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„Deutschland hat keinen Masterplan“: Warum sich ein Ex-Topmanager von VW um unseren Wirtschaftsstandort sorgt – und wozu er dringend rät

Jürgen Stackmann. Foto: VW
Jürgen Stackmann. Foto: VW

Jürgen Stackmann, 59, ist Bankkaufmann und diplomierter Betriebswirt. In der Autoindustrie begann er 1989 bei Ford, wo ihn VW 2010 abwarb. Nach Stationen bei Škoda und im Konzern-Marketing wurde er 2013 zum Vorstandschef der spanischen VW-Tochter Seat berufen. 2015 wechselte Stackmann als Vertriebsvorstand zur Wolfsburger Hauptmarke VW Pkw, die er im September 2020 verließ. Seither bereitet Stackmann akademische Engagements an der Universität St. Gallen vor und an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Zudem, so Stackmann, stehe bei ihm die „Übernahme einiger Aufsichtsratsmandate“ an. „Ich habe immer für meine Richtung gekämpft“, sagt der gebürtige Norddeutsche, „auch bei VW.“

Herr Stackmann, Sie behaupten, dass ein Staat wie Deutschland in diesen Zeiten besser nach ähnlichen Prinzipien wie ein Großunternehmen á la VW-Konzern zu führen wäre? Was bemängeln Sie am aktuellen Regierungsstil konkret?

Stackmann: Seien wir ehrlich: Um die Zukunft des Standorts Deutschland muss man sich Sorgen machen. Uns fehlt es an klarer und eindeutiger Führung – eine attraktive, breit getragene, vorwärtsgerichtete Perspektive für die zukünftige Entwicklung ist nicht erkennbar. Die Covid-Krise hat für mich gezeigt, das sich unser Land nicht mehr konsequent und stringent führen lässt – der an sich richtige und wichtige Föderalismus hat sich über die Jahre anscheinend verselbstständigt und frisst sich mittlerweile in zu viele politische Entscheidungen hinein, die man vielleicht besser an einer einzigen Stelle treffen kann. Er wirkt lähmend, nicht beschleunigend.

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Ein Beispiel dafür ist auch die augenscheinliche „Unfähigkeit“, Deutschlands Großprojekte in den Griff zu bekommen. Es gibt zu viele „Köche“, keine klare Führung, keine klare Zuordnung der Verantwortung für wichtige Prozesse. Wir laufen von Kompromiss zu Kompromiss und orientieren uns nicht mehr an einer klaren gemeinsamen Ausrichtung. Und Deutschland bringt nichts Bedeutendes mehr voran – an welche „großen Würfe“ der Politik können wir uns denn erinnern? Also an Richtungsentscheidungen, die das Leben der Bürger und die Entwicklung des Landes nachhaltig positiv beeinflusst haben?

Sie vermissen die klare strategische Linie? Einen übergeordneten Entwurf?

Beides fehlt schmerzlich, ja. Wir orientieren uns an Wahlzyklen, Koalitionen, Kompromissen. Der Motor Deutschlands ist und bleibt die starke Wirtschaft. Mit Großunternehmen, aber auch den vielen kreativen und agilen Unternehmen des Mittelstandes. Deren Energie muss positiv und durch eindeutige politische Richtungsentscheidungen kanalisiert und geführt werden, um langfristig wirkende Investitionen wieder in vollem Umfang freizusetzen.

Das Bedenklichste aber ist: Deutschland hat keinen Masterplan. Mir fällt einfach nichts ein, wofür Deutschland im internationalen Wettbewerb in zehn bis fünfzehn Jahren noch stehen will. Gewiss, funktionierender Sozialstaat oder Exportweltmeister, das sind Begriffe, die sich bis heute mit unserem Land verbinden. Wie aber wie sieht es damit 2030 oder 2035 aus?

Vor Fragen solcher Tragweite, so Ihre These, standen und stehen auch Unternehmen wie der VW-Konzern, der ja wie andere Autohersteller auch eine tiefgreifende Transformation bewältigen muss.

Das ist so. Erfolgreiche Unternehmen – und dazu zähle ich explizit auch meinen ehemaligen Arbeitgeber VW – entwickeln in zyklischen Abständen langfristige Unternehmensstrategien und Implementierungspläne, die eine globale Wettbewerbsfähigkeit oder gar Überlegenheit herstellen sollen. Diese Planungen können organisch enstehen, das geschieht in der Regel in guten Zeiten.

