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Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit – neuer Tiefstand bei internationalem Standortvergleich

Im „Länderindex Familienunternehmen“ rutscht Deutschland auf Platz 17 ab. Die Studie attestiert einen schleichenden Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in Merkels Amtszeit.

 Die Studie attestiert einen schleichenden Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in Merkels Amtszeit. (Bild: dpa)
Die Studie attestiert einen schleichenden Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in Merkels Amtszeit. (Bild: dpa)

Kritik von Wirtschaftsvertretern musste sich Angela Merkel (CDU) gleich zum Start anhören. Kurz bevor sie im November 2005 zur Kanzlerin gewählt wurde, war der Ärger über den Koalitionsvertrag ihres ersten schwarz-roten Bündnisses groß. „Zu wenige Reformen, zu viele Steuererhöhungen“, monierte der damalige DIHK-Chef Ludwig Georg Braun.

Gut 15 Jahre später, in Merkels letztem Amtsjahr, hat sich an dieser Einschätzung wenig geändert. Die wirtschaftspolitische Bilanz der Kanzlerin fällt dürftig aus. So lässt sich zumindest das Ergebnis des neuen „Länderindexes Familienunternehmen“ interpretieren, den das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für die Stiftung Familienunternehmen erstellt hat und der dem Handelsblatt vorab vorliegt.

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Dieser internationale Standortvergleich wird seit 2006 alle zwei Jahre erstellt und deckt damit ziemlich genau Merkels Regierungszeit ab. Und in dieser hat Deutschland dem Länderindex zufolge kontinuierlich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Während die Bundesrepublik vor 14 Jahren noch Platz neun belegte, reicht es beim Länderindex 2020 nur noch für Rang 17 von 21 Ländern. Zwar wurde der Kreis der untersuchten Länder zwischenzeitlich erweitert. Aber auch wenn man das berücksichtigt, bleibt ein Abstieg um fünf Plätze.

Deutschland: Auch im Oktober weniger Firmenpleiten wegen Corona-Ausnahmeregelung

Der Standort Deutschland leidet nun „über ein Jahrzehnt an einer fortschreitenden Erosion seiner relativen Wettbewerbsfähigkeit mit kontinuierlich schlechteren Platzierungen“, heißt es in der Studie. „Die Ergebnisse müssen aufrütteln“, sagt Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, die die Studie in Auftrag gegeben hat. „Jetzt kommt es dringend darauf an, Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen“, fordert er.

USA vorn, Großbritannien leidet unter Brexit

Das ZEW vergleicht die Länder im Hinblick auf sechs Standortfaktoren: „Steuern“, „Arbeitskosten, Produktivität, Humankapital“, „Regulierung“, „Finanzierung“, „Infrastruktur, Institutionen“ sowie „Energie“. Die Steuerpolitik ist der Analyse zufolge die größte Schwäche. In Bezug auf die Besteuerung der Unternehmen landet Deutschland bei dem Länderranking auf Platz 20 vor Schlusslicht Japan.

In der Gesamtwertung haben die USA im vergangenen Jahr Großbritannien von Platz eins verdrängt. Das Vereinigte Königreich liegt zwar noch auf Platz zwei, musste bei den Bewertungen aber deutliche Einbußen hinnehmen. „Hier schlagen sich die gestiegenen finanziellen und politischen Unsicherheiten des unübersichtlichen Brexit-Prozesses nieder“, heißt es in der Studie. „Der Brexit hat dem Standort bislang geschadet.“

Auf Platz drei landen die Niederlande, die besonders im Bereich „Infrastruktur und Institutionen“ gut abschneiden. Das Nachbarland hat im Länderindex in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Aufstieg hingelegt. Auf Platz 21 liegt in dem neuen Ranking Italien, davor Japan.

Mit Platz 17 hat sich Deutschland gegenüber dem letzten Ranking im Jahr 2018 um drei Ränge verschlechtert. Die Botschaft sei eindeutig, heißt es in der Studie: „Wirtschaftspolitisch besteht für Deutschland wenig Anlass zur Selbstzufriedenheit.“ Neben der Steuerpolitik attestiert das ZEW auch Standortschwächen im Bereich Arbeitskosten und Produktivität sowie mit Blick auf die Infrastruktur.

Unternehmer warnen vor Verlagerung ins Ausland

Familienunternehmer teilen die Bewertung der Studie. Der Wirtschaftsstandort Deutschland habe in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität verloren, urteilt Angelique Renkhoff-Mücke. Die geschäftsführende Gesellschafterin des Markisenspezialisten Warema ist auch Verhandlungsführerin des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall in Bayern und fürchtet, dass über kurz oder lang diese Entwicklung dazu führen werde, „dass sich viele Unternehmen von Deutschland abwenden und Standorte in attraktiveren Ländern suchen werden“.

Auch Thomas Fischer, Aufsichtsratschef des Autozulieferers Mann + Hummel, sieht Handlungsbedarf bei der Wettbewerbsfähigkeit, „sonst werden immer mehr Firmen immer mehr Arbeit ins Ausland verlagern“. Unternehmensteuern müssten gesenkt werden. Dafür gibt es aus seiner Sicht die Bereitschaft, eine höhere Einkommensteuerbelastung zu akzeptieren.

