Bekommen die USA die Inflation schneller in den Griff als Deutschland? Aktuelle Zahlen legen das nahe. In den USA lag die Inflationsrate im August bei 3,7 Prozent. Im Juli waren es sogar nur 3,2 Prozent. Die Preise steigen dort so langsam wie seit zwei Jahren nicht mehr. Das Inflationsziel der US-Notenbank von zwei Prozent kommt in Sicht. Die Phase steigender Zinsen könnte zu Ende gehen.
In der Euro-Zone ist die Inflation dagegen mit 5,3 Prozent beharrlich hoch. In Deutschland stiegen die Preise im August zum Vorjahr um 6,1 Prozent – also fast deutlich schneller als in den USA. Dabei spielen zwar Sondereffekte aus dem Vorjahr eine Rolle, als Tankrabatt und 9-Euro-Ticket die Preise in Deutschland dämpften. Doch unabhängig davon liegt die Inflationsrate weit über dem Zwei-Prozent-Ziel.
Auch innerhalb der 20 Länder der Euro-Zone gibt es gewaltige Unterschiede. In Belgien, Spanien und Luxemburg liegt die Inflation sogar wieder bei zwei Prozent. In einigen osteruropäischen Ländern ist sie noch fast zweistellig.
Woran liegt diese unterschiedliche Entwicklung? Beginnen wir mit den USA. Warum geht die Inflation dort schneller zurück als in Europa und auch in Deutschland?
1. Bei der Inflation sind die USA einige Monate voraus
Häufig wird gesagt, Hauptgrund der extremen Inflation seien die Preisschocks nach Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gewesen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Preise begannen bereits früher zu steigen, im Laufe des Jahres 2021. Das war eine Folge der Corona-Pandemie. Lockdowns in vielen Ländern hatten Lieferprobleme verstärkt und das Angebot an Waren begrenzt. Gleichzeitig stützten Staaten ihre Bürger finanziell. Die Preise begannen zu steigen.
Die Grafik zeigt, dass dieser Preisauftrieb in den USA früher begann. Dort stieg die Inflationsrate im März 2021 erstmals über zwei Prozent. In der Euro-Zone geschah das erst vier Monate später, im Juli 2021. In den USA erreichte die Inflation ihren Höhepunkt im Juni 2022 bei 9,1 Prozent. Seither kühlt sie ab. Im Euroraum beschleunigte sich die Teuerung dagegen noch bis Oktober und bis auf 10,6 Prozent. Auch der Höhepunkt der Welle liegt vier Monate hinter den USA.
Entsprechend leitete die US-Notenbank ihre Zinswende früher ein als die EZB. Darauf gehe ich gleich noch genauer ein. Vorher aber ein Blick auf die unterschiedlichen Ursachen der Inflation.
2. Ursachen der Inflation: In den USA eher die starke Nachfrage, in Europa eher die Preisschocks
Das Tückische an der gegenwärtigen Inflationswelle ist, dass sie zwei Ursachen hat. Zum einen das Ungleichgewicht einer hohen Nachfrage mit einem eingeschränkten Angebot als Folge der Corona-Pandemie. Zum anderen die Preisschocks für Energie und Nahrung als Folge des Ukraine-Krieges. Beide Effekte wirken sowohl in den USA als auch in Deutschland – aber in unterschiedlichem Ausmaß.
Die Europäische Zentralbank hat dies mehrfach analysiert. Im Euroraum trugen die Energiepreise laut EZB stärker zum Anstieg der Inflation bei. EZB-Präsidentin Christine Lagarde beschrieb den Unterschiede so: Die Preise für Strom, Gas und Kraftstoff machten im Euroraum 60 Prozent der Inflationstreiber aus. In den USA nur die Hälfte davon.
In den USA stiegen zudem die Löhne früher als im Euro-Raum. Dies stützte die Kaufkraft und trieb die Preise ebenfalls über die Nachfrage. „Unsere Inflation ist stark angebotsgetrieben“, sagte Lagarde laut der FAZ. „In Amerika ist die Inflation stärker nachfragegetrieben.“
„In den Vereinigten Staaten befinden wir uns in einem zyklischen Abschwung, also einem klassischen Zyklus, in dem jetzt die Nachfrage nachlässt“, sagte der Ökonom Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank der FAZ. „In Europa ist es vor allem ein durch Angebotsschocks – Lieferketten, Verfügbarkeit von Rohstoffen – ausgelöster Abschwung.“ In Europa dauere es daher länger, bis Preise zurückgingen.