Oder sie werden durch einen starken internen oder externen Impuls initiiert. Letzteres war bei VW durch den Dieselskandal der Fall. In jedem Fall jedoch orientieren sich diese Planungen nicht an typischen Management-Zyklen der handelnden Personen, also drei bis fünf Jahre, sondern überspannen zwei bis drei dieser Zyklen. In vielen Industriezweigen wirken erfolgte Investitionen in Produkte und Anlagen zeitlich erst nach Übergabe des Management-Zepters an die Nachfolgeneneration. Im Automobilbereich oft nach rund vier bis fünf Jahren. Dieses Prinzip lässt sich doch auch auf die Führung eines Landes übertragen – wir müssen lernen, wieder wahlperiodenübergreifend zu planen und handeln.

Was macht denn vielversprechende und belastbare Vorhaben überhaupt aus – ob in der Wirtschaft oder in der Politik?

Ein guter Strategieplan konzentriert zunächst sich auf nur ganz wenige Prioritäten, Bausteine und Zielsetzungen, die den Kurs für die Organisation vorgeben. Was wollen wir wann als Unternehmen respektive Land erreicht haben? Wofür wollen wir stehen? Welche strukturellen zukünftigen Erfolge sichern den Wohlstand der kommenden Generation? Diesen Top-Zielen folgen Teilziele und Implementierungsschritte. Dazu gehören auch die Dinge, die wir bewusst runterfahren wollen, um die Erreichung der Top-Ziele finanzieren zu können.

Übertragen auf den Standort Deutschland – was fordern Sie?

Als unverzichtbare Basis ein digitales Netz auf Weltniveau bis spätestens 2030; zwei Wahlperioden sollten dafür ausreichen. So ein „Deutschland-Plan Digitalisierung“ muss ein stabiles und schnelles Netz an alle Orte der Republik bringen. Sozusagen als „Grundrecht“ für alle Bürger und Unternehmen. Wir müssen schnell jeden Ort an modernste digitale Infrastruktur anschließen. Deutschland macht sich diesbezüglich heute im internationalen Vergleich fast schon lächerlich. Bei der jetzigen digitalen Vernetzung ist es kaum vorstellbar, dass wir in diesem Land zum Beispiel jemals autonom fahrende Fahrzeuge rollen lassen können.

Das allein aber reicht nicht für eine nachhaltige Mobilität.

Eben, daher brauchen wir auch einen „Deutschland-Plan Zero Emissions“. Der sollte globale Problemstellungen, vor allem die Reduzierung von CO2-Emissionen, aufnehmen und konsequent in langfristigen positiven Schwung für Deutschland umwandeln. Für mich steht klipp und klar fest: Der „Green Deal“ der EU muss durch einen langfristigen „Green Deal Deutschland“ ergänzt werden. Die Zeit dafür ist reif. Die weltweite Priorität „CO2-Emissionen“ schnell und nachhaltig zu senken, das kann enorme positive Energie freisetzen.

Und wie müsste die Details dahinter dann aussehen?

Hier sollten wir uns fragen, wie man über die Dauer von vier bis fünf Wahlperioden, also bis zu 20 Jahren, den deutschen CO2-Footprint so nahe wie möglich nahe Null bringen kann. Wir brauchen einen Ziel-Footprint für die großen CO2-Emittenten Verkehr, Energieerzeugung, Stahl und Zement, Wohnungsbau. Aber neben den Zielen muss die Politik jetzt auch mutig Richtungsentscheidungen treffen, um neuen Technologien schnell zu vollem Momentum zu verhelfen. Die Richtung für PKW ist mit den E-Fahrzeuge schon vorgegeben, den ÖPNV kann man schnell Richtung Zero Emissions bewegen, auch der Güterverkehr auf den Straßen der EU wird wohl auf elektrische Antriebslösungen gehen. Wie es dann nach diesen 20 Jahren technisch weitergeht, kann man in rund 10 Jahren planerisch anschieben.

Welche Hürden wären dabei zu nehmen?

