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Deutsche Bank unter Stress: Coronakrise macht Umbau zum Wettlauf gegen die Zeit

Die Deutsche Bank hat vor ihrem runden Geburtstag neues Vertrauen geschaffen. Jetzt könnte das Coronavirus wieder zerstören, was Sewing mühsam aufgebaut hat.

Längst haben Hedgefonds Wetten gegen die Deutsche Bank erneut als lukratives Geschäft entdeckt. Foto: dpa
Längst haben Hedgefonds Wetten gegen die Deutsche Bank erneut als lukratives Geschäft entdeckt. Foto: dpa

Die Berliner Philharmoniker mit Werken von Beethoven und Prokofjew, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Gastredner und anschließend ein rauschendes Fest mit 1.200 Gästen aus Politik und Wirtschaft. So hatte sich die Deutsche Bank den Festakt zu ihrem 150. Geburtstag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt vorgestellt. Die Sause in der Hauptstadt sollte ein bisschen was zurückbringen vom Glanz alter Zeiten, das Image von Deutschlands größtem Geldhaus aufpolieren, den Neustart symbolisieren.

Aber daraus wird nichts

Doch die schnelle Ausbreitung des Coronavirus hat diese Geburtstagspläne zunichte gemacht. Wenn die Bundesregierung eindringlich von Großveranstaltungen abrät, dann kann die Deutsche Bank nicht abweichen. „Diese Entscheidung ist uns sehr schwergefallen“, schreiben Vorstandschef Christian Sewing und Aufsichtsratschef Paul Achleitner in der Absage an die Gäste.

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Ob der Festakt nachgeholt wird – völlig offen. Die Bank plant im Moment von Tag zu Tag. Und hinter den Kulissen steigt die Nervosität, dass Corona sehr viel mehr kaputt machen könnte als nur die Feier.

Die Strategie, mit der Sewing angetreten ist, war von Anfang an scharf kalkuliert, derart scharf, dass nichts Unvorhergesehenes passieren durfte. Die große Frage lautet nun: Sind die Abwehrkräfte der Bank stark genug, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu verkraften?

Zurück in den Krisenmodus, könnte es mal wieder heißen. Wie so oft in den vergangenen Jahren.

Noch vor wenigen Wochen wirkte die Deutsche Bank revitalisiert. Das Ertragsniveau: stabilisiert, wenn auch noch auf einem niedrigen Niveau. Die Aktie: eine lohnende Investition, für kurze Zeit kostete das Wertpapier wieder mehr als zehn Euro.

Und es gab im Kreis der Großaktionäre mit langfristiger Anlagestrategie einen neuen, sehr respektablen Namen: die kalifornische Capital Group. Das alles ließ die breite Aktionärsschaft nicht mehr nur von einer Wende zum Besseren träumen, der Turnaround schien tatsächlich wahr zu werden.

Doch seit Mitte Februar rauscht die Aktie wieder ungebremst nach unten und lotet neue Tiefststände aus. Längst haben Hedgefonds Wetten gegen die Bank erneut als lukratives Geschäft entdeckt. Und die Risikoprämien am Derivatemarkt signalisieren eine wachsende Alarmbereitschaft der Investoren.

Das erratische Auf und Ab an der Börse zeigt, wie schnell das Vertrauen in die Deutsche Bank wieder schwinden kann. Einst schrieb das Institut als Financier der Bagdad-Bahn, als Herzstück der Deutschland AG oder schlicht als größte Bank der Welt Geschichte. Nun, ausgerechnet im Jubiläumsjahr, sorgt ein neuer Tiefpunkt der Aktie für Schlagzeilen: 4,87 Euro. Das ist weniger, als eine Tageskarte für die U-Bahn in Frankfurt kostet.

Bangen um die schwarze Null

Nicht einmal die größten Optimisten unter den Analysten glauben noch, dass die Bank ihre Erträge bis 2022 wie versprochen auf 24 bis 25 Milliarden Euro steigern kann und auf eine Rendite von acht Prozent kommt. Fondsmanagerin Alexandra Annecke von Union Investment, einem der größeren Aktionäre der Bank, spricht zurückhaltend höflich von einem „sehr ehrgeizigen Ziel“.

