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Die Deutschen reisen teurer und aufwändiger

Undertourism, Vorfahren suchen, Flüge buchen per Sprachassistent, Hotels mit Schlafrobotern und natürlich: „authentische Erlebnisse“ vor Ort – sechs wegweisende Trends der Tourismus- und Reiseindustrie.

Eigentlich müsste die Reisebranche dieser Tage mit gesenktem Kopf gehen. Nachdem Reiseverzicht aus Flugscham lange Zeit die öffentliche Debatte prägte, streichen nun Fluggesellschaften aus Angst vor den Folgen des Coronavirus reihenweise Verbindungen. Doch derzeit deutet nichts auf ein Ende des Reisebooms hin. Im Gegenteil: „Wir bekommen wahrscheinlich ein neues Rekordjahr“, erwartet ein führender deutscher Reisemanager, der angesichts der unübersichtlichen Lage allerdings lieber anonym bleiben will.

Nach einer Reihe von hohen Umsatzzuwächsen legte die Branche in Deutschland im vorigen Jahr bereits um gut ein Prozent zu, obwohl wegen der Pleite des Großveranstalters Thomas Cook viele Urlauber nicht wie geplant reisen konnten. In diesem Jahr könnte es sogar ein Plus von zwei Prozent geben. „Die Leute reisen nicht unbedingt mehr, aber im Schnitt zu höheren Preisen“, sagt der Reisemanager. In Zahlen bedeutet das: Im vergangenen Jahr unternahmen 61 Prozent der Deutschen eine Reise, die wenigstens fünf Tage dauerte. Ein Prozentpunkt weniger als im Rekordjahr 2018. Das ist das Ergebnis der 36. deutschen Tourismusanalyse, vorgestellt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Finanziert wird die 2007 in Hamburg gegründete Stiftung von der Londoner Tabakfirma British-American Tobacco. Mit diesem Wert von 61 Prozent verbleibe die Reiseintensität der Deutschen „auf einem hohen Niveau“, schreiben die Studienautoren.

Am liebsten verreisen die Bundesbürger nach wie vor innerhalb Deutschlands: 34 Prozent verbrachten ihren Urlaub in der Heimat. Doch gleichzeitig buchten die Deutschen noch nie mehr Fernreisen als im vergangenen Jahr (17 Prozent). Und die Prognose des Instituts ist eindeutig: Die Reisen werden teurer und aufwändiger. Dafür sorgt vor allem das immer breitere Angebot der Branche. Zwar ist die beliebteste Urlaubsart immer noch der Familienurlaub rund ums Mittelmeer – mit voller Verpflegung bis zu All inclusive und über das Reisebüro gebucht. Hierfür entscheidet sich immer noch fast die Hälfte aller Kunden. Fast jeder zehnte Urlauber bucht zudem eine Kreuzfahrt. Und was die Branche besonders freut: Die 2,5 Millionen Deutschen gaben für die Reise auf dem Schiff mit im Schnitt gut 200 Euro pro Tag deutlich mehr aus als Hotelurlauber.

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Doch unterm Strich prägen längst immer individuellere Angebote die Branche. „Individualität statt Mainstream lautet das Motto vieler Urlauber“, sagt Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung: „Immer reiseerfahrener wollen sie wieder mehr Authentizität, Atmosphäre und individuelle Angebote vorfinden, als austauschbare Bettenburgen an überfüllten Stränden.“

Die WirtschaftsWoche stellt sechs wegweisende Trends der Reisebranche vor: drei wachstumstreibende Inhalte und drei Technologien, die zumindest in der Tourismusbranche vor dem Durchbruch stehen.

