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"Die deutschen Fußball-Frauen waren einmal das Nonplusultra, das ist nicht mehr so"

Bei der Frauen-EM gibt Christina Graf ihr Turnier-Debüt als Fußball-Kommmentatorin. (Bild: NDR / Lina Klünker)
Bei der Frauen-EM gibt Christina Graf ihr Turnier-Debüt als Fußball-Kommmentatorin. (Bild: NDR / Lina Klünker)

Finden die DFB-Frauen bei der EM in England zurück zu alter Stärke? ARD-Kommentatorin Christina Graf gibt ihre Titelprognose ab. Außerdem spricht sie über die Akzeptanz von Frauen im Fußballgeschäft und verrät, warum es ihr manchmal schwerfällt, im Stadion zu sein.

An Beschäftigung mangelt es Christina Graf derzeit nicht. Gerade erst ist sie von der Schwimm-WM in Budapest zurückgekehrt. Zeit zur Erholung bleibt für die Sportkommentatorin nicht - ganz im Gegenteil. Bei der Fußball-Europameisterschaft der Frauen, die am Mittwoch, 6. Juli, in England beginnt, sitzt die 36-Jährige erstmals bei einem Turnier in der Kommentatorenkabine. Ihren ersten Einsatz hat die Journalistin gleich beim Eröffnungsspiel in Manchester, wenn es der Gastgeber England mit Österreich zu tun bekommt. Dazu erwartet Graf am Jahresende die Männer-WM in Katar, wo sie als erste Frau in der ARD eine Fußball-Übertragung bei einer WM kommentiert.

teleschau: Was erwarten Sie sich von der Fußball-EM der Frauen, Ihrem Turnierdebüt als Kommentatorin?

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Christina Graf: Ich freue mich total auf das Turnier in einem fußballbegeisterten Land, in dem der Frauenfußball extrem gewachsen ist in den vergangenen Jahren. Ich hoffe auch auf gute Spiele der deutschen Mannschaft. Für mich persönlich ist es etwas Besonderes, weil es die Sportart ist, in der ich selbst gespielt habe. Ich bin mit dem Frauen-Fußball groß geworden. Jetzt als Kommentatorin für die ARD dabei zu sein, macht mir verdammt viel Freude.

teleschau: Bei den letzten Turnieren blieben die DFB-Frauen hinter den Erwartungen zurück. Welche Chancen räumen Sie der Mannschaft von Martina Voss-Tecklenburg ein?

Graf: Es wird natürlich aktuell viel nach den Favoriten gefragt und ob Deutschland noch dazugehört. Die deutschen Frauen waren einmal das Nonplusultra, als sie über Jahre das Dauer-Abo auf den Europameisterschaftstitel hatten. Das ist nicht mehr so, viele Länder haben aufgeholt. Trotzdem glaube ich, dass unsere Mannschaft sehr gute Chancen hat. Da ist etwas zusammengewachsen.

teleschau: Woran machen Sie das fest?

Graf: Man hat in Herzogenaurach auch von außen mitbekommen, wie gut die Stimmung ist. Wir haben mit Martina Voss-Tecklenburg eine sehr gute Trainerin. Ich habe sie früher immer mal wieder selbst in der Niederrhein-Auswahl beobachten können. Ich habe damals für die Westfalen-Auswahl gespielt. Schon da haben die Spielerinnen nur Gutes über sie berichtet.

"Wir haben mit Martina Voss-Tecklenburg eine sehr gute Trainerin": Christina Graf traut der DFB-Elf ein erfolgreiches Turnier zu. (Bild: NDR / Lina Klünker)
"Wir haben mit Martina Voss-Tecklenburg eine sehr gute Trainerin": Christina Graf traut der DFB-Elf ein erfolgreiches Turnier zu. (Bild: NDR / Lina Klünker)

"Der Boom nach der Heim-WM 2011 ist inzwischen leider abgeebbt"

teleschau: Zu den hoffnungsvollen Nachwuchstalenten der Elf gehört etwa Lena Oberdorf. Wie sehen Sie die Zukunft der DFB-Frauen aufgestellt?

Graf: Sehr gut, glaube ich. Der Nachwuchs zeigt, dass er um Titel mitspielt. Selbst einige der jungen Spielerinnen haben schon Turniererfahrung. Dadurch können Sie den Erwartungen besser gerecht werden. Spielerinnen wie Lena Oberdorf sind unfassbar wichtig auf dem Platz. Sie gewinnt so viele Zweikämpfe und das bei einer Mannschaft wie dem VfL Wolfsburg, die viele gestandene Spielerinnen hat. Trotz ihres jungen Alters hat sie schon sehr viel Selbstbewusstsein. Ich glaube, in meiner Generation war das noch nicht ganz so. Ich bewundere das und hoffe, dass sie das so beibehalten.

teleschau: Wenn man weiter in die Jugendauswahlen vordringt, sieht die Lage anders aus. Der DFB-Präsident Bernd Neuendorf sprach zuletzt von "alarmierenden Zahlen" bei den Mitgliederzahlen im Frauenfußball. Was muss passieren, damit ein Positivtrend gelingt?

