Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 2 Stunden 18 Minuten
  • Nikkei 225

    37.686,01
    -774,07 (-2,01%)
     
  • Dow Jones 30

    38.460,92
    -42,77 (-0,11%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.044,79
    -2.256,36 (-3,62%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.385,84
    -38,26 (-2,69%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.712,75
    +16,11 (+0,10%)
     
  • S&P 500

    5.071,63
    +1,08 (+0,02%)
     

Deutsche Automanager wollen mit US-Start-up Evelozcity das Elektroauto neu erfinden

Mit Schwung zieht Stefan Krause die Farbrolle über die Wand. Ein paar rote Spritzer zieren das graue T-Shirt des Ex-Finanzvorstands von BMW und der Deutschen Bank. Der 55-Jährige stemmt sich behände aus den Knien in den Stand, unter den Turnschuhen knistert Malerfolie.

Mit wenigen Schritten durchquert der Manager das Pinsel- und Dosen-Chaos und tritt auf den Gang. „Stefan“, weist ein Zettel an der Bürotür auf den Bewohner hin. Einen Raum weiter steht: „K.T.“. Dort malert Zimmernachbar Karl-Thomas Neumann, 57, der ehemalige Opel-Chef.

Bei der Renovierung der neuen Büros müssen alle Mitarbeiter von Evelozcity mit anpacken, auch Krause, Neumann und Ulrich („Ulli“) Kranz, 60, der Vater von BMWs frühem Elektromodell i3. Hier, in Torrance, Los Angeles, wollen die drei Autoveteranen das Elektroauto neu erfinden.

Tesla habe den Fehler gemacht, zu versuchen, die Autoproduktion aufzubrechen, sagt Krause mit Blick auf die Probleme von Elektro-Pionier Elon Musk im gerade einmal 20 Autominuten entfernten Hawthorne. Aber: „Die Autoindustrie braucht keinen Neuanfang in der Fertigung. Sie hat sie in den letzten 100 Jahren perfektioniert.“

WERBUNG

Ihr Start-up, so der neue Ansatz, will die batterie-elektrischen Karossen nur entwickeln, die teure Produktion übernehmen Auftragsfertiger in den USA und in China. Pro Fahrzeug peilt Evelozcity einen Preis von unter 50.000 Dollar an.

Das erste Modell, ein futuristischer Mini-Bus für Pendler in Innenstädten, will das junge Unternehmen schon 2021 verkaufen, erst in den USA und China, dann vielleicht auch in Europa. Später soll eine Variante für Carsharing- und Roboter-Taxis sowie ein Lieferwagen für die letzte Meile folgen.

Krause wird vorgeworfen, Geschäftsgeheimnisse gestohlen zu haben

Das Hauptquartier eröffnete das Trio in einer nicht gerade schönen Gegend Kaliforniens, doch irgendwie passt die Szenerie zur Idee. Um die Ecke, auf den kilometerweiten Feldern von Ölriese Exxon, pumpen Kräne täglich 155.000 Fässer mit dem dunklen Rohstoff voll. Evelozcity entwickelt Vehikel, die keinen Öltreibstoff mehr benötigen. Eine Abrechnung mit den alten Kollegen? „Uns geht es nicht darum, der Welt zu beweisen, dass wir recht haben“, erklärt Neumann. „Wir wollen beweisen, dass unsere Idee funktioniert.“

Die Karrieren der drei Manager aus Kalifornien sind allesamt eng mit der deutschen Automobilbranche verbunden. Neumann führte Opel von März 2013 bis Juni 2017. Er versuchte, das Image des kriselnden Fahrzeugbauers mit viel Marketing („Umparken im Kopf“) aufzupolieren, doch verließ er die Zentrale in Rüsselsheim, nachdem General Motors (GM) die Tochter Opel an PSA Peugeot-Citroën verkauft hatte.

