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Sieben Gründe, warum Deutschlands Wirtschaft bisher gut durch die Coronakrise kommt

Im Vergleich zu anderen Industrienationen kommt Deutschland in der Coronakrise bislang glimpflich davon. Manche Ökonomen zweifeln, dass das so bleibt.

Im Vergleich zu anderen Ländern, kommt das Exportland Deutschland gut durch die Corona-Rezession. Foto: dpa
Im Vergleich zu anderen Ländern, kommt das Exportland Deutschland gut durch die Corona-Rezession. Foto: dpa

Eduard Dörrenberg hat sich in der Coronakrise vorgenommen, täglich nach diesem Leitspruch zu handeln: "Morgens machen wir Krise und nachmittags Chance.” Bislang ist der geschäftsführende Gesellschafter der Dr. Wolff Gruppe damit gut gefahren. "Wir kommen besser durch die Krise als gedacht”, sagt er.

Das ostwestfälische Familienunternehmen stellt Arzneien und Kosmetik her, die bekannteste Marke ist Alpecin, ein Mittel gegen Haarausfall. Teile des Geschäfts, wie das Friseurgeschäft oder die Auslandsmärkte, waren durch Shutdowns beeinträchtigt. "Wir haben aber am 5. März durch die Produktion von Linola-Sept-Handdesinfektionsmitteln frühzeitig Chancen ergriffen und konnten das erste Halbjahr sogar mit einem Umsatzplus abschließen”, sagt Dörrenberg.

Deutschland kommt in der Coronakrise bisher glimpflich davon

Die Erfolgsstory der Dr. Wolff-Gruppe ist kein Einzelfall. Auch wenn die deutsche Wirtschaft hart von der Coronakrise getroffen wurde, viele Unternehmen große Probleme haben und der Konjunktureinbruch so stark ist wie nie zuvor in der Geschichte in der Bundesrepublik – im Vergleich zu anderen Industrienationen kommt Deutschland bislang glimpflich davon. "Wir sind bislang besser durch die Coronakrise gekommen, weil wir alle miteinander achtsam und vorsichtig waren”, sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

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Gute Stimmung zu verbreiten gehört zum Aufgabenprofil eines jeden Bundeswirtschaftsministers. Aber auch international wird Deutschland als Vorbild gefeiert. Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller attestiert der Bundesregierung einen "großen Erfolg" im Kampf gegen die Coronakrise.

US-Starökonom Kenneth Rogoff sagt: "Verglichen mit den USA oder Großbritannien hat Deutschland bis jetzt einen besseren Job im Umgang mit der Krise gemacht." Auch IWF-Experte Tobias Adrian findet: "Deutschlands Krisenmanagement war relativ erfolgreich."

Nur in Japan fällt Rezession milder aus

Das belegen auch Konjunkturprognosen. Während die Wirtschaft in Frankreich, Italien und Spanien um jeweils zehn bis elf Prozent einbrechen soll, rechnet die EU-Kommission in ihrer jüngsten Prognose für Deutschland "nur" mit einem Minus von 6,5 Prozent. Unter den G7-Industrienationen steht Deutschland ebenfalls gut da; einzig in Japan soll die Rezession milder ausfallen.

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All das ist eine ziemlich große Überraschung. Denn das Coronavirus hat fast alle Staaten der Welt in die Knie gezwungen. Wenn alle großen Wirtschaftsnationen gleichzeitig tief in der Rezession stecken, müsste eine so exportabhängige Wirtschaft wie die deutsche eigentlich besonders stark leiden. Stattdessen zeigt sie sich robust. Das hat sieben Ursachen:

1. Die gute Ausgangslage

Vor Corona erlebte die Bundesrepublik eine der längsten Aufschwungphasen in ihrer Geschichte. "Nach zehn Jahren Wachstum und solidem Wirtschaften konnten wir die Möglichkeiten nutzen, unseren eigentlich gesunden und international gut aufgestellten Unternehmen zu helfen, die Krise durchzustehen", sagt Altmaier.

Nach der Finanzkrise konnte Deutschland dank des langen Aufschwungs seinen Schuldenstand von 80 auf 60 Prozent reduzieren. "Dass Deutschland mit so einem gut aufgestellten Haushalt in die Krise gegangen ist, hat es dem Land erlaubt, eine extrem starke finanzpolitische Antwort zu geben", sagt Rogoff. In der Tat: Kein Land hat, gemessen an der Größe seiner Wirtschaft, bisher mehr für Krisenbekämpfung ausgegeben.

2. Das Glück der späten Krise

Deutschland war aber auch aus einem anderem Grund in einer komfortablen Situation: Das Land wurde von der Coronakrise erst relativ spät getroffen. So konnte die Bundesregierung beobachten, wie Corona etwa in Norditalien wütete – und sie lernte aus den furchtbaren Bildern von Armeelastwagen, die Leichen aus den Krankenhäusern abfuhren. "In anderen Ländern, wie Frankreich und Spanien, war das nicht der Fall", sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft.

