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Deutschland nach Corona: Welche Regionen am besten aus der Krise kommen

Der Mangel an Arbeitskräften hemmt zunehmend das Wachstum. Es gewinnen Regionen, die attraktiv für junge Menschen sind – und dabei gibt es viele Überraschungen.

Boom im Berliner Speckgürtel. Foto: dpa
Boom im Berliner Speckgürtel. Foto: dpa
  • Wie wird sich die deutsche Wirtschaft nach der Coronakrise entwickeln? Das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos hat exklusiv für das Handelsblatt eine Wachstumsprognose bis zum Jahr 2030 errechnet – heruntergebrochen bis auf Landkreisebene.

  • Ein großer Gewinner des kommenden Jahrzehnts ist demnach Rostock. Freising leidet wie keine andere Region in Deutschland unter dem eingebrochenen Flugverkehr, wird sich aber voraussichtlich wieder erholen. Und nirgends sind die Wachstumsaussichten düsterer als im thüringischen Suhl. Drei Fallbeispiele.

  • „Der demografische Wandel wird voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen“, sagt Christian Böllhoff zu den Ergebnissen der Studie. Im Interview spricht der Prognos-Chef über den langsamen Aufschwung nach der Krise – und darüber, wie sich Reisegewohnheiten dauerhaft verändern werden.

Am Buchstaben V erkennt man in der Coronakrise die Optimisten. V steht für Victory, Sieg. Und zugleich beschreibt das V den bestmöglichen Konjunkturverlauf in der Pandemie: Auf den heftigen Einbruch der Wirtschaft im zweiten Quartal 2020 folgt spätestens ab 2021 eine ebenso rasche Erholung.

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Spätestens wenn ein Impfstoff gegen das Virus gefunden ist, wird das ausgefallene Wachstum aus der Zeit des Lockdowns in den kommenden Jahren durch entsprechend höhere Wachstumsraten ausgeglichen – so die Vision der Optimisten.

Spätestens gegen Ende des Jahrzehnts soll die deutsche Volkswirtschaft den zuversichtlichen Prognosen zufolge dasselbe Bruttoinlandsprodukt (BIP) erzielen, das sie auch bei kontinuierlichem Wachstum ohne Coronaknick erreicht hätte. Eine schöne, eine beruhigende Vorstellung. Aber auch eine realistische?

Die Experten vom Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos haben exklusiv für das Handelsblatt eine Wachstumsprognose errechnet, die über die üblichen zwei bis drei Jahre hinausgeht. Prognos blickt auf die Wachstumsaussichten bis 2030 und bricht diese Prognose bis auf die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte herunter. Es entsteht eine detaillierte ökonomische Landkarte der Bundesrepublik in den Jahren nach Corona. Drei Dinge fallen auf dieser Landkarte ins Auge:

  • Das fehlende Wachstum der Corona-Jahre wird bis 2030 nicht vollständig ausgeglichen.

  • Hauptgrund: Der Mangel an Arbeitskräften begrenzt ab 2025 die Expansion der Wirtschaft.

  • Der Arbeitskräftemangel schafft neue Gewinner- und Verliererregionen. Das stärkste Wachstum weisen jene Städte und Landkreise auf, die auch in Zukunft Menschen im erwerbsfähigen Alter anziehen.

1. Deutschlands neue Gewinnerregionen

So wie zum Beispiel Rostock. Die Hafenstadt an der Ostsee galt nach der Wende lange Zeit als Synonym für ostdeutsche Tristesse, doch das ist vorbei. Für Prognos zählt Rostock zu den Top Ten der wachstumsstärksten Regionen Deutschlands (siehe Karte).

Ein Blick in die von Prognos ausgewerteten Einzelindikatoren macht deutlich, worin Rostocks Stärke besteht: Die Stadt zählt zu den 15 Regionen in Deutschland, die bis 2030 überhaupt noch einen Zuwachs an Erwerbstätigen verzeichnen können (siehe Karte).

