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Deutsche Unternehmer plädieren für Reorganisation der Konzernstrukturen

Deutsche Industriefirmen blicken optimistisch in die Zukunft. Sie setzen auf Digitalisierung – und ein neues Führungsverständnis.

Die zunehmenden Handelskonflikte, die maue Auftragslage und der deutsche Rückstand bei Bildung und Digitalisierung hat der deutschen Industrie offenbar nicht den Optimismus genommen. Als die Moderatorin des Handelsblatt Industrie-Gipfels ins Publikum fragt, wer eine positive Zukunftsprognose für die deutsche Industrie abgeben würde, gehen fast alle Hände in die Höhe.

„Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Qualität“ nennen viele der anwesenden Manager als Erfolgsfaktoren, die Deutschland durch die Krise bringen werden. „Wir sind aber darauf angewiesen, dass sich die Rahmenbedingungen verbessern“, gab Thyssen-Krupp-Vorstand Klaus Keysberg zur Begrüßung zu bedenken.

Der Ruhrkonzern hatte zum Industrie-Gipfel ins firmeneigene Forum im Essener Thyssen-Krupp-Quartier geladen. Im orangen Scheinwerferlicht diskutierten Manager wie Gea-Chef Stefan Klebert, SAP-Managerin Deepa Gautam-Nigge und Telefónica-Deutschlandchef Markus Haas über den Zustand der deutschen Wirtschaft. Und darüber, welche Schritte von Unternehmen und der Politik nötig sind, um deren Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft zu erhalten.

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Dabei fällt das Bestandsurteil grundsätzlich positiv aus. „Wir sind immer noch sehr gut unterwegs, wenn man sich unseren Leistungsbilanzüberschuss anschaut“, erklärte Kevin Heidenreich, Leiter des Referats Grundsatzfragen der Außenwirtschaft und Entwicklungspolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Doch die Handelshemmnisse nehmen zu.“ Das sei insbesondere ein Problem für exportstarke Branchen wie den Automobil- und Maschinenbau, von denen die Wirtschaft der Bundesrepublik in weiten Teilen geprägt ist.

Dabei sind es weniger die direkten Zölle, die den deutschen Firmen derzeit das Leben schwermachen. „Tatsächlich hat beispielsweise China die Zölle gegenüber Deutschland zuletzt leicht gesenkt“, so Heidenreich. Doch führe der Handelskonflikt insbesondere zwischen China und den USA zu „einer Abkühlung der Weltwirtschaft“. Das schlägt auch auf die Bestellungen aus dem Ausland durch, von denen die deutsche Industrie stark abhängig ist.

Neue Führungskultur

Gleich mehrmals ist die deutsche Wirtschaft im ablaufenden Jahr so knapp an einer technischen Rezession vorbeigeschlittert. Dass es im kommenden Jahr wieder aufwärtsgeht, ist nicht zu erwarten. So rechnet etwa der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) für 2020 mit einem Produktionsminus von zwei Prozent.

Unter Druck geraten dabei vor allem Unternehmen, die die Autoindustrie beliefern. Angesichts der Transformation zu alternativen Antrieben halten sich viele Autohersteller derzeit mit ihren Bestellungen und Investitionen in neue Anlagen zurück. Das trifft auch die klassischen Autozulieferer schwer – wie etwa Thyssen-Krupp zeigt.

Gleich in mehreren seiner Geschäftsbereiche wird der Ruhrkonzern derzeit von der Zurückhaltung der Autohersteller erfasst. Einerseits verdient die Stahlsparte einen großen Teil ihrer Umsätze mit Kunden aus der Autoindustrie, die derzeit auf breiter Front wegbrechen. Andererseits beliefert der Konzern die Autobauer mit Komponenten.

Beide Bereiche lagen im Vergleich zum Vorjahr deutlich im Minus – was bei der jährlichen Bilanzvorlage vor wenigen Wochen zu einem Konzernverlust von 260 Millionen Euro geführt hat. Nun will sich der Konzern neu organisieren.


Führung und Organisation modernisieren

„Wir besprechen den Transformationsprozess mit allen beteiligten Stakeholdern und werden unsere Pläne im kommenden Jahr konkretisieren“, erklärte Vorstand Keysberg. Unter anderem plant der Konzern, seinen Tochterunternehmen mehr Eigenständigkeit zu geben – und damit auch mehr Verantwortung für die eigenen Ergebnisse.