Die Furcht vor einer globalen Rezession hat die zarte Zuversicht aus dem Januar längst eingeholt. „Eigentlich muss man jeden Tag davon ausgehen, dass die Deutsche Bank eine Gewinnwarnung ausspricht und ihre Ziele revidiert“, heißt es bei einem großen institutionellen Investor.

Die Bank kann nur hoffen, dass die Finanzprofis das Institut unterschätzen. Denn die Sanierung ist seit Sewings Amtsantritt im April 2018 immer auch ein Wettlauf gegen die Zeit gewesen. „Wir befinden uns spät im Konjunkturzyklus“, sagt Stuart Graham, Co-Gründer und Partner des renommierten Londoner Analysehauses Autonomous.

Die Coronakrise droht nun die Zeitspanne, die der Bank für den Umbau bleibt, weiter zu verkürzen. „Wenn es zu einer Rezession kommt und die Deutsche Bank bis dahin immer noch nur niedrige einstellige Renditen erzielt, dann drohen ihr schnell wieder rote Zahlen.“

Das macht das Coronavirus für die Bank so gefährlich. Rote Zahlen könnten bei Investoren rasch wieder die Sorge aufkeimen lassen, ob nicht doch eine weitere Kapitalerhöhung nötig ist.

Das wäre das ultimative Schreckensszenario, denn die zuletzt eingesetzten finanziellen Mittel haben aus Sicht von Kritikern keine Wirkung entfaltet: Seit der Finanzkrise 2008 hat die Deutsche Bank bei Anlegern insgesamt fast 30 Milliarden Euro an frischen Geldern eingesammelt – und zugleich 18 Milliarden für Strafzahlungen ausgegeben.

Der Ausflug ins internationale Investmentbanking, der die Bank unter Führung von Rolf Breuer zeitweise auf Augenhöhe mit den großen Adressen der Wall Street brachte, trieb zwar für einige Jahre den Aktienkurs, die Dividenden und die Vergütung für Vorstände und Investmentbanker auf Rekordhöhen. Der Erfolg war allerdings teuer erkauft, die Risiken in der Bilanz stiegen.

Etliche Strafen, die die Bank in der jüngeren Vergangenheit gezahlt hat, gehen auf die Ära Josef Ackermann – mit seinem Investmentbanking-Chef Anshu Jain – zurück. Es waren fragwürdige Hypothekengeschäfte in den USA dabei, windige Aktiendeals mit russischen Oligarchen und auch Manipulationen von wichtigen Referenzzinssätzen wie etwa dem Libor, der Grundlage vieler Geschäfte auf den weltweiten Finanzmärkten ist. Dass Jain dann zusammen mit Jürgen Fitschen von 2012 bis 2015 die Bank sogar als Co-Chef führen durfte, sorgte nicht nur bei den Aufsichtsbehörden für Irritationen, sondern auch bei vielen Kunden.

„Vertrauen ist der Anfang von allem“, tönte es schon vor 25 Jahren in einem Werbespot der Bank. Aber erst unter dem nüchternen Analytiker John Cryan, der Jain ablöste, kam dieses Vertrauen langsam wieder zurück. Dass Cryan die Probleme der Bank zwar ungewohnt offen benannte, aber nicht löste, kostete auch ihn schließlich den Job.

Jetzt also soll es Sewing richten. Der Westfale soll die Bank zurückführen, zum Geschäft mit Unternehmens- und Privatkunden. Für diese Selbstfindung hat sich das Institut viel Zeit gelassen; mehr Zeit als alle Wettbewerber. Die fetten Jahre, in denen die Konjunktur in Europa und im Heimatmarkt brummte, vertändelte die Deutsche Bank mit wechselnden Chefs und unsteten Prioritäten.

„Ein bisschen verzettelt“

„Mit früheren Strategien hatten wir uns ein wenig verzettelt“, räumt Fabrizio Campelli ein. Das Vorstandsmitglied sitzt in einem kargen Konferenzraum der Deutschen Bank in London und ist per Video nach Frankfurt zugeschaltet, eine goldene Winkekatze lugt von hinten über seine Schulter. Campelli darf wegen Corona in diesen Tagen nicht fliegen. Die Deutsche Bank hat Geschäftsreisen wegen der Ansteckungsgefahr drastisch eingeschränkt.

