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Wie Deutschlands älteste Waggonfabrik den Neustart geschafft hat

Dirk Reuters kaufte mit Partnern seinen früheren Arbeitgeber. Das Traditionsunternehmen hat er erst mit dem Streetscooter und jetzt mit Flixtrain erfolgreich reaktiviert.

Die Fahrzeuge sind in der Gesamtverantwortung von Talbot unterwegs, Foto: dpa
Die Fahrzeuge sind in der Gesamtverantwortung von Talbot unterwegs, Foto: dpa

Auf dem Gerüst vergisst Dirk Reuters die Zeit, obwohl ein wichtiger Geschäftstermin drängt. Da zeigt sich, dass der Chef eben kein Administrator ist, sondern seinen Job von der Pike auf gelernt hat. Mit dem Blick auf das Dach eines Wagens der legendären Wuppertaler Schwebebahn referiert der 52-Jährige über die Feinheiten der Aluminiumverarbeitung, Montageschienen für Dachaufbauten, die Herausforderungen der Fahrzeuglackierung. Reuters ist in seinem Element. Und das sind Eisenbahnfahrzeuge.

Mit 17 Jahren startete er seine Ausbildung zum Stahlbauschlosser, hier in diesem Unternehmen, in diesen riesigen Hallen am Rande von Aachen. Damals hieß die Firma noch Waggonfabrik Talbot, der älteste Hersteller von Eisenbahnfahrzeugen landesweit. Jetzt ist Reuters geschäftsführender Gesellschafter von Talbot Services. Und es scheint, dass die Waggonbauer so eine Art zweite Gründung zustande gebracht haben.

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Vor acht Jahren wollte der damalige Eigentümer, die kanadische Bombardier Transportation, das Werk loswerden, das Ende einer großen Tradition drohte. Reuters war damals Werksleiter, hätte eines der anderen Bombardierwerke in Deutschland managen können.

Doch der „Öcher Jong“, wie gebürtige Aachener sich gern nennen, hatte gemeinsam mit einem Freund eine „verrückte Idee“. Reuters kaufte mit seinem Partner das Werk. Ein klassisches Management-Buy-out.

So verrückt war die Idee wohl nicht. Gestartet mit 193 Leuten, beschäftigt das Unternehmen jetzt 500 Mitarbeiter, fast so viele wie in besseren Zeiten. Und Talbot stößt schon an Grenzen. „Wir nutzen jeden Quadratmeter. Ich muss an Neubau denken“, sagt Reuters.

Flixtrain-Züge in Arbeit

Er hält seit dem Buy-out zehn Prozent an dem Unternehmen, ein Investorenkonsortium unter Beteiligung der Aachener Sparkassengruppe die restlichen 90 Prozent. Doch das will nichts heißen. Der Chef hier heißt Dirk Reuters, daran lässt der Mann auch keinen Zweifel. Schließlich ist das Geschäftsmodell auch seine Idee.

Statt des Neubaus von Eisenbahnen kümmert sich Talbot nun um Reparatur, Instandhaltung, Umbau. Der Strategieschwenk kam zur rechten Zeit. Denn Bahnunternehmen wollen sich nicht mehr selbst um den Unterhalt kümmern.

Gerade sind die 135 Schnellzugwagen des Flixtrains in Arbeit. Die Waggons des Schwesterunternehmens des Fernbusanbieters Flixbus sind alte und meist heruntergekommene Fahrzeuge, die hier in Aachen komplett entkernt und neu aufgebaut werden. Eigentümer ist Railpool, mit 400 Loks europaweit einer der großen Vermieter von Bahnfahrzeugen.

Der Clou: Die Fahrzeuge sind in der Gesamtverantwortung von Talbot unterwegs, was an der Seitenwand mit dem Hinweis „D-TAL“ nicht zu übersehen ist. Talbot garantiert die Einsatzfähigkeit der Fahrzeuge, kümmert sich um Instandhaltung, Reparatur und Hauptuntersuchungen. Das Rundum-sorglos-Paket eben. „Wer Full Service heute nicht anbietet, hat morgen keine Arbeit mehr“ – Reuters pflegt klare Ansagen. „Wir haben hier eine Truppe“, sagt der Chef stolz, „der stelle ich einen Zug hin, den die nicht kennen, und die reparieren den.“ Der Ebbelwei-Express beispielsweise, eine historische Straßenbahn aus Frankfurt, ist in den Talbot-Hallen wieder aufgepäppelt worden. Dabei gab es keine Baupläne mehr.