1. Nachhaltigkeit – Reisen als Zukunftssicherung

Umweltbewusst reisen ist eigentlich ein alter Hut. Spätestens seit sich 1998 gut 100 Veranstalter im Forum Anders Reisen gemeinsam vermarkten, ist das Angebot leicht zu finden. Doch über die Jahre wurden aus kaum massentauglichen Ferien mit Kameltreckking oder Rucksacktouren in Mittelschweden Mainstreamangebote. Dafür sorgt nicht zuletzt, dass sich die großen Veranstalter wie Tui vermehrt um das Thema kümmern und zeigen, dass nicht nur bei Urlaubs-Verzicht oder Bahn-Wandern genannte Touren der ökologische Fußabdruck geringer ausfällt als beim normalen Fernurlaub. Auch größere Hotelanlagen können nachhaltig wirtschaften und die Menschen vor Ort besser unterstützen als Entwicklungshilfe, betont etwa Tui-Chef Fritz Joussen. „Die Dominikanische Republik ist ein beliebtes Reiseziel und steht deshalb bei Kindersterblichkeit, Ausbildung und anderen Messgrößen für Lebensqualität viel besser da als das benachbarte Haiti.“

2. Erlebnisse – die sogenannten „Experiences“

Fast ebenso wichtig ist Joussen das Thema Erleben. Hier setzt er zum einen auf ein breiteres Angebot innerhalb der Hotels bis hin zu ungewöhnlichen Wellness-Angeboten wie den Brainkinetik-Kursen für eine bessere Gehirnleistung, wie sie die Blue-Hotels der Tui anbieten. Das größte und vor allem profitabelste Wachstum versprechen Ausflüge und andere Unternehmungen am Urlaubsort. „Im Reisegeschäft machen wir bei rund 900 Euro Umsatz pro Kunde im Schnitt 18 Euro Ertrag“, rechnet Joussen vor. „Die erreichen wir bei einer Aktivität schon bei einem Umsatz von 40 Euro.“

Kein Wunder, dass sich nun fast alle Reiseunternehmen vom Berliner Start-up Getyourguide bis zur weltgrößten Bettenbörse Booking.com dem Thema widmen. So hat etwa der US-Haus- und Wohnungsvermieter Airbnb (Umsatz: rund 2,35 Milliarden Euro) vergangene Woche eine neue Führungskraft für den erst 2016 geschaffenen Geschäftsbereich Experiences eingestellt: die langjährige Walt-Disney-World-Managerin Catherine Powell. Ihre Ernennung erfolgt, schreibt Airbnb, „weil die Verbraucher, insbesondere die Millennials und die Generation Z, sich zunehmend dafür entscheiden, ihre Zeit und ihr Geld eher für lokale, authentische Dinge zu verwenden als für Konsumgüter“. Laut dem Londoner Marktforscher Euromonitor dürften die weltweiten Ausgaben für den „Megatrend Experience“ von 5,8 Billionen US-Dollar im Jahr 2016 auf 8 Billionen Dollar im Jahr 2030 anwachsen.

Airbnb bietet etwa Pferdeflüstern mit Pferdetherapeuten in Barcelona an, oder „selbst gemachte Pasta mit einer italienischen Oma“, sowie „Musikgeschichte und Kultur mit einem DJ“ in Havanna. In zehn der bei Airbnb beliebtesten Städten, teilte das Unternehmen mit, sei die Anzahl der gebuchten Erlebnisse von 3800 im Januar 2019 auf über 7500 im Januar 2020 angewachsen. Und in einer Umfrage, die Airbnb in Auftrag gegeben hat, gaben mehr als die Hälfte der Befragten in unter anderem Mexiko, Frankreich, Deutschland, England, Australien und den USA an, dass sie lieber Geld für Erlebnisse und nicht für physische Güter ausgeben würden.

3. Reisen gegen den Trend

„Touristen sind immer nur die anderen“ – unter diesem Motto suchen immer mehr Urlauber Erholung abseits des Üblichen. Die finden sie zum einen im Undertourism – als Gegenbewegung zum Overtourism genannten Ansturm auf ohnehin schon überlastete Traumziele wie Barcelona, Amsterdam oder – bis vor Kurzem – Pekings Verbotene Stadt. Dazu zählen zum einen kaum bekannte Orte wie Colmar im Elsass mit seinen Venedig-verdächtigen Kanälen und auch Bergamo in Norditalien. Aber auch gänzlich unentdeckte Orte wie Odessa in der Ukraine oder auch Landschaften wie der Norden Albaniens mit seinen unberührten Tälern und Seen.