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Das bessere Krisenmanagement hat dazu geführt, dass der Lockdown relativ früh wieder gelockert werden konnte - mit Konsequenzen für die Wirtschaft. So sagt Denis Ferrand, Leiter des französischen Wirtschaftsinstituts Rexecode: "Große Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich in der Härte der Rezession ergeben sich schon daraus, dass der Lockdown in Frankreich strikter und länger war."

3. Regierung mit Krisenerfahrung

Unternehmer wie Dörrenberg stellen der Politik ein gutes Zeugnis aus: "Kein Land hat diese wirtschaftliche Krise so schnell und erfolgreich gekontert wie Deutschland." Das liegt auch an der weltweit wohl einmalig krisenerfahrenen Regierung. Sowohl Kanzlerin wie Vizekanzler haben schon die Finanzkrise in führenden Positionen er- und durchlebt.

2008 war Angela Merkel (CDU) schon Kanzlerin, Olaf Scholz (SPD) war damals Bundesarbeitsminister. In diesem Amt weitete er erstmals die Kurzarbeit massiv aus und dämmte so drohende Jobverluste ein.

Germany's Chancellor Angela Merkel and Finance Minister Olaf Scholz are seen at the start of the weekly cabinet meeting at the Chancellery, following the outbreak of the coronavirus disease (COVID-19) in Berlin, Germany June 10, 2020. REUTERS/Fabrizio Bensch/Pool
Ein krisengeprüftes Duo: Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch/Pool)

Beiden wird zudem attestiert, nüchtern und auf Basis von Fakten Politik zu betreiben. Im Vergleich zu anderen Regierungen, in denen Populisten Stimmungen schnell nachgeben, ist das ein großer Vorteil. So arbeitete die Bundesregierung in der Coronakrise so eng wie nie zuvor mit Wissenschaftlern vieler Disziplinen zusammen. Virologen, Mediziner, Ökonomen, Ethiker und Verfassungsjuristen fanden Gehör.

"Der große Erfolg Deutschlands im Kampf gegen die Krise basiert vor allem auf einem größeren Respekt vor der wissenschaftlichen und staatlichen Autorität", sagt Yale-Ökonom Shiller. Die Politik habe "getan, was wir Ökonomen vorgeschlagen haben", sagt auch der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Es sei auch psychologisch sehr wichtig, dass die Beschäftigten nicht wie in den USA sofort massenweise ihre Arbeitsplätze verloren haben.

4. Funktionierende Institutionen

Auch wenn die Deutschen im Alltag häufig über die Verwaltung klagen und sich Bund und Länder in der Coronakrise oft nicht einig waren – insgesamt funktioniert die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen zumindest in Krisenzeiten verhältnismäßig gut. Ausländische Regierungsvertreter schauen jedenfalls neidisch auf die deutsche Verwaltung.

Auch verfügt Deutschland über krisenerprobte staatliche Institutionen, etwa die Kreditanstalt für Wiederaufbau oder die Investitionsbanken der Bundesländer, die schnell Hilfsgelder und Kredite an Unternehmen ausreichen konnten.

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In Großbritannien hingegen mussten erst die privaten Banken überzeugt werden, diese Rolle zu übernehmen. "In Deutschland ist die Struktur schon da, das ist in einer Krise ideal", sagt Christian Keller, Chefvolkswirt bei der britischen Großbank Barclays.

Das Gleiche gilt für die deutsche Form der Kurzarbeit, die der IWF kürzlich als "Goldstandard" aller Arbeitsmarktinstrumente in Krisenzeiten lobte. Da das Instrument in der Finanzkrise 2008 eingesetzt wurde, war es für die Bundesagentur für Arbeit ein Leichtes, es jetzt in noch größerem Umfang auszurollen.

5. Ein Nachteil wird zum Krisenvorteil

Seit vielen Jahren schreiben internationale Organisationen Deutschland ins Hausaufgabenheft, es müsse den Dienstleistungssektor endlich stärken. Grundsätzlich ist dieser Arbeitsauftrag auch richtig. In der Coronakrise aber verwandelte sich die Schwäche des Servicesektors in eine Stärke.

So ist die deutsche Wirtschaft weit weniger abhängig von Dienstleistungsbranchen, die von der Pandemie besonders stark betroffen sind: Hotels, Gastronomie, Immobilien oder Entertainment. In der britischen Hauptstadt London etwa tritt die akute Schwäche der dort sehr wichtigen Dienstleistungswirtschaft besonders zutage. "Der gesamte Servicesektor, der die Büroarbeiter bedient, ist dort zusammengebrochen", sagt Christian Keller, Chefvolkswirt bei der britischen Großbank Barclays.

6. Starke Regionen

Der deutsche Föderalismus wird oft belächelt. "In der Krise ist der Föderalismus jetzt aber ein Vorteil", sagt Holger Schmieding von der Berenberg Bank. Es sei viel besser, regional auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können, als wenn man "wie in Frankreich darauf warten muss, dass Paris entscheidet, wie im Elsass gehandelt werden kann".

