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Deutschland sucht die Exitstrategie: Welche Optionen gibt es?

Die Politik arbeitet daran, Wirtschaft und Gesellschaft eine Rückkehr zum Normalzustand zu ermöglichen. Spätestens in der Woche nach Ostern soll die Entscheidung fallen.

Derzeit gilt bundesweit ein Kontaktverbot in der Öffentlichkeit. Foto: dpa
Derzeit gilt bundesweit ein Kontaktverbot in der Öffentlichkeit. Foto: dpa

Nach Ostern könnte es so weit sein. Die drastischen Einschränkungen, die Gesellschaft und Wirtschaft in der Coronakrise auferlegt wurden, könnten gelockert werden. Die Bundesregierung arbeite an einem „Gesamtkonzept“ für einen Ausstieg aus dem kollektiven Stillstand, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag.

Die Voraussetzung sei aber, dass die Auflagen der Behörden bis dahin „konsequent“ eingehalten würden, mahnte er. Und ob die erlassenen Maßnahmen wirken, werde sich erst in einigen Tagen in der Infektionsstatistik niederschlagen. Es gibt also Hoffnung für eine vorsichtige Rückkehr zur Normalität. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

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Bund und Länder meiden konkrete Aussagen zu ihrer Exitstrategie, sie wollen nicht zu früh zu viele Erwartungen wecken. Doch fest steht: Wenn die Politik Deutschland wieder öffnet, wird das stufenweise erfolgen.

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Außerdem müssen die Rahmenbedingungen für einen kontrollierten Abbau der Freiheitsschranken stimmen: Dazu gehören umfangreiche Testmöglichkeiten sowie mehr Personal in den Gesundheitsämtern und digitale Lösungen, um Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen.

Die Intensivkapazitäten in Krankenhäusern müssen deutlich aufgestockt sein, um jene Patienten am Leben halten zu können, bei denen die vom Coronavirus ausgelöste Atemwegserkrankung einen schweren Verlauf nimmt.

„Es wird auch eine Zeit nach Corona geben“, sagte Spahn. „Und es wird eine Zeit geben, in der wir weiter gegen das Virus kämpfen, uns aber schrittweise normalisieren.“ Die große Frage ist aber, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, diesen Prozess einzuleiten.

In der Antwort versteckt sich auch jene makabre Güterabwägung, die gegenwärtig alle vermeiden wollen: Wie hoch muss das Risiko für Menschenleben sein, damit weiterer wirtschaftlicher Schaden und die Gefahr von sozialem Unfrieden gerechtfertigt sind?

Bürger bleiben ruhig

In der Bevölkerung treffen die für die Bundesrepublik beispiellosen Einschränkungen der persönlichen Freiheit noch auf große Zustimmung. In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche Presse-Agentur zeigten sich 88 Prozent der Befragten mit den Maßnahmen einverstanden. Jeder Dritte wünscht sich sogar noch härtere Einschränkungen. Und fast zwei Drittel der Befragten rechnen auch damit, dass die Regeln noch einmal verschärft werden.

Doch in den vergangenen Tagen mehrten sich auch die Forderungen, einen Weg aus dem Ausnahmezustand zu finden. Der Städte- und Gemeindebund warnte, man dürfe nicht das gesamte Land „langfristig lahmlegen“. Das betreffe vor allem die Frage, ob Schulen und Kindergärten nach den Osterferien wieder öffnen können.

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Auch Deutschlands Spitzenökonomen wünschen sich eine Perspektive. Der Wirtschaftsweise Volker Wieland sagte dem Handelsblatt: „Eine Exitstrategie aus dem Shutdown kann aber nicht nur nach ökonomischen, sondern muss vor allem auch nach epidemiologischen Kriterien bestimmt werden. Das muss man sorgsam ausbalancieren.“

Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann forderte, die Wirtschaft in Deutschland spätestens nach Ostern „schrittweise“ wieder hochzufahren.

Dagegen hält Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nichts davon, die strengen Ausgehbeschränkungen vorzeitig wieder zu lockern. „Solange das Virus so wütet, ist der Schutz der Menschen alternativlos“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte davor, Maßnahmen zu früh wieder aufzuheben: „Das Letzte, was Länder nun brauchen, ist, dass Schulen und Unternehmen öffnen, nur um dann wegen eines Wiederauflebens des Virus erneut zur Schließung gezwungen zu werden.“

Infektionen nicht komplett unterbinden

Einen klaren Kompass kann in dieser schwierigen Frage auch die Wissenschaft nicht geben. Eine viel zitierte Studie des Londoner Imperial College legt nahe, dass es noch über viele Monate die drastischen Einschränkungen geben müsse, um die Ausbreitung bis zur Entwicklung eines Impfstoffs zu unterbinden. Aber ist das vorstellbar?