Campelli stieß zur Deutschen Bank, als sie noch von Ackermann geführt wurde. Seit Januar ist der 47-Jährige nun im Vorstand für Transformation und Personal zuständig und muss Lösungen liefern für all das, was unter Sewings Vorgängern nicht angepackt wurde.


Sewing weiß, dass eine baldige Rezession seine Pläne durchkreuzen könnte

„Wenn ich die aktuelle Lage mit früheren Zeiten vergleiche, dann ändert sich mittlerweile wirklich etwas – und zwar in der Realität, nicht nur in Reden“, beteuert er. Die Bank konzentriere sich nun auf die Bedürfnisse ihrer Kernkundschaft. „Und der Vorstand zieht an einem Strang, was in der Vergangenheit oft nicht der Fall war.“

Dass sich unter Sewing mehr getan hat als unter seinen Vorgängern, das wird intern wie extern nahezu einhellig gesehen. „Christian Sewing tut der Bank gut. Man nimmt ihm ab, dass ihm die Bank und das Bankgeschäft am Herzen liegen“, sagt Union-Investment-Fondsmanagerin Annecke. „Die Entwicklung der Bank im vergangenen Jahr stimmt mich zuversichtlicher, dass die Wende gelingen kann.“

Andreas Thomae, Fondsmanager bei Deka Investments, verweist auf den Investorentag der Bank Mitte Dezember, den „Investor Deep Dive“, der die Stimmung gedreht habe. Gut kam vor allem an, dass Vertreter aller Geschäftsbereiche präsent waren und einen tiefen Einblick in die Ergebnisse und Prognosen gegeben haben.

Die Stimmung beim anschließenden Dinner wird im Nachhinein als gelöst beschrieben. Auch der ausgeschenkte Rotwein, ein französischer Medoc, trug wohl dazu bei.

Vor allem ein Vertreter der Capital Group, seit diesem Jahr nun mit drei Prozent an der Deutschen Bank beteiligt, habe ausdrücklich den vorzüglichen Wein gelobt, wie mehrere Teilnehmer berichten. Allerdings ist auch überliefert, dass Sewing die Erwartungen an künftige Abendessen sogleich herunterredete, und zwar mit den Worten: „Freuen Sie sich daran, das sind noch Altbestände der Vorgänger. Wir würden heute so etwas nicht mehr kaufen.“

Blick in die Kristallkugel

Wenige Wochen später sitzt Sewing in einem Besprechungszimmer auf der Vorstandsetage der Deutschen Bank in Frankfurt und redet unter deutlich anderen Vorzeichen über die Aussichten der Bank. Es ist Ende Februar, das Coronavirus hat sich inzwischen von Asien nach Europa vorgearbeitet und immer mehr Länder erobert. Niemand kann die Folgen für die Weltwirtschaft verlässlich vorhersagen.

Sewing weiß, dass eine baldige Rezession seine Pläne durchkreuzen könnte. Doch der Bankchef hält entschlossen an seinem Plan fest. „Wir müssen 2020 zeigen, dass wir unsere Versprechen weiter erfüllen können. So wie im Jahr 2019“, sagt er. Grundsätzlich wollten die Investoren sehen, dass die Bank ihre Erträge steigern könne, ohne bei der Kostendisziplin nachzulassen.

Sparen war traditionell ein Fremdwort für Deutschbanker. Waren die Ausgaben zu hoch, musste eben die Bilanz entsprechend aufgeblasen werden, gerade und oft über den Wertpapierhandel. Das ist jetzt anders. „Bei den Kosten hat sich die Bank schon eine hohe Glaubwürdigkeit erarbeitet“, lobt Union-Fondsmanagerin Annecke. „Aber für die Erträge gilt das noch nicht.“

Bislang hat Corona die Bilanz der Bank nicht infiziert. Die Geschäfte laufen im ersten Quartal – traditionell das wichtigste Vierteljahr für die Banken – nach wie vor erfreulich, ist aus verschiedenen Abteilungen des Konzerns zu hören. Auch Finanzchef James von Moltke betont im Gespräch mit dem Handelsblatt, er sehe bislang keinen Grund dafür, die Ziele der Bank für dieses Jahr zu relativieren. Einerseits.