Dafür sorgen unter anderem Menschen wie Jonas Flint. 2016 gründete der gebürtige Rostocker aus der Promotion heraus seine Softwareentwicklungsfirma DEJ Technology, die inzwischen 16 Mitarbeiter beschäftigt. „Die Gründeratmosphäre hier ist bodenständig“, erzählt der 33-Jährige. „Rostock wird in der Öffentlichkeit als Start-up-Stadt völlig unterschätzt.“

Was auch daran liegen könnte, dass die bekannteste Gründung der Stadt nicht in Deutschland börsennotiert ist: Das Rostocker Biotech-Unternehmen Centogene, das unter anderem Corona-Testzentren an mehreren deutschen Flughäfen betreibt, ging lieber gleich an die US-Technologiebörse Nasdaq.

Auffällig ist, mit welchen anderen Städten sich Rostock die Plätze in den Top Ten der wachstumsstärksten Regionen teilt. Die beiden Spitzenplätze belegen zwei Landkreise im Berliner Speckgürtel: Dahme-Spreewald und Oder-Spree. „Da haben wir es mit einem BER- und einem Tesla-Effekt zu tun“, sagt Michael Böhmer, Chefvolkswirt von Prognos. Die neue Fabrik des US-Elektroautobauers und der neue Berliner Großflughafen werden allein für mehrere Zehntausend neue Arbeitsplätze im Berliner Umland sorgen.

Zugleich wird durch den Trend zum Homeoffice auch das Wohnen im Speckgürtel der Metropolen wieder attraktiver: Wer nicht mehr fünfmal, sondern vielleicht nur noch dreimal pro Woche in die Innenstadt pendeln muss, kann auch einen weiteren Weg zur Arbeit in Kauf nehmen.

Neben Rostock finden sich mit Potsdam, Leipzig, Regensburg und Darmstadt drei weitere Großstädte aus der zweiten Reihe in den Top Ten, ferner gleich drei Landkreise im Münchener Umland: Dachau, Ebersberg und Erding.

München selbst hingegen fehlt unter den Topregionen, ebenso wie alle anderen westdeutschen Wirtschaftszentren. Nicht die üblichen Verdächtigen sind also die Wachstumschampions der Post-Corona-Ära, sondern laut Prognos vor allem eine Handvoll Vororte und einige mittelgroße Universitätsstädte. Wie kann das sein?

2. Was künftig für Wachstum sorgt

Hinter der neuen Rangordnung steht ein Wachstumsparadigma, das sich in den kommenden Jahren grundsätzlich ändern wird. Zunächst einmal sieht alles noch recht vertraut aus: Prognos geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 um deutlich mehr als sechs Prozent sinkt – nicht zuletzt weil die zweite Pandemiewelle die im Sommer angelaufene wirtschaftliche Erholung vorerst gestoppt hat.

Die Bundesregierung ist etwas optimistischer und geht auf Grundlage der Herbstprojektion von minus 5,5 Prozent aus. 2021 wächst die deutsche Wirtschaft dann laut Prognos um vier Prozent (Bundesregierung: 4,4 Prozent) und 2022 um 2,5 Prozent.

Nach dieser Erholungsphase schwenkt die deutsche Volkswirtschaft laut Prognos auf einen mittelfristigen Wachstumspfad von rund einem Prozent pro Jahr ein, so sieht es auch die Bundesregierung. Vor Corona betrug dieses Trendwachstum „eher 1,2 Prozent“, so Prognos-Geschäftsführer Christian Böllhoff.

Das Vorkrisenniveau bei der Wirtschaftsleistung erreicht Deutschland demnach erst wieder 2023. Auch hier ist die Bundesregierung deutlich optimistischer, sie sieht dieses Niveau bereits 2022 wieder erreicht. Wirtschaftsminister Peter Altmaier rechnet damit im besten Fall bereits für den Jahreswechsel 2021/22.

Der Prognoseunterschied hat langfristige Auswirkungen. „In Summe fehlen uns zwischen drei und vier Jahren Wachstum“, sagt Prognos-Chefvolkswirt Michael Böhmer. Anders als die Optimisten von der V-Fraktion sieht Böhmer „nicht, dass Deutschland dieses verlorene Wachstum bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts vollständig wieder aufholen kann“.

