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Diese Erfahrungen machen Firmen mit Arbeit im Homeoffice

Kay Mantzel hat seinen VW-Bus dort geparkt, wo der Handyempfang besonders gut ist. Während wenige Hundert Meter entfernt die Autos über die A8 rauschen, sitzt er bei Country-Rock und einer Tasse Kaffee auf der Rückbank seines Gefährts – und arbeitet mit ausgeklapptem Tisch und aufgeklapptem Laptop.

Mantzel ist nicht etwa einer jener digitalen Nomadengründer, die mal in Bali und mal in Berlin arbeiten, sondern ist fest angestellt bei Microsoft. Damit der Kreativkopf für Raumdesign und Marketing regelmäßig in den Alpen mountainbiken kann, verwandelt der 53-Jährige immer dienstags seinen Bulli zum Büro und bricht schon früh zur Radtour auf.

Den Rest der Woche verbringt Mantzel entweder in der Münchener Microsoft-Zentrale, in Coworking-Spaces oder im Sitzsack des heimischen Wohnzimmers. Auch von einem Maisfeld in Amerika hat Mantzel schon mal seine To-dos erledigt. „Das Ambiente ist mir wichtig“, sagt er. „Das brauche ich, um konzentriert zu arbeiten.“

So viele Freiheiten wie Mantzel haben in Deutschland nur wenige: Gerade einmal zwölf Prozent der Angestellten können hierzulande von unterwegs arbeiten, obwohl das bei 40 Prozent der Arbeitsplätze theoretisch möglich wäre. Das zeigt eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

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Dabei liegen die Vorteile für die Von-zu-Hause-Arbeit auf der Hand: Studien zeigen immer wieder, dass Mitarbeiter in den eigenen vier Wänden produktiver sind als im Büro, weil sie selbst entscheiden können, wann sie ihre Tätigkeit beginnen und wie lange sie am Stück arbeiten. Heimarbeiter sind auch seltener krank und zufriedener. Das stressige Pendeln ins Büro entfällt, und das Privatleben lässt sich nebenher auch noch organisieren.

Dennoch scheitert der Wunsch nach mobiler Arbeit in den meisten Fällen am Arbeitgeber. „Viele Firmen in Deutschland haben noch ein antiquiertes Verständnis von Arbeit“, sagt DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke. „Sie wird immer noch zu stark an der Zeit und nicht an der erbrachten Leistung gemessen.“ Anders als seine europäischen Nachbarn ist Deutschland von der Industrie geprägt – auch das erschwert mobile Arbeit. Schließlich lässt sich das Fließband nur schwerlich mit nach Hause nehmen.

Seit Monaten streitet die Politik über ein Recht auf Homeoffice. Das SPD-geführte Arbeitsministerium will in der zweiten Jahreshälfte einen Gesetzesentwurf ins Parlament einbringen. Demnach sollen Unternehmen mobile Arbeit erlauben oder müssen begründen, falls das nicht möglich sein sollte. Ein solches Recht klingt nach großer Freiheit für Angestellte. Doch bei den Unternehmen, die mobile Arbeitsformen bereits eingeführt haben, zeigt sich: Die praktische Umsetzung ist komplizierter als vermutet.

Denn Mitarbeiter müssen sich zu Hause anders organisieren als im Büro. Und Manager müssen lernen, ihren Angestellten mehr zu vertrauen. Ein Blick in die Praxis.

Microsoft: Mentoren für den Kulturwandel

Auch Mantzels Arbeitgeber Microsoft musste lernen umzudenken. 2014 führte der IT-Riese den Vertrauensarbeitsort ein. Seitdem dürfen die 2700 Mitarbeiter in Deutschland dort arbeiten, wo sie wollen. 90 Prozent machen laut Microsoft von der Vereinbarung Gebrauch – auch wenn sich daraus nicht ableiten lässt, wie viel ein Mitarbeiter tatsächlich von zu Hause arbeitet. „Eine solche Veränderung geht nicht über Nacht“, sagt Personalchef Markus Köhler.

