Werbung
Deutsche Märkte schließen in 2 Stunden 57 Minuten
  • DAX

    18.494,64
    +17,55 (+0,09%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.093,21
    +11,47 (+0,23%)
     
  • Dow Jones 30

    39.830,62
    +70,54 (+0,18%)
     
  • Gold

    2.232,60
    +19,90 (+0,90%)
     
  • EUR/USD

    1,0812
    -0,0018 (-0,16%)
     
  • Bitcoin EUR

    65.446,36
    -720,63 (-1,09%)
     
  • CMC Crypto 200

    885,54
    0,00 (0,00%)
     
  • Öl (Brent)

    82,45
    +1,10 (+1,35%)
     
  • MDAX

    27.024,00
    -67,95 (-0,25%)
     
  • TecDAX

    3.457,77
    +0,41 (+0,01%)
     
  • SDAX

    14.310,17
    -99,96 (-0,69%)
     
  • Nikkei 225

    40.168,07
    -594,66 (-1,46%)
     
  • FTSE 100

    7.956,80
    +24,82 (+0,31%)
     
  • CAC 40

    8.227,46
    +22,65 (+0,28%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.360,74
    -38,78 (-0,24%)
     

Deutschland will Veränderung – die SPD muss jetzt liefern

Olaf Scholz ist gescheitert, „Nowabesken“ übernimmt. Doch wieviel können sie wirklich ändern? Foto: dpa

Die SPD-Basis zeigt mit der Wahl des neuen Führungsduos die große Sehnsucht nach einem Wandel in Deutschland. Doch vielleicht ändert sich gar nicht so viel – und der Koalition gelingt sogar ein kleiner Aufbruch.

Vor dreieinhalb Jahren wäre es noch eine Sensation gewesen, dass sich die Mitglieder der SPD für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als Parteispitze entscheiden – also zwei Politiker mit wenig Erfahrung in Spitzenämtern und noch weniger zählbaren Erfolgen. Zudem haben beide noch nie einen direkten Auftrag vom Wähler bekommen, ein in der Demokratie durchaus aussagekräftiger Test unter Realbedingungen.

Doch nun, da sich das Jahr 2019 dem Ende zuneigt, ist die Entscheidung der SPD-Mitglieder für „Nowabesken“ keine wirkliche Überraschung mehr. Dazu ist in den vergangenen dreieinhalb Jahren zu viel passiert, was sich unter der Überschrift „Alles, nur nicht das Establishment!“ zusammenfassen lässt: Die Briten entschieden sich im Juni 2016 für den Brexit, Donald Trump gewann im November des gleichen Jahren selbst zu seiner eigenen Überraschung die Präsidentschaftswahl, und Emmanuel Macrons Weg in den Elysée-Palast führte im Mai 2017 über den Trümmerberg der französischen Parteienlandschaft.

Und Olaf Scholz ist nicht nur für viele Sozialdemokraten der Regierungspragmatismus in Person – und damit des „Weiter-so-Establishments“.

WERBUNG

Der Bundesfinanzminister hat in seiner langen politischen Laufbahn durchaus Erfolge vorzuweisen, aber: Seine selbst für hanseatische Maßstäbe ausgeprägte Besserwisserei macht ihn nicht eben sympathisch, bei aller unbestreitbaren Kompetenz. Genauso sein offenbar begrenzter Wille, seine gefühlte Überlegenheit nicht ständig zu zeigen. Scholz kann im kleinen Kreis durchaus redselig und – man glaubt es kaum – sogar lustig sein. Doch er hielt es nicht für nötig, mit einer gewissen Leidenschaft für sich und sein Programm zu werben. In einer Zeit, in der Menschen überhaupt erstmal für die Politik begeistert werden müssen, bevor ein Politiker für sie sichtbar werden kann, ist das zu wenig.

Wie groß auch in Deutschland die Sehnsucht nach Veränderung ist – ein bisschen inhaltlich, aber vor allem auch personell – zeigt nicht nur die Wahl von Nowabesken.

Indizien gibt es dafür auch in anderen Parteien: Die Beliebtheit von Friedrich Merz an der CDU-Basis speist sich vor allem aus der Illusion, er würde es irgendwie anders machen – und sei es so vergleichsweise angenehm wie in den neunziger Jahren.