Andererseits wird Corona nicht zuerst die Banken treffen, sondern deren Kunden: Mittelständler, die nicht wissen, wann der Nachschub von Rohstoffen und Vorprodukten aus China wegen der massiven Einschränkungen zusammenbricht. Exportfirmen, die weniger Waren ausführen und deshalb weniger Handelsfinanzierungen nachfragen. Internationale Konzerne, die ihre Pläne für Aktien- und Anleiheemissionen oder gar Zukäufe verschieben und die Dienste der Bank deshalb vorerst nicht benötigen.

Noch beeinträchtigt das Virus in erster Linie die internen Abläufe der Deutschen Bank. Wegen bestätigter Coronafälle bleiben erste Filialen geschlossen, Händlerteams wurden auf verschiedene Standorte verteilt. Die Stimmung ist angespannt.

Auch in New York. Am dortigen Sitz der Deutschen Bank, direkt an der Wall Street, nickt Christiana Riley Anfang März freundlich zur Begrüßung und bittet in ein Besprechungszimmer. Wie viele andere auch verzichtet die Amerikachefin der Bank in diesen Tagen, Gesprächspartnern die Hand zu geben. Einmal pro Stunde wäscht sie sich die Hände und versucht ansonsten, den Rat der Gesundheitsbehörden zu befolgen, möglichst wenig das Gesicht zu berühren.

Riley ist 41 Jahre alt und sitzt seit Januar im Vorstand der Bank, als einzige Frau. Die Amerikanerin hat lange in Frankfurt gelebt und spricht fließend Deutsch. Sewing installierte Riley nun als Brückenbauerin zwischen dem „amerikanischen“ und dem „deutschen“ Teil der Bank. Die Gräben der Vergangenheit soll es nicht mehr geben.

Gerade hat Riley mit Risikovorstand Stuart Lewis in London zum Thema Corona telefoniert. „Über die Marktrisiken waren wir uns schnell klar“, berichtet sie. „Dann haben wir in die Kristallkugel geblickt und über die Entwicklung in den stärker betroffenen Ländern diskutiert.“

Ihr fällt es schwer, das Risiko näher zu beziffern. „Es gibt da den kurzfristigen Marktschock. Der bereitet uns keine Kopfschmerzen, für so etwas sind wir gut gerüstet“, sagt sie. „Und dann gibt es die möglichen mittelfristigen Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Kreditrisiken – da ist es für eine Einschätzung noch zu früh. Und es hängt natürlich davon ab, wie lange diese Entwicklung andauert.“

Paradoxerweise macht die neue Strategie von Sewing – die er Anfang 2018, wie es Vertraute erzählen, auf dem Rückweg aus dem Skiurlaub auf der Autobahn ausgearbeitet haben soll, während seine Frau am Steuer saß – die Bank womöglich noch anfälliger für Konjunkturrisiken.

Im Handelsgeschäft lässt sich in vielen Marktphasen Geld verdienen, auch und gerade in sehr volatilen Zeiten. Doch die Bank setzt wieder stärker auf Kredite. „Wir müssen bei unserem Kreditgeschäft mit der Spannung leben, dass wir an der Seite unserer Kunden stehen wollen, aber gleichzeitig unsere Risiken im Blick behalten müssen“, beschreibt Riley das Dilemma.

Wenn sich die Deutsche Bank eines nicht mehr leisten kann, dann sind es enttäuschte Kunden. Zu viel Porzellan hat das Institut zerschlagen, als die Investmentbanker nach der Jahrtausendwende das Sagen hatten. „Nach dem Kauf von Bankers Trust war nicht mehr der Kundenberater das Gesicht zum Kunden, sondern alle möglichen Investmentbanker meldeten sich dort auch direkt“, erinnert sich ein langjähriger Deutsche-Bank-Veteran. Unter Jain hätten Teams oft gegeneinander gearbeitet, um an Aufträge zu kommen, berichten ehemalige Manager über diese Zeit.

Genau das darf sich in den Augen von Stephan Szukalski, dem Bundesvorsitzenden der Bankgewerkschaft DBV, auf keinen Fall wiederholen. Er attestiert der Deutschen Bank zwar Fortschritte beim Umbau. Aber es werde noch Jahre dauern, bis die Bank wieder sicher auf beiden Füßen stehe – und dabei dürfe nicht viel schiefgehen. „Ein Rückfall in alte Verhaltensmuster wie Arroganz, Überheblichkeit und zu stark auf schnelle Erfolge schielen wäre dieses Mal tödlich“, warnt er.

