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Anschnallen, bitte! Gelingt Ola Källenius der radikale Umbau bei Daimler?

  • Mit der Übergabe von Zetsche an Källenius steht der Konzern erneut vor einer Bewährungsprobe.

  • Besitzt der Mustermanager genug Härte, Vision und Veränderungswillen?

  • Infografiken: Wie Daimler im Vergleich zu BMW und VW dasteht und wie die wichtigsten Börsenkennziffern aussehen

Mit unbewegter Miene verfolgt Ola Källenius am Mittwoch auf der Bühne die Daimler-Hauptversammlung. Noch steht er nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit, noch muss er nicht reden. Alles dreht sich um den scheidenden Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche, den Aufsichtsratschef Manfred Bischoff in der Messe Berlin als „Ausnahmemanager“ verabschiedet.

Dessen 49-jähriger Nachfolger kann derweil zu seiner Rechten auf einen roten Mercedes CLA blicken. „Mit seinen muskulösen Schultern und seinem breiten Heck zieht er alle Blicke auf sich“, schreibt das Konzernmarketing über den Wagen, den es als Benziner und in der Dieselvariante gibt.

Ein Wagen, der für das alte Daimler steht. Zu seiner Linken sieht Källenius einen Mercedes EQC, Sinnbild für das neue, das grünere Daimler. Mit seinem ersten Elektro-Geländewagen, der bislang nur für ausgewählte Kunden lieferbar ist, hat der Konzern eine zaghafte Mobilitätswende eingeleitet. Zu zaghaft womöglich.

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Das meinen zumindest viele der Aktionäre, die sich nun zu Wort melden. Sie beklagen, dass die Daimler-Aktie auf einem historischen Tiefstand dümpele, andere Autohersteller Daimler bei der Elektromobilität abgehängt hätten, zudem der Verdacht um Abgasmanipulationen und drohende Strafzahlungen das Unternehmen belasteten.

„Ola, du siehst, was die Erwartungshaltung der Aktionäre ist“, sagt Oberaufseher Bischoff zum neuen Daimler-Chef. Statt einer Antwort lächelt Källenius nur und winkt ins Plenum.

Schon in normalen Zeiten ist der Fahrersitz bei Daimler mehr als einfach nur ein Chefposten im Dax. Der Autokonzern mit dem Stern zählt zum fest installierten Mythenmobiliar der Wirtschaftsgeschichte.

Im Positiven wie im Negativen verkörpert das Unternehmen, wie wir Deutschen uns sehen und gesehen werden: beispiellos im Streben nach technischer Perfektion und Innovation. Meist vorbildlich in der Sozialpartnerschaft zwischen Belegschaft und Management. Aber auch hierarchiebesessen, unflexibel und geplagt von einer Neigung zu Arroganz und Großmannssucht.

Diese schlechten Eigenschaften waren es, die Daimler in den vergangenen Jahrzehnten in die Krise brachten: vom gescheiterten Traum, den Autobauer zu einem „integrierten Technologiekonzern“ umzubauen, bis zur „Welt AG“, die durch die Fusion mit Chrysler entstehen sollte.

Als Dieter Zetsche vor 13 Jahren den Konzern übernahm, war das Überleben akut gefährdet. Aber der Mann mit dem Schnurrbart brachte den Stuttgartern wieder bei, begehrenswerte Autos zu bauen. Unter seinem Regime wurde die Marke Mercedes emotionaler, lauter, PS-stärker. Zugleich jedoch vernachlässigte Daimler die Investitionen in alternative Antriebskonzepte und leistete sich bei den Abgaswerten Tricks, von denen bis heute nicht feststeht, ob sie einfach nur schmutzig oder sogar illegal waren.

Jetzt, mit der Übergabe an Källenius, steht der Konzern erneut vor einer Bewährungsprobe. Der Schwede muss im Eiltempo nachholen, was in der Ära Zetsche zu kurz kam: Der Flottenverbrauch muss deutlich sinken, um die drohenden EU-Strafzahlungen wegen des CO2-Ausstoßes zu minimieren und das eigene Geschäftsmodell gesellschaftlich akzeptabel zu halten. Das geht nur mit alternativen Antriebskonzepten.

Doch bislang hat Mercedes zwar sieben verschiedene SUV-Baureihen am Markt, aber kein einziges kurzfristig lieferbares Elektroauto. Hinzu kommen notwendige Investitionen in die beiden anderen Megatrends im Automobilgeschäft, das autonome Fahren und das Car- und Ridesharing.

Finanziert werden müssen diese Investitionen aus einem sinkenden Betriebsergebnis und eines zuletzt deutlich schwächelnden Mittelzuflusses im Industriegeschäft. Um in den Sprachbildern der Autobranche zu bleiben: Källenius muss bei voller Fahrt das Steuer herumreißen.

