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Warum die Deutschen mit gutem Gewissen naschen wollen

„Vegan“ und „weniger Zucker“ sind die neuen Süßwaren-Trends. Die Branche ist weiterhin erfolgreich, doch sie kämpft mit steigenden Rohstoffpreisen.

The future is plant-based“ prangt in grünen Leuchtlettern auf dem Holzpalettenbau von Katjes. Die Fachbesucher der 50. Internationalen Süßwarenmesse (ISM) in Köln stehen Schlange, um von der veganen Schokolade „Chocjes“ zu probieren. Seit 2019 macht der Fruchtgummihersteller auch in Schokolade – mit Hafermilch statt Kuhmilch: „Cool ohne Kuh“ steht auf der 50-Gramm-Tafel.

Der provokante Werbetrickfilm mit dem Slogan „Kühe sind keine Milchmaschinen“ brachte Katjes viel Aufmerksamkeit. „Milchbauern haben sich wütend bei uns beschwert, aber die Reaktion fast aller Kunden auf Social Media war sehr positiv“, erzählt Gloria Blumhofer, Global Marketing Manager von Katjes. „Vegane Schokolade ist für uns ein großer Zukunftsmarkt und längst keine Nische mehr.“

„Katjes ist heute mit tierfreien Süßwaren sehr erfolgreich, zum Start vor zehn Jahren wurde die Firma dafür belächelt“, sagt Hans Strohmaier, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands Sweets Global Network. Wie sehr vegan im Trend liegt, zeigt auch die Zahl der anbietenden Aussteller auf der Messe, die von 383 im Vorjahr auf 496 gestiegen ist.

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Seit 2016 sind alle Katjes-Produkte 100 Prozent vegetarisch. „Tierische Gelatine hat in Fruchtgummi nichts zu suchen“, betont Blumhofer. Zu Bienenwachs jedoch gebe es derzeit keine ethisch vertretbare Alternative. Katjes Fassin wachse mit seiner Veggie-Strategie zweistellig, so Blumhofer. Zu Umsatzzahlen schweigt das Familienunternehmen traditionell.

Die Popularität von Süßwaren ist ungebrochen. Jeder Deutsche verspeist im Jahr im Schnitt 30,9 Kilo Süßes. „Diese Menge ist seit etwa zehn Jahren gleich geblieben“, erklärt Strohmaier. „Die Deutschen sind bereit, dafür etwas tiefer in die Tasche zu greifen.“ 102 Euro gaben sie 2019 im Schnitt für Naschzeug aus, ein Plus von 2,3 Prozent, so der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI).

Der Umsatz mit Süßwaren stieg um 2,3 Prozent auf 12,5 Milliarden Euro, während die Produktionsmenge von 3,7 Millionen Tonnen mit 1,2 Prozent Zuwachs nur leicht über dem Vorjahr lag. Süßkram „made in Germany“ ist weltweit beliebter denn je: Mehr als jede zweite Tonne geht in den Export.

Der Preisdruck bleibt hoch

Trotzdem steht die Branche unter Druck. „Vor allem die hohen Kosten wichtiger landwirtschaftlicher Rohstoffe belasten die Ertragslage vieler Hersteller deutscher Süßwaren und Knabberartikel“, konstatiert Bastian Fassin, Vorsitzender des BDSI. Vor allem die Preise für Kakao und Gelatine sind zuletzt sprunghaft gestiegen.

Der Konkurrenzdruck sei hoch, so Fassin, zugleich geschäftsführender Geschäftsführer von Katjes Fassin. Jeder fünfte Euro mit Naschwerk wird mit Aktionsware umgesetzt, ermittelte der Handelsverband Deutschland (HDE). Das hält den Preisdruck hoch. Süßwaren gelten als „Impulsartikel“ und stehen in der Regel nicht auf der Einkaufsliste, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE.