Auch das ZEW schreibt in seinem Länderranking, dass Deutschland hinsichtlich der steuerlichen Belastung der Unternehmen inzwischen „im Vergleich mit den europäischen und amerikanischen Wettbewerbern ins Hintertreffen geraten ist“. Die Ökonomen verweisen auf Unternehmensteuerreformen in Frankreich und den USA. Aus ihrer Sicht muss Deutschland nachziehen, um nicht weiter abgehängt zu werden. Dabei unterteilen sie in kurz- und langfristige Maßnahmen.

Großer Reformbedarf in der Steuerpolitik

Aktuell empfehlen die ZEW-Experten, die steuerlichen Verlustverrechnungen wegen der Coronakrise zu erweitern. So könnten Unternehmen frühere Gewinne mit derzeitigen Verlusten verrechnen. Wirtschaftsverbände fordern seit Monaten von der Bundesregierung, diese Mittel großzügiger zu gestalten. Auch Familienunternehmerin Renkhoff-Mücke ist der Ansicht, dass eine solche Ausweitung sehr gezielt Unternehmen hilft, „die sich in der Vergangenheit als hervorragende Steuerzahler erwiesen haben und jetzt unter Druck stehen“. Das gelte unabhängig davon, ob es um die Kosten der Krise geht oder um den hohen Transformationsdruck aus Digitalisierung und Klimastrategien.

Die Unternehmerin sieht aber wie auch das ZEW weiteren Bedarf einer grundsätzlichen Steuerreform, um die Attraktivität Deutschlands für Unternehmen im internationalen Vergleich wieder zu verbessern: „Durch die Gesamtsteuerbelastung deutscher Unternehmen verlieren wir mittlerweile zunehmend an internationaler Wettbewerbsfähigkeit, was dauerhaft zu einer massiven Schwächung des Wirtschaftsstandorts Deutschland führen wird.“

Rechnet man Körperschaft- und Gewerbesteuer zusammen, werden Unternehmen hierzulande im Schnitt mit mehr als 30 Prozent belastet. Damit liegt Deutschland unter den Industriestaaten im Spitzenfeld.

Deshalb empfiehlt das ZEW als langfristige Maßnahme eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass Deutschland nach der Krise mit erheblich höheren Staatsschulden konfrontiert sein werde und sich daher die Notwendigkeit von Einnahmesteigerungen ergeben könne. Von Plänen wie der Wiedereinführung einer Vermögensteuer, wie es die SPD fordert, rät das ZEW dringend ab. Stattdessen schlägt es vor, Schlupflöcher zu schließen, etwa bei der Umsatzbesteuerung.

Platz eins bei der Finanzstabilität

Die gute Finanzlage des Staates und der Privatwirtschaft sieht das ZEW in der Analyse als eine der großen Stärken Deutschlands. In dieser Kategorie gibt es den ersten Platz im Länderranking. „Diese ist ein Asset, das gerade in der Coronakrise mit ihren enormen Finanzierungslasten stark zu würdigen ist“, schreiben die Ökonomen.

Es sei diese finanzielle Stabilität, die maßgeblich dazu beigetragen habe, dass es in Deutschland trotz dramatischer Produktionsverluste in den Wochen des Lockdowns nicht zu einem nachhaltigen Einbruch in der Investoren- und Konsumentenzuversicht gekommen sei.

Abgehängt bei der digitalen Infrastruktur

Weniger erfreulich ist aus Sicht des ZEW allerdings, dass sich die gute Finanzlage des Staates nicht mehr in der Infrastruktur bemerkbar macht. „Die im internationalen Vergleich hohe effektive Steuerbelastung wird auch immer weniger durch eine überdurchschnittliche Qualität der Infrastruktur kompensiert“, heißt es in der Studie. „Für die Qualität seiner Infrastruktur erscheint Deutschland inzwischen gegenüber den Wettbewerbern in West- und Nordeuropa, aber auch in Nordamerika und Japan als deutlich abgeschlagen.“

Den schleichenden Abstieg Deutschlands in den vergangenen 14 Jahren haben die Unternehmer wohl wahrgenommen. „Selbst beim Thema digitale Infrastruktur können wir im internationalen Vergleich nicht mithalten“, sagt Renkhoff-Mücke. Durch die positive Konjunkturentwicklung der letzten Jahre hätten die Unternehmen zwar vieles kompensieren können, aber „mittlerweile ist die Schmerzgrenze erreicht beziehungsweise sogar in vielen Fällen schon überschritten“.

Natalie Mekelburger sieht die Kanzlerin persönlich in der Verantwortung. Die Vorstandschefin des Autozulieferers Coroplast sorgt sich um das zuletzt kühle Verhältnis der Kanzlerin zur Industrie. „Als wäre die Gesellschaft zweigeteilt in die Guten und Schlechten, in Klimaopfer und böse Klimakiller. Mit den Schmutzfinken, so hatte man bei den letzten Auftritten vor der Industrie den Eindruck, wolle sie nichts mehr zu tun haben“, sagt Mekelburger.

Auch Aufsichtsratschef Fischer von Mann + Hummel sieht in den letzten Jahren der Ära Merkel „keine mutige Weiterentwicklung“. Der nächste Kanzlerkandidat solle sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit kümmern; dazu gehörten nicht nur Steuerthemen, auch die Bürokratie und der Arbeitsmarkt müssten effizienter werden und die Energiekosten sinken. Fischer will aber nicht falsch verstanden werden: „Wir fühlen uns schon wohl in Deutschland, aber wir müssen etwas dafür tun, damit es so bleibt.“

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