Er muss die Kostenbremse durchdrücken und zugleich mit Vollgas in neue Geschäftsfelder investieren. Und er muss mit dem Konzern das neue Strategieziel erreicht haben, bevor der Kapitaltank leer gefahren ist. Und bei alledem soll er noch seine Mitreisenden bei Laune halten, die Belegschaft wie die Aktionäre, die Zulieferer ebenso wie die Politik.

Das klingt nach einem Job für einen Stuntman mit Entertainerqualitäten. Doch genau das ist Källenius nicht. Seinen Weggefährten und Gesprächspartnern fallen zum Daimler-Chef aus Schweden immer wieder die gleichen Attribute ein: „ruhig und klar“, „kann gut zuhören“, „tiefes Verständnis von Details“.

Der studierte Kaufmann ist kein typischer „Car Guy“. Keiner von diesen Machomanagern, die wirken, als hätten sie schon an der Mutterbrust Benzin statt Milch gesoffen. Aber wer steckt dann hinter der Fassade des unprätentiösen Skandinaviers? Und was hat Källenius mit Daimler vor? Die Antworten auf diese Fragen sind entscheidend für die Zukunftsaussichten eines der wichtigsten Konzerne Deutschlands.

Der talentierte Herr Källenius

Lars Östman erinnert sich noch an den Studenten Källenius. „Er war immer sehr ambitioniert“, sagt der mittlerweile emeritierte Professor an der Stockholmer Handelshochschule. Anfang der Neunzigerjahre studierte der neue Daimler-Chef bei Östman Wirtschaftswissenschaften.

Noch heute erinnert sich Östman an den Inhalt der Abschlussarbeit: „Zusammen mit einer Studentin hat Källenius über die wirtschaftlichen Möglichkeiten nach dem Fall der Mauer in Berlin geschrieben.“ Es folgte noch ein Master an der Universität St. Gallen, der traditionellen Finishing School fürs künftige Topmanagement deutscher Konzerne. 1993 trat Källenius bei der damaligen Daimler-Benz AG in die internationale Nachwuchsgruppe ein, den „Goldfischteich“ des Konzerns.

Nach der Traineezeit stellte Källenius sein Talent als Controller in Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama unter Beweis, wo Mercedes Mitte der 90er-Jahre seinen ersten Geländewagen produzierte. „Dass die M-Klasse damals so gut in die Spur kam, war ein wesentliches Verdienst von Källenius“, sagt Wolfgang Inhester, der zehn Jahre lang die globale Kommunikation von Mercedes-Benz leitete. In Tuscaloosa sei der damalige Entwicklungschef Zetsche erstmals auf Källenius aufmerksam geworden.

Ellbogen brauchte der 1,95-Meter-Hüne aus Västervik von der Südküste Schwedens nicht für den nun folgenden Aufstieg. Er wusste anders zu überzeugen. In Schweden sagt fast jeder zu jedem „Du“, von daher brachte Källenius ein Stück Skandinavien mit nach Daimler: Er duzte Kollegen und behandelte auch Mitarbeiter, die in der Hierarchieleiter weiter unten angesiedelt waren, immer auf Augenhöhe. Bei Daimler keine Selbstverständlichkeit.

Trotz seiner freundlichen Art sei Källenius „sehr klar in der Ansprache“, galt als fair, aber konsequent. Mitarbeiter sollten das Duzen nicht mit Harmlosigkeit verwechseln. Wer mehrfach nicht lieferte, was verlangt wurde, konnte einpacken.

Nach Stationen im Mercedes-Einkauf, bei der Rennsport-Sparte des Konzerns im britischen Brixworth und einem weiteren Aufenthalt in Tuscaloosa wurde Källenius Geschäftsführer bei der Tochtergesellschaft AMG. Die Tuning-Tochter gilt als Prüfstand für künftige Vorstände.

„Bei AMG konnte Källenius seine Fähigkeit als Unternehmer und Stratege beweisen“, so Inhester. Unter Källenius‘ Führung sei die Marke wesentlich eigenständiger von Mercedes geworden. Auch hier punktete der Schwede: Mit der Submarke AMG ließ Mercedes sein Image als Altherrenauto hinter sich.

Spätestens mit dem Wechsel in den Bereichsvorstand von Mercedes-Benz Cars Vertrieb im Jahr 2013 galt Källenius als potenzieller Zetsche-Nachfolger. Bei Mercedes verbannte der digitalaffine Schwede Papier aus den Büros, arbeitete aber mit dem Stab seines Vorgängers Joachim Schmidt weiter. Källenius ist keiner, der erst mal Vertraute installiert, wenn er einen neuen Posten übernimmt.

Schmidt erinnert sich, wie ihn Källenius oft nach seiner Meinung fragte und nie so tat, als wisse er alles besser. Ohne viel Lärm organisierte er den Verkauf von zahlreichen Mercedes-Niederlassungen, die nicht mehr in das strategische Konzept passten.

Eigentlich „ein hochemotionaler Vorgang“, so Schmidt, doch Källenius habe ganz „ruhig und klar“ mit den betroffenen Betriebsräten gesprochen und getan, was nötig war.