Der Hauptgrund, warum die Erholung unvollständig verläuft: Ab der Mitte des Jahrzehnts gibt es schlicht zu wenig Arbeitnehmer, um die Wirtschaftsleistung schneller zu steigern. „Der demografische Wandel schlägt voll auf den Arbeitsmarkt durch. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen dann allmählich in Rente, und Deutschland verliert Jahr für Jahr 500.000 Arbeitskräfte“, sagt Böllhoff.

In der Summe wird die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland laut Prognos-Prognose zwischen 2019 und 2030 um sieben Prozent zurückgehen. Ein kleiner Teil davon dürfte sich ausgleichen lassen, indem Teilzeitbeschäftigte künftig ein paar Stunden mehr arbeiten. Ein etwas größerer Teil durch technischen Fortschritt, der die Wertschöpfung je Arbeitsstunde im Schnitt um ein Prozent pro Jahr steigen lässt. Doch es bleibt das Fazit: In Deutschland nach Corona sind nicht Arbeitsplätze knapp, sondern Arbeitskräfte, und das beschränkt auf Dauer die Wachstumsmöglichkeiten.

In Zukunft reicht es für eine Region nicht mehr aus, lediglich attraktiv für Arbeitgeber zu sein. Günstige Gewerbeflächen, niedrige Gewerbesteuersätze und eine Autobahn bis vors Werkstor: Das war das alte Paradigma der Wirtschaftsförderung, als es vor allem galt, Unternehmen zu den Menschen zu locken. Nun wird es mindestens ebenso wichtig, die Menschen zu den Unternehmen zu holen.

Dazu muss das Gesamtpaket stimmen. Eine Region, die auch in Zukunft wachsen will, braucht weiterhin attraktive Arbeitsplätze. Aber ebenso wichtig sind inzwischen halbwegs erschwinglicher Wohnraum und eine hohe Lebensqualität. Davon profitieren die Umlandkreise von Berlin und München. In den Metropolen selbst hingegen verläuft das Wachstum nicht mehr ganz so stürmisch. Für viele Branchen sind dort inzwischen die Gewerbeflächen zu teuer und die Löhne zu hoch.

Zugleich zeigt sich noch ein anderer Effekt: So wie viele Familien aus den teuren und anstrengenden Metropolen in den Speckgürtel fliehen, verlassen andere das zunehmend entvölkerte platte Land und ziehen in die nächstgelegene größere Stadt, wo es Jobs, weiterführende Schulen, Fachärzte und Kulturleben gibt.

„Mittelgroße Städte, die in vergleichsweise dünn besiedelten Regionen liegen, entwickeln eine zunehmende Sogwirkung auf ihr Umland“, erläutert Olaf Arndt, Regionalspezialist bei Prognos. Wichtiger Magnet ist in solchen Städten oft die Hochschule: Schulabgänger ziehen zum Studium in die nächste Großstadt und bleiben dort nach dem Examen hängen – vorausgesetzt, es lässt sich dort gut leben und arbeiten.

In Rostock scheinen diese Bedingungen erfüllt zu sein. Ähnlich sieht es zum Beispiel in Jena oder Kiel aus, beide Städte belegen ebenfalls Spitzenplätze in der Prognos-Wachstumsrangliste.

3. Welchen Regionen der Abstieg droht

Doch wo eine attraktive Hochschule als Anziehungspunkt fehlt, droht auch mittelgroßen Städten in dünn besiedelten Regionen der Abstieg. So zum Bespiel im thüringischen Suhl.

Die kreisfreie Stadt am Südhang des Thüringer Waldes hat seit der Wende so viele Menschen durch Abwanderung verloren wie keine andere – 20.000 nämlich. Von den verbleibenden 36.000 Einwohnern ist jeder Dritte 65 Jahre oder älter. So hoch ist das Durchschnittsalter in keiner anderen deutschen Region.

Die Zahl der erwerbstätigen Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren soll bis 2030 um weitere 30 Prozent zurückgehen, schätzen die Prognos-Forscher, die ohnehin schwache Wirtschaft nochmals um 4,5 Prozent schrumpfen. Damit steht Suhl in der Prognos-Rangliste an letzter Stelle (siehe Grafik).