Deshalb hat Microsoft seinen Angestellten intern geschulte Homeoffice-Mentoren zur Seite gestellt. Sie erklären den Mitarbeitern, wie sie von zu Hause aus konzentriert arbeiten (siehe „Arbeiten im Homeoffice“). Und den Managern, wie sie es schaffen, Kontrolle abzugeben – und damit leben, dass sie ihr Team nicht jeden Tag sehen.

„Es gab sicherlich Führungskräfte, die bevorzugt hätten, dass sie ihre Kollegen in der Nähe haben“, sagt Köhler. Ein Manager etwa untersagte seinem Team gar die Heimarbeit – und musste nach mehreren Beschwerden gehen. Fünf Jahre nach Einführung hört Microsofts Betriebsratsvorsitzende Kerstin Lippke zwar nur noch selten von solchen Fällen.

Dennoch scheint der Kulturwandel noch immer nicht überall angekommen. „Einige Führungskräfte lassen noch indirekt durchblicken, dass sie es toll fänden, wenn ihre Angestellten jeden Tag ins Büro kommen.“

Auf Masa Schmidts Laptop klebt ein kleiner Sticker, darauf steht: „Trust is the new control.“ Für die 30-jährige Managerin ist Vertrauen schon qua Position Teil ihres Jobs. Schmidt berät für Microsoft Großunternehmen bei der Transformation zum modernen Arbeiten. Da will sie mit ihren 13 Mitarbeitern als gutes Beispiel vorangehen. Jeder in Schmidts Team arbeitet zumindest teilweise von zu Hause oder von einem anderen Microsoft-Standort.

Ob ihre Mitarbeiter gerade Mails schreiben oder Sport treiben, weiß Schmidt daher oft nicht. „Mir ist das ehrlich gesagt auch egal.“ Und falls jemand ihr Vertrauen ausnutzt? „Dann schafft er das auch hier im Office“, sagt Schmidt.

Spätestens beim nächsten Mitarbeitergespräch würde sie merken, ob der Kollege seinen Aufgaben tatsächlich nachkomme. „Und das ist am Ende doch entscheidend.“ Wer seine Aufgaben erledigt und zum Teamerfolg beiträgt, bekommt bei Microsoft Zuschläge zum Fixgehalt ausgezahlt.

SAP: Präsenzzeit trotz Mobilarbeit

Während die Politik noch diskutiert, haben auch die 22.000 Mitarbeiter des Softwareherstellers SAP vor über einem Jahr ein betriebliches Recht auf Mobilarbeit eingeführt. Voraussetzung: Die Angestellten müssen ihren Chef informieren – via Mail, SMS oder Kalendereintrag. 82 Prozent arbeiten mittlerweile von unterwegs. Im Schnitt zwei Tage die Woche, das zeigt eine SAP-interne Umfrage. Diejenigen, die Kinder oder eine weite Anreise haben, sind noch seltener im Büro.

Durch leere Gänge muss SAP-Personalchef Cawa Younosi in der Waldorfer Konzernzentrale deshalb aber nicht laufen. Auf Vorgaben zum Umfang verzichtete er zwar – bis auf eine Ausnahme: „Wir wollen keine 100 Prozent Mobilarbeit“, sagt Younosi. „Wenn die Mitarbeiter nie ins Büro kommen, ist das schädlich für unser Teamgefüge.“

Deshalb sollen sich die Teams regelmäßig persönlich treffen. Wie oft, ist nicht genau geregelt, sondern obliegt den Managern. Video-Konferenzen, in der sich alle zumindest sehen können, und Chattools, die einen direkten Kontakt ermöglichen, sollen das Team so zusammenhalten.

Auch Experten halten Treffen von Angesicht zu Angesicht für unverzichtbar. Mobilarbeit, schön und gut. „Arbeitgeber sollten dennoch für klare Präsenzzeiten im Büro sorgen“, sagt Ökonom Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln. „Die Mitarbeiter wollen Kontakt mit ihren Kollegen haben – und wenn es nur in der Teeküche ist.“ Bei SAP scheint das Konzept aufzugehen: Nur sieben Prozent fühlen sich laut Umfrageergebnissen isoliert.

