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Datenwüste Deutschland: Wie die Krisenpolitik wirkt, kann niemand so genau sagen

Politische Maßnahmen lassen sich nicht wissenschaftlich bewerten. Ein zentraler Grund: Deutschland ist statistisches Entwicklungsland. Die Kosten sind enorm.

Mit Milliarden will die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft retten. Foto: dpa
Mit Milliarden will die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft retten. Foto: dpa

Einmal im Monat befragt das Münchener Ifo-Institut Unternehmen nach ihrer Geschäftslage und ihrer Stimmung. Der Ifo-Index gilt als das wichtigste Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaft. Doch obwohl es den Ifo-Index gibt, befragt die Bundesbank Unternehmen jetzt auch nach ihrer Stimmung. Finanziert mit Steuergeldern.

Die Bundesbank hatte das Ifo-Institut gebeten, ihr die Daten des Index zur Verfügung zu stellen, um sie mit ihren eigenen Konjunkturdaten verknüpfen zu können. Das Ifo-Institut war auch bereit und willig, unter Wissenschaftlern hilft man sich. Nur: Die Forscher durften nicht.

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Drei Jahre war man in Gesprächen, die Ökonomen rannten von einem Datenschützer zum nächsten, doch der Datenschutz schob einem Austausch einen Riegel vor. Jetzt macht die Bundesbank eben ihre eigene Ifo-Umfrage.

Dieser Wahnsinn hat Methode. Wenn es um Erhebung, Aufbereitung und Weitergabe von Wirtschaftsdaten geht, ist Deutschland statistisches Entwicklungsland, bestenfalls.

Was sich zunächst anhört wie ein nerdiges Wehklagen der Wissenschaftszunft, hat handfeste Konsequenzen für die Steuerzahler. Denn politische Maßnahmen wie die Corona-Krisenpolitik lassen sich mangels Daten nicht vernünftig wissenschaftlich bewerten. Das Land betreibt eine „Wirtschaftspolitik im Blindflug“, schimpft Ifo-Forscher Andreas Peichl. „Das kostet uns Milliarden.“

Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium schlägt Alarm. In einem am Freitag veröffentlichten Gutachten heißt es, „dass in Deutschland erhebliche Defizite bei der Bereitstellung von Einzeldaten der amtlichen Steuerstatistik bestehen“. Die Nutzung von Steuerdaten sei „im internationalen Vergleich deutlich unterentwickelt“.

In der Steuerpolitik ist es besonders schlimm, teilweise stammen neueste Daten aus dem Jahr 2014. Aber die Steuerpolitik ist nicht der einzige Politikbereich, der aus wissenschaftlicher Sicht eine Datenwüste ist. Es gilt für fast alle.

Daten hinken in der Krise Monate hinterher

Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, zu wissen, ob all die Maßnahmen der Bundesregierung in der Coronakrise wirken, und wie. Doch seriös kann das niemand sagen. So nutzte auch Ifo-Chef Clemens Fuest diese Woche einen Auftritt bei „Lanz“, um vor einem großen Publikum über die schlechte Datenlage in der Krise zu schimpfen.

Daten zu Insolvenzen etwa liegen nur mit sechs Monaten Verzögerung vor. Die Bundesagentur für Arbeit hinkt bei der aggregierten Kurzarbeit drei Monate hinterher. Als das Ifo-Institut bei der KfW anfragte, an wen die Liquiditätshilfen der Staatsbank fließen, um daraus anonymisiert eine Analyse zu machen, gab es eine Absage mit dem Verweis aufs Bankgeheimnis. Auch lokale Informationen zu Corona-Tests gibt es nicht, selbst auf Bundesländerebene sind die Informationen lückenhaft.

Manchmal scheitert eine Datenaufbereitung aber auch an den absurdesten Dingen. So lassen sich Steuerdaten schwer aufbereiten, weil manche Bundesländer in den Formularen für Steuererklärungen die Beträge in Cent angeben, andere aber auf ganze Euro aufrunden.