Nach 21 Jahren im Dienst von Daimler gelang Källenius 2015 der Aufstieg in den Vorstand. Zetsche und Aufsichtsratschef Manfred Bischoff hatten zu der Zeit einen Kreis von einem halben Dutzend Nachwuchskräften identifiziert, die sie förderten. Vor allem auf Källenius setzten sie große Hoffnung.

Und auch der Schwede muss gespürt haben, dass er es bei Daimler bis ganz nach oben schaffen kann. Dafür spricht, dass er dem Vernehmen nach das Angebot ablehnte, als Chef von Volvo Cars in seine Heimat zurückzukehren.

Anfang 2015 wurde Källenius Vertriebsvorstand und 2017 Vorstand für Entwicklung und Forschung. Für den Konzern mit seiner Technikbegeisterung eines der wichtigsten Vorstandsbereiche. Vorgänger Thomas Weber hatte die Ingenieure nach Belieben schalten und walten lassen, er galt als wenig entschlussfreudig – das Ressort war in einem schlechten Zustand. Von Källenius verlangte der Aufsichtsrat, den Entwicklungsbereich neu aufzustellen.

Turnschuhe, Jackett, offenes Hemd – betont leger stand Källenius 2018 vor dem Publikum der Consumer Electronic Show (CES), der Konsumelektronikmesse in Las Vegas. „Was in Las Vegas passiert, das bleibt nicht in Las Vegas“, begann der Schwede seinen Auftritt mit einem Witz. Dann stellte er sein Produkt vor: das neue Infotainment-System MBUX. Es soll künftig in jedem neuen Modell vertreten sein.

Der Bediener sagt einfach „Hey Mercedes“, das Fahrzeug antwortet „Speak now please“. Keine Drehknöpfe mehr, fast alles läuft über einen Bildschirm mit einem Durchmesser von etwas mehr als 26 Zentimetern. Dort kann der Fahrer wischen oder drücken wie auf einem iPhone, um Temperatur, Radiostation oder Sitzeinstellung zu verändern. Oder den Weg mit der neuartigen Navigation what3words zu finden.

Mit MBUX soll sich ein Mercedes zum digitalen Freund entwickeln, ähnlich wie ein iPhone. Als Källenius Entwicklungschef für Mercedes wurde, setzte er die Messlatte für MBUX hoch. „Kein Wandel, sondern Revolution muss her. Auch ohne Erklärungen steigt man ein, spielt wie beim Handy etwas rum, und nach fünf bis zehn Minuten hat man es drauf“: So lautete seine Vorgabe an die Entwickler.

Schon bald werden alle Mercedes-Fahrer „Hey Mercedes“ rufen. Die Anrede erinnert kaum zufällig an das schwedische „Hej“, mit dem Hallo verewigte sich Källenius ein bisschen selbst im Unternehmen.

Abgesehen vom Auftritt auf der CES hielt sich Källenius in seiner Zeit als Entwicklungsvorstand an die Regel, öffentlich möglichst wenig in Erscheinung zu treten, um Zetsche nicht die Schau zu stehlen. Weil sich Källenius nie sonderlich für firmeninterne Allianzen interessierte, war er als potenzieller Putschist ohnehin unverdächtig.

Die eigentlich sympathische Eigenschaft, seinen Aufstieg ohne Daimler-interne Seilschaft vollbracht zu haben, könnte ihm als neuem CEO Probleme bereiten. Källenius braucht jetzt dringend treue Verbündete, die ihm den Rücken freihalten. Denn beim anstehenden Komplettumbau des Unternehmens vom PS-geriebenen Autobauer zu einem Mobilitätskonzern mit akzeptabler Ökobilanz wird Källenius deutlich größere Widerstände überwinden müssen als in seinen bisherigen Funktionen zusammengenommen.

Das PS-Problem

Im Gebäude 26.1 im schwäbischen Sindelfingen feilt Daimler an seiner Zukunft. Hier arbeiten die fähigsten Ingenieure des Konzerns an den Elektroautos von morgen. Jeder duzt hier jeden. An den Wänden hängen Motivationsplakate. „Schon mal alleine eine Räuberleiter gemacht?“, steht auf einem. „Würdest du das Tor nicht schießen, nur weil du Abwehrspieler bist?“, auf einem anderen.

Alles hier ist ganz nach dem Geschmack von Ola Källenius. Der Blondschopf hat ins Erdgeschoss des Gebäudes zu einem „Meeting in der Werkstatt“ geladen. Es ist 8.45 Uhr am Montag des 13. Mai. Källenius ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht Daimler-Chef, aber er will schon vor seiner Inthronisierung etwas sehr Wichtiges loswerden. Es geht um eine Strategie, die Daimler von Grund auf verändern soll: „Ambition 2039“.

Mercedes soll grün werden, zumindest allmählich. 2039 wird die Marke mit Stern demnach keine Autos mehr anbieten, die ausschließlich mit einem Verbrennungsmotor angetrieben werden. „Mutig“, nennt Källenius diese Strategie. 20 Jahre, das möge vielleicht lange klingen: „Ist es aber nicht“, stellt er klar.