Graf: Ich glaube, Frauenfußball wird interessanter und attraktiver, wenn Erfolge da sind. Mädchen wollen erfolgreiche Vorbilder haben, denen sie nacheifern können. Daran hat es in der letzten Zeit gemangelt. Der Boom nach der Heim-WM 2011 ist inzwischen leider abgeebbt. Und es ist auch nicht so einfach, dass man mal eben in jedem Dorfverein vorbeigeht und sagt: "Mädels, spielt doch mal Fußball!". Aber generell ist es aus meiner Position heraus schwer zu beurteilen, weil ich zu wenig in den Strukturen und Gremien stecke.

teleschau: Bei den Spielen der Männer-Nationalmannschaft in der Nations League gab es eine Werbeaktion, bei der die Männer in Frauentrikots aufliefen. Was halten Sie davon?

Graf: Ob das was bringt, weiß ich nicht, aber es schadet sicher nicht. Es tut keinem weh. Wenn man damit nochmal Aufmerksamkeit schafft, indem man sich an das größere Publikum bei der Männer-Nationalmannschaft wendet, warum nicht? Das ist ja ein legitimes Mittel. Ich finde es allein deshalb schon nicht verkehrt, weil es einen Zusammenhalt signalisiert.

teleschau: Neben rein sportlichen Aspekten beherrschte die Berichterstattung rund um das Turnier auch die Equal-Pay-Debatte.

Graf: Ich glaube nicht, dass die Debatte das Turnier groß beeinflusst. Wenn man Sara Däbritz zuletzt auf der Pressekonferenz gehört hat, hat sie es nochmal betont: Man hat über diese Prämie gesprochen, und verhandelt und die Spielerinnen sind jetzt alle glücklich und zufrieden damit. Es ist wesentlich mehr Geld, als es zuvor war. Ich glaube, dass wir das von außen stärker thematisieren, als das es die Mannschaft letztlich interessiert.

Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg (links) und ihre Kapitänin Alexandra Popp reisen mit großen Ambitionen zur EM nach England.  (Bild: Getty Images / Lars Baron)
Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg (links) und ihre Kapitänin Alexandra Popp reisen mit großen Ambitionen zur EM nach England. (Bild: Getty Images / Lars Baron)

"Ich wurde zum Glück nie extrem angefeindet"

teleschau: Sie waren 2013 die erste Frau, die ein Zweitligaspiel kommentiert hat. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Graf: Das war damals in Regensburg, Hertha BSC war zu Gast. Natürlich habe ich gemerkt, dass viele Leute darauf schauen und etwas drum herum passiert. Ich habe versucht, das nicht zu sehr an mich heranzulassen, weil ich mich auf das Kommentieren konzentrieren wollte. Für mich war damals alles neu im Fernsehen, ich kam ja vom Hörfunk.

teleschau: Wie war das Medienecho im Nachhinein?

Graf: Natürlich habe ich das mitbekommen. Über manche Dinge habe ich mich gefreut, über andere weniger. Das Wichtigste war mir das Feedback aus meinem privaten Umfeld und natürlich von meinen Vorgesetzten und Kollegen.

teleschau: Das Spiel ist mittlerweile neun Jahre her. Was hat sich seitdem in puncto Akzeptanz von Frauen bei Fußballübertragungen getan?

Graf: Dadurch, dass ich knapp sechs Jahre die zweite Männer-Bundesliga kommentiert habe, kriegt man natürlich Kommentare über Social Media. Ich wurde aber zum Glück nie extrem angefeindet. Wir haben in den vergangenen Jahre erlebt, dass es anders laufen kann, bei Claudia Neumann, die vieles zu Unrecht abgekommen hat. Es ist nicht einfach, den Weg zu gehen, den sie gegangen ist. Und man kann ihr dafür nur dankbar sein und hoffen, dass es immer mehr Frauen werden. Je mehr Kommentatorinnen und Moderatorinnen es im Sport und speziell im Fußball gibt, desto selbstverständlicher wird es. Noch sind wir zu wenige und werden daher noch nicht als selbstverständlich wahrgenommen.

teleschau: Wie würden Sie Ihren Stil beim Kommentieren beschreiben? Was ist Ihnen wichtig?

Graf: Ich will den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht Fußball erklären, aber natürlich die Spielidee nahebringen. Ich möchte die Fans taktisch mitnehmen und mögliche Szenarien erläutern, die eine Mannschaft zum Erfolg führen könnten. Der Entertainer bin ich nicht, ich bleibe eher taktisch beim Fußballspiel und beschreibe, was gut und was weniger gut gelingt.

teleschau: Haben Sie Vorbilder in der Kommentatorenriege?