Die Regionen in Deutschland seien sowohl politisch als auch wirtschaftlich stärker aufgestellt als in vielen anderen Ländern, sagt auch Jim O’Neill, ehemals Chefvolkswirt von Goldman Sachs und heute Chairman der Londoner Denkfabrik Chatham House.

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Deshalb funktioniere auch das Test-and-Trace-System in den Gesundheitsämtern vor Ort besser, mit dem sich die Pandemie kontrollieren lasse. Auch verfügen Unternehmen über engmaschige lokale Netzwerke, etwa über einen engen Draht zu Sparkassen und Volksbanken. Diese regionale Verwurzelung bei gleichzeitiger internationaler Ausrichtung hilft Firmen, besser durch die Krise zu kommen.

7. Offene Volkswirtschaft

Viele Mittelständler sind zudem Unsicherheit gewohnt, für sie ist das Tagesgeschäft. Unterm Strich machen sie gute Gewinne; sie sind aber stetig Umsatzschwankungen unterworfen, weil sie oft in einer Nische ihr Geschäft betreiben. Sie spüren es deshalb sofort, wenn ihre Branche gerade einen Schnupfen hat. Diese Schwankungen haben viele Mittelständler über eine starke Eigenkapitalbasis abgesichert – was ihnen nun in der Krise hilft. Dr.-Wolff-Gruppe-Geschäftsführer Dörrenberg sagt: "Wir bilanzieren ostwestfälisch-konservativ."

Die deutsche Exportstärke hat sich in dieser Krise bislang nicht als Nachteil erwiesen. Die Lieferketten blieben trotz anfänglicher Störungen wegen ausbleibender Lieferungen aus China intakt. Die Nachfrage nach deutschen Produkten ist grundsätzlich weiter vorhanden – und kommt langsam auch wieder in Gang. Laut Dörrenberg läuft etwa das Chinageschäft "seit einigen Wochen wieder sehr gut".

In der Volksrepublik ist die Wirtschaft im zweiten Quartal wieder kräftig um 3,2 Prozent gewachsen. Aber nicht nur in China, auch weltweit erholt sich die Industrie langsam. "Wenn die globale Nachfrage anzieht, wird Deutschland davon überdurchschnittlich profitieren", prophezeit Barclays-Ökonom Keller.

Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist sogar optimistisch, dass sich die Europäer gegenseitig aus der Krise helfen könnten, weil die nationalen Konjunkturpakete, auch das deutsche, auch den Nachbarländern helfen.

Es bleiben hohe Risiken

Die Industrie bleibt aber zugleich die Achillesferse für den Aufschwung. Nobelpreisökonom Shiller sieht sie als Risiko für Deutschland. Wenn die globale Nachfrage womöglich doch mau bleibt, könnte die deutsche Wirtschaft stärker leiden als bislang.

Genau davor warnt auch der IWF: "Das Wachstum in Deutschland könnte schwächer ausfallen, sollte sich das von Handelspartnern verlangsamen", sagt IWF-Experte Adrian. Auch der Wirtschaftsverband DIHK erwartet auf Basis von Unternehmensumfragen, dass sich die Exporte nach einem Einbruch um 15 Prozent in diesem Jahr nur langsam erholen werden.

Die nächsten zwölf Monate "könnten schwierig für Deutschland werden", sagt auch Rogoff, etwa wenn zweite Infektionswellen auf der Welt ausbrechen und die Exporte sich nicht erholen: "Es gibt auch ein Risiko, dass Länder wie die USA oder China mehr auf sich selbst schauen und sich ihr Rückzug aus der Globalisierung verschärft."

Der Chef der Wirtschaftsweisen befürchtet einen trüben Herbst. Foto: dpa
Lars Feld, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, Chef der Wirtschaftsweisen befürchtet einen trüben Herbst. (Bild: dpa)

Lars Feld, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, befürchtet deshalb, dass auf den Sommer der Erholung ein ziemlich trüber Herbst folgen könnte. "Ich fürchte, dass wir dann deutlich mehr Insolvenzen erleben werden." Davon auszugehen, dass alles gut wird, nur weil es bislang verhältnismäßig gut lief, wäre jedenfalls vermessen. Oder auch größenwahnsinnig.

IW-Chef Hüther bleibt aber optimistisch. Im Mai habe der Abschwung den Boden erreicht, den Juni sieht er als "Startrampe für den Aufschwung". Tatsächlich ist Deutschland neben Vietnam das einzige Land, in dem die Konjunkturkurve bislang den Verlauf eines "V" zeigt, auf den tiefen Einbruch also ein starker Aufschwung folgt.

"Ich glaube, die Stimmung in Deutschland ist aktuell schlechter als die Lage", sagt Hüther. Auch Unternehmer Dörrenberg blickt zuversichtlich in die Zukunft. Die Dr.-Wolff-Gruppe werde durch Corona digitaler. So bilde sie ab August im Bereich E-Commerce aus, biete ein duales Studium im Bereich Wirtschaftsinformatik an und baue Fernarbeit aus. Seit einigen Wochen gelte ein zweiter Leitspruch im Unternehmen: "Nach Corona ist nicht vor Corona."

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