Schließlich sind in der Autoindustrie jahrelange Vorarbeiten nötig, bis ein neues Modell auf den Markt kommt. Mercedes dekarbonisiert seine Flotte elf Jahre früher, als es das Pariser Klimaabkommen vorsieht. Nicht schlecht. Aber ambitioniert genug?

Volkswagen will bereits 2026 die letzten Pkws auf einer Verbrenner-Plattform herstellen. Daimler lässt sich zumindest einen Fahrzeugzyklus länger Zeit. Der Grund ist simpel: Mercedes hat ein PS-Problem.

Die höchsten Margen erzielt der Konzern mit seinen dicksten Karossen. Die Limousine C 63 der einst von Källenius geleiteten Sportwagensubmarke Mercedes-AMG ist beispielsweise solch ein 510 PS starker Männertraum. Pro Kilometer werden im Schnitt 227 Gramm an CO2 in die Luft gepustet. Damit stößt das AMG-Modell mehr als doppelt so viel CO2 aus, wie Mercedes bis 2021 in seiner Gesamtflotte pro Fahrzeug erreichen darf.

Zwischen Ambition und Realität klafft bei Daimler eine riesige, dreckige Lücke. Im vergangenen Jahr ist der CO2-Wert des Sternengeschwaders sogar leicht angestiegen – von 127 auf 134 Gramm pro Kilometer. Es wird schwierig für die Schwaben, die EU-Grenzwerthürde von 105 Gramm bis 2021 zu schaffen.

Scheitert Mercedes, drohen empfindliche Strafzahlungen. Diese zu umgehen, wird ebenfalls teuer. Das Investmenthaus Evercore ISI beziffert den nötigen Aufwand, um Daimlers Durchschnittsausstoß unter 105 Gramm zu senken, auf 1,65 Milliarden Euro. Da ist es immer noch billiger als die Strafzahlungen, die sonst drohen.

Daimler steckt in einem Dilemma: Um den ökologischen Wandel finanzieren zu können, braucht der Konzern die hohen Gewinne aus dem Verkauf seiner dicken Karossen. Gleichzeitig drängt Brüssel den Fahrzeughersteller dazu, sauberere Produkte zu entwickeln. Das geht nur mit Elektromotoren. Den Ausweg soll ein cleverer Antriebsmix ebnen. Anders als VW will Daimler seine Kunden nicht zu Stromjüngern umerziehen, sondern sie langsam an die neuen Antriebe gewöhnen.

Die Schwaben fahren mehrspurig. Einerseits hat der Konzern gerade mit dem EQC den ersten rein elektrisch angetriebenen Mercedes-SUV auf die Straße gebracht, bei dem die Serienproduktion allerdings nur langsam anläuft. Bis 2022 sollen zehn reine Akku-Modelle mit Sternenlogo lieferbar sein. Die Kleinwagenmarke Smart wird künftig ausschließlich elektrisch fahren.

Neben reinen Verbrennern und ausschließlich batteriegetriebenen Fahrzeugen setzen die Schwaben auf Plug-in-Hybride, eine Kreuzung aus Verbrenner und Stromer. Bis 2020 will Mercedes 20 solcher Modelle im Programm haben.

„Auto heißt Freiheit“, sagt ein Daimler-Manager. Und die verspreche künftig vor allem der Plug-in-Hybrid. Mit elektrischen Reichweiten von künftig 80 bis 100 Kilometern lassen sich die Alltagsfahrten in den Städten „grün“ bewältigen und Fahrverbote umgehen, gleichzeitig ist dank des Benzin- oder Dieselmotors jederzeit ein spontaner Trip in die Berge oder an die Nordsee möglich, ohne Reichweitensorgen.

Hilfe bekommen die Stuttgarter dabei von der Bundesregierung. Seit 1. Januar gelten für E-Autos und Plug-in-Hybride neue Regeln, die Besteuerung von Dienstwagen mit elektrischen Antriebskonzepten wurde halbiert.

Wer seinen Firmenwagen privat nutzt, musste früher ein Prozent des Listenpreises pro Monat als geldwerten Vorteil versteuern, seit diesem Jahr gilt der halbierte Satz von 0,5 Prozent. „Das ist hochattraktiv, wir merken eine enorme Nachfrage bei Plug-in-Hybriden“, heißt es in Daimler-Konzernkreisen.

Was auch immer am Ende das Maß aller Dinge sein werde: Batterien, die Brennstoffzelle, synthetische Kraftstoffe oder ein Mix aus allen dreien, Källenius verspricht: „Wir werden dabei sein.“ Er will bei seiner Ökorevolte auch die Lieferanten in die Pflicht nehmen. Der CO2-Fußabdruck von Vorprodukten soll neben Faktoren wie dem Preis zum Vergabekriterium werden, wenn Daimler einkauft. Das wird zu Konflikten mit Zulieferern führen.

