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Deichmann-Chef: „Als Christ darf ich Reichtum auch als Segen betrachten“

Heinrich Deichmann, Verwaltungsratsvorsitzender der Deichmann SE, fordert, in Deutschland solle mehr über qualitatives Wachstum gesprochen werden und weniger über rein quantitatives. „Wir brauchen eine öko-soziale Marktwirtschaft“, sagte er im Interview mit dem Handelsblatt.

Der Ausstoß umweltschädlicher Stoffe wie CO2 müsse bepreist werden, so dass der Markt über Wettbewerb entscheide, welche Alternativen umgesetzt werden. Ihm erscheine der Zertifikatehandel ein gutes Instrument zu sein. Die deutsche Energiewende hingegen sei kein gutes Beispiel. „Sie ist überwiegend mit staatlichen Vorgaben umgesetzt worden. Daher ist der Strompreis in Deutschland enorm stark gestiegen.“

In Bezug auf die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angestoßene Diskussion über nationale und europäische Champions, auf die die Familienunternehmer in den vergangenen Wochen mit heftiger Kritik reagiert hatten, machte er einen Vorschlag, damit auch in Deutschland Champions entstehen könnten. Man müsse mehr europäisches Geld in die jungen Firmen stecken können.

Er fordert daher: „Dafür müssen wir es endlich möglich machen, dass auch die großen Versicherungen und Pensionsfonds Risikokapital in den Venture-Capital-Bereich investieren dürfen und nicht länger nur in Staatsanleihen.“ Das sei ein „schönes Thema für Herrn Altmaier“.

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Die Deichmann SE ist Europas größter Schuheinzelhändler. Im abgelaufenen Geschäftsjahr verkaufte das 1913 gegründete Unternehmen weltweit 178 Millionen Paar Schuhe und setzte mit mehr als 4000 Filialen und 40 Onlineshops 5,8 Milliarden Euro um, währungsbereinigt waren es zwei Prozent mehr als im Jahr zuvor. Deichmann beschäftigt weltweit mehr als 40.000 Mitarbeiter.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Deichmann, in Deutschland gibt es gerade eine Debatte, ausgelöst durch den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, über den richtigen Umgang mit Eigentum und Enteignung. Ihrer Familie gehört der größte Schuhhändler Europas. Wie sehen Sie die Diskussion?
Ich empfehle, nicht jedes Wort auf die berühmte Goldwaage zu legen. Juso-Vorsitzende neigen seit jeher zu einem Übermaß an naivem Idealismus. Leider oft verbunden mit einer Ideologie, die historisch hundertmal widerlegt wurde. Dadurch entstehen Vorschläge, die uns nicht weiterbringen.

Glauben Sie, dass das die Belegschaft international agierender Konzerne ebenso sieht?
Die Antwort hat ja der Betriebsrat von BMW, jenem Konzern, den Kühnert direkt angesprochen hat, gegeben. Und die lautete: Wir wollen gar keinen anderen Eigentümer haben als die Familie Quandt.

Halten Sie die Diskussion mit Blick auf Ballungszentren wie Berlin und München und den dort sehr knappen bezahlbaren Wohnraum ebenfalls für überideologisch motiviert?
Fakt ist: Es gibt zu wenig Wohnungen in diesen Ballungszentren, weil in den letzten Jahren sehr viele Menschen an solche Orte gezogen sind. Normalerweise führt eine große und steigende Nachfrage zeitlich versetzt auch zu einem breiteren Angebot. Warum dieser Mechanismus behindert wird, liegt auf der Hand: Weil das Thema Baugenehmigungen überbürokratisiert ist und die Mietpreisbremse den Wohnungsbau für viele potenzielle Investoren unattraktiv macht.

Was folgt daraus?
Die Politik muss die Genehmigungsverfahren beschleunigen und neue Anreize zum Bau von Wohnungen schaffen, dabei aber bitte nicht in die Eigentumsrechte eingreifen. Da aber bezahlbarer Wohnraum auch für einkommensschwache Menschen für mich zu einem öffentlichen Gut gehört, hat hier selbstverständlich auch der Staat die Pflicht, solchen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wenn der Markt das nur mit Verzögerung tut. Hier ist man aber wohl auch von der schnellen Entwicklung überrascht worden.

In einzelnen Städten wie Tübingen haben Grundstücksbesitzer sogenannte Enteignungsbriefe bekommen, in denen sie aufgefordert werden, ihre unbebauten Flächen alsbald zu entwickeln, andernfalls würde das die Kommune übernehmen. Richtig oder falsch?
Die Briefe zu schreiben halte ich noch für vertretbar. Das wird auch in einigen Fällen zum gewünschten Ergebnis führen – aber bitte ohne jede Rechtsbeugung. Das Grundgesetz schützt das Eigentum. Was nicht bedeutet, dass daraus keine soziale Verantwortung erwächst.

