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„Die Datenschutz-Grundverordnung ist auf gutem Weg, weltweit zum Goldstandard zu werden“

Seit 2014 hat Věra Jourová an der europäischen Datenschutz-Grundverordnung mitgearbeitet, die am 25. Mai in allen EU-Ländern wirksam wurde. Seitdem ist ein neues Zeitalter im Datenschutz angebrochen – und der Unmut vieler Unternehmen ist groß. Die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung verteidigt naturgemäß das neue Regelwerk – und erklärt den Wert der Daten und die Macht der Datenkonzerne.

Frau Kommissarin, Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat dem Europaparlament im Mai Auskunft zum Datenskandal gegeben. Sie waren mit seinen Antworten anscheinend nicht zufrieden...
Es mangelt derzeit stark an Vertrauen. Die Enthüllungen rund um das Datenunternehmen Cambridge Analytica und Facebook haben viele Fragen aufgeworfen. Ich bin in regelmäßigem Kontakt mit Facebook, wir verfolgen auch die laufenden Untersuchungen genau – sowohl jene der britischen Datenschutzbehörde als auch die der Federal Trade Commission in den USA. Facebook sollte voll mit den Behörden zusammenarbeiten.

Facebook beteuert, seine Datenschutzregeln zu verschärfen. Welche Änderungen erwarten Sie von dem Unternehmen?
Sie müssen das Vertrauen ihrer Nutzer und der Gesetzgeber wiederherstellen. Dafür sollten sie die geltenden Datenschutzregeln umsetzen und uns wie der Öffentlichkeit erklären, wie sie das tun. Facebook wird genau beobachtet, auch von uns. Die Aufsichtsbehörden werden beurteilen, ob das Unternehmen die neue Datenschutz-Grundverordnung wirklich umsetzt.

Wird Facebook seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht?
Facebook ist ein Privatunternehmen, aber auch mehr als das. Es ist zu einem Teil unserer Gesellschaft geworden, weil es Meinungen prägt. Die sozialen Netzwerke können viele positive Dinge bewirken, sie bringen Menschen zusammen und ermöglichen den Austausch von Ideen. Aber sie können auch viel Schaden anrichten. Mit dieser starken Macht geht große Verantwortung einher. Die Menschen müssen besser verstehen können, wie diese Plattformen funktionieren und was mit ihren persönlichen Informationen geschieht. Und sie müssen begreifen, dass es nichts umsonst gibt: Wenn die Digitalfirmen kein Geld verlangen, wollen sie höchstwahrscheinlich unsere Daten.

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Es gibt zahlreiche Beschwerden gegen Facebook und andere Datenkonzerne wie Google, seit die neuen EU-Datenschutzregeln gelten. Drohen ihnen nun hohe Strafen?
Die Datenschutzbehörden haben länderübergreifende Arbeitsgruppen gegründet, die sich die sozialen Medien anschauen. Sie werden auch die Beschwerden genau prüfen. Ob sie Strafen verhängen und in welcher Höhe, hängt davon ab, ob es Verstöße gibt und wie schwer diese sind.

Die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt seit dem 25. Mai. Wie bewähren sich die Regeln bisher in der Praxis?
Wir sehen bei den Bürgern und den Unternehmen ein großes Interesse. Der 25. Mai bedeutet für Firmen den Beginn einer neuen Ära in der Verwaltung der ihnen anvertrauten personenbezogenen Daten. Natürlich haben wir einige übertriebene Ängste gesehen. Aber die meisten Reaktionen waren positiv. Und erfreulicherweise sehen wir, dass die Datenschutz-Grundverordnung auf gutem Weg ist, weltweit zum Goldstandard zu werden.