Beliebt bei Lieferanten

Bei denen hat sich Källenius als Entwicklungschef einen guten Ruf erarbeitet. „Man redet auf Augenhöhe und spürt ehrliche Anerkennung“, heißt es bei einem maßgeblichen Lieferanten. Häufig wird Källenius bei den Zulieferern als positiver Gegenentwurf zu Volkswagen-Chef Herbert Diess mit seinen mitunter ruppigen Umgangsformen genannt. Obwohl kein Ingenieur, wird dem neuen Daimler-Boss von Zulieferern „hohe technische Kompetenz“ zugeschrieben.

Doch an Källenius‘ Wirken als Entwicklungschef gibt es auch Kritik. Es wäre seine Aufgabe gewesen, den Konzern besser auf die Elektromobilität vorzubereiten, sagt ein Mitarbeiter aus der Produktstrategie. Im Konzern laste man dieses Versäumnis gern Källenius‘ Vorgänger Thomas Weber an. Doch auch Källenius hätte mit der Machtfülle, die er genoss, mehr bewirken können. Überspitzt gesagt: Während der Entwicklungschef in Las Vegas „Hey, Mercedes“ rief, verpennte Daimler die Antriebsrevolution.

Vielleicht auch deshalb, weil der Schwede zu vorsichtig war, um bei Dieter Zetsche energisch einen schnelleren Kurswechsel einzufordern.

„Wir sind noch weit weg vom Ziel“, räumt Källenius ein. Zumal sich nicht nur die Pkws der Marke Mercedes neu erfinden müssen. Mit seiner Truck-Sparte ist Daimler zudem der größte Nutzfahrzeughersteller der Welt. Die Sattelschlepper und Busse des Konzerns werden heute zu weit mehr als 90 Prozent mit Dieselkraftstoff befeuert.

Stromtrucks sind aktuell hingegen kaum zu verkaufen, da sie etwa doppelt so teuer sind wie Diesel-Lkws. Daimler wirbt daher besonders auf der Langstrecke auch für alternative Kraftstoffe wie Flüssigerdgas.

Noch längst nicht für alle seiner Ökoprobleme hat Daimler eine passende Lösung parat. Aber immerhin hat Källenius bereits deutlich gemacht, dass es ihm ernst ist mit dem Wandel. Ernster als seinem Vorgänger.

Axel Friedrich gehört zu denen, die den Mentalitätswandel bei Daimler mit befördert haben. Der frühere Abteilungsleiter im Bundesumweltamt ist Mitbegründer des „Internationalen Rats für sauberen Verkehr“, der den Dieselbetrug 2015 aufdeckte. Friedrich arbeitet unter anderem für die bei Daimler verhasste Deutsche Umwelthilfe (DUH) als Sachverständiger.

Er gilt als ausgezeichneter Messtechniker und Abgasexperte, weshalb seine Einschätzung nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch in der Automobilindustrie ernst genommen wird. Dieter Zetsche hat den Quälgeist Friedrich schon einmal zum Gespräch gebeten. Und auch Källenius lud ihn vor etwa einem Jahr zur Diskussion in den Konzern.

Mit Daimler, so Friedrich, verliefen diese Diskussionen vergleichsweise konstruktiv. Das liegt für Friedrich und anderen Umweltexperten auch an der Gesprächskultur, die der neue Chef pflege. „Källenius ist zwar kein Ingenieur, aber technisch ganz tief drin. Er hört selbst ausgewiesenen Kritikern wie mir zu und bildet sich erst dann eine Meinung.“

Bei DUH-Chef Jürgen Resch überwiegt hingegen die Skepsis über den neuen Daimler-Chef. Zwar habe Källenius als CEO „eine ehrliche Chance“ verdient. Allerdings moniert Resch, dass Källenius im Jahr 2000 als Material-Einkäufer für Pkw-Motoren und Verantwortlicher für Abgasmanagement „genau in dem Bereich tätig war, der zur größten Krise der deutschen Autoindustrie und speziell von Daimler geführt“ habe.

Als Vorstandsmitglied, schimpft Resch, habe Källenius dann sämtliche Entscheidungen mitgetragen. Auch solche, die den vermeintlichen Abgasbetrug zu verschleiern suchten. Dazu habe gehört, die Abgasmessungen der DUH zu behindern oder Behörden, Öffentlichkeit und Politik zu täuschen.

Ein Konzernsprecher hält eine Verbindung von Källenius‘ Karrierestationen „mit aktuellen Diskussionen zu Funktionalitäten in der Motorsteuerung von Diesel-Pkw für vollkommen abwegig“. Als Einkäufer habe Källenius „technische Spezifizierungen von Bauteilen nicht verantwortet“.

Auch Friedrich ist überzeugt, Källenius habe mit „dem Beschiss“ schon deswegen nichts zu tun gehabt, weil etwas Komplexes wie die Motorelektronik eines Autos nur Motoringenieure in der Tiefe durchdringen würden – nicht aber ein Kaufmann wie Källenius. Der wolle das Unternehmen im Rahmen seiner Möglichkeiten tatsächlich ernsthaft umkrempeln. Davon ist Friedrich überzeugt.