Reputation ist ein teures Gut

Das alles hat Reputation gekostet, auch in der deutschen Industrie. Die Bank habe ihre Kunden von oben herab behandelt, sagt der Vorstand eines Dax-Konzerns. Ein anderer Vorstandsvorsitzender eines global agierenden Unternehmens beschreibt Sewing zwar als „nahbar“ und bescheinigt ihm, gut zuzuhören. In den Ebenen unter dem Vorstand sei aber noch immer zu viel von der alten Arroganz zu spüren. Darüber können auch prestigeträchtige Mandate wie der Beratungsauftrag für den milliardenschweren Verkauf der Aufzugssparte von Thyssen-Krupp nicht hinwegtäuschen.

Umso wichtiger ist eifriges Klinkenputzen, auch bei Mittelständlern und städtischen Kämmerern. Gerade bei Letzteren hat die Deutsche Bank bis heute ein Glaubwürdigkeitsproblem, schwatzte sie doch vielen Städten mit klammer Kasse vor der Finanzkrise komplexe Zinswetten auf, von denen nicht wenige zu hohen Verlusten führten. Die Stadt Pforzheim beispielsweise erstritt deshalb vor einigen Jahren einen Vergleich – und ist bis heute nicht gut zu sprechen auf Deutschlands größtes Geldhaus. „Es gab seit dem Debakel mit den derivativen Geschäften der Deutschen Bank keinen Geschäftskontakt mehr zwischen der Stadt Pforzheim und der Deutschen Bank“, gibt ein Sprecher der Stadt kurz und knapp zu Protokoll.


Das Verhältnis zur Politik ist schwieriger als früher

Stefan Bender, Deutschlandchef der Bank, ist der Mann, der heute wieder für ein besseres Verhältnis sorgen muss „Viele Kunden im Mittelstand hatten in der Vergangenheit das Gefühl, wir würden sie vernachlässigen“, räumt er ein. Nach seiner Beobachtung kehrt das Vertrauen in die Bank aber allmählich wieder zurück. „Vor allem im Mittelstand wachsen wir seit einigen Jahren kontinuierlich vierstellig bei der Kundenzahl.“ Im öffentlichen Sektor – darunter fallen die Kämmerer – komme jährlich eine knappe dreistellige Zahl neuer Geschäftsverbindungen hinzu.

Auch das Verhältnis zur Politik ist schwieriger als früher. Es gab Zeiten, in denen die Chefs der Bank den jeweiligen Bundeskanzler in Finanzfragen berieten. Doch wenn Angela Merkel heutzutage Rat benötigt, sucht die Kanzlerin diesen nicht mehr zuerst in der Chefetage der Deutschen Bank, sondern anderswo, etwa ihrem früheren Wirtschaftsberater und heutigen Bundesbank-Chef Jens Weidmann. Auch zu EZB-Präsidentin Christine Lagarde und deren Vorgänger Mario Draghi wird Merkel ein gutes Verhältnis nachgesagt.

Das bedeutet nicht, dass die Kanzlerin die Lage beim größten deutschen Kreditinstitut egal wäre. Merkel wünsche sich eine starke Deutsche Bank, heißt es von Vertrauten. Sie informiere sich nach wie vor über die Entwicklung bei dem Institut und lasse sich die Strategie vom jeweiligen Chef im persönlichen Gespräch erläutern. Immerhin: Sewing durfte unlängst mit auf die Chinareise. Doch seit der umstrittenen Geburtstagsfeier für Ackermann im Kanzleramt bleibt Merkel grundsätzlich auf Distanz zur Bank.

