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Degussa-Chef Markus Krall: Provokateur mit Kalkül

Der neue Chef des größten bankenunabhängigen Edelmetallhändlers eckt mit drastischen Äußerungen in der Branche an – und er muss interne Abgänge verkraften.

Für 2020 sieht Markus Krall schwarz. Der neue Chef des Edelmetallhändlers Degussa ist überzeugt, dass die Euro-Zone noch in diesem Jahr von einer schweren Rezession heimgesucht wird.

Zunächst werden seiner Meinung nach die Banken kippen, weil sie massenhaft Kredite an „Zombieunternehmen“ vergeben haben, die nur noch durch Minuszinsen am Leben gehalten werden. Um die Banken zu retten, verschulden sich die Euroländer weiter – und unweigerlich folgen Staatsbankrotte, der Bruch des Euros und Hyperinflation.

Szenarien wie diese hat Krall zuletzt bei Vorträgen, in Interviews sowie als Autor von Büchern wie „Der Crash ist da“, „Der Draghi-Crash“ oder „Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen“ vielfach beschrieben. Und seit September 2019 verkauft er als Chef des größten bankenunabhängigen Edelmetallhändlers den aus seiner Sicht geeigneten Schutz: Gold.

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Autoren von Crash-Büchern haben aktuell Hochkonjunktur. Ihre Werke stehen seit Monaten auf den oberen Plätzen der Bestseller-Listen, allen Börsenrekorden zum Trotz. Doch immer öfter schlägt den Crash-Propheten auch Kritik entgegen. So lieferte sich DIW-Chef Marcel Fratzscher kürzlich einen öffentlichen Schlagabtausch mit Marc Friedrich, Co-Autor von „Der größte Crash aller Zeiten“ in der Talkshow von Maybrit Illner.

Besonders kritisch sehen es Finanz-Experten wie Ali Masarwah vom Fondsanalysehaus Morningstar, wenn die Crash-Prophezeiungen mit handfesten ökonomischen Interessen verknüpft sind, etwa dem Vertrieb von spezialisierten Fonds oder anderen Finanzprodukten. Und so birgt auch die Strategie des neuen Degussa-Chefs Krall Risiken.

Auch in der Edelmetallbranche selbst wächst die Kritik an Marktteilnehmern, die bei Anlegern die Angst vor dem Crash schüren. So sagt etwa York Tetzlaff, Chef der Fachvereinigung Edelmetalle: „In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten gehen die Meinungen zur zukünftigen Entwicklung schon immer weit auseinander. Auch Extremszenarien gehören dazu. Angstmacherei eher nicht.“ Tetzlaff stellt klar: Eine solche Angstmacherei „entspricht nicht der Haltung des Bundesverbandes der deutschen Edelmetallwirtschaft. Edelmetalle sind aber in jedem Fall ein sicherer Hafen, und das wird auch immer so bleiben.“

Auch Hans-Günter Ritter, Leiter Edelmetallhandel bei Heraeus, sagt: „Als Technologieunternehmen sehen wir derzeit Risiken, aber auch viele Chancen, die sich durch Digitalisierung und Innovationen ergeben.“ Ritter unterstreicht: „An Weltuntergangsszenarien glauben wir nicht.“

Hochkarätige Abgänge

Der Degussa-Chef muss jedoch nicht nur mit Gegenwind aus der Branche umgehen. Er muss nach Handelsblatt-Informationen auch hochkarätige interne Abgänge verkraften. Mit Oliver Heuschuch, Leiter des Edelmetallhandels und Co-Geschäftsführer Raphael Scherer sind gleich zwei Top-Manager kürzlich ausgeschieden. Weder die Manager noch Krall wollten sich zu den Personalien äußern. Mit Scherer und Heuschuch verlassen zwei ausgewiesene Experten mit langjähriger operativer Erfahrung im Gold-Geschäft das Unternehmen. Sie haben zudem die Degussa vielfach in der Öffentlichkeit vertreten.

Das Handelsblatt hat Krall zu einem einstündigen Gespräch getroffen und mit dem Degussa-Chef über die internen Abgänge, die Kritik der Branche an seinen öffentlichen Äußerungen sowie seiner Strategie für den Edelmetallhändler gesprochen.

Es wurde verabredet, wie in der deutschen Medienlandschaft üblich, dass ihm seine Zitate vor der Veröffentlich zur Autorisierung vorgelegt werden. Krall lehnte es jedoch im Nachhinein ab, im Kontext des Artikels wörtliche Zitate freizugeben, obwohl er nicht falsch wiedergeben worden sei.

Vor seinem Amtsantritt bei Degussa war Krall in der Edelmetallbranche wenig bekannt. Als Unternehmensberater hat er unter anderem für die Boston Consulting Group mehr als zwei Jahrzehnte Banken im Risikomanagement beraten.

Nach der Finanzkrise versuchte Krall, eine europäische Ratingagentur zu gründen. Doch das Projekt scheiterte im Jahr 2013 mangels Investoren. Seither arbeitete Krall bei einer kleineren Unternehmensberatung und machte sich mit Büchern und Vorträgen einen Namen als scharfer Euro- und EZB-Kritiker.

Heikle Formulierung

Im September 2019 holte ihn der Degussa-Eigner August von Finck junior schließlich an die Spitze des Goldhändlers. Die Wahl von Finck junior, unter anderem Mehrheitseigner der Mövenpick-Hotelgruppe, dürfte auf Krall gefallen sein, weil dieser neben seiner Expertise im Risikomanagement und Führungserfahrung durch seine Bücher und Vorträge für das Thema Gold als Vermögensanlage steht.