Während sich in der Spitzengruppe der wachstumsstärksten Regionen viele Überraschungen zeigen, bleiben diese unter den zehn Schlusslichtern des Rankings aus. Neben Suhl als kreisfreier Stadt auf dem letzten Platz finden sich hier ausschließlich dünn besiedelte Landkreise in Ostdeutschland.

Leben lässt es sich in diesen Gegenden zwar billig, aber das allein reicht nicht als Zukunftsperspektive. Die Abwärtsspirale aus fehlenden Arbeitsplätzen, schrumpfender Bevölkerung und schwindender Infrastruktur ist in diesen Regionen zu weit fortgeschritten, als dass sie sich kurzfristig umdrehen ließe.

Zumal der Trend zum Homeoffice nach Einschätzung von Prognos nicht dazu führen wird, dass die Bundesbürger massenhaft der Landlust verfallen. „Auch wer nicht mehr jeden Tag ins Büro fährt, sucht weiterhin die Nähe zur städtischen Kultur und den beruflichen Netzwerken, die dort zu finden sind“, sagt Prognos-Chef Christian Böllhoff. „Man zieht vielleicht ein bisschen weiter in den Speckgürtel raus, aber nicht gleich aufs platte Land.“

4. Die kurzfristigen Corona-Folgen

Gedanklich gilt es, die langfristigen Entwicklungsperspektiven der Regionen von den unmittelbaren Corona-Auswirkungen zu trennen – beides hat wenig miteinander zu tun. So manche Problemregion konnte sich kurzfristig sogar als Coronagewinner fühlen. In Suhl zum Beispiel brach die Wirtschaftsleistung im Corona-Jahr 2020 deutlich weniger stark ein als in vielen wirtschaftsstärkeren Städten oder Landkreisen.

Auch die Wirtschaft in der Uckermark hat die unmittelbare Coronakrise vergleichsweise glimpflich überstanden. Ein Zeichen von Stärke ist das allerdings nicht. „Wo wenig ist, kann in der Krise auch wenig wegbrechen“, analysiert Böllhof. In vielen Problemregionen besteht die Wirtschaft nämlich inzwischen vor allem aus pandemieresistenten Supermärkten und öffentlichen Arbeitgebern.

Umgekehrt gilt: Ansonsten intakte wirtschaftsstarke Regionen, die durch die unmittelbare Coronakrise besonders getroffen werden, dürften sich nach der Krise rasch wieder erholen. Das trifft zum Beispiel auf Freising zu. Der Landkreis nördlich von München umschließt den Großflughafen Franz Josef Strauß, auf dem seit März fast gar nichts mehr geht.

Entsprechend stark ging die Wirtschaftsleistung im Landkreis zurück – nicht nur auf dem Flughafen selbst, sondern zum Beispiel auch in den vielen Hotels ringsum. „Die Auswirkungen der Pandemie werfen uns um zwei Jahre zurück“, sagt Freisings Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher.

In normalen Zeiten sorgt der Münchener Flughafen allein in den umliegenden Kreisen für eine Bruttowertschöpfung von 4,6 Milliarden Euro, hat der Airport errechnet. „Das ist ein noch nie da gewesener Schock für die Region“, analysiert Robert Obermeier, Chefvolkswirt der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Zugleich ist er sicher, dass in Freising nicht die Lichter ausgehen: „Der Landkreis ist integraler Bestandteil des prosperierenden Großraums München und wird nach Ende der Pandemie wieder eine erhebliche wirtschaftliche Attraktivität haben.“

So sehen es auch die Forscher von Prognos. Sie rechnen zwar nicht damit, dass die Luftfahrtbranche in den kommenden Jahren wieder zu alter Stärke zurückfindet. Doch Freising wird die Verluste ausgleichen können und es bis 2030 wieder auf Platz 61 der wachstumsstärksten Regionen geschafft haben.

Ähnlich stark getroffen wie den Luftfahrt-Standort Freising hat es 2019 die Zentren der deutschen Autoindustrie. Zum Coronaschock kam der Wandel der Branche: Auf den Trend zur Elektromobilität und die immer strengeren EU-Klimaschutzauflagen sind die drei großen deutschen Autokonzerne bislang nur unzureichend vorbereitet.

