktien vervielfachten sich, ehe sie im Dax ihre hohe Bewertung nicht mehr rechtfertigen konnten – und am Ende in die zweite Börsenliga abstiegen.

Der größte Schönheitsfehler der beiden aktuellen Aufsteiger ist, dass sie sehr teuer sind. Das belegen nach Handelsblatt-Berechnungen zentrale Kennziffern. In zehn Jahren steigerte MTU seinen Kurs um 650 Prozent, Wirecard um gut 1700 Prozent. Im selben Zeitraum erhöhte sich deren Nettogewinn aber jeweils nur rund halb so viel. In beiden Fällen gilt: Die Kurse sind den Gewinnen doppelt so schnell vorausgelaufen.

Diese Diskrepanz schlägt sich in einem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) nieder. Wer heute MTU-Aktien kauft, bezahlt die Firma und heruntergerechnet jede einzelne Aktie mit dem knapp 24-fachen erwarteten Jahresnettogewinn. Das ist fast doppelt so viel, wie Anleger im Schnitt für die 30 Dax-Unternehmen bezahlen. Hier liegt das durchschnittliche KGV bei 14. Wirecard bezahlen Anleger sogar mit dem knapp 32-fachen Gewinn. Die Aktie ist also noch teurer.

Derart hohe Bewertungen können unter Umständen durchaus gerechtfertigt sein, aber nur solange die Perspektiven stimmen und die Gewinne stark steigen. MTU schaffte es 2018 zwar, seinen Gewinn um ein Viertel zu steigern.

2019 dürften weitere zehn bis fünfzehn Prozent Zuwachs hinzukommen. Doch um ein KGV von 24 zu rechtfertigen, ist auf Dauer selbst das zu wenig. Die Jahre davor geben mit Gewinnzuwächsen im einstelligen Prozentbereich – nur in Ausnahmejahren gab es etwas mehr – wenig Anlass zur Hoffnung, dass es sich bei MTU um einen rasanten Wachstumswert handelt.


Mehr Schönheitsfehler als nur die Bewertung

Wirecard schneidet in diesem Vergleich, trotz seiner noch höheren Bewertung, besser ab – weil die Gewinne rasanter steigen. 2018 erhöhte sich der Nettogewinn um 35 Prozent, 2019 sind nach Berechnungen von Analysten 50 Prozent wahrscheinlich. Auch dass Wirecard seine Prognosen Jahr für Jahr anhebt und anschließend übertrifft, rechtfertigt einen höheren Preis.

Es gibt noch mehr Schönheitsfehler als nur die Bewertung. Wirecard schüttete zuletzt 20 Cent Dividende für jede Aktie aus. Daraus errechnet sich eine mickrige Dividendenrendite von 0,14 Prozent. MTU kommt immerhin auf 1,8 Prozent. Doch auch das liegt deutlich unter dem Dax-Durchschnitt von 3,3 Prozent.

Schließlich: Wer alle Vermögensgegenstände von MTU und Wirecard zusammenrechnet und so den Buchwert ermittelt und diesen in Relation zum aktuellen Kurs setzt, kommt bei MTU auf den Faktor 5,2 und bei Wirecard sogar auf 6,8. Das ist viel, der Durchschnitt im Dax liegt bei 1,5. Auch diese Kennziffer weist also beide Aktien als teuer aus.

Der Einwand, dass für stark wachsende Unternehmen höhere Kurs-Buchwert-Verhältnisse angemessen sind, erst recht für einen IT-Spezialisten wie Wirecard, wo Computer, Software und das Wissen der Mitarbeiter viel mehr über den Erfolg entscheiden als teure Maschinen, Fuhrparks und Immobilien, ist berechtigt. Aber: Sowohl MTU als auch Wirecard liegen mit ihrem Kurs-Buchwert weit über ihrem eigenen Zehn-Jahres-Durchschnitt. Die Kurse sind also stärker gestiegen als die Substanz.

Analysten sind vor allem bei MTU vorsichtig, wenn es um die Perspektiven geht. Aktuell empfehlen nur vier Experten den Dax-Neuling zum Kauf, zehn raten zum Halten und zwei zum Verkauf. Solch eine Konstellation ist selten, weil üblicherweise Kaufempfehlungen dominieren.

„Mittelgroße Industriekonzerne sind in Deutschland einem gestiegenen Rezessionsrisiko ausgesetzt“, urteilt Richard Schramm von der britischen Investmentbank HSBC. Dazu zählt auch der Hersteller von Turbinen und anderen Zulieferteilen für Flugzeuge. Weil die hohen Gewinnerwartungen nicht mit den Kursgewinnen schrittgehalten haben, hat HSBC seine Kaufempfehlung auf „halten“ reduziert.

Wirecard kommt bei Analysten besser weg

Die unabhängigen Analysten von Independent Research empfehlen MTU gar zum Verkauf, obwohl sie ihr Kursziel von 225 auf 249 Euro angehoben haben. Doch mit aktuell 242 Euro hat die Aktie das Ziel fast erreicht. Den mit dem Dax-Aufstieg vollzogenen Kursanstieg hält Independent-Research-Analyst Sven Diermeier für übertrieben.

Wirecard kommt im Urteil der Analysten besser weg. 14 Kaufempfehlungen stehen zwei Verkaufsurteilen gegenüber, vier Analysten raten zum Halten. Grund für den größeren Optimismus ist das rasantere Wachstum – vor allem weil Wirecard immer neue Partnerschaften eingeht.

In den vergangenen Wochen kamen Kooperationen mit der japanischen Mizuho Bank, dem chinesischen Kreditkartenunternehmen Unionpay, dem amerikanischen Fintech Credibly, dem US-Mobilfunkdienstleister Brightstar und der Technologieholding Softbank des japanischen Milliardärs Masayoshi Son hinzu. Jede Kooperation erhöht die potenzielle Basis an Kunden, wenn diese im Internet bezahlen. Vor allem die Vereinbarung mit Softbank imponiert Analysten.

Mit Beteiligungen an über 80 Firmen biete das Portfolio der Japaner ein enormes Abschlusspotenzial für Wirecard, lobt die Privatbank Hauck & Aufhäuser. Die Partnerschaft „steigere die Zuversicht in die künftigen Wachstumschancen“, urteilt Marius Fuhrberg von Warburg Research.

Als Belastung bei dem Zahlungsdienstleister gilt sein Defizit in Sachen gute Unternehmensführung. So musste Wirecard Bilanzunregelmäßigkeiten in Singapur eingestehen. Zudem gibt es immer wieder Vorwürfe, der Aufsichtsrat sei nicht ausreichend kompetent besetzt und das Management lasse es an Transparenz beim Geschäftsmodell missen.

Solange Wirecard es aber schafft, seine Prognosen regelmäßig anzuheben und sie anschließend zu übertreffen, erscheint die hohe Bewertung gerechtfertigt. MTU ist zwar nicht ganz so hoch bewertet, darf sich aber keine Schwächen infolge des weltweiten Konjunkturrückgangs erlauben. Anleger würden dies nach dem rasanten Kursanstieg vermutlich mit kräftigen Abschlägen bestrafen.