Ein Gang über die Messe mit 1 750 Ausstellern aus 76 Nationen zeigt: Im Trend liegt Naschen mit gutem Gewissen: natürliche Zutaten wie Nüsse und Beeren, Bio-Produkte, vegane und vegetarische Alternativen, Süßwaren mit viel Protein und wenig Zucker. Fruchtkugeln ohne Zucker aus getrockneten Datteln, Cranberrys und andere Trockenfrüchte sind Ausdruck vom Trend „gesundes Naschen“.

Zusätzliches Eiweiß ist ebenfalls in vielen Produktinnovationen zu sehen. Viele Start-ups von Sens, Entis, Insnack bis Partybugs versuchen, ihre Insektensnacks und -riegel mit dem Proteinargument schmackhaft zu machen. Auch salzige Snacks werden gesünder. Mit den Gemüsesticks Guzinos wollten die Gründer einen gesunden Ersatz für „Bifi“-Salami schaffen, erklärt Uwe Böhrnsen vom Vertrieb des Start-ups mit Sitz in Karlsruhe.

Ein Kilo vegane Gemüsesticks enthält 3,2 Kilo frisches Gemüse. Das wird in Spanien geerntet und vor Ort mit Olivenöl zu Sticks gebacken statt frittiert. Naschwerk mit Hanf und Cannabis ist ebenfalls im Kommen. Das niederländische Start-up Euphoria etwa bietet „High Cannabis Cookies“ mit dem Wirkstoff Cannabidiol (CBD), genauso wie zuckerfreie Cannabis-Kaugummis und -Bonbons.

Zuckerreduzierte Fruchtgummis bringen Haribo nicht weiter

80 Prozent aller Kaugummis sind heute bereits zuckerfrei. „In Schokolade und anderen Süßwaren ist Zucker hinsichtlich Geschmack und Textur jedoch schwieriger zu ersetzen“, so Branchenexperte Strohmaier. „Die Verbraucher achten zwar auf zuckerreduzierte Produkte, aber die erreichen dann meist doch nicht den gewohnten Originalgeschmack“, beobachtet er. „Wer Süßes nascht, will schließlich genießen.“

Diese Erfahrung machte auch Haribo, Marktführer für Gummibärchen, der seit Jahren nicht mehr auf der ISM vertreten ist. Die Grafschafter hatten den Fokus auf zuckerreduzierte Fruchtgummis gelenkt und diese in den Supermärkten prominent platziert. „Diese Rechnung ist nicht aufgegangen“, erklärte Andreas Patz, Sprecher der deutschen Geschäftsführung, kürzlich im Handelsblatt.

Der Umsatz war in Deutschland 2018 unter anderem deshalb um fast zehn Prozent eingebrochen. „Die Kunden wollen nicht ständig daran erinnert werden, dass der Kauf einer Süßware nicht unbedingt eine rationale Entscheidung ist“, so Patz. Seitdem der Goldbär wieder im Fokus stehe, sei Haribo auf der Erfolgsspur.

Auch Gebäckhersteller Lambertz, bekannt vor allem für Printen, bietet zuckerreduziertes Gebäck an. „Doch letztlich kaufen die Menschen Produkte, die sie mit dem Geschmack ihrer Kindheit verbinden“, sagt Alleininhaber Hermann Bühlbecker.

Vor der Lebensmittelampel Nutriscore, die freiwillig eingeführt werden soll, ist ihm deshalb nicht bange. Dennoch legt der Unternehmer Wert auf Nachhaltigkeit. Lambertz ist deutscher Marktführer für Bio-Gebäck.
Sorgen bereiten Bühlbecker indes die globalen Handelskonflikte. Im Oktober verhängten die USA Strafzölle von 25 Prozent auf Süßgebäck aus Deutschland.

Lambertz gehört zu den Hauptbetroffenen, denn die Firma liefert Gebäck für 28 Millionen Euro dorthin. Bühlbecker rechnet mit spürbaren Umsatzverlusten. „Unsere Regierung nimmt Strafzölle auf deutsches Süßgebäck und Wein einfach hin“, ärgert sich der Lambertz-Inhaber. „Hauptsache, Autohersteller oder Zulieferer bleiben verschont.“