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Die deutsche Biotech-Branche ist gefährlich abhängig von US-Investoren

Weil heimische Investoren das Risiko scheuen, sind die Firmen auf den US-Kapitalmarkt angewiesen. Das ist auf Dauer nicht gesund, glauben Experten.

Deutsche Mediziner und Molekularbiologen sind stark in der Grundlagenforschung. Die Möglichkeiten, die sich daraus für die Produktentwicklung und Kommerzialisierung ergeben, werden von heimischen Investoren aber kaum geschätzt. Stattdessen sind Start-ups immer stärker auf ausländische Geldgeber angewiesen.

Vor allem der US-Kapitalmarkt übt eine immer stärkere Sogwirkung auf die Branche aus und wird zur unverzichtbaren Geldquelle für Firmen, die klinische Forschungsprojekte vorantreiben wollen.

Den Trend untermauerte in jüngerer Zeit nicht nur der erfolgreiche Börsengang des Mainzer Krebsforschungsspezialisten Biontech, der mit einer Emission an der Technologiebörse Nasdaq netto rund 135 Millionen Euro an frischem Kapital hereinholte. Wenige Monate zuvor hatte das Unternehmen in einer privaten Finanzierungsrunde bereits knapp 300 Millionen Euro eingenommen, ebenfalls vorwiegend von US-Investoren.

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Neben Biontech sind in diesem Jahr bereits zwei weitere deutsche Biotech-Start-ups an die US-Börse gegangen, wenn auch mit kleineren Emissionen. Die Rostocker Centogene, die auf Datenanalyse und Forschung im Bereich seltener Krankheiten spezialisiert ist, platzierte Aktien im Bruttowert von rund 50 Millionen Dollar an der Nasdaq.

Die Münchener Immunic, die an neuen Therapien gegen chronische Entzündungen arbeitet, ging im Frühjahr im Wege eines Reverse-Mergers mit der bereits gelisteten US-Firma Vital Therapies an die Nasdaq.

Bereits in den vergangenen Jahren suchten Firmen wie Pieris, Affimed und die Jenaer Inflarx den Weg an die Nasdaq. Auch die Münchener Morphosys, die bereits seit Ende der 90er-Jahre in Frankfurt gelistet ist, versorgte sich zuletzt mit einem IPO an der Nasdaq mit zusätzlichem Kapital. Börsengänge in Deutschland gelten dagegen für Biotechfirmen als nahezu unmöglich.

Branchenkenner betrachten die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Das wachsende Interesse von US-Investoren bestätigt aus ihrer Sicht zwar die Qualität der Forschung, birgt aber die Gefahr, dass Know-how und Wertschöpfungspotenzial im Pharmabereich langfristig weiter abwandern.

Die Bedingungen für die sogenannte „Translation“, also die Umsetzung von Grundlagenforschung in kommerzielle Produkte, gilt vor dem Hintergrund der hohen Kosten und langen Entwicklungszeiten in der Pharmaforschung nach wie vor als völlig unbefriedigend.

Und ohne das Engagement von einzelnen Großinvestoren wie SAP-Mitgründer Dietmar Hopp und den früheren Hexal-Eignern Andreas und Thomas Strüngmann wäre die finanzielle Situation noch schwieriger. Die Strüngmann-Brüder hatten Biontech mit einem sehr hohen Anfangsinvestment von mehr als 100 Millionen Euro unterstützt und sind nach wie vor Mehrheitseigner. Hopp finanziert unter anderem Firmen wie Curevac, Heidelberg Pharma und Molecular Health.

