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Die Deutschen, ganz unten in Paris

Manche tun sich schwer mit der Flüchtlingssituation in Deutschland. Dabei müssten sie nur einen Blick zurück werfen, auf die Zeit, als die Deutschen selbst auf der Suche nach einem besseren Leben zu Flüchtlingen wurden.

Lumpensammler, Straßenkehrer, Tagelöhner, Kanalreiniger, Bettler: Deutsche Einwanderer haben lange den Bodensatz der Pariser Gesellschaft gebildet. Tiefer sinken als sie konnte man nicht mehr. Mitte des 19.Jahrhunderts war das soziale Elend so schlimm, dass sich Sozialvereine und mehrere deutsche Pastoren, auch Friedrich von Bodelschwingh, der in Paris seine erste Pfarrstelle hatte, um die Bedürftigen kümmerten. Sie seien „zum weitaus größten Teil ganz arme Leute, für welche das deutsche Vaterland keinen Raum mehr hatte und die doch nicht die Mittel besaßen, über das Meer nach Amerika hinüberzuziehen.“ schrieb der Mann, der Schulen und Kirchen für sie baute.

Die deutschen „Wirtschaftsflüchtlinge“, wie man heute sagen würde, bildeten alles andere als ein Randphänomen: um 1860 lebten 80 – 100.000 Deutsche in der französischen Hauptstadt. Trotzdem ist dieser Teil der Geschichte völlig aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Bei deutscher Emigration in Paris denkt man heute ausschließlich an diejenigen, die als politisch oder rassisch Verfolgte in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor den Nazis flohen.

Doch die Auswanderung der Deutschen nach Paris hat eine lange Vorgeschichte. Bereits im 17. und 18. Jahrhundert wurden deutsche Handwerker angeworben. Sie galten als tüchtig und vervollkommneten gleichzeitig ihre Fertigkeiten in den Pariser Werkstätten. Tischler, Schreiner, Drechsler konnten hier ihr Auskommen finden. Im „Simplicissimus“ beschreibt der Ich-Erzähler seine Wanderschaft nach Paris während des Dreißigjährigen Krieges. Viele Handwerksbetriebe befanden sich im Faubourg Saint-Antoine in der Nähe der Bastille. Auch Schneider aus Deutschland waren begehrt: „Es galt als schick, sich seine Garderobe von einem Deutschen schneidern zulassen“, schreibt Mareike König in einem Buch über deutsche Handwerker in Paris. Die Haute Couture sei fest in der Hand der Deutschen gewesen: Quasi der Vorläufer von Karl Lagerfeld.

Neben dem Faubourg Saint-Antoine ließen die Deutschen, vor allem die Ärmsten unter ihnen, sich in heruntergekommenen Teilen der Stadt nieder, im heutigen fünften Arrondissement und im Norden der Stadt. Viele Zuwanderer zogen es vor, auch langfristig in Frankreich zu bleiben: weil es ihnen hier wirtschaftlich besser ging oder weil die Luft freier war. Bereits im frühen 18.Jahrhundert lebten mehrere Tausend Deutsche in Paris. Sie integrierten sich oft nur schleppend, sprachen weiter Deutsch und heirateten gerne untereinander. Im 19.Jahrhundert beschleunigte sich die Migration nach Frankreich und besonders nach Paris. 1806 stellte Napoleon deutschen Protestanten eine Kirche samt Kloster zur Verfügung, die über den ältesten in Paris erhaltenen Kreuzgang verfügt und noch heute von der protestantischen Kirche Frankreichs genutzt wird.

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Vor allem ab 1830 kamen politische Gründe zu den wirtschaftlichen hinzu: Frankreich war bereits seit der Revolution von 1789 freier als die deutschen Fürstentümer. Nach der französischen Julirevolution von 1830 und der zunehmenden Repression auf der anderen Rheinseite, von Metternich angeregt, erhöhte sich die Attraktivität der französischen Hauptstadt, nicht nur für berühmt gewordene Freidenker wie Heine und Börne. Einige Wurzeln der deutschen Arbeiterbewegung finden sich in Paris: Der Schneidergeselle Wilhelm Weitling gründete 1836 den „Bund der Gerechten“, der als Vorläufer des „Bundes der Kommunisten“ gilt.

Viele Deutsche wurden mit dem Beginn des Zweiten Kaiserreichs 1850 ausgewiesen, doch die Ärmsten blieben. Um sie kümmerte sich Bodelschwingh. Heute finden sich fast keine Spuren mehr aus dieser Zeit, als Paris die Zufluchtsstätte der Deutschen war, die in der Heimat nicht ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Diese Migrationsgeschichte ist auch wesentlich schlechter erforscht als die der deutschen Exilanten in den 1930er- und 40er-Jahren.

Eine der von Bodelschwingh gegründeten Kirchen gehört heute der Orthodoxen Kirche, die andere steht am Boulevard des Batignolles im 17. Arrondissement, und wird heute von der französisch evangelischen Kirche genutzt. An der Fassade hängt ein Transparent, das zur Unterstützung von Flüchtlingen aufruft. Nirgendwo kann man besser daran erinnern als hier: Armutswanderung ist kein Phänomen der Neuzeit – auch wenn uns das nicht mehr präsent ist.

Zwei Kilometer Luftlinie entfernt hausen die Flüchtlinge des 21. Jahrhunderts, in Zelten am Rand der Stadtautobahn und in Elendshütten auf einem früheren Eisenbahngelände. Herkunft und Hautfarbe der Ärmsten haben sich geändert, die Bedingungen, unter denen sie leben müssen, sind gleich.