Die Finanzkrise und die unrühmliche Rolle von Großbanken wie der Deutschen Bank war für das politische Berlin eine Zäsur. Es gab Jahre, da ließ sich auf dem traditionellen Neujahrsempfang des Instituts in Berlin kaum ein Spitzenbeamter blicken. Erst unter Bundesfinanzminister Olaf Scholz lockert sich das Verhältnis langsam, auch inhaltlich nähert man sich wieder an: Scholz‘ Vorgänger Wolfgang Schäuble „musste man mit Deregulierung gar nicht kommen“, sagt ein langjähriger Regierungsbeamter. „Da gibt es bei Scholz schon mehr Verständnis.“

Selbst einer Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank, an der der Bund immer noch 15 Prozent hält, hätte Scholz wohlwollend gegenübergestanden. Aber so weit kam es nicht, die Gespräche über einen „nationalen Champion“ wurden im vergangenen Frühjahr nach wenigen Wochen wieder beendet. Nun kann es gut sein, dass die arg geschrumpfte Commerzbank irgendwann von einem europäischen Rivalen wie der französischen BNP Paribas, der niederländischen ING oder der italienischen Unicredit geschluckt wird – und die Deutsche Bank vor der Frage steht, ob sie bei der Branchenkonsolidierung zusehen oder selbst mit einsteigen will. Und wenn ja: Mit welchem Partner?

Schon im Herbst 2018 schlüsselte der Vorstand um Sewing in einer Strategiesitzung mit dem Aufsichtsrat im Detail auf, warum ein Zusammengehen mit der Schweizer Großbank UBS für das Institut attraktiver sei als eine Fusion mit der Commerzbank. Kaum war im vergangenen Jahr die Fusion mit den „Gelben“ geplatzt, sondierte man noch einmal vorsichtig mit den Schweizern, was wohl möglich wäre. Letztlich gelang es aber nicht einmal, die beiden Vermögensverwaltungssparten zusammenzubringen. Eine Fusion der werthaltigen Fondstochter DWS mit der dazu passenden Sparte der UBS hätte die Eigenkapitalquote der Deutschen Bank zu stark belastet, sagen zwei Insider.

Die Deutsche Bank hält sich zu dem Thema bedeckt. Potenzielle Wunschkandidaten werden öffentlich natürlich nicht kommentiert. Auf Zusammenschlüsse angesprochen, macht Sewing aber recht schnell klar, dass er über die Landesgrenzen hinweg schaut. „Ich sage schon seit Langem, dass in der europäischen Bankenbranche eine Konsolidierung ansteht“, betont er. „Eine der wesentlichen Voraussetzungen wäre, dass ein potenzieller Partner etwas Neues mitbringt – und das ist international eher möglich als national.“

Satisfaktionsfähig werden

Bis es so weit ist, gilt in den Doppeltürmen die Devise: allein weitermachen. Es wird aufgeräumt, um bei der nächsten Fusionsgelegenheit aus einer starken Position heraus handeln zu können. Jede Ablenkung sei brandgefährlich, warnt einer der Topmanager im Haus. „Es geht nun darum, die Bank satisfaktionsfähig zu machen. Es muss weiter schön geliefert werden, Quartal für Quartal – und dann sehen wir weiter.”

Sewing hat der Bank neue Werte verordnet, das Thema Nachhaltigkeit soll in den Mittelpunkt rücken: „Wir wollen nachhaltiges Wirtschaftswachstum und gesellschaftlichen Fortschritt fördern und so in der Mitte der Gesellschaft stehen. Dafür arbeiten wir, dafür sind wir da“, beschreibt er das Leitbild.

Doch auch hier gab es zuletzt einen Rückschlag: Das Mandat für die erste grüne Bundesanleihe ging an die französische Crédit Agricole. Sie hat bereits Erfahrung mit so einem Vorzeigeprodukt, schließlich brachte sie für den französischen Staat eine vergleichbare Anleihe auf den Weg. In den Frankfurter Doppeltürmen reagiert man verschnupft, wenn das Thema zur Sprache kommt. Die Enttäuschung ist groß, auch wegen der öffentlichen Wirkung der Entscheidung. In Frankreich hätte es so etwas nie gegeben – einen Prestige-Auftrag nicht an eine heimische Bank vergeben, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Wenn Sewing aber einen Erfolg ganz klar für sich verbuchen kann, dann ist es das deutlich entspanntere Verhältnis zu den Aufsehern. Die Kontrolleure loben, die Deutsche Bank habe die Zeichen der Zeit erkannt und endlich auch an ihren internen Abläufen gearbeitet, um dubiose Geschäftspartner und hochriskante Deals frühzeitig zu entlarven und auszuschließen. „Die Kontrollsysteme der Bank haben sich verbessert, auch wenn das Institut noch nicht über den Berg ist“, heißt es in europäischen Aufsichtskreisen. „Vor einigen Jahren waren die Bankenaufseher noch sehr viel beunruhigter über den Zustand der Treasury-Abteilung und des Controllings“, sagt ein Insider.