So sehen das auch Mitglieder des Daimler-Beirats für Integrität und Unternehmensverantwortung, der regelmäßig mit Vorstandsmitgliedern über ethische und umweltpolitische Fragen diskutiert. Anders als Zetsche, sagt einer, der beide Manager dort regelmäßig erlebt hat, wische Källenius missliebige Perspektiven nicht einfach weg.

So hätte Zetsche etwa eine Diskussion darüber, ob man größere Wagen aus Umweltgründen stärker besteuern sollte, schnell abgewürgt. Schließlich würde das den Interessen von Daimler und den Wünschen der SUV-Fans unter den Kunden diametral entgegenstehen. Källenius hingegen habe sich offen in der Frage gezeigt, ob man Luxus in Zukunft über etwas anderes als Größe definieren wolle.

Die Reflexion über Luxus fand dann sogar Eingang in ein internes Papier. „Unter Zetsche wäre so etwas undenkbar gewesen“, heißt es.

Seine Dialogbereitschaft wird es Källenius vergleichsweise leicht machen, Kontakte in die Politik aufzubauen. Dort ist der neue Daimler-Chef derzeit noch ein unbeschriebenes Blatt. So waren in der vergangenen Wahlperiode Vorstände der deutschen Autobauer mehr als 65-mal zu Gast im Kanzleramt, um ihre Anliegen vorzubringen oder als Experten gehört zu werden.

Zetsche selbst war allein elfmal in Angela Merkels Machtzentrale. Källenius hingegen wird in der Übersicht der Bundesregierung kein einziges Mal geführt. Auch im Verkehrsministerium heißt es, dass der neue Daimler-Chef dort nicht besonders aktiv gewesen sei.

Im Verband der Automobilindustrie hingegen ist der Schwede bekannt. „Ich kenne und schätze Ola Källenius seit vielen Jahren“, sagte Bernhard Mattes, Präsident des VDA. Källenius stehe „für den modernen Manager: Er denkt strategisch, ist offen für andere Meinungen – und entscheidungsstark.“

Källenius wird zwangsläufig bald die politische Aufmerksamkeit der Kanzlerin erhalten. Auf der Automesse IAA im September in Frankfurt wird er eine Rede halten. Und wenn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wie bei der vergangenen IAA auch wieder den Stand von Daimler besuchen wird, erlebt sie spätestens dort den neuen Daimler-Boss.

Der Privatmensch Källenius hingegen ist selbst bei Daimler bislang ein großer Unbekannter. Er isst gerne gut, so viel weiß man, das aber eher im gutbürgerlichen Wirtshaus als im Sterne-Restaurant. Vor Kurzem hat er einen Jagdschein gemacht – auch als Jäger soll er eine gute Figur machen, erzählt ein Pirschgefährte.

Doch kaum jemand im Konzern weiß, wofür der rationale Analytiker und Vater dreier Jungen wirklich brennt. Oder was er vor seine Zeit bei Daimler in Schweden gemacht hat. „Vielleicht wurde er als Findelkind im Körbchen in Untertürkheim ausgesetzt“, scherzt ein Insider.

Fest steht: Auch Källenius ist nicht immer nur freundlich. Er könne sehr fordernd sein, berichten Mitarbeiter, und zwar immer dann, wenn es gilt, Ziele zu erreichen. Diese Härte muss er jetzt unter Beweis stellen. Denn Daimler muss das Sparen lernen.

Ein Konzern muss Sparen lernen

In Meetings fehlt manchmal das Mineralwasser, Mülleimer werden teils seltener geleert, Schönheitsreparaturen bleiben aus. Dass die Zeiten bei Daimler rauer werden, merken viele der fast 300 000 Mitarbeiter des Konzerns bislang eher an Kleinigkeiten.

Seit der Gewinn des Konglomerats im vergangenen Jahr um fast 30 Prozent auf 7,6 Milliarden Euro eingebrochen ist, drängt der Vorstand auf verschärfte Kostenkontrolle. Bisher waren die Maßnahmen für die Truppe vielleicht ärgerlich, aber verdaulich.

Doch dabei dürfte es nicht bleiben. „Daimler hat ein chronisches Effizienzproblem“, rügt Janne Werning von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. „Die Kosten explodieren – das riecht nicht nach Aufbruch“, schimpft Ingo Speich von Deka Investment und mahnt: „Herr Källenius, die anderen Autohersteller hängen Sie ab.“

„Alles steht auf dem Prüfstand“, verspricht Dieter Zetsche in seiner letzten Rede vor den Daimler-Aktionären am vergangenen Mittwoch. Nicht jedes Modell dürfte einen Nachfolger bekommen, Motorenmodelle könnten mittelfristig gestrichen werden. Die Kosten in den zentralen Verwaltungsbereichen sollen um 20 Prozent sinken. Aufwendungen für Reisen und Berater werden halbiert. Avisierte Investitionsvorhaben unterbleiben, bei anderen will sich Daimler die Kosten mit dem Erzrivalen BMW teilen.