Kritiker sehen die Gefahr, dass Angestellte zu Hause zu viel arbeiten. Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung leisten Beschäftigte im Homeoffice 5,6 Überstunden pro Woche – fast doppelt so viel wie diejenigen, die nur im Büro arbeiten. „Mitarbeiter müssen aufpassen, dass sie nicht endlos im Homeoffice sitzen und sich selbst ausbeuten“, sagt DIW-Experte Brenke.

SAP versucht, die Mitarbeiter mit Schulungen zu sensibilisieren. „Wir wollen nicht, dass die Kollegen zu Hause mit Kind auf dem Schoß und Hörer am Ohr arbeiten“, sagt Younosi. „Die Kollegen müssen auch nicht ständig erreichbar sein, das erwarten wir im Büro schließlich auch nicht.“

Siemens und Kirchhoff: Flexibilität ja, aber nicht überall

Scheint Mobilarbeit in IT-Konzernen per se leichter realisierbar, weil sich vieles von unterwegs erledigen lässt, gibt es durchaus Arbeitsumfelder, in denen Homeoffice deutlich schwerer denkbar ist. Beim Mischkonzern Siemens dürfen die Mitarbeiter zum Beispiel im Jahresdurchschnitt 20 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil arbeiten.

Nina Günther, Abteilungsleiterin für Arbeitsrecht, Beschäftigungsbedingungen und Mitbestimmung bei Siemens, sagt jedoch: „In der Praxis muss die Tätigkeit allerdings dafür geeignet sein.“ So ist die Produktion bei Siemens faktisch von diesem Privileg ausgenommen.

Dafür gibt es andere „individuelle“ Lösungen, wie Günther erklärt. So könnten sich Mitarbeiter verschiedener Schichten in der Siemens-Produktion absprechen, wenn einer später kommt oder früher gehen muss. Dass dieses Konstrukt zu Diskussionen führen dürfte, kann sich jedoch jeder ausrechnen, der schon einmal einen Produktionsbetrieb von innen gesehen hat.

„Die Firmen können die Werkshallen nun einmal nicht in die Wohnzimmer der Mitarbeiter verlegen“, sagt auch Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Familienunternehmerverbandes. Er sieht ein Homeoffice-Gesetz skeptisch und fürchtet enormen Bürokratieaufwand, wenn Millionen Unternehmen in Deutschland plötzlich begründen müssen, warum ein Homeoffice-Anspruch nicht in allen Abteilungen möglich ist.

Gerade kleinere und inhabergeführte Unternehmen träfe dieser Aufwand hart, so von Eben-Worlée.

Der Automobilzulieferer Kirchhoff aus dem sauerländischen Attendorn versucht, das Homeoffice-Dilemma in der Produktion bislang möglichst unbürokratisch zu lösen. Die vor zwei Jahren geschlossene Betriebsvereinbarung ermöglicht allen Mitarbeitern mindestens einen Tag Heimarbeit pro Woche.

Die Kollegen, die in Schichtarbeit vor Maschinen stehen, sind davon zwar – ähnlich wie bei Siemens – aus rein praktischen Gründen ausgenommen. „Wir versuchen aber, auch ihnen flexible Angebote zu machen“, sagt Gesellschafter Arndt G. Kirchhoff.

So können die Kollegen vom Band, wenn es die Arbeitsumstände erlauben, etwa Zeit gegen Geld tauschen. Heißt konkret: Die Mitarbeiter verzichten auf einen Teil ihres Monatslohns und bekommen im Gegenzug ein paar Tage frei – sofern die Arbeit für die Kunden erledigt ist. Zudem lassen sich immer mehr Werkzeugmaschinen bei Kirchhoff auch per Smartphone aus der Ferne überwachen, was auch bei den Mitarbeitern in der Produktion die Flexibilität erhöht.

Bayer: Homeoffice fürs Labor

Dass es in Berufsfeldern, in denen viel Präsenz erforderlich ist, Lösungen für Heimarbeit geben kann, zeigt auch das Beispiel des Bayer-Konzerns: Die Laboranten am Standort Wuppertal-Aprath können seit Jahresbeginn im Homeoffice arbeiten. Dabei führen die Mitarbeiter des Chemiekonzerns ihre Versuche weiterhin im Labor durch. Die Auswertung und Dokumentation erledigen einige Mitarbeiter aber seit Kurzem von Zuhause.