Wie groß der Druck ist, der auf ihm lastet, lässt sich Sewing kaum anmerken

Ein großes Problemfeld bleibt die veraltete IT. Sie muss dringend modernisiert werden, wenn Sewings Ertragshoffnungen Realität werden sollen. Den Aktienhandel musste die Bank nicht zuletzt deshalb aufgeben, weil sie technologisch den Anschluss an die Konkurrenz verloren hatte. Im verbliebenen Kerngeschäft darf sich das nicht wiederholen. Das gilt zum Beispiel für den Anleihehandel, der sich nun ebenfalls branchenweit automatisiert.

Und auch in der Unternehmensbank, dem neuen Herzstück des Konzerns, kann sich die Bank keine verkrusteten technischen Strukturen erlauben. Der Bereich, der mit Produkten wie Cash Management, Handelsfinanzierungen oder der Absicherung von Zins- und Währungsrisiken für sich wirbt, war lange das Aschenputtel der Bank. Nun sollen bis 2022 Renditen von bis zu 15 Prozent her.

Gerade auf ihren Zahlungsverkehr ist die Bank stolz. Investitionen flossen aber oft genug in andere Bereiche. Das soll sich nun ändern. Denn um beim Transfer von hohen Summen in alle Welt nicht gegen Geldwäschevorschriften zu verstoßen, müssen die Kontrollen in einwandfreiem Zustand sein. Allerdings: Im vergangenen Jahr zwang die deutsche Finanzaufsicht Bafin das Institut, die Identität von 20 000 Hochrisikokunden erneut zu prüfen. Bis zum Sommer müssen Akten von Klienten mit mittelgroßem Risiko vervollständigt werden. Klassenbester ist die Deutsche Bank also nicht. „Topniveau wäre aber notwendig, um im Transaction Banking wirklich anzugreifen, ohne neue Skandale zu riskieren“, sagt ein Kenner der Kontrollsysteme des Instituts.

Die Konkurrenz ist stark. Selbst die US-Investmentbank Goldman Sachs, seit Jahrzehnten Erzrivalin der Deutschen Bank, interessiert sich inzwischen für das einst als langweilig belächelte Geschäft – und geht mit einer ganz neuen Plattform an den Start, um Erträge einzusammeln.

„Ich bin manchmal froh, dass unsere Kunden nicht so genau wissen, was die Systeme von einigen unserer Konkurrenten so alles leisten“, merkt ein Deutschbanker kritisch an.

„Mein anstrengendstes Jahr“

Was bedeutet das alles für Sewing selbst? Kann er sich seines Jobs sicher sein? Jetzt, da er eine gewisse Annäherung an Politik und Aufseher geschafft hat, das Investmentbanking stutzt, die IT-Probleme in Angriff nimmt und 18.000 Jobs abbaut? Nicht unbedingt, sagt ein langjähriger Deutschbanker. Die „Lehmschicht“ sei schwer zu durchdringen – also die zweite und dritte Führungsebene, die Entscheidungen von ganz oben gern auch mal aussitze. An diesem inneren Machtgefüge seien Sewings Vorgänger auch ein Stück weit gescheitert. Hier müsse sich nun ebenfalls zeigen, dass endlich alle an einem Strang ziehen.

Auch ein großer institutioneller Investor, der namentlich nicht genannt werden will, ist skeptisch: „Sewing hat sich mit seinen bisherigen Erfolgen Zeit erkauft. Doch er muss in diesem und im nächsten Jahr beweisen, dass sein Geschäftsplan wirklich aufgeht, sonst ist auch er weg.“ Die aktuelle Strategie sei die letzte Chance für die Bank zu zeigen, dass sie es notfalls auch alleine schaffe.

