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Diese fünf Herausforderungen stellen die EU auf die Probe

„Die ist in einer existentiellen Krise“, diagnostizierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im September 2016. In der Tat befindet sich die EU seit nunmehr acht Jahren im permanenten Krisenmodus – von der Euro- und Flüchtlingskrise über den Umgang mit Russland in der Ukraine und Syrien bis hin zum Brexit-Votum und den Verhandlungen über große Handelsverträge wie CETA und TTIP ist es der EU und ihren Mitgliedstaaten zwar immer wieder gelungen, die Krisen kurzfristig zu managen. In keinem dieser Bereiche jedoch konnten die Krisenursachen vollständig behoben werden. Und so kulminieren in 2017 fünf zentrale Herausforderungen, die die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der EU im Kern in Frage stellen.

Die brüchige Legitimität der EU

Erstens wird die Legitimität der EU und der sie stützenden politischen Eliten auf die Probe gestellt. Mit den Niederlanden, Frankreich und Deutschland stehen in drei Gründerstaaten der EU nationale Wahlen an, in denen sich jeweils EU-kritische Parteien erhebliche Zuwächse erhoffen; selbst ein Wahlsieg Marine Le Pens bei den französischen Präsidentschaftswahlen scheint denkbar. In Italien könnte es im Zuge vorgezogener Neuwahlen zu einer Stärkung der Fünf-Sterne-Bewegung kommen, die eine Volksabstimmung über die Euro-Mitgliedschaft fordert. Auch von Tschechien könnte im Falle eines Wahlsieges des aktuell kleineren Koalitionspartners ANO eine größere europa- und außenpolitische Ungewissheit ausgehen. In Polen ist weiterhin mit strittigen Maßnahmen im Bereich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu rechnen, was nicht nur die innenpolitische Polarisierung verschärfen dürfte, sondern für EU-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten auch einen Balanceakt zwischen Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Nichteinmischung in innenpolitische Konflikte mit sich bringt.

Eingeschränkte Reformfähigkeit im Wahljahr

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Zweitens steht gerade unter dem Vorzeichen der nationalen Wahlen die Reformfähigkeit der EU in zentralen Politikbereichen in Frage. In Reaktion auf das Brexit-Votum haben sich die EU-27 im »Bratislava-Prozess« zu einer begrenzten Reformagenda bekannt, mit der im ersten Halbjahr 2017 Einigkeit und Handlungsfähigkeit demonstriert werden soll. Im Vordergrund stehen die weitere Vertiefung des Binnenmarkts sowie die innere und äußere Sicherheit, insbesondere mit Blick auf die weiteren Reparaturen am Schengenraum. Zumindest vor den französischen und deutschen Wahlen ist der Spielraum für weitreichende Kompromisse jedoch besonders eng, so dass die nationalen Regierungen nicht nur Vertragsänderungen für die absehbare Zukunft ausgeschlossen haben, auch die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie besonders kritische Teile der Migrationsagenda haben sie bis dato ausgeklammert. Gleichzeitig mehren sich bei nationalen Regierungen die Stimmen, die zumindest einen partiellen Rückbau der EU zu einer intergouvernementalen Union fordern. Es ist daher fraglich, welche positiven Signale von den geplanten Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge im März 2017 ausgehen können, um das Vertrauen der Bürger in die EU zurückzugewinnen. Ein reines Beharren auf dem Status quo wird nicht ausreichen, um deren Legitimation zu erneuern.

Flexibilisierung versus Zusammenhalt

Angesichts dieser Blockaden bekommt drittens die Debatte über Differenzierung und Flexibilisierung in der EU neuen Auftrieb. Eine weitere Vertiefung der EU scheint angesichts der Spaltung der Mitgliedstaaten mittelfristig nur über eine weitere Differenzierung möglich. Gleichzeitig wächst die Bedeutung minilateraler Foren (Viségrad-Gruppe, Weimarer Dreieck, Gruppe der Nicht-Eurostaaten, Gründerstaaten, Nordische Staaten) für das Management der EU. Insbesondere für Deutschland stellt sich dabei die Frage, inwieweit mehr Flexibilisierung mit einem Zusammenhalt der EU-27 und dem Funktionieren des Kernstücks der EU, dem Binnenmarkt aller noch 28 EU-Staaten, vereinbar gehalten werden kann.