Kurzzeitig war der ehemalige Chef von VWs China-Geschäft und des Zulieferers Continental für die Audi-Spitze im Gespräch. Doch er zog nach Kalifornien. Kranz wiederum kehrte BMW Ende 2016 den Rücken. Hätten die Münchener die Entwicklung der elektronischen i-Fahrzeuge mit der gleichen Geschwindigkeit weitergeführt, sagt er heute, „würde ich hier nicht sitzen“.

Krause brachte die Truppe zusammen. Der Ex-BMWler gründete Evelozcity vergangenen Dezember, wenige Wochen nach dem Rückzug als Finanzchef bei Faraday Future. Der chinesisch-kalifornische Tesla-Angreifer machte zunächst mit großspurigen Ansagen von sich reden, gilt inzwischen jedoch als Geldvernichtungsmaschine.

Sein Ex-Arbeitgeber warf Krause nach dessen Abschied vor, Geschäftsgeheimnisse des kriselnden Autobauers gestohlen und Mitarbeiter abgeworben zu haben, und reichte Klage ein. Der Gründer von Evelozcity bezeichnet die Vorwürfe als falsch.

Krause, der seit Anfang 2017 in Los Angeles lebt, organisierte auch das Kapital für das Start-up. Er überzeugte Investoren aus Deutschland, China und Taiwan, die Entwicklungsphase bis zum Produktionsstart im Jahr 2020 mit einer Milliarde Dollar zu sponsern – mehr will er zu den Financiers nicht verraten.

Mike Ramsey vom Marktforscher Gartner räumt den Angreifern aus Kalifornien durchaus Chancen ein. „Als Start-up hat Evelozcity einen Technologievorteil, weil es das Autogeschäft unbedarfter, schneller und von Grund auf neu angeht.“ Das gelte selbst dann, wenn die Führung aus der alten Automobilwelt stamme.

Der Sprung von Konzept zu Herstellung sei dann jedoch eine „große Herausforderung“. Zumal auch Volkswagen, BMW, Daimler und GM in die Elektrooffensive gehen. Gelingt es Evelozcity, attraktive Patente für Technologien anzuhäufen, könne es durchaus Ziel einer Übernahme werden, prognostiziert Ramsey.

Raum statt Reichweite

Das Team in Torrance gibt sich selbstbewusst. „Die Autohersteller stecken in einem Dilemma“, so Krause. Die Probleme mit den Verbrennungsmotoren seien „noch nicht gravierend genug“, um das Geschäftsmodell radikal zu ändern. Neumann hält es für schlicht unmöglich, „morgens das traditionelle Autogeschäft voranzutreiben und sich nachmittags komplett neu zu erfinden und ein Start-up zu werden“.

Viele Leute in der Autoindustrie seien frustriert, wollten lieber etwas anderes machen. Die alten Kollegen erklärten ihn für verrückt, seien aber eigentlich eifersüchtig. Neumann: „Als ich der Chef von Opel war, konnte ich nicht sagen, dass der Verbrennungsmotor langfristig keine Zukunft hat. Jetzt kann ich das sagen.“

Neumann wohnt in der Strandstadt Santa Monica und kurvt mit dem Elektroroller durch die kalifornische Sonne. Krause residiert in den Hollywood Hills, Kranz im feinen Manhattan Beach. Deutschland ist da weit weg. Und auf der Baustelle in Torrance herrscht ohnehin Start-up-Spirit.

Aus den Boxen dröhnt Bob Marley. Es gibt Zuständigkeitsbereiche statt Hierarchien. Krause führt das operative Geschäft, Kranz steuert die technologische Entwicklung, Neumann ist zuständig für Mobilitätskonzepte und Marke. Die Angestellten, die gerade von zwei kleinen Co-Working-Räumen in El Segundo in das neue Büro umziehen, arbeiteten zuvor bei Tesla, Faraday Future und beim Onlinehändler Amazon.