Das Motto des Firmenleiters: „Wir machen alles, was auf Schienen läuft.“ Dazu zählen die Nachrüstung von ICEs der Deutschen Bahn, Unfallreparaturen, Modernisierung von Regionalzügen, Neubau von Hybrid-Lokomotiven im Auftrag von Toshiba, Wartungstriebwagen für den Gotthardtunnel.

Einen eigenen Hybrid-Triebzug hat er auch schon gemeinsam mit Partnerfirmen entwickeln lassen – aber bei der Ausschreibung klappte es nicht. Neubau soll ohnehin nicht Schwerpunkt werden. Die Schwebebahn aus Wuppertal fällt eher unter die Rubrik Sonderauftrag. Doch Reuters gibt zu verstehen, dass der neuen Firma Talbot „vor nix fies ist", wie Rheinländer das formulieren würden.

Darin liegt offenbar der Erfolg des neuen Geschäftsmodells. Talbot Services habe von Anfang an schwarze Zahlen geschrieben, versichert der geschäftsführende Gesellschafter. Laut Bundesanzeiger lag der Jahresüberschuss in den letzten Geschäftsjahren jeweils um die 2,5 Millionen Euro. In den Jahren zuvor war es weniger.

Streetscooter werden weiter gewartet

Zur guten Entwicklung hat auch ein Seitensprung zum Straßenverkehr beigetragen. Talbot fertigte für die Deutsche Post den Streetscooter. Das elektrisch angetriebene Lieferfahrzeug erwies sich zwar als Millionen-Desaster für den Logistikkonzern, nicht jedoch für Talbot. Der Auftrag war profitabel, versichert Reuters.

Der Unternehmer bedauert, dass die Produktion des Streetscooters eingestellt wurde. Immerhin rollen vorerst weiter die meist postgelben Kleinlaster übers Werksgelände. Die Fahrzeuge werden bei Talbot gewartet.

Das Pech des einen war am Ende das Glück des anderen. Die Streetscooter-Mitarbeiter sind begehrte Kollegen im Eisenbahnbau. 114 haben inzwischen einen neuen Job, entwickeln, planen und schrauben statt an Elektromobilen nun am Flixtrain und anderen Zügen, zum Beispiel U-Bahnen für Mexiko. Talbot hat 24 ausrangierte Fahrzeuge aus Frankfurt aufgekauft, die gerade im Totalumbau sind. Im Oktober werden die ersten Fahrzeuge nach Monterrey verschifft.

Wenn Reuters durch die Hallen geht, dann sieht das eher so aus, als komme einer der Kollegen entspannt im Freizeitlook daher, Jeans, schwarzes Hemd. Das Geschäft ist trotzdem hart. 13 Konkurrenten zählt Reuters in Deutschland, darunter die großen Fahrzeuginstandhaltungswerke der Deutschen Bahn. Auch die müssen um Aufträge kämpfen, denn diese werden heutzutage nur noch ausgeschrieben. Gute Beziehungen in der Branche, die der Talbot-Chef nach 35 Jahren zweifellos hat, sind hilfreich, sichern aber keinen Auftrag.

Für die Mitarbeiter der ersten Stunde vor sieben Jahren war es ohnehin kein Zuckerschlecken. Sie müssen bis heute auf Lohn verzichten und arbeiten länger als im Tarifvertrag vereinbart. Dafür gibt es eine Gewinnbeteiligung. „Dreißig Prozent des Ebits geht an die Belegschaft“, sagt Reuters. Zuletzt war eine Prämie von 3500 Euro drin.

Dass Talbot nun wieder Talbot heißen darf, auch das war keine Selbstverständlichkeit. Reuters musste sich erst mit Nachfahren des Firmengründers einigen, um den Namen benutzen zu dürfen. Aber alles andere als Talbot, sagt er, wäre gar nicht infrage gekommen.