„Das Jahr 2020 wird ein entscheidendes Jahr für die Bank, und es gibt noch viele Herausforderungen“, betont auch Bankenanalyst Graham. Corona erscheint im Moment als die größte Bewährungsprobe, da die Konsequenzen so schwer kalkulierbar sind. Aber auch die anhaltenden Niedrigzinsen, die von den Notenbanken rund um den Globus nun noch einmal zementiert werden, setzen den Banken zu. Die Margen werden immer dünner, der Konkurrenzdruck ist groß, neue alternative Anbieter aus dem Feld der vielen agilen Fintechs erobern sich Marktanteile und werben jüngere Kundschaft ab.

Wie groß der Druck ist, der auf ihm lastet, lässt sich Sewing kaum anmerken. Er lacht demonstrativ, wenn man ihn fragt, ob das Jubiläumsjahr auch ein Schicksalsjahr für ihn ist. „Operativ zu liefern, das ist leichter, als durch ein Jahr wie 2019 mit so tief greifenden strategischen Entscheidungen zu gehen – auch wenn das Umfeld natürlich schwieriger geworden ist“, antwortet er. „2019 war das mit Abstand anstrengendste Jahr meiner Karriere, aber auch für unsere gesamte Bank eine besondere Herausforderung.“

Es sei nicht immer leicht, die Mitarbeiter von der neuen Strategie zu überzeugen, wenn die Aktie immer wieder abrutscht. „Aber seit klar ist, dass die Strategie greift, hat sich auch intern vieles verändert und es ist starker Teamgeist entstanden.“

An eben diesen appellierte Sewing auch, als er Anfang März in einer E-Mail alle Führungskräfte auf den diesjährigen Bonustag einschwor, der in der Branche seit Jahren scherzhaft DOLF genannt wird: „day of long faces“. Er sei sich bewusst, dass die variable Vergütung viele Leute, auch Führungskräfte, enttäuschen werde, schrieb Sewing in seiner Mail. „Ja, es ist ein schwieriger Tag. Aber diese Tage zeigen und demonstrieren, wo Führungsstärke, Resilienz, Leidenschaft und die richtige Kultur sitzen.“

Was immer Sewing an Protesten erwartet hat, am Ende ging es offenbar glimpflich aus. „Ich habe zumindest nicht gehört, dass mit Türen geschlagen wurde“, sagt ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will. „Das war früher anders. Da sind dann auch schon Leute verschwunden und weggeblieben nach dem DOLF.“

Die Konsequenz, mit der Sewing auch unbequeme Entscheidungen trifft und durchsetzt, hat den 49-Jährigen an Statur gewinnen lassen, auch in den Augen seiner anfänglichen Kritiker. Von Aufsichtsratschef Paul Achleitner, der ihn vor zwei Jahren für einige recht überraschend an die Spitze der Bank beförderte, hat sich Sewing längst emanzipiert. Der Vorstandschef halte nicht mehr so viel Rücksprache mit Achleitner wie früher, beobachten Insider.

Die Bank kennt er ohnehin in- und auswendig. Fast 30 Jahre lang hat sich Sewing im Konzern stetig nach oben gearbeitet, angefangen von einer Ausbildung zum Bankkaufmann. „Einer von uns“, sagen sie im Haus über ihn. Sewing sei die beste Chance der Bank, zurück in die Erfolgsspur zu kommen.

Nur die jüngste Sparmaßnahme kam nicht gut an: Während die Commerzbank ihren Mitarbeitern zum 150. Jahrestag einen freien Tag extra gönnte, gab es bei der Deutschen Bank so gut wie nichts. Deutschbanker konnten nur die Sonderedition eines Adidas-Sneakers ordern – auf eigene Kosten selbstverständlich, für 89 Euro das Paar. Inzwischen sind die weißen Turnschuhe mit dem goldenen Bank-Logo und den blauen Schnürsenkeln vergriffen – ein vorsichtiges Zeichen der Loyalität oder doch reine Symbolik?

Die Bank sei schon immer gut im Sprint gewesen, berichtet ein Mitarbeiter, der schon viele Vorstandschefs hat kommen und gehen sehen. Das Muster war meist das gleiche: Schnell eine neue Strategie anschieben, Aktionismus demonstrieren – und dann auf halber Strecke stehen bleiben. „Im Ausdauerlauf ging der Deutschen Bank immer die Puste aus.“