Die Dinge neu denken, schneller werden, Führung und Organisation modernisieren: Das nannte auch Stefan Klebert als notwendiges Rezept gegen schwindendes Wachstum. Seit rund einem Jahr leitet der Manager den Düsseldorfer Maschinenbauer Gea – und führte zu seinem Einstand erst einmal eine gründliche Reorganisation durch.

Das gehe nicht ohne schmerzhafte Einschnitte, so Klebert. So habe Gea im Herbst bekanntgegeben, dass 800 Stellen gestrichen werden sollen. „Die Mitarbeiter machen trotzdem engagiert mit. Warum? Wir geben ihnen Wertschätzung und Freiraum, um sich zu entfalten“, so Klebert. So fördere die Führung das interne Unternehmertum – und damit indirekt auch die Steigerung von Umsatz und Aktienkurs. Der hat in den vergangenen sechs Monaten fast ein Drittel zugelegt.

Auch ehemalige Mitarbeiter, die das Unternehmen bereits verloren hatte, kämen nun wegen des Umbaus zurück, berichtete der Vorstandschef. „Ich bekomme über soziale Netzwerke viele Rückmeldungen von Leuten, die unseren neuen Kurs für richtig halten.“ Das sei eine schöne Bestätigung der bisherigen Arbeit des neuen Vorstandsteams.

Digitaler Vorreiter

Neben einer neuen Führungskultur sehen viele Unternehmer in der Digitalisierung einen Weg, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie für die Zukunft zu erhalten. Dabei sind die meisten Firmen bereits auf einem guten Weg, wie Michael Schulte, Sprecher der Geschäftsführung des Beratungsunternehmens Capgemini, erklärte: „Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Produktion sind deutsche Unternehmen führend.“

So hätten laut einer aktuellen Studie von Capgemini 69 Prozent der deutschen Firmen bereits konkrete KI-Anwendungen im eigenen Geschäftsbetrieb im Einsatz, während es in Europa insgesamt nur rund 51 Prozent sind. In den USA und in China sind es noch weniger: Hier liegt der Anteil der Unternehmen, die KI in der eigenen Produktion einsetzen, bei lediglich 28 beziehungsweise elf Prozent. „Wir haben ein Marketingproblem in Deutschland: Wir sind nicht Ankündigungsweltmeister, sondern Lieferweltmeister“, sagte angesichts dessen auch Telefónicas Deutschlandchef Markus Haas.

Als Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von KI im Unternehmen nannte Schulte den Gastgeber Thyssen-Krupp. Denn der setzt bei seinen Aufzügen auf ein vernetztes KI-basiertes System, das Ausfälle vorhersagen kann, bevor sie passieren. Rund 120.000 Aufzüge hat der Konzern bereits an sein System angeschlossen. Dabei kooperiert Thyssen-Krupp mit dem US-Technologiekonzern Microsoft, der die Cloud-Infrastruktur, aber auch die Software-Plattform beisteuert, auf der die Daten der Aufzüge gesammelt, gespeichert und anschließend analysiert werden.

Diese Art der Zusammenarbeit zwischen Software- und Hardwarelieferanten ist in der Industrie häufig anzutreffen. Denn nur wenige Firmen verfügen über das Personal, um aufwendige Softwareprojekte im Alleingang zu stemmen. „Ich kenne kein Unternehmen, das sagt, es bekommt auf dem Arbeitsmarkt genügend IT-Kräfte“, berichtete zum Beispiel Gea-Chef Klebert aus seiner täglichen Arbeit.

Die Transformation stellt damit nicht nur die Unternehmen, sondern auch das deutsche Bildungssystem vor Herausforderungen. So meldete etwa der IT-Branchenverband Bitkom erst Ende November, dass die Zahl der offenen Stellen für IT-Kräfte in Deutschland erstmals über 120.000 gestiegen sei. Dem Verband zufolge rechnen zwei Drittel der Unternehmen damit, dass sich die Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird.

„Abiturienten haben heute kaum IT-Kenntnisse und lernen in der Schule eher Französisch als Chinesisch als zweite Fremdsprache“, beklagte Klebert. Deepa Gautam-Nigge, Leiterin des Next-Gen Innovation Netzwerks von SAP, ergänzte: „Zwei Drittel der heutigen Grundschüler werden später einen Beruf ausüben, der bisher noch gar nicht existiert.“