Selbst FDP-Chef Christian Lindner, der noch vor zwei Jahren den besten Wahlkampf hinlegte, hat viel von seiner Anziehungskraft verloren. Das liegt vor allem daran, dass er im entscheidenden Moment gekniffen hat. Es herrscht aber inzwischen auch der Eindruck vor, der gerade einmal 40-Jährige sei schon seit Ewigkeiten dabei. Aufbruch, Veränderung – das verkörpert er auch nur noch für die treuesten seiner Fans.

Sogar bei den Grünen gilt, dass sie irgendwie anders sein wollen. Früher gab es bei Parteitagen teils tumultartige Debatten, es flogen sogar Farbbeutel. Das jüngste Delegiertentreffen war dagegen eine erneute Krönungsmesse für das grüne Königspaar Annalena und Robert.

Und wie geht es nun weiter? Das ist die Frage aller Fragen. Darauf die eine Antwort zu geben, ist geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Schließlich gibt es gleich mehrere plausible Szenarien: Bereits vor Wochen waren in der SPD Stimmen zu hören, man dürfe das Nowabesken-Duo auf dem kommenden Parteitag auf keinen Fall bestätigen, weil es den Weg gen Fünfprozent-Hürde bedeute. Wahrscheinlich ist ein solcher später Triumph des Establishments allerdings nicht. Die SPD würde damit ein monatelanges Verfahren, das bereits groteske Züge trug, komplett ad absurdum führen.

Dass die Sozialdemokraten die große Koalition nun fluchtartig verlassen, ist zwar ebenfalls möglich, aber auch nicht wahrscheinlich. Das Interesse daran ist bei halbwegs nüchterner Betrachtung gering: Bei einer vorgezogenen Bundestagswahl mit dem Hinweis um Stimmen zu werben, man brauche dringend Erholung in der Opposition, ist ein gewagtes Unterfangen. Und Wähler, die einfach nur gegen alles sind, holen AfD und Linke derzeit weit besser ab.

Ein echtes Interesse an baldigen Neuwahlen hat auch die Union nicht. Theoretisch könnte sie sagen: „Wir haben einen sozialdemokratischen Koalitionsvertrag unterzeichnet, machen seit Jahren SPD-Politik. Irgendwann ist es auch mal gut.“ Praktisch setzt Annegret Kramp-Karrenbauer angesichts der miesen Umfragewerte von CDU/CSU und ihrer eigenen noch mieseren Werte darauf, sich weiter im Verteidigungsministerium zu profilieren.

Natürlich ist eine Minderheitsregierung der Union eine Alternative. Aber wie lange die trotz des gerade verabschiedeten Haushalts für 2020 halten würde, kann auch niemand seriös vorhersagen. Deshalb ist es genauso gut möglich, dass sich die Koalitionspartner doch noch einmal zusammenraufen – und für alle Seiten gesichtswahrend ein paar Punkte neu in den Koalitionsvertrag reinverhandeln. So wie es Nowabesken fordern.

Es gäbe dann wahrscheinlich für die SPD noch ein bisschen Sozial- und Klimapolitik. Und die Union würde im Gegenzug Steuerentlastungen und Bürokratieabbau durchsetzen. Daraus könnte sogar der Versuch eines Aufbruchs entstehen, wenn die inhaltliche Neujustierung mit einer Kabinettsumbildung flankiert würde.

Aber wer weiß. Schließlich ist auch das eine zentrale Lehre aus den vergangenen dreieinhalb Jahren. So disruptiv Ereignisse wie der Brexit und Wahlsiege wie die von Trump und Macron zu Beginn auch wirkten: Es gibt ja noch die Mühen der politischen Ebene.

Deshalb sind die Briten noch immer in der EU. Deshalb hat Donald Trump zwar viel Unruhe in aller Welt gestiftet, die Zahl seiner vorzeigbaren Erfolge allerdings bleibt gering. Und deshalb sind aus Emmanuel Macrons Revolutionen längst Evolutionen geworden.

Gut möglich also, dass der Blick zurück auf die Ereignisse dieser Tage in dreieinhalb Jahren ungefähr so ausfällt: Damals, als Nowabesken gewählt wurden, dachten alle, jetzt komme der große Knall. Aber eigentlich hat sich gar nicht so viel verändert.

Außer vielleicht, dass Angela Merkel wirklich nicht mehr Kanzlerin ist. Aber wer möchte selbst darauf wirklich wetten?