Das bedroht auch das Geschäft der Zulieferer. Entsprechend sind es noch vor Freising vor allem die Automotive-Standorte, die 2019 den größten Verlust bei der Bruttowertschöpfung hinnehmen mussten: Die Volkswagenstadt Wolfsburg, der weltgrößte BMW-Standort Dingolfing-Landau und die Audi-Heimat Ingolstadt.

Auch hier sind die Prognos-Experten zuversichtlich, dass auf den Umbau der Branche nicht der Absturz folgen wird. Für Ingolstadt (Platz 42) und Wolfsburg (Platz 73) prognostizieren sie bis 2030 ein Wachstum oberhalb des Bundesschnitts. Für Dingolfing (Platz 109) immerhin eine durchschnittliche Entwicklung. Doch vieles wird für diese drei Städte daran hängen, wie gut VW, Audi und BMW der Umstieg auf eine klimafreundlichere Produktpalette gelingt.

5. Ein Turnaround für Deutschland?

Kann in Deutschland insgesamt ein ähnlicher Turnaround gelingen, wie ihn die Autobranche nun angeht? Für die Bundesrepublik ergeben sich aus der Prognos-Studie drei Optionen. Das Land kann sich entweder in sein Schicksal fügen und sich mit dem allmählich sinkenden Trendwachstum abfinden. Die Bundesrepublik würde den japanischen Weg gehen, würde allmählich vom Land der Denker zum Land der Rentner. Verteilungskonflikte könnten nicht mehr durch Wachstum ausgeglichen werden, der Staat müsste sie mit zusätzlichen Ausgaben zuschütten. Das Einzige, was in diesem sklerotischen Stadium noch wächst, sind die Staatsschulden.

Verglichen mit dieser stillen Kapitulation ist die zweite Option deutlich anstrengender, ihre Perspektiven dafür erfreulicher: Die Politik begreift es als ihre Kernaufgabe, der eigenen Volkswirtschaft möglichst viel Arbeitskraft zu erhalten. Das funktioniert über eine Zuwanderungsstrategie, bei der um qualifizierte Migranten mindestens so engagiert geworben wird wie bislang um ausländische Direktinvestitionen.

Zusätzlich müssen die bereits im Land vorhandenen Arbeitskräfte besser mobilisiert werden: Transferempfänger, die mehr arbeiten wollen, dürfen dafür nicht länger durch hohe Abzüge von ihren staatlichen Leitungen bestraft werden. Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat gerade erst wieder gezeigt, wie verbreitet solche Fehlanreize im deutschen Sozialsystem sind.

Arbeitslose, Geringverdiener, Alleinerziehende, Rentner oder Verheiratete, die vom Ehegattensplitting profitieren: Für all diese Gruppen ist es oftmals attraktiver, gar nicht zu arbeiten oder nur einen Minijob auszuüben – selbst wenn sie ihre Stundenzahl gern aufstocken würden.

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Der dritte Weg schließlich besteht darin, die Arbeit in Deutschland produktiver zu machen. Wenn der Output pro Arbeitsstunde steigt, kann auch bei einer sinkenden Beschäftigtenzahl das Wachstum hochgehalten werden. Das erfordert Investitionen in die Bildung, die wirklich bei den Kindern und Jugendlichen ankommen.

Dann könnten mehr Schulabgänger Berufe mit hoher Wertschöpfung ergreifen, während sich gering qualifizierte Tätigkeiten zunehmend automatisieren ließen. Auch Investitionen in die digitale Infrastruktur dienen diesem Ziel. Sie ermöglichen neue digitale Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung pro Beschäftigten.

Die Optionen zwei und drei schließen sich nicht gegenseitig aus, sie ergänzen sich. Beide Wege halten viele Zumutungen bereit. Doch sie werden Deutschland langfristig zu einem zufriedeneren Land machen. Eines, in dem das V gleich zweifach für „Victory“ steht: Für den Sieg über die Coronakrise – und über den schleichenden Weg in die Stagnation.
Mitarbeit: Michael Scheppe