Wie definieren Sie diese soziale Verantwortung des Unternehmers?
Ich fühle mich als Christ und Bürger verpflichtet, dass mein Eigentum auch anderen Menschen zugutekommt: unseren Mitarbeitern, unseren Kunden und ganz generell Menschen in Not. Unser Leitmotiv lautet: Das Unternehmen muss den Menschen dienen.

Bitte etwas konkreter.
Wenn es eine Naturkatastrophe gibt wie gerade eben mit dem Wirbelsturm in Mosambik, dann schauen wir spontan, ob wir dort direkt mit lokalen Organisationen, die die Menschen tatsächlich erreichen, helfen können. Oder im Jemen, wo die Lage durch den Dauerkrieg wirklich katastrophal ist. Wir suchen uns dann karitative Einrichtungen vor Ort, die wir direkt finanziell unterstützen. Und dann gibt es natürlich unsere auf Dauer angelegten sozialen Projekte wie Schulen, Krankenhäuser, Kinder- und Altenheime in Indien, Afrika, Moldawien, Griechenland und Deutschland, mit denen wir sehr viele Menschen erreichen.

In Zahlen?
Alleine in den oben genannten Ländern sind das 250.000 Menschen. Jedes Jahr fließen 15 Millionen Euro in soziale Projekte, darunter auch in Einrichtungen in Deutschland wie in sozialpädagogische Projekte an Brennpunkten wie in Dortmund oder Duisburg. Hinzu kommen die regelmäßigen Aufwendungen für unsere Unterstützungskasse, die Mitarbeitern hilft, die unverschuldet in Not geraten sind, und für Zusatzleistungen für die Altersversorgung, die wir unseren Mitarbeitern anbieten.

Haben Sie mitunter das Gefühl, sich für ihren Reichtum entschuldigen zu müssen?
Als Christ darf ich Reichtum auch als Segen begreifen. Ich darf damit aber an der Stelle nicht stehenbleiben. Freiheit, auch unternehmerische Freiheit, führt immer auch zu Ungleichheit. Unser System der Sozialen Marktwirtschaft schafft da einen gewissen Ausgleich, in dem sich unsere Grundordnung um unverschuldet in Not geratene Menschen kümmert und niemanden allein lässt.

Soweit die Theorie. Aber glauben Sie nicht, dass das marktwirtschaftliche System auch dazu führt, dass sich soziale Ungleichheiten eher noch verstärken?
Das sehe ich so in Deutschland nicht. Was ich aber sehe, ist eine diffuse Angst vor den Folgen der Digitalisierung und der Globalisierung. Menschen haben Angst vor Jobverlust, weil Roboter und Algorithmen ihnen ihre Arbeit nehmen könnten oder künftig noch mehr in Asien produziert wird. Oder beides. Es geht dabei gar nicht in erster Linie um materielle Zwänge. Sondern die Menschen fühlen sich zunehmend auch emotional abgehängt.

Was ist dagegen zu tun?
Aufklärung. Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen und ihnen erklären, dass sich technische Revolutionen niemals aufhalten lassen. Das war beim Siegeszug der Webstühle so und auch bei der Einführung von Computern. Die gute Nachricht aber lautet: All diese Revolutionen haben zu mehr Wachstum geführt und damit zu mehr Jobs.

Aber in einzelnen Branchen werden womöglich trotzdem Tausende ihre Arbeit verlieren.
Denen müssen der Staat und die Unternehmen helfen. Mit Umschulungen und Weiterbildung.

Viele Menschen sorgen sich auch davor, dass durch den vermehrten Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Algorithmen unser Wertesystem an Bedeutung verliert.
Die Würde des Menschen muss unantastbar bleiben. Auch da muss im Zweifel der Staat als Korrektiv wirken und mit neuen Gesetzen antworten. Es muss uns gelingen, die positiven Errungenschaften durch die neuen Technologien zum Wohle aller zu nutzen, etwa in der Medizin. Einerseits. Andererseits darf es eben nicht so weit führen wie in China, wo ein neues Punktesystem das Sozialverhalten der Bürger misst. Gegen derartige Fehlentwicklungen müssen wir uns in Europa kraftvoll und gemeinsam wehren.

Das dauerhafte Streben nach mehr Wachstum steht auch immer wieder im Zentrum von Kritik an der hiesigen wirtschaftlichen Grundordnung. Sehen Sie Grenzen des Wachstums?
Ich bin kein Freund dieser Theorie. Ich sehe auch nicht, dass Grenzen erreicht sind. Im Gegenteil. Es sind Bedürfnisse da, die bei den meisten Menschen auch eher noch wachsen. Und wenn wir Freiheit wollen, können wir uns nicht gegen die Bedürfnisse stellen. Was wir aber tun sollten: Wir sollten nicht länger nur über quantitatives Wachstum nachdenken und sprechen, sondern über qualitatives Wachstum und beispielsweise eine Politik verfolgen, die unserem Klima wirklich hilft.