Davon konnten sich Anleger und Branchenvertreter Anfang November vergangenen Jahres auf der Edelmetallmesse in München ein Bild machen. Dort warnte Krall vor einem „Auseinanderbrechen des Euros“.

Eine Krise vergleichbar mit der Großen Depression nach 1929 hält er für unausweichlich. Schuld daran werde die Niedrigzinspolitik der EZB sein, die Krall als „Maschinenraum des Völkerselbstmordes“ bezeichnete.

Eine Formulierung, die besonders für einen Degussa-Chef heikel ist. Rechtlich hat das 2010 gegründete Unternehmen Degussa Sonne/Mond Goldhandel zwar nichts mit der 1873 gegründeten „Deutschen Gold- und Silberscheideanstalt“ zu tun.

Die war nach einer Reihe von Fusionen im Essener Spezialchemiekonzern Evonik aufgegangen. Das Geschäft mit der Prägung von Goldbarren hat der belgische Konzern Umicore übernommen. Finck junior hat lediglich die Namensrechte an der Degussa erworben.

Aber genau dieser Name ist belastet: In der Nazizeit lieferte die Degussa Zyklon B zur Tötung von Juden in Auschwitz und beteiligte sich damit am Völkermord der Nationalsozialisten. Das Unternehmen setzte zudem Zwangsarbeiter ein und schmolz unter anderem Zahngold von Opfern des NS-Regimes ein, wie der Historiker Peter Hayes nachwies.

Irritierter Dienstleister

Auch vor diesem historischen Hintergrund sorgten die Äußerungen von Krall auf der Edelmetallmesse in der Branche für Kopfschütteln. Der Manager einer Scheideanstalt sagt: „Das war alles andere als hilfreich.“

Bei Twitter ist Degussa-Chef Krall ebenfalls sehr aktiv. Dort rückt er beispielsweise Kanzlerin Angela Merkel in die Nähe von Josef Stalin. Den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, bezeichnet er als „Salafistenapologet“.

Und aus Kralls Sicht liegt die Mehrheit der Klimaforscher, die von einer menschgemachten Erderwärmung ausgeht, ebenso falsch wie jene Physiker, die im 16. Jahrhundert nicht glauben wollten, dass sich die Erde um die Sonne dreht. In Branchenkreisen ist zu hören, dass auch Dienstleister und Geschäftspartner der Degussa zunehmend irritiert reagieren – angesichts solcher Äußerungen.

Noch weiter gehen die Thesen, die Krall auf zahlreichen Vorträgen vertritt, die ihn zuletzt etwa zur AfD-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein oder zur Hayek-Gesellschaft nach Hannover führten. So ist Krall der Meinung, dass Transferempfänger kein Wahlrecht haben sollten.

„Rechtschaffende Bürger“ sollen nach Meinung des Degussa-Chefs eine Waffe tragen dürfen. Und was gegen den drohenden „Klimasozialismus“ zu tun sei, der unter dem Deckmantel des Schlagworts Nachhaltigkeit in Deutschland Einzug halte, will er in seinem im Januar erscheinenden Buch „Die bürgerliche Revolution“ beschreiben.

Anspruchsvolle Aufgaben

Dazu passt, dass Kralls Chef, von Finck junior, der Zeitung „Die Welt“ zufolge in der Vergangenheit als Förderer von rechtskonservativen und libertären Initiativen und Thinktanks in Erscheinung getreten ist. Laut einem „Spiegel“-Bericht war die Degussa zudem Hauptlieferant für Gold, das die AfD 2014 an Anhänger verkaufte, um die Parteifinanzen aufzupolieren.

Bislang sieht es nicht danach aus, dass Krall weniger Twitter-Botschaften verschickt, die Zahl seiner Vorträge reduziert oder sein Buchprojekt verschiebt, nun da er Vorstandschefs eines Mittelständlers mit Milliardenumsatz ist. Wie viel Zeit ihm künftig noch bleibt, sich in die politischen Debatten des Landes einzuschalten, ist jedoch offen – denn als Degussa-Chef warten anspruchsvolle Aufgaben auf Krall.

Er muss dafür sorgen, dass das Unternehmen im boomenden, aber umkämpften Online-Handel nicht zurückfällt. Auch muss er die Erträge im Geschäft mit den bei Anlegern beliebten, aber für die Anbieter nicht immer lohnenden Goldsparplänen verbessern.

Auf die Sonderkonjunktur, die eine Änderung des Geldwäschegesetzes vielen Edelmetallhändlern beschert hat, kann Krall dagegen nicht mehr zählen. Die Grenze, bis zu der Anleger ohne Identitätsnachweis Gold kaufen können, wurde zum Jahreswechsel von 10.000 Euro auf 2.000 Euro gesenkt. An den letzten Tagen des abgelaufenen Jahres bildeten sich daher vor vielen Händlern lange Schlangen. Auch die Degussa rechnet mit Rekordumsätzen von über zwei Milliarden Euro für 2019.

Um in der Erfolgsspur zu bleiben, braucht der neue Chef vor allem: Manager mit operativer Erfahrung. Der Weggang zweier Edelmetall-Experten trifft die Degussa daher zu einem kritischen Zeitpunkt.