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Als die deutsche Justiz auf ganzer Linie versagte: Der wahre Hintergrund der VOX-Serie "Glauben"

In den drei Wormser Prozessen wurden über Kindesmissbrauch verhandelt, doch alle Anschuldigungen erwiesen sich als falsch (Symbolfoto). (Bild: iStock / kieferpix)
In den drei Wormser Prozessen wurden über Kindesmissbrauch verhandelt, doch alle Anschuldigungen erwiesen sich als falsch (Symbolfoto). (Bild: iStock / kieferpix)

"Zerstörte Familien, ruinierte Existenzen, materielle Not": Mitte der 90er-Jahre offenbarten die Wormser Prozesse ein eklatantes Versagen der deutschen Justiz. Die VOX-Serie "Glauben" arbeitet die Ereignisse fiktional auf.

Wer sich die Fernsehserie "Glauben" bis zum Ende anschaut, schüttelt irgendwann nur noch ungläubig den Kopf und fragt sich unweigerlich, ob all das nicht vielleicht doch einfach nur Fiktion ist. Aber nein, "Glauben" basiert tatsächlich auch wahren Ereignissen, auf einem Gerichtsprozess, der das Leben von Dutzenden Menschen zerstört hat und der einging in die Rechtsgeschichte als das vielleicht größte Versagen der bundesdeutschen Justiz.

"Das Wesentliche dieser Verfahren war das Versagen aller gesellschaftlichen und rechtlichen Institutionen, der Presse und der Öffentlichkeit", sagt der Jurist und Autor Ferdinand von Schirach, der hinter der Serie steckt (VOX, ab Mittwoch, 1. Dezember, 20.15 Uhr, sowie beim Streamingdienst RTL+). "Glauben" arbeitet die sogenannten Wormser Prozesse auf. Mit fiktiven Personen zwar, aber doch nah dran an den Ereignissen, die in den 90er-Jahren Deutschland schockierten - zunächst, weil die Verbrechen, die den Beschuldigten zur Last gelegt wurden, so ungeheuerlich klangen, schließlich, weil sich herausstellte, dass es diese Verbrechen gar nicht gegeben hatte.

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Damals waren 25 Männer und Frauen in drei Prozessen angeklagt. Sie sollen 16 Kinder, darunter sogar Babys, gemeinschaftlich sexuell missbraucht haben. Die Angeklagten, so die Vorwürfe, sollen ihre Taten gefilmt haben, die Rede war seinerzeit von einem Porno-Ring.

Szene aus der Serie "Glauben": Anwalt Schlesinger (Peter Kurth, rechts) übernimmt die Verteidigung des Kneipenbesitzers Ernesto Perez (Michael Pink). (Bild: TVNOW / Stephan Rabold)
Szene aus der Serie "Glauben": Anwalt Schlesinger (Peter Kurth, rechts) übernimmt die Verteidigung des Kneipenbesitzers Ernesto Perez (Michael Pink). (Bild: TVNOW / Stephan Rabold)

Wie ist der Skandal zu erklären?

Von 1995 bis 1997 dauerten die Prozesse, viele der Angeklagten saßen zwei Jahre lang in Haft, eine der angeblichen Täterinnen verstarb in dieser Zeit sogar - im Gerichtssaal brach sie zusammen, am nächsten Tag war sie tot. Am Ende stand fest: "Den Wormser Massenmissbrauch hat es nie gegeben." Das sagte der Vorsitzende Richter Hans Lorenz zu Beginn seines Urteils im dritten der Prozesse. "Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende geht, haben wir uns zu entschuldigen."

Wie konnte es sein, dass die deutsche Justiz 25 völlig unschuldige Menschen der abscheulichsten Taten beschuldigte und sie in Untersuchungshaft steckte - für ein Verbrechen, dass nie stattgefunden hat? Auslöser für die Prozesse war ein Sorgerechtsstreit zweier Eltern, die sich scheiden lassen wollten. Irgendwann stand der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum, die Behörden ermittelten - und stießen auf immer mehr angeblich missbrauchte Kinder. Diese hatten zwar von Missbrauch berichtet, jedoch erst, nachdem sie von den Ermittlern regelrecht verhört worden waren. Die Fragen, die man ihnen stellte, waren suggestiv, die Kinder wurden rhetorisch in die Enge getrieben, bis sie etwas gestanden, was gar nicht stattgefunden hatte.

Peter Kurth ist als Anwalt Schlesinger eine Wucht. (Bild: RTL / MOOVIE / Stephan Rabold)
Peter Kurth ist als Anwalt Schlesinger eine Wucht. (Bild: RTL / MOOVIE / Stephan Rabold)

"Zerstörte Familien, ruinierte Existenzen, materielle Not"

Hinzukam das völlige Versagen der Justiz. Da wurde der Vorwurf erhoben, ein Baby sei missbraucht worden, das zum Tatzeitpunkt allerdings noch gar nicht geboren war. Angebliche Beweise wurden von Gutachtern einfach weggeworfen, Kinderärzte fanden Spuren, die es gar nicht gab.

"Viele der Angeklagten waren knapp zwei Jahre lang in Untersuchungshaft, ihre Kinder in Heimen", bilanzierte Richter Lorenz 1999 in der "Deutschen Richterzeitung" die Prozesse. "Zerstörte Familien, ruinierte Existenzen, materielle Not, Kinder, die für sexuell missbraucht gehalten wurden, zum Teil noch gehalten werden, Eltern, die einen oft aussichtslosen Kampf um die Wiederherstellung ihrer verlorenen Ehre kämpfen."

Während des Prozesses wurden die angeblichen Missbrauchsopfer in Heimen untergebracht. Die lange Trennung von den Eltern zerstörte viele Familien, zerrüttete Ehen. Einige der Kinder lebten in einem Heim mit dem sympathischen Namen "Spatzennest". Dessen Gründer und Leiter wurde 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt: Er hatte mehrere seiner Schützlinge sexuell missbraucht.

Die Kinderschützerin Ina Reuth (Katharina Marie Schubert) steht im Zentrum des Missbrauchsskandals. (Bild: RTL / MOOVIE / Stephan Rabold)
Die Kinderschützerin Ina Reuth (Katharina Marie Schubert) steht im Zentrum des Missbrauchsskandals. (Bild: RTL / MOOVIE / Stephan Rabold)