Ein weiterer Weg zu individuelleren und damit vom Kunden höher bezahlten Angeboten sind Inhalte, die auf den zweiten Blick nicht viel mehr sind als klassische Angebote mit einem neuen Namen. Hierzu zählen Trends um halb-englische Reizworte wie Skip-Gen-Travel (Großeltern reisen mit den Enkeln) oder DNA/Ancestry-Travel (Suche nach den eigenen Vorfahren). So nutzen in den USA laut einem Bericht des Massachusetts Institute of Technology viele US-Amerikaner die inzwischen günstig zu kaufenden privaten Erbgut-Tests dazu, ihre Herkunft zu bestimmen – und dann eine Reise in die Region ihrer Vorfahren zu buchen, in der Hoffnung, die eigenen Wurzeln besser zu verstehen.


Virtuelle Realitäten, Schlafroboter, Sprachassistenten

Ebenso sehr wie von mehr oder weniger neuen Inhalte lebt die Reisebranche von neuen „exponentiellen Technologien“, wie Simon Cox erklärt. Er muss es wissen: Cox ist Strategieberater für die Tourismusindustrie bei Publicis Sapient, einem US-Beratungsunternehmen für digitale Transformation. Cox hat bereits British Airways, Sky und den Flughafen Heathrow beraten. Er hat drei große Techniktrends ausgemacht, die im Tourismusgeschäft Widerhall finden dürften:

4. Erweiterte und virtuelle Realitäten

Die sogenannte erweiterte Realität („Augmented Reality“) und die virtuelle Realität („Virtual Reality“) sind nach wie vor nicht in der Fläche etablierte Techniken. Aber es bewegt sich etwas: Vor allem in der Spieleindustrie werden Virtual-Reality-Brillen zunehmend beliebter. Und auch in der Industrie steigen die Anwendungsmöglichkeiten, Caterpillar- oder Nasa-Techniker arbeiten etwa mit VR-Brillen. „Es liegt auf der Hand, dass die Technologie das Potenzial bietet, die Customer Experience exponentiell zu verbessern“, sagt Simon Cox, „besonders in einer Erlebnisbranche wie der Touristik.“ Reisende, sagt er, könnten also mittels einer VR-Brille 360-Grad-Touren durch Hotelzimmer unternehmen.

Dasselbe gilt für Reiseziele: „Interessenten können einen virtuellen Vorgeschmack auf ein Reiseziel bekommen und relevante Inhalte erfahren, die ihnen bei der Entscheidung für eine Destination helfen.“ Hotels und Reiseveranstalter könnten sich VR-Techniken zu Nutze machen, „um die Beziehung zwischen Kunde, Marke und Endprodukt in einem frühen Stadium zu vertiefen. Die Wahrscheinlichkeit steigt dadurch, dass ein Interessent das untere Ende des Verkaufstrichters erreicht und zum Käufer wird“.

Vereinzelt gibt es bereits Beispiele: Der hessische Reiseveranstalter Aldiana etwa hat mit Hilfe von Google ein solches Projekt bereits umgesetzt. Die Hotel- und Reise-Plattform Revfine.com hat zehn eindrucksvolle Beispiele von VR-Hotel-Touren aufgelistet. Die Münchner Firma Timeride-VR zeigt bereits seit ein paar Jahren, wie man mittels einer VR-Brille ein originelles Reise-Erlebnis schaffen kann: Besucher einer Timeride-VR-Tour sitzen etwa in einer Kölner Straßenbahn, schauen aber dank ihrer aufgesetzten VR-Brillen auf ein virtuelles Köln zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