Zum einen müssen wir die notwendige Ladeinfrastruktur und Ladestandards schnell aufbauen, um den Umstieg auf die E-Mobilität innerhalb weniger Jahre zu ermöglichen. Es braucht aber auch etwa ein gezieltes Erneuerungsprogramm für Busse im ÖPNV. Zum anderen brauchen wir nachhaltige, also nicht-fossile Energieträger wie grünen Wasserstoff, synthetische oder abfallbasierte Brennstoffe zur Umstellung der weiteren großen Emittenten im Flug- und Schiffsverkehr, aber etwa auch in der Stahlerzeugung und Zementherstellung. Steuersysteme müssen konsequent so umgebaut werden, dass diese „gesetzten“ Technologien maximale Wirkung entfalten – logischerweise zulasten fossiler Brennstoffe.

Woran hapert es noch?

Die technischen Lösungen liegen auf dem Tisch. Leider fehlt es an eindeutigen politischen Richtungsentscheidungen, um die unternehmerische Energie und Fähigkeiten des Landes maximal zur Wirkung kommen zu lassen. Deutschland kann und soll „Weltmarktführer Green Tech“ werden. Aber dazu benötigen wir jetzt glasklare Festlegungen und endlich den Mut zur Entscheidung - also auch bewusst den Mut, Wahlen zu verlieren. Wobei ich glaube, das diejenige Kraft, die einen attraktiven, klaren und nachvollziehbaren Plan verfolgt, keine Angst vor Wahlniederlagen haben muss.

Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die zahlreichen Organe der Administration?

Dass wir sie schleunigst zu verschlanken, digitalisieren und vernetzen haben. Ein „Deutschland-Plan Administration“ muss sich zum Ziel setzen, einheitliche nationale Regelungen zu schaffen. Erst dann können sich die Bürger des Landes agil bewegen, schnelle und pragmatische Lösungen bekommen. Obendrein werden die Kosten unserer Administration so deutlich gesenkt. Freigesetzte Ressourcen sollten in Projekte wie Digitalisierung und Zero Emissions gesteckt werden. Im Gegenzug müssen wir als Bürger nationale Transparenz unserer persönlichen Daten zulassen – den Effekt von Überregulierung persönlicher Daten erleben wir doch alle gemeinsam gerade in der Covid-Pandemie.

Kommt bei Ihren Vorschlägen nicht die junge Generation zu kurz?

Nein. Denn ich fordere ja auch ganz ausdrücklich Weltklasse-Bildung - auch dies sollte im Konsens in zwei Wahlperioden machbar sein. Dabei geht es um ein Vorhaben von größter Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland: Ein „Deutschland-Plan Bildungswesen“ muss dringend die gegenwärtige Bildungsmisere in einen „Masterplan Bildungsoffensive für alle“ wandeln. Unabhängig von der Finanzkraft und gegenwärtiger politischer Konstellation der Bundesländer. Das bedeutet, dass der Bund führt und an dieser Stelle die Bundesländer ins zweite Glied rutschen, mit nur noch eingeschränkten Mitspracherechten.

Dieser Masterplan muss sich sowohl an den besten Schulsystemen der Welt ausrichten – in der Wirtschaft würde hier an von Benchmarking sprechen – , als auch an den besten Lösungen in Deutschland. Über alle Bundesländer hinweg, wohlgemerkt. Er darf sich also nicht wegen der unterschiedlichen Finanzkraft der Bundesländer auf einen schwachen Kompromiss beschränken.

Was versprechen Sie sich von diesem Masterplan?

Wir müssen jede Schule erreichen, in wirklich allen Orten unseres Landes. Der Wohnort und die soziale Lage dürfen nicht über die Qualität der Schule und Bildung entscheiden. Jede Schule muss eine moderne digitale Infrastruktur, gehobene Ausstattung – eben unbedingt auch für ihre Schüler –, moderne Lehrpläne und gut ausgebildete, digital fähige Lehrkörper erhalten. Bei Letzterem gehe ich sogar noch weiter, weil Bildung eine, vielleicht sogar DIE Schlüsselressource der Zukunft ist: Die Aus- und Fortbildung von LehrerInnen muss nationale Priorität erhalten. Alle Schüler, unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft, bekommen staatlich garantiert die gleichen Bildungschancen. Ich bin fest überzeugt: Diese Vorgehensweise bringt positives Momentum in alle Ortschaften Deutschlands!

Herr Stackmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.