Besonders kleine und mittelgroße Firmen fürchten hohe Strafen, wenn sie die neuen Regeln noch nicht umsetzen. Was sagen Sie diesen?
Ich kann die Unternehmen beruhigen: Wer die alten Datenschutzvorschriften befolgt hat, wird sehr wahrscheinlich auch die neuen erfüllen. Die Aufsichtsbehörden sind außerdem keine Bestrafungsmaschinen. Bevor sie eine Strafe aussprechen, haben sie viele andere Instrumente zur Verfügung – etwa Warnungen, Abmahnungen oder den direkten Kontakt zum Geschädigten. Und selbst wenn sie eine Geldbuße verhängen: Die Höchstsumme von vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes gilt nur für die schwersten Verstöße.

Sind saftige Strafen der richtige Weg, um die Internetkonzerne zur Einhaltung der Regeln zu bringen?
Wir hatten 20 Jahre lang Regeln, die nur geringe Sanktionen vorsahen. Inzwischen wissen wir, dass einige der Unternehmen diese zeitweise ignoriert haben. Wir wollen, dass unsere Vorschriften Zähne haben und respektiert werden. Schließlich ist Datenschutz ein Grundrecht in der EU.

Halten Sie es für denkbar, auf Kritik zu reagieren und die Verordnung nachzubessern?
Die neue Verordnung war das Ergebnis langer und sorgfältiger Verhandlungen mit vielen Beteiligten, um sicherzustellen, dass die Regeln ausgewogen und flexibel sind. Die Anforderungen an die Unternehmen orientieren sich daran, wie groß die Risiken in ihrer Datenverarbeitung sind. Aber wir werden im nächsten Jahr eine Veranstaltung organisieren, um die Erfahrungen aller Beteiligten aufzunehmen. Diese werden auch in einen Bericht einfließen, den wir im Mai 2020 vorlegen.

Das Europaparlament hat Sie aufgefordert, das Datenschutz-Abkommen mit den USA aufzukündigen – die Rechte europäischer Bürger würden dort nicht ausreichend gewährleistet. Was werden Sie tun?
Meiner Ansicht nach funktioniert das Privacy Shield gut. Aber ich verstehe auch den Frust der Europaabgeordneten und bin sehr ehrlich mit meinen US-Ansprechpartnern, sei es Wirtschaftsminister Wilbur Ross oder Justizminister Jeff Sessions. Wir arbeiten jetzt an der zweiten jährlichen Überprüfung, die im Oktober stattfinden wird, und ich gehe davon aus, dass wir einige Verbesserungen sehen werden.

Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hetze im Internet ist seit einem halben Jahr in Kraft. Wie bewerten Sie die bisherigen Erfahrungen damit?
Ich habe das genau verfolgt. Als der Bundesjustizminister es vorgelegt hat, gab es dringenden Handlungsbedarf – Falschmeldungen und Hasskommentare haben sich im Netz wie ein Buschfeuer verbreitet. Und es scheint zu funktionieren. Ich gehe davon aus, dass die Gerichte die strittigen Fälle mit Blick auf die Meinungsfreiheit klären werden. Aber ich glaube dennoch nicht, dass der deutsche Weg der richtige für ganz Europa ist.

Warum nicht?
Wir halten einen Verhaltenskodex für die Bekämpfung von Hassrede im Netz für den besseren Weg. Facebook, Microsoft, Youtube, Twitter haben diesen unterzeichnet, inzwischen sind auch Snapchat, Instagram und Dailymotion hinzugekommen. Nach unseren Beobachtungen entfernen die Unternehmen 70 Prozent der gemeldeten illegalen Inhalte, die meisten binnen 24 Stunden.

Neben Hetze im Internet erleben wir eine wachsende Gefahr der politischen Einflussnahme über soziale Netzwerke. Wie ernst ist dieses Problem?
Es besteht in der Tat eine wachsende Gefahr für Wähler in Europa, auf ganz neue Art und Weise manipuliert zu werden. Die EU und vor allem die Regierungen müssen das sehr ernst nehmen. Was wir besonders im Auge behalten müssen, sind politische Anzeigenkampagnen. Da brauchen wir mehr Transparenz im Onlinemarkt und Regeln, die mit der Gestaltung moderner politischer Kampagnen im Digitalzeitalter auf Augenhöhe sind.

Frau Jourova, vielen Dank für das Interview.