Können Sie das konkreter sagen?
Wir brauchen eine öko-soziale Marktwirtschaft. Der Ausstoß umweltschädlicher Stoffe wie CO2 muss bepreist werden, sodass der Markt über Wettbewerb entscheidet, welche Alternativen umgesetzt werden. Ein gutes Instrument dazu scheint mir der Zertifikatehandel zu sein. Die deutsche Energiewende ist hier kein gutes Beispiel. Sie ist überwiegend mit staatlichen Vorgaben umgesetzt worden. Daher ist der Strompreis in Deutschland enorm stark gestiegen.

Sehen Sie Grenzen des Wachstums für Ihr Unternehmen? Sie verkaufen inzwischen rund 180 Millionen Paar Schuhe und haben einen Umsatz von fast sechs Milliarden Euro erreicht.
Wir glauben, dass es für unser Unternehmen wichtig ist, dass wir weiter wachsen. Die Märkte wachsen, und wir sollten mitwachsen. Das ist für eine weitere Entwicklung von Deichmann wichtig.

Wo ist bei Ihnen Potenzial für qualitatives Wachstum? Indem Sie Schuhe herstellen mit energiearmen Produktionsverfahren, bei denen vor allem wiederverwertbare Materialien zum Einsatz kommen?
Zum Beispiel. Leider führt das noch zu Preisen, die sich bei unseren preisbewussten Kunden nicht ohne Weiteres durchsetzen lassen. Wir hatten beispielsweise bei unserer Kinderschuhmarke Elefanten ein ausschließlich aus besonders umweltfreundlichen Materialien hergestelltes Modell im Angebot, das etwas teurer war und wahrscheinlich deshalb kaum Kunden fand. Wir können es den Kunden nicht aufzwingen. Aber wir geben auch nicht auf und werden weiter in die Entwicklung investieren, um bessere Produkte und umweltschonendere Produktionsverfahren zu entwickeln.

Die Familienunternehmer haben Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier für seine Industriestrategie kritisiert, die vor allem die Förderung nationaler und europäischer Champions vorsieht. War die Heftigkeit der Kritik mit Blick auf die wachsende Konkurrenz aus China und dem Silicon Valley wirklich angemessen?
In gewissem Maße kann ich die Sorgen von Herrn Altmaier verstehen. Vor allem, wenn es um sicherheitsrelevante Technologien geht. Aber er sollte nicht die vielen Hidden Champions des Mittelstandes vergessen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Ich glaube aber nicht, dass der Staat gut beraten ist, solche Champions formen zu wollen. Google, Facebook und andere sind nicht durch staatliche Förderung, sondern durch Stanford, genügend Venture Capital und ein unternehmer- und technologiefreundliches Umfeld entstanden.

Haben Sie konkrete Vorschläge für Minister Altmaier?
Ja, ich denke, damit wir auch hier Champions bekommen können, müssen wir mehr europäisches Geld in die jungen Firmen stecken können. Dafür müssen wir es endlich möglich machen, dass auch die großen Versicherungen und Pensionsfonds Risikokapital in den Venture-Capital-Bereich investieren dürfen und nicht länger nur in Staatsanleihen. Das wäre ein schönes Thema für Herrn Altmaier.

Wie wichtig ist Ihnen das Thema Investitionen in digitale Geschäftsfelder? Mit Sebastian Hasebrink und Benjamin Krümel haben sie sich an der Spitze deutlich verjüngt und offenbar auch viel Geld in die Hand genommen, um erfahrene Digitalspezialisten nach Essen zu locken.
Herr Hasebrink kümmert sich bei uns um die digitale Transformation, Herr Krümel um die Internationalisierung. Bitte gehen Sie davon aus: Wir entlohnen unsere Mitarbeiter marktgerecht.

Zum Thema Führungskräfte: Wie viele Frauen sind darunter?
Ihre Zahl ist stark gestiegen. Wir haben viele weibliche leitende Angestellte. Zum Beispiel ist die Hälfte unserer Gebietsverkaufsleiter weiblich, und in unseren Tochtergesellschaften haben wir einige Geschäftsführerinnen.

Eine Quote gibt es aber nicht – oder?
Ich bin skeptisch bei der Quote. Bei uns spielt das Geschlecht keine Rolle.

Und in der obersten Geschäftsleitung? Also hier an diesem Tisch?
Da haben wir bisher keine Frauen.

Sie setzen sich also die Zielgröße null in der Geschäftsführung?
Nein, natürlich nicht. Warum sollten wir das tun? Letztlich geht es uns auch in der Geschäftsleitung, wie überall im Unternehmen, um geeignete Kandidaten, die bereit und in der Lage sind, mit uns zusammen das Unternehmen nach vorne zu bringen. Das Geschlecht ist da unerheblich.

Herr Deichmann, vielen Dank für das Interview.

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