Selbst Kundengespräche lassen sich so vereinbaren und am Telefon führen, erzählt Institutsleiter Helmut Haning. Das Forschungszentrum will mit seinem Homeoffice-Experiment Pionierarbeit leisten: „Wir haben die Chance, Vorreiter zu sein“, sagt Haning. „Innerhalb von Bayer, aber auch für eine ganze Industrie.“

Das sahen viele Angestellte in Wuppertal aber zunächst anders. Als Haning im Hörsaal des Instituts die Idee vorstellte, blickte er vorwiegend in kritische Gesichter. Die Kollegen hatten Sorge, dass die Zusammenarbeit nicht mehr funktionieren werde. Andere wollten eine klare Trennung zwischen Büro und Privatleben oder fragten sich, wie sie zu Hause die Arbeitszeit erfassen können.

Immerhin: 30 der 200 Mitarbeiter haben sich am Ende doch auf das Experiment eingelassen. Bayer stellte ihnen Laptops zur Verfügung – inklusive einer Software, mit der sie auch zu Hause digital ein- und ausstempeln können.

Simon Leßmann war auf Anhieb überzeugt. Doch sein erster Homeoffice-Tag war ein kurzer. Nach einer halben Stunde klappte der 29-jährige Chemietechniker seinen Laptop wieder zusammen und ging zurück ins Labor – um den Zettel mit den Versuchsergebnissen zu holen, den er für die weitere Arbeit brauchte.

„Ich musste erst lernen, mich anders zu organisieren. Was man im Labor mal eben aus dem Schrank genommen hat, fehlt zu Hause“, so Leßmann. Beim nächsten Mal legte er sich tags zuvor die entscheidenden Dokumente zurecht – und alles lief glatt.

Leßmanns Kollege Holger Franzke arbeitet ab und an vom heimischen Wohnzimmertisch, um seine pflegebedürftigen Eltern zu unterstützen. „Im Notfall kann ich ihnen schnell helfen. Ich bin froh darüber, dass ich das mit meiner Arbeit jetzt verknüpfen kann“, sagt der 50-Jährige.

Was er außerdem festgestellt hat: Er kann zu Hause konzentrierter arbeiten als im Büro, wo ihn schon mal Meetings oder Fragen von Kollegen im Arbeitsfluss unterbrechen. Dennoch will er nicht jede Woche ins Homeoffice. „Ich freue mich einfach über die neue Möglichkeit und die Abwechslung. Früher war es eine Hürde, überhaupt darüber nachzudenken.“

Erkenntnisse wie diese sammelt Bayers Personalabteilung in regelmäßigen Feedbackrunden. Bilanz will der Konzern Mitte Juli ziehen. Die ersten Rückmeldungen zeigen schon jetzt: Nach der anfänglichen Skepsis scheinen die Mitarbeiter inzwischen überzeugt. Die Erfahrungen veröffentlicht der Wuppertaler Forschungsstandort zudem auch im konzernweiten Intranet, sodass sich auch andere Abteilungen und Standorte inspirieren lassen können.

In Berlin hätten einige Bayer-Mitarbeiter bereits Interesse signalisiert, sagt Personaler Ralf Rademann: „Es muss aber keine Eins-zu-eins-Kopie sein.“ Der Konzern sei schlicht zu groß und komplex, als dass ein Modell in allen Bereichen gleich gut funktioniere.

IW-Arbeitsmarktexperte Stettes sieht Bayers Vorgehen in der Homeoffice-Frage als mustergültig. Seiner Meinung nach sollten Unternehmen aufhören, darüber zu diskutieren, ob man überhaupt Homeoffice-Lösungen anbiete. Stattdessen sei die Frage, wie man Flexibilität in möglichst vielen Bereichen schaffe. Dabei könnten Experimente wie jenes von Bayer helfen.

Jede Firma müsse für sich selbst „herausfinden, ob diese Arbeitsweisen zur Unternehmenskultur passen und ob Mitarbeiter sich wohlfühlen“ – und zwar egal, ob sie am Band oder im Bulli arbeiten.

Mehr: Eine digitalisierte Arbeitswelt braucht keine Verordnungen aus dem Industriezeitalter, sondern moderne Konzepte – sonst bleibt die Innovation auf der Strecke.