Ringen um Brexit-Modalitäten

Viertens steht 2017 der formelle Auftakt der Brexit-Verhandlungen an. Sobald die britische Regierung den Austrittsantrag gestellt hat (der angekündigte Zeitpunkt Ende März kann sich durch juristische bzw. parlamentarische Verfahren noch verzögern), beginnt die Zwei-Jahresfrist für die Austrittsverhandlungen. Die EU-27 müssen sich dann auf ein Verhandlungsmandat für die Kommission einigen. Da für eine fristgerechte Ratifikation des Austrittsvertrages eine Einigung schon anderthalb Jahre nach Beginn der Verhandlungen gefunden sein muss (nach bisherigem Stand also bis Oktober 2018), werden schon 2017 Grundsatzentscheidungen über den zukünftigen Umgang mit Großbritannien getroffen werden müssen. Hier werden Abwägungen etwa zwischen zukünftigen wirtschaftlichen Interessen und der Freizügigkeit nötig sein, die den Zusammenhalt der EU-27 zusätzlich gefährden. Nicht zuletzt wird man sich der Herausforderung stellen müssen, die Verhandlungen über den Brexit nicht mit den notwendigen Reformen in anderen Bereichen zu vermischen und diese damit zu blockieren.


Neuausrichtung der Türkei-Beziehungen

Fünftens ist für 2017 mit weiteren Spannungen in den Beziehungen der EU zur zu rechnen. Angesichts der autoritären Tendenzen in der Türkei, der türkischen Debatte über die Einführung der Todesstrafe, der Resolution des EU-Parlaments, in der es ein Einfrieren des Beitrittsprozesses fordert, und des politischen Drucks einzelner EU-Mitgliedstaaten steht ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen im Raum. Gleichzeitig bleibt das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei wichtiger Bestandteil der EU-Asyl- und Migrationspolitik. Die EU steht daher vor der Herausforderung, eine gemeinsame Haltung und Wege der Einflussnahme auf die Türkei zu finden, auch jenseits der Beitrittspolitik.
Es wird die EU 2017 auf das Äußerste strapazieren, sich durch die Gesamtheit dieser Krisen und Herausforderungen zu manövrieren. Dabei muss sie vor allem ein zentrales Dilemma überwinden: Sie darf trotz und gerade wegen des europäischen Superwahljahrs und der beginnenden Brexit-Verhandlungen nicht in Schockstarre verfallen. Vielmehr muss es ihr gelingen, die Weichen für eine glaubwürdige Reformagenda in Eurozone, Schengenraum und Binnenmarkt zu stellen.

Der Text ist auch auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt veröffentlicht worden.

KONTEXT

Wichtige Wahlen in Europa 2017

Niederlande

Die Niederländer wählen am 15. März ein neues Parlament. Die regierende große Koalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten wird nach allen Prognosen keine Mehrheit mehr bekommen. Der Partei für die Freiheit des Rechtspopulisten Geert Wilders werden dagegen große Gewinne vorhergesagt.

Frankreich I

Die Franzosen wählen einen neuen Präsidenten. Die erste Runde ist am 23. April. Erreicht dabei kein Kandidat die absolute Stimmenmehrheit, findet am 7. Mai eine Stichwahl statt. Der konservative Bewerber Francois Fillon und die Rechtspopulistin und Europagegnerin Marine Le Pen von der Front National könnten sich nach Umfragen in der entscheidenden Endrunde gegenüberstehen.

Frankreich II

In Frankreich wird zudem die Nationalversammlung gewählt. Die erste Runde ist am 11. Juni, ein gegebenenfalls notwendiger zweiter Wahlgang am 18. Juni. Wenn das Lager des neugewählten Staatschefs nicht die Mehrheit holt, werden die innenpolitischen Befugnisse des Präsidenten deutlich abgeschwächt. Eine derartige "Cohabitation" gab es zuletzt von 1997 bis 2002 mit dem Konservativen Jacques Chirac als Präsidenten und dem Sozialisten Lionel Jospin als Premierminister.

Deutschland

Im September ist Bundestagswahl. CDU-Chefin Angela Merkel will zum vierten Mal Kanzlerin werden. Dass die rechtspopulistische AfD den Sprung in den Bundestag schafft, gilt als ausgemacht. Insgesamt könnten sieben Parteien im Parlament vertreten sein (CDU, CSU, SPD, Linke, Grünen, AfD und FDP), was eine Regierungsbildung kompliziert machen dürfte.

Norwegen

Dort wird am 11. September ein neues Parlament gewählt. Die Regierung aus Konservativen und einwanderungskritischer Fortschrittspartei kämpft um die Wiederwahl.