Abstand hat sich vergrößert

„Es hat sich zwar einiges verbessert in den letzten Jahren“, sagt Jörn Erselius, Geschäftsführer von Max Planck Innovation (MPI), die sich um die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen der Max-Planck-Institute kümmert: „Letztlich hat sich der große Rückstand gegenüber den USA aber nicht verringert.“

Experten der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgruppe EY kamen sogar zu dem Schluss, dass sich der Abstand zur US-Biotechbranche zwischen 1998 und 2018 noch vergrößert hat. Siegfried Bialojan, Leiter des deutschen Life-Science-Centers von EY, beklagt daher schon seit Jahren die schwache Finanzierungsbasis der Branche. „Die Biotechindustrie kann nur dann gedeihen, wenn der Kapitalmarkt den Firmen Möglichkeiten zur Entwicklung eröffnet“, sagt er.

Einzelne Erfolgsbeispiele wie nun Biontech sind aus seiner Sicht nicht ausreichend, um den Sektor auf breiter Front voranzubringen. Zuletzt hatten US-Biotechs gut 40-mal so viel Kapital eingeworben wie ihre deutschen Konkurrenten.

Aus der ungleichen Finanzkraft resultiert für deutsche Biotech-Start-ups die Gefahr, dass sie mit ihren Projekten mangels Finanzkraft zu langsam vorankommen und von der US-Konkurrenz überrundet werden. Für Forscher verstärkt sich damit der Anreiz, ihre Firmen gleich in den USA zu gründen.

Ein typisches Beispiel dafür ist etwa das von Anthony Hyman vom Dresdener Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik Ende 2018 gegründete Biotechunternehmen Dewpoint, das mit Unterstützung des Leitinvestors Polaris Partners 60 Millionen Dollar Startfinanzierung erhielt und direkt in Boston etabliert wurde. Auch in der Vergangenheit hatten Max-Planck-Forscher schon mehrfach maßgebliche Grundlagen für erfolgreiche US-Biotechfirmen erarbeitet.

Forscher im Dilemma

Wissenschaftler und Forschungsinstitute stehen nach Einschätzung von MPI-Chef Erselius vor einem Dilemma. „Wir sind einerseits interessiert an Firmengründungen in Deutschland. Aber wir haben auch hohes Interesse daran, dass die bei uns erforschten neuen Technologien möglichst schnell in konkrete Produkte verwandelt werden und den Menschen zugutekommen.“

Ein zusätzliches Manko ergibt sich aus der relativen Schwäche der deutschen Pharmaindustrie. Etliche größere Unternehmen – darunter Hoechst, Boehringer Mannheim, BASF Pharma, Altana und Schwarz Pharma – wurden bereits in den 90er- und 2000er-Jahren von ausländischen Arzneimittelkonzernen übernommen. Als größter Sündenfall gilt dabei nach wie vor der Verkauf von BASF Pharma an den US-Konzern Abbott vor rund 20 Jahren.

Denn der rund acht Milliarden Dollar schwere Deal umfasste unter anderem auch das von BASF entwickelte Rheumamittel Humira, das sich später zum erfolgreichsten Pharmaprodukt aller Zeiten entwickelte und seit der Markteinführung 2003 insgesamt rund 150 Milliarden Dollar Umsatz brachte.

Die verbleibenden großen Pharmahersteller Bayer, Boehringer Ingelheim und Merck haben es nicht geschafft, sich aus dem Mittelfeld herauszuarbeiten, und spielen als potenzielle Partner oder auch Käufer der heimischen Biotechfirmen nur eine völlig untergeordnete Rolle.

Stattdessen sind es fast ausschließlich ausländische Pharmakonzerne, die sich über Lizenzdeals und Übernahmen die Rechte an interessanten Projekten und Produkten sichern. Das von der Wuppertaler Aicuris entwickelte Anti-Virus-Medikament Letermovir etwa vertreibt heute der US-Konzern Merck & Co.

Die Münchener Firma Micromet wurde 2010 von Amgen übernommen und verschaffte dem US-Konzern Zugang zur Wirkstoffklasse der bispezifischen Antikörper. Ein Wirkstoff gegen Schuppenflechte, der aus der Forschung der Münchener Morphosys stammt, dürfte im laufenden Jahr mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz für den US-Konzern Johnson & Johnson einspielen.