Auch Organisation und Vertriebswege verschlankte das Start-up. Statt wie traditionelle Hersteller ein Händlernetz zu beliefern, strebt die Firma Partnerschaften mit Flottenbetreibern wie Alphabet-Tochter Waymo, Fahrservice Uber oder Amazon an. 130 Angestellte beschäftigt es inzwischen, bis Ende 2019 soll die Belegschaft nur auf 350 Menschen wachsen. Klassische Autokonzerne beschäftigen oft Zehntausende Menschen. Bei Evelozcity ist alles anders.

Statt in der Kantine speist die Führungsriege vor dem Essens-Truck in der Sonne, die auf die verrostete Metallplatte brennt. Ein Mitarbeiter mit Sprühdose hat sie kurzerhand zum Firmenschild umfunktioniert. Selbst der Name sei noch provisorisch, sagt Krause. Er jagt die Plastikgabel in den Weizentortilla. „Aber ich bin auch realistisch, es wird Zeiten geben, in denen wir mit Gegenwind rechnen müssen.“

Auch Kranz stellt „harte Entscheidungen“ in Aussicht. Immer wieder muss abgewogen werden zwischen Reichweite und Preis. Die vor sechs Monaten gegründete Elektroautofirma habe schließlich „gerade erst angefangen“.

Die Vision für das Fahrzeug bringt Evelozcity auf eine griffige Formel: Raum statt Reichweite. „Eine große Batterie führt zu einem großen Auto und zu einem hohen Preis, den die meisten Leute dann nicht mehr zahlen können“, meint Krause. Statt an einer Luxuskarosse vom Tesla-Typ Model S werkelt das Start-up deshalb an einem Elektroauto mit einer geringeren Batterie-Reichweite von nur 400 Kilometern.

Das soll Tausende von Dollar sparen, den Fahrzeugpreis senken und die Elektroautos tauglich für den Massenmarkt machen, erläutert Neumann. „Elektromobilität wird in den Städten starten, mit kleinen Autos“, ist er überzeugt.

Das Lenkrad wird dauerhaft verschwinden

Technikchef Kranz passte das Design dieser Idee an. Weil weniger Platz für den Antrieb benötigt wird, rutscht der Fahrersitz einen halben Meter nach vorn, der Innenraum wird geräumiger, zum bequemen Ein- und Aussteigen im Straßenverkehr, zum Beispiel bei einem Fahrservice.

Auf dem „Skateboard“, wie der 60-Jährige den Unterbau mit Batterien und Elektromotoren nennt, weil er dem Sportgerät erstaunlich ähnelt, können unterschiedliche Fahrgastzellen und Kabinenkonzepte aufgesattelt werden. „Mit dem Design wollen wir uns der Geschwindigkeit der sich verändernden Kundenwünsche anpassen, ohne das ganze Fahrzeug jedes Mal von Grund auf neu entwickeln zu müssen“, sagt Kranz.

Beim Lieferwagen sei etwa der Einbau eines Ofens oder Kühlschranks möglich, im Mini-Bus finde sich ein Tisch für Meetings.

Evelozcity will eher wie ein Softwarekonzern ticken. Neumann schwebt eine Art „Smartphone auf Rädern“ vor. Nach dem Vorbild von Apple, das seine iPhones in China fertigen lässt, will die Firma mit Zulieferern arbeiten und sich auf Design und Konzept des Fahrzeugs konzentrieren und über Schnittstellen zu Mobilitätsdiensten wie Uber oder Alphabet-Tochter Waymo nachdenken, die autonome Fahrzeuge entwickelt.

Ein Steuer sieht das Auto-Konzept allerdings immer noch vor. „Das Lenkrad wird verschwinden, aber wir sind realistisch“, erläutert Neumann. „Wir wollen das Auto 2021 verkaufen, und wir glauben nicht, dass die Technologie dann schon so weit ist.“

Der Ehrgeiz der Autoveteranen von Evelozcity ist groß, doch das Führungstrio weiß, dass es noch ganz am Anfang steht, scheitern kann, wie jedes Start-up eben. „Wir wollen uns selbst nicht zu ernst nehmen und auch nicht so tun, als ob wir alle Antworten schon haben“, sagt Ex-Opel-Chef Neumann.