Um Zetsches Abschiedsversprechen einzulösen, wird sich Källenius auch an die ganz dicken Bretter wagen müssen. Anders als BMW fertigen die Schwaben beispielsweise ihre Getriebe selbst. Die Folge: Bei vergleichbarem Absatz beschäftigt Mercedes um rund 24.000 Mitarbeiter mehr als der Rivale. Pro Mitarbeiter generiert Mercedes um 60.000 Euro weniger Umsatz als die Konkurrenz aus Bayern.

„Unsere Fertigungstiefe muss sinken“, schlussfolgert ein Daimler-Manager. Getriebe und Gussteile seien ein „aussterbendes Gewerbe“, E-Autos haben kein Getriebe. Derlei Komponenten solle man auf lange Sicht lieber fremdbeziehen.

Doch das wäre ein Tabubruch. Heftiger Protest vonseiten der Arbeitnehmer wäre garantiert. „Ich halte es für essenziell, dass wir uns nicht nur von Zulieferern abhängig machen“, sagt Michael Häberle, einflussreicher Betriebsratschef des Daimler-Stammwerks in Stuttgart-Untertürkheim. Daimler brauche eine gewisse Fertigungstiefe in unterschiedlichen Technologien. „Und die rechnet sich in einer Gesamtkostenbetrachtung auch“, stellt der Betriebsratschef klar.

Als vor einem Jahr im Mercedes-Werk im amerikanischen Tuscaloosa mehrere Schichten gestrichen werden mussten, weil eine Fabrik des Zulieferers Meridian abbrannte und dieser wochenlang keine Querträger liefern konnte, hätten seine Kollegen im Untertürkheimer Werksteil Mettingen Daimler vor Schlimmerem bewahrt: „Kein anderer Zulieferer konnte uns in dieser Lage aushelfen. Deshalb haben wir die nötigen Spritzgussstangen in unserer Gießerei selbst gegossen und in die USA transportiert“, sagt Häberle und schiebt stolz hinterher: „So haben wir dem Unternehmen sehr viel Geld gespart.“

Wie mächtig Häberle und seine Betriebsratskollegen sind, zeigt eine Vereinbarung, die die Arbeitnehmervertreter mit dem Management abschlossen. Die mehr als 130.000 Mitarbeiter, die Daimler nach Tarifvertragskonditionen beschäftigt, erhalten eine Jobgarantie bis Ende 2029. Das ist beispiellos in der deutschen Industriegeschichte und schränkt Källenius‘ Bewegungsspielraum deutlich ein. Im Gegenzug billigten die Arbeitnehmer den geplanten Umbau des Konzerns in eine Holding.

Kehrt Zetsche zurück?

Das Votum der Daimler-Aktionäre auf der Hauptversammlung fiel am Mittwoch eindeutig aus. 99,75 Prozent des anwesenden Kapitals stimmten für das „Projekt Zukunft“. Damit ist der größte Umbau in der Geschichte von Daimler beschlossene Sache.

Der Konzern, der in seiner mehr als 130 Jahre währenden Historie schon so vieles war und noch mehr sein wollte, wird sich nach Siemens-Vorbild zur Holding transformieren. Unter dem Dach der Daimler AG entstehen drei rechtlich selbstständige Töchter für das Geschäft mit Autos und Transportern, Trucks und Bussen sowie Mobilitäts- und Finanzdiensten. Anfang November soll die neue Struktur in Kraft treten. Was aber genau hat Källenius mit ihr vor? Spaltet sich Daimler womöglich eines Tages auf?

Fest steht: Daimler soll schneller und transparenter werden, leichter Partnerschaften eingehen und Kapital aufnehmen können. Durch Eigenständigkeit und einen tieferen Einblick in die Zahlen der einzelnen Einheiten erhoffen sich die Stuttgarter eine Effizienzdynamik. Wenn klarer zutage tritt, in welchen Bereichen es gut und wo es schlecht läuft, entfaltet sich automatisch Veränderungsdruck, so die Logik. Und das wiederum steigert den Wert des gesamten Unternehmens.

Denn die geringe Marktkapitalisierung ist die vielleicht große Schwäche von Daimler. Als Zetsche 2006 Vorstandschef wurde und Daimler als Sanierungsfall danieder lag, betrug der Börsenwert des Konglomerats 44 Milliarden Euro. Zum Abschluss des ersten Quartals 2019 waren es 55 Milliarden Euro.

Angesichts dieser langen Zeit ist die erzielte Wertsteigerung ein ernüchternder Wert. In ihm spiegelt sich das Misstrauen der Aktionäre gegenüber den Zukunftsaussichten des PS-Konzerns. Zum Vergleich: Fahrdienst Uber ist derzeit trotz hoher Verluste knapp 70 Milliarden Dollar wert.