Graf: Das ist ganz unterschiedlich. Ich mag es genauso, einem Wolff Fuss zuzuhören wie einem Tom Bartels. Ich könnte nicht einen Namen nennen und sagen: Der ist es jetzt. Was ich bewundere, ist dass Tom Bartels mit unheimlich wenigen Worten sehr viel sagen kann.

Einst war Christina Graf als Profi in der Bundesliga aktiv. Mit 23 Jahren verhinderte eine Verletzung eine weitere Karriere: "Ich wollte natürlich nicht freiwillig aufhören, habe aber gemerkt, es geht nicht mehr." (Bild: NDR / Lina Klünker)
Einst war Christina Graf als Profi in der Bundesliga aktiv. Mit 23 Jahren verhinderte eine Verletzung eine weitere Karriere: "Ich wollte natürlich nicht freiwillig aufhören, habe aber gemerkt, es geht nicht mehr." (Bild: NDR / Lina Klünker)

"Nicht mehr Fußballspielen zu können, war hart"

teleschau: Vor ihrem Werdegang in den Medien waren Sie selbst Fußballprofi, spielten in der Bundesliga. Wie helfen Ihnen diese Erfahrungen beim Kommentieren?

Graf: Ich glaube, dass man sich manchmal besser in die Spieler oder die Mannschaft hineinversetzen kann. Aber das gelingt auch mir mal besser und mal schlechter. Natürlich habe ich gewisse Momente selbst auf dem Platz erlebt, was mir am meisten bei Frauen-Spielen hilft.

teleschau: Sie mussten Ihre Spielerinnenkarriere mit 23 Jahren verletzungsbedingt beenden. Wie war dieser Moment für Sie, als Sie wussten, es ist vorbei?

Graf: Wirklich schlimm. Es ist auch 13 Jahre später noch schwer. Ich wollte natürlich nicht freiwillig aufhören, habe aber gemerkt, es geht nicht mehr. Ich habe, seit ich fünf Jahre alt war, Fußball gespielt. Ich stand zu Spitzenzeiten täglich auf dem Platz. Sobald ich aus der Schule kam, habe ich meinen Rucksack in die Ecke gestellt, um zum Fußballspielen zu gehen. Das nicht mehr machen zu können, war hart. Manchmal fällt es mir auch heute noch schwer, im Stadion zu sein, besonders beim Frauen-Fußball.

teleschau: Wie haben Sie damals diesen Rückschlag verkraftet?

Graf: Ich war in der Zeit nach Bad Neuenahr gezogen und wollte wirklich alles auf die Karte Fußball setzen. Zuvor hatte ich immer weite Wege von meinem Heimatort zum Training auf mich genommen. Nach dem Karriereende musste ich mein Leben neu sortieren. Das habe ich zum Glück gekonnt, weil mir meine Eltern immer die Freiheit gegeben haben, in Ruhe zu überlegen, was ich jetzt machen wollte. Ich habe Politikwissenschaften studiert und parallel Medienwissenschaften. Schon mit 14 Jahren hatte ich bei der Zeitung angefangen und mit 16 Jahren beim Radio. Das Ziel war eigentlich immer der Politikjournalismus, weil ich den Sport ja hatte. Als der wegfiel, kam für mich irgendwann der Wandel hin zum Sportjournalismus.

teleschau: Woher kam diese Faszination für den Journalismus?

Graf: Ich weiß noch, dass bei meinem ersten Schulpraktikum ganz klar für mich war, dass ich zur heimischen Zeitung gehen will. Als Jugendliche war ich begeistert von der Kriegsreporterin Antonia Rados, habe viel von ihr gelesen und vieles gesehen. Was sie machte, hat mich fasziniert, auch wenn die Umgebungen, in denen sie gearbeitet hat, nicht schön waren. Mir war klar, wenn ich den Job irgendwann so machen wollen würde, dass ich den Beruf von der Pike auf lernen muss.

teleschau: Ein großer beruflicher Schritt erwartet Sie Ende des Jahres bei der Winter-WM in Katar. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf dieses Turnier?

Graf: Das spielt aktuell in meinen Gedanken noch keine Rolle. Ich bin gerade erst von der Schwimm-WM in Budapest zurückgekommen und freue mich jetzt erst einmal auf die Frauen-EM in England. Im August geht es nach Rom zur Schwimm-EM. Das bedeutet, vor Katar stehen noch einige große Dinge an. Natürlich freue ich mich auf die WM und bin dem Team vom SWR sehr dankbar, dass sie mir das Vertrauen schenken.

teleschau: Zum Abschluss: Wer gewinnt die Frauen-EM?

Graf: Kurz und prägnant: Deutschland. Man kann nicht gegen sein eigenes Land sein. (lacht)

Christina Graf war 2013 die erste Frau, die ein Zweiligaspiel der Männer live im Fernsehen kommentierte. (Bild: NDR / Lina Klünker)
Christina Graf war 2013 die erste Frau, die ein Zweiligaspiel der Männer live im Fernsehen kommentierte. (Bild: NDR / Lina Klünker)