5. Gesunder Schlaf im Urlaub

Die intelligente Gesundheitsvorsorge, die sogenannte „smart health“, wird noch smarter – so lautete zumindest ein Werbespruch auf der diesjährigen Technikmesse CES in Las Vegas. Viele große Unternehmen scheinen auf diesem Feld Potenzial zu entdecken. So schluckte beispielsweise die Google-Mutterfirma Alphabet kürzlich den Fitnessuhren-Hersteller Fitbit für 2,1 Milliarden US-Dollar. Konkurrent Apple dominiert den Markt bislang mit seiner Apple-Uhr. Ein Teil dieser Industrie ist die Überwachung und damit Optimierung des Schlafs. „Intelligente Matratzen werden die Art und Weise, wie wir sowohl zu Hause als auch in Luxushotels schlafen, verändern“, sagt Berater Simon Cox. Er vermutet: Hotels werden ihren Kunden in naher Zukunft Matratzen mit integrierter Schlaftechnologie bieten. „Mittels Matratzenschaum, bei dem Hard- und Software zusammenwirkt, lässt sich die Festigkeit der Matratze in den verschiedenen Schlafphasen anpassen.“

Auf Basis von Algorithmen lasse sich gar verhindern, „dass wir uns zur individuell bevorzugten Aufwachzeit im Tiefschlaf befinden. Dies ermöglicht uns ein frischeres, ausgeruhteres Erwachen.“ Es gibt bereits Hotels, die besonders schlafgeplagten Gästen etwa den niederländischen Schlafroboter Somnox anbieten: ein etwa 40 Zentimeter langes Kissen in Bohnenform, das den Atemrhythmus des Schlafenden nachahmt. Das soll beruhigend wirken und die Schlafqualität verbessern Nach einem Pilotprojekt mit dem Westcord Hotel im niederländischen Delft kooperiert Somnox bald mit einer internationalen 5-Sterne-Hotelkette, wie Somnox auf Anfrage mitteilt. Dann können Hotelgäste in 30 Häusern weltweit den Schlafroboter ausprobieren.

6. Sprachassistenten als Dolmetscher und Butler


Sprachassistenten wie etwa Amazons Alexa, Apples Siri oder Google Home werden zunehmend im Alltag eingesetzt. Nach einer Studie der Postbank vom vergangenen Sommer nutzt nun bereits jeder dritte Deutsche digitale Sprachassistenten. Und laut einer aktuellen Untersuchung des britischen Dienstleisters Quoracreative benutzen bereits mehr als die Hälfte aller Teenager in den USA täglich einen Sprachassistenten für eine Suchanfrage. Bis zum Jahr 2022, so schätzt Quoracreative, werde der Markt für sprachbasiertes Einkaufen auf über 40 Milliarden US-Dollar ansteigen. Was bedeutet das für die Tourismusindustrie? „Sprachassistenten können als Übersetzer oder als digitale Reiseführer fungieren“, sagt Simon Cox. „Diese Voice Interfaces können Reisende etwa mit Schlüsselbegriffen in der fremden Sprache unterstützen und ihnen in der unbekannten Umgebung wichtige Informationen liefern.“ Dies können Notdienste sein oder auch typische Sätze in der Landessprache, meint Cox. Die Alexa-Anwendung „Translated“ etwa bietet Amazon-Echo-Nutzern für solche Fälle Lösungen für 36 Sprachen.

Auch im Flug- und Hotel-Business halten Sprachassistenten Einzug. So hat etwa der Flughafen Heathrow für Amazons Alexa eine Anwendung entwickelt, mit der Passagiere die gewünschten Fluginformationen per Sprachbefehl anfordern können. Und die beiden US-Hotelketten Wynn und Marriott experimentieren ebenfalls mit Sprachassistenten. So ließ sich in einigen der Häuser via Siri- oder Alexa-Sprachbefehl das Licht dimmen, der Wecker stellen oder ein Spa-Termin reservieren. Und bereits Ende 2018 hat die in Frankfurt ansässige Deutsche Zentrale für Tourismus (Teil des Bundeswirtschaftsministeriums) die Alexa-Anwendung „Germany Travel Trips“ herausgebracht.