Mangel an regionalen Daten

Ein weiteres Problem: Viele Daten gibt es nur auf Bundes-, nicht aber auf regionaler Ebene. Bis heute gibt es keine regionalisierten Inflationszahlen, was eigentlich so naheliegend wie hilfreich für wissenschaftliche Analysen wäre. Denn Politik kann auf unterschiedliche Regionen sehr unterschiedlich wirken.

Der Mangel an Daten führt zu Kuriositäten zum Kopfschütteln: So war auf der Homepage des Bundeswirtschaftsministeriums jüngst eine Ausschreibung zu finden. Auftrag: Welche Verordnungen gibt es auf Landkreisebene in der Coronakrise? Das Ministerium war selbst dazu mangels Daten offenbar selbst nicht in der Lage, dies herauszufinden.

Andere Daten wiederum wie Immobilientransaktionen der Gutachterausschüsse stehen nur dezentral zur Verfügung. Wer dazu etwas wissen will, muss die Länder, in einigen Bundesländern sogar einzelne Kommunen fragen.

Dieses Daten-Elend ist drei grundlegenden Problemen geschuldet. Erstens: „Es gilt der Grundsatz: Wenn irgendetwas nicht explizit erlaubt ist, es es verboten“, sagt Peichl.

Beispiel Elterngeld: Hier darf nur das Bezugsjahr, nicht aber das Geburtsdatum und damit der genaue Bezugsraum übermittelt werden. Der Verbotsgrundsatz führt auch dazu, dass viele naheliegende Daten nicht verknüpft werden dürfen, etwa die des Ifo-Index mit dem Konsumklimaindex der GfK.

Datenmangel dem Föderalismus geschuldet

Zweitens existiert eine hohe Datenunsicherheit: Es gibt über Ministerien und Gesetze hinweg keine Harmonisierung, was den Umgang mit Daten angeht. Sozialgesetzbuch, Steuerstatistikgesetz und Bundesstatistikgesetz sind kaum aufeinander abgestimmt.

Drittens herrscht ein Mangel an Daten: Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik werden viele Daten nur auf Ebene der Person, nicht aber auf der des Haushalts erhoben, was aber etwa im Falle einer Bedarfsgemeinschaft die entscheidende Größe wäre.

„Viele Probleme der zeitlichen Verzögerung und Unvollständigkeit von amtlichen Statistiken resultieren aus dem föderalen Aufbau des statistischen Systems in Deutschland“, schreiben verschiedene Forscher in einem Papier mit dem Titel „Daten für eine bessere Wirtschaftspolitik“, das maßgeblich Peichl und der Ökonom Rudi Bachmann geschrieben haben. So gebe es unterschiedliche Mittelausstattungen in den Statistikbehörden der Länder.

Die Forscher machen in ihrem Papier verschiedene Empfehlungen. So fordern sie, Statistik stärker zu zentralisieren und das Statistische Bundesamt mit einem Forschungsauftrag auszustatten, wie man Daten erhebt, um so die Datenqualität zu verbessern.

Ökonomen fordern grundlegende Reformen

Außerdem müsse die Politik „die Rechtsarchitektur so verändern, dass Verknüpfung für wirtschaftspolitische und wissenschaftliche Zwecke Standard und nicht die Ausnahme ist“. Das Gutachten des Beirats beim Bundesfinanzministerium geht in eine ähnliche Richtung. Die Berater schlagen unter anderem „ein eigenes Forschungsdatenzentrum für Steuern“ vor.

Doch der Weg dorthin ist steinig. Datenpolitik ist ein sensibler Bereich. Die Länder werden zudem ihre Pfründe verteidigen wollen. Und auch manche Institution hat vielleicht auch nicht unbedingt ein Interesse an mehr Datentransparenz, weil sie dann besser extern kontrolliert werden könnte.

Der Preis für die Wahrung der Besitzstände sei jedoch hoch, so Peichl: „Wir machen eine Wirtschaftspolitik, von der keiner wirklich weiß, ob sie sinnvoll ist und wer davon profitiert.“

Mehr: Umsatzsteuerbetrug: Bundesrechnungshof wirft Finanzministerium schwere Versäumnisse vor.