Der zeitliche Versatz der Inflationswellen hat also mit ihren Ursachen zu tun. Darauf wies Jörg Angelé von der Anlagegesellschaft Bantleon hin. In den USA wurden die Corona-Beschränkungen früher gelockert als in Deutschland. Gleichzeitig erhielt jeder US-Bürger direkte Unterstützung von 3.200 Dollar. Die Folge war ein höherer Konsum, der auf ein begrenztes Warenangebot stieß.
Europa ist zudem in viel höheren Maße vom Import von Energie abhängig. Die USA sind bei Erdgas sogar Exporteur, seit die Förderung mit der Fracking-Methode ausgeweitet wurde. Entsprechend gingen die Energiepreise in den USA nach einem kürzeren Anstieg viel schneller zurück.
US-Fed versus EZB: Früher, schneller, härter
Die zeitliche Abfolge, aber auch die Ursachen der Inflation haben wiederum Folgen für die Wirkung der Zinserhöhungen der US-Notenbank Federal Reserve. Wie bereits erwähnt, begann die Fed mit ihren Zinserhöhungen früher als die EZB – genauer gesagt drei Monate früher. Die Fed erhöhte ihren Leitzinsen zudem aggressiver. Einige der Zinsschritte waren mit 0,75 Prozentpunkten historisch hoch. Insgesamt hob die Fed die Spanne der Leitzinsen innerhalb eines guten Jahres um 5,25 Prozentpunkte an. Bei der EZB waren es bisher 3,75 Prozentpunkte.
Ökonomen vermuten zudem, dass die Zinserhöhungen in den USA stärker auf die Inflation wirkten als in Europa – eben weil die Teuerung in den USA stärker über die Nachfrage getrieben war. Notenbanken können mit höheren Zinsen die wirtschaftliche Aktivität bremsen – und damit die Nachfrage. Auf die Preise für Energie oder Nahrungsmittel auf den Weltmärkten haben sie keinen direkten Einfluss.
Starker Dollar, schwacher Dollar – der Einfluss der Währungen
Die Fed bekämpfte die Inflation aggressiver. Sie erhöhte damit auch die Zinsdifferenz zur Euro-Zone, was dem US-Dollar zusätzlichen Auftrieb zum Euro gab. Dieser Effekt machte Importe aus dem Dollar in den Euro-Raum zusätzlich teurer. Dies schlug stark zu Buche, weil Energie auf den Weltmärkten überwiegend in Dollar abgerechnet wird.
Mittlerweile hat sich dieser Effekt umgekehrt. Weil die Zinsen in Europa noch länger steigen dürften, als in den USA, nimmt die Zinsdifferenz ab. Der Euro steigt zum Dollar. Zuletzt gab der starke Rückgang der Inflation in den USA dem Euro zusätzlichen Auftrieb. Dies wird neben den anderen hier beschriebenen Effekten dazu beitragen, dass die Inflation auch in Deutschland sinken wird.
Starke Unterschiede bei der Inflation in Europa
Die in diesem Artikel beschriebenen Effekte erklären zu einem großen Teil auch die gravierenden Unterschiede der Inflationsraten unter den 20 Ländern des Euro-Raumes. Da gibt es zum einen ein beträchtliches Ost-West-Gefälle. Je näher zu Russland, umso höher die Inflationsraten. Das hängt mit der seinerzeit hohen Abhängigkeit der Länder wie Estland, Lettland oder Litauen von Russland bei Energie und vielen anderen Waren ab. In westlichen Länder ist dies weniger ausgeprägt. Spanien hat sogar eine Sonderrolle auf dem europäischen Energiemarkt.
Hinzu kommt, dass die Regierungen der Euro-Länder unterschiedlich stark in die Preise eingegriffen haben, um ihre Bürger zu entlasten.