Der Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Bonn, Hendrik Streeck, sagt dagegen: „Es werden viele Menschen mit dem Virus infiziert werden und an Covid-19 erkranken, aber wir wollen die Infektionen ja nicht komplett unterbinden und eine breite Immunität in der Gesellschaft erreichen.“

Sonst würden die Probleme nur verschoben, dann komme es irgendwann zu einem neuen Ausbruch. „Zu dieser Exitstrategie fehlen bislang konkrete Aussagen der Bundesregierung.“

Allerdings kristallisiert sich ein Weg heraus, den Deutschland gehen könnte. Spahn sagte diese Woche in einem „Zeit“-Interview: „Ich denke an Beschleunigen und Bremsen, an eine sorgfältige Balance zwischen Eigenverantwortung und staatlicher Kontrolle.“ Je nach regionaler Lage könne es immer wieder zeitlich begrenzte Ausgangsbeschränkungen geben.

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Das öffentliche Leben könne behutsam wieder anlaufen, aber nicht für alle. Für Risikogruppen wie alte und chronisch kranke Menschen könne es „möglicherweise über mehrere Monate“ die Vorgabe geben, ihre Kontakte stark einzuschränken und im Zweifel zu Hause zu bleiben. Auch Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sagte: „Die nächste Phase lautet natürlich: Junge Menschen, die nicht zu den Risikogruppen gehören, dürfen wieder mehr auf die Straße.“

Außerdem blickt die Bundesregierung nach Südkorea, das den Ausbruch des Coronavirus ohne Ausgangssperren in den Griff bekommen hat. Nach Einschätzung des Virologen Streeck beruht der Erfolg des Landes auf vier Pfeilern: „Die Behörden haben in der Bevölkerung umfangreich auf das Virus getestet, die infizierten Menschen schnell isoliert, potenzielle Kontaktpersonen ausfindig gemacht und Betroffene früh behandelt.“

Auch der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, sagte dem Handelsblatt: „Es wäre gut, wenn es uns gelänge, wie in Südkorea flächendeckend zu testen und das Tracking der Kontakte von Infizierten datenschutzkonform auszugestalten.“

Spahn wollte bereits in dieser Woche eine Gesetzesänderung beschließen lassen, um für die Nachverfolgung von Risikokontakten auf Bewegungsprofile von Mobilfunknutzern zugreifen zu können. Angesichts von Datenschutzbedenken ruderte er zurück und möchte eine Neuregelung zunächst breiter diskutieren lassen.

Am Donnerstag sagte er, es gehe darum, „wie in Südkorea“ Handydaten zu nutzen, um Infektionsketten zu brechen. Das könne den Bürgern ermöglichen, „bestimmte Freiheiten des Alltags leichter zurückzubekommen“.

Eine App soll helfen

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär sagte dem Handelsblatt, dass es in der Bundesregierung Überlegungen für eine „Corona-Tracking-App“ gibt. „So eine digitale Anwendung wäre sinnvoll, um das Virus zielgerichtet einzudämmen.“

Datenschutzrechtlich spräche nichts dagegen, „da der Nutzer durch den Download der App der Datennutzung zustimmt“. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hält eine Anti-Corona-App für möglich. „Wenn die Nutzer einer App ihre freiwillige Einwilligung zur Datenverarbeitung geben, könnte eine technische Lösung zur Identifikation von Infektionsketten sicher ein sinnvoller Beitrag zur Krisenbewältigung sein“, sagte Kelber dem Handelsblatt.

Bund und Länder sind bereits in der Abstimmung, die Voraussetzungen für eine schrittweise Öffnung zu schaffen. In einer Telefonkonferenz vereinbarten Kanzleramtschef Braun und Vertreter der Landesregierungen, die bei derzeit gut 300.000 Corona-Tests pro Woche liegenden Kapazitäten deutlich zu erhöhen.

Dazu könnten zum Beispiel auch Labore aus dem Bereich der Veterinärmedizin genutzt werden, heißt es in einem internen Vermerk, der dem Handelsblatt vorliegt.

Außerdem sollen die Gesundheitsämter personell verstärkt werden, mit Freiwilligen und Mitarbeitern aus anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung: „Das Ziel muss sein, schrittweise pro 20.000 Einwohner mindestens ein Kontaktnachverfolgungsteam aus fünf Personen kurzfristig in den Einsatz bringen zu können.“

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Das Bundesforschungsministerium will unterdessen die Universitätskliniken in Deutschland enger verzahnen, damit sie sich im Kampf gegen Covid-19 besser und schneller austauschen können. Dafür stellt Forschungsministerin Anja Karliczek für die Jahre 2020 und 2021 insgesamt 150 Millionen Euro bereit. Die Federführung übernimmt der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité.

Bund und Länder stehen vor schweren Entscheidungen. Das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat verschiedene Szenarien analysiert: Würde man in Deutschland alle Kontaktverbote aufheben und sich das Virus ungebremst ausbreiten lassen, dann müssten innerhalb von sechs bis sieben Wochen 80 Prozent der Menschen mit intensivmedizinischem Bedarf in den Krankenhäusern abgewiesen werden. Mehrere Hunderttausend Todesfälle wären dann unvermeidbar.

Wenn man die derzeitigen Maßnahmen beibehielte, die Ausbreitung des Virus so zu bremsen, dass alle, die es brauchen, in den Krankenhäusern behandelt werden könnten, seien immer noch 200.000 Todesfälle zu erwarten. Der Shutdown müsste dafür mindestens ein halbes Jahr durchgehalten werden. Als einziger Ausweg, der Rezession und Krankenhausüberlastung vermeidet, bliebe laut RWI nur die Südkorea-Strategie.