Källenius soll nun schaffen, was Zetsche verwehrt blieb: den wahren Wert des Unternehmens heben. Viele Investoren wünschen sich dazu einen schnellen Börsengang der Trucksparte. Derzeit kein Thema, wiegelt das Unternehmen ab. Besonders die Arbeitnehmervertreter halten nichts von etwaigen Zerschlagungsgelüsten. „Wir erwarten, dass Källenius das Unternehmen zusammenhält“, sagt ein mächtiger Betriebsrat.

Unklar ist dabei die Rolle des größten Einzelaktionärs. Geely-Gründer Li Shufu hält 9,7 Prozent der Anteile und freute sich zuletzt über erste Projekte mit Daimler, etwa der Überführung der chronisch defizitären Kleinwagenmarke Smart in ein chinesisch-deutsches Joint Venture.

Wenn Källenius geschickt agiert, kann er Li als Seismograf für die Entwicklungen im fernöstlichen Automarkt nutzen, der größten Absatzregion der Welt. Allerdings könnte Daimler auch in unliebsame, große Kooperationen getrieben werden.

Källenius muss die vielen divergierenden Interessen austarieren. Dafür bekommt der Manager auf dem Papier eine beispiellose Machtfülle zugestanden: Er wird Chef der Dachgesellschaft Daimler, leitet die Pkw-Sparte Mercedes, die für mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes steht, und fungiert als oberster Aufseher der Truckdivision. Aber wie frei kann er wirklich agieren?

Schon die neue Struktur setze ihm „Leitplanken“, sagt ein Daimler-Aufsichtsrat: „Nach so einem massiven Umbau kann er nicht gleich zu Beginn mit einer neuen Revolution daherkommen.“ Gleichzeitig muss er sich schnell von seinem Mentor Zetsche lösen.

Viel Zeit, um sich ganz oben zurechtzufinden, wird der zweite Ausländer an der Daimler-Spitze von Daimler nach dem Österreicher Walter Hitzinger – der war von 1961 bis 1966 Vorstandsvorsitzender – nicht haben. Manchem im Konzern graut schon davor, dass „der Alte“ als Schatten-CEO zurückkehren könnte. Zetsche ist zwar seit Mittwoch in Rente. Nach einer zweijährigen Abkühlphase will er aber als Aufsichtsratschef zu Daimler zurückkehren.

„Es darf keinen Automatismus geben“, sagt Roland Bosch vom britischen Aktionärsberater Hermes. Vor einem Wechsel in den Aufsichtsrat müsse sehr genau geprüft werden, ob sich Zetsche als Aufseher des Unternehmens wirklich eignet. Corporate-Governance-Experte Christian Strenger sieht das ähnlich: Eine „Vorfestlegung“ auf Zetsche sei aktuell „schlicht zu früh“. Es bedürfe im Frühjahr 2021 einer „Würdigung der Gesamtumstände“.

Bis dahin wird sich auch Källenius neu erfinden müssen. In seinem bisherigen Werdegang hat er sich genau so verhalten, wie es sich für einen High Potential ziemt: durch Leistung überzeugen, niemanden vor den Kopf stoßen und vor allem seinem Chef und wichtigsten Förderer nicht allzu oft widersprechen.

Nun ist Källenius ganz oben. Nun muss er selbst die Richtung vorgeben. Källenius muss inmitten des größten Wandels in der Automobilgeschichte einen Traditionskonzern umkrempeln – und das schnell, unter unklaren Rahmenbedingungen und mit knappem Kapital.

Die intellektuellen Fähigkeiten dazu hat Källenius zweifellos. Auch die Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen. Doch er ist auch eine Konzernpflanze. Da er nie bei einer anderen Firma als bei Daimler gearbeitet hat, könnte ihm die nötige Disruptionskraft fehlen, sagt einer, der ihn lange kennt und schätzt.

Källenius habe bislang nicht klargemacht, wofür er stehe. „Nett“ könne sich eben auch schnell in „identitätslos“ verwandeln. Deutlicher wird ein Investor: „Daimler fehlt ein CEO, der von einer Idee, einem Ziel getrieben ist. Tesla ist hier ein Wake-up-Call.“

Auf der Hauptversammlung in der Berliner Messe teilen die Aktionäre weiter nach Kräften aus. Källenius wird den ganzen Tag nicht reden, obwohl die Investoren genau das einfordern. Schließlich ergreift Marc Tüngler das Wort. Källenius werde ein „Haus in stürmischen Zeiten“ übergeben, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Man solle gehen, wenn es am schönsten ist, „Herrn Zetsche ist das nicht gelungen“. Als das rote Lämpchen auf dem Rednerpult zu blinken beginnt und Aufsichtsratschef Bischoff gestrenge Blicke in Richtung Tüngler schickt, ruft der: „Meine Redezeit ist jetzt vorbei. Ihre Zeit, Herr Källenius, beginnt gerade erst. Machen Sie was draus.“

Mitarbeit: Martin Buchenau, Daniel Delhaes, Thomas Jahn, Martin Murphy, Helmut Steuer

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