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Datenschützer wollen ein Grundgesetz für die digitale Welt

Mit der Digitalisierung hat die Nutzung von Daten massiv an Bedeutung gewonnen. Datenschützer fragen deshalb: Warum hat der Datenschutz noch keinen Verfassungsrang?

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – mit diesem knappen Satz beginnt das Grundgesetz. Seit es vor fast 70 Jahren in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1949 in Kraft getreten ist, wurden darin die Regeln für Bürger und Staat Dutzende Male weiterentwickelt, geändert oder ergänzt. Themen, die den Verfassungsvätern nie in den Sinn gekommen wären, sucht man in dem 146 Artikel umfassenden Regelwerk aber vergebens. So hat etwa der Datenschutz keinen Verfassungsrang.

Als Grundrecht lässt er sich „nur“ von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ableiten. Wegweisend ist das Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983, in dem das Gericht die „informationelle Selbstbestimmung“ aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelte.

Schon alleine deshalb fragen sich Datenschützer, wie der Chef der Hamburger Datenschutzbehörde, Johannes Caspar, warum das Grundgesetz in dieser Hinsicht immer noch blank ist. „Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Bundesverfassungsgerichts ist die Wiege des modernen Datenschutzes und der europäischen Datenschutzgrundrechte“, sagte Caspar dem Handelsblatt. „Eine ausdrückliche Aufwertung im Grundgesetz hätte es längst verdient.“

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber zeigt sich offen für einen solchen Schritt. „Ich begrüße grundsätzlich alle Maßnahmen, mit denen die Stellung und Durchsetzung des Datenschutzes verbessert werden“, sagte Kelber dem Handelsblatt.

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Eine „Verschriftlichung“ der informationellen Selbstbestimmung im Grundgesetz müsse aber auch künftig eine „weite Auslegung“ des von den Karlsruher Richtern konzipierten Rechts ermöglichen. „Das wird letztlich vor allem vom konkreten Wortlaut der Norm abhängen“, gibt Kelber zu bedenken.

Hinter der Forderung, den Datenschutz im Grundgesetz ausdrücklich zu erwähnen, steht auch der Gedanke, dass die Nutzung von persönlichen Daten durch den rasanten technischen Fortschritt gerade bei den Informations- und Kommunikationstechnologien eine enorme Bedeutung erlangt hat – mit vielen Chancen, aber auch enormen Risiken.

Das zeigen die immer häufiger und intensiver werdenden Hacker-Angriffe, die Veröffentlichungen privater Daten im Netz und die Datenschutzskandale von Plattformen wie Facebook. Der Chef des weltweit größten Online-Netzwerks, Mark Zuckerberg, setzt sich inzwischen zwar für eine global einheitliche Regulierung im Internet ein und lobte in diesem Zusammenhang die EU-Datenschutzverordnung (DSGVO) als ein Vorbild für die Welt. In Berlin konnte er damit aber nicht überzeugen.

„Facebook hätte bereits heute alle Möglichkeiten, um unabhängig von staatlicher Regulierung höchstmöglichen Datenschutz für die User zu garantieren“, hatte Justizministerin Katarina Barley (SPD) den Vorstoß Zuckerbergs gekontert, als dieser Anfang April bei ihr zu Gast war. „Stattdessen vergeht kaum ein Monat ohne einen neuen Sicherheitsskandal.“

Facebook ist ein Beispiel von vielen, wie der Datenschutz in der digitalen Welt immer mehr ins Hintertreffen zu geraten droht. Im digitalen Zeitalter träfen die Grundrechte auf „gänzlich neuartige Herausforderungen und Bedrohungen“, sagte der Datenschützer Caspar.

„Phänomene wie die Automatisierung von Entscheidungen durch künstliche Intelligenz, Robotik und Mensch-Maschine-Interaktion oder die Steuerung des individuellen Verhaltens über Big-Data-Anwendungen stellen nicht nur die Freiheit des Einzelnen in Frage, sondern erweisen sich als eminente Gefahren der Gleichheit und der Solidarität von Sozialsystemen mit einer ungeheuren Sprengkraft“, warnt Caspar.

Wo liegen also die Grenzen der Digitalisierung?

Dem Chef der Hamburger Datenschutzbehörde schwebt daher ein zusätzlicher Ordnungsrahmen vor – neben der bloßen Verschriftlichung der informationellen Selbstbestimmung auf Verfassungsebene. „Wir benötigen eine digitale Grundrechtecharta als Gegengewicht gegen eine neuartige informationelle Machtkonzentration auf nichtstaatliche und staatliche Akteure.“

Caspar setzt damit einen Punkt, der die Politik schon länger umtreibt. So stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Digital-Gipfel im Dezember in Nürnberg klar, dass die digitale Wirtschaft und das Zeitalter der Digitalisierung dem Menschen zu dienen habe und nicht umgekehrt. „Das Ganze ist kein Selbstzweck.“

Wo liegen also die Grenzen der Digitalisierung? Und: Wie lässt sich das Potenzial von Algorithmen, Künstlicher Intelligenz (KI) und Daten nutzen, ohne dabei die zahlreichen ethischen und rechtlichen Fragen außer Acht zu lassen?

„Wir brauchen klare Regeln für die digitale Gesellschaft“, lautet kurz und knapp die Antwort von Justizministerin Barley. „Dazu zählt für mich auch die kritische Überprüfung von Marktmachtkonzentration“, sagte die SPD-Politikerin dem Handelsblatt. Ende 2018 nahm sie damit Bezug auf einen Vorstoß von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Diese hatte damals die Formulierung neuer digitaler Bürgerrechte gefordert.

Der Datenschützer Caspar erinnerte in diesem Zusammenhang an eine von ihm, verschiedenen Politikern sowie anderen Akteuren aus Gesellschaft und Kultur unterstützte Initiative der „Zeit“-Stiftung, die im vergangenen Jahr einen Entwurf für eine „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ präsentierte.

Damit sollte ein Diskussionsprozess angestoßen werden über eine, wie Caspar erläuterte, „umfassende Neujustierung der Grundrechte im Zeichen ökonomisch-technischer Entwicklungen, die tiefgreifend das Leben der Menschen verändern“.

„Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts“

Der Bundesdatenschützer Kelber steht der Idee einer digitalen Grundrechtecharta, „äußerst positiv“ gegenüber. In seiner Zeit als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium habe er sogar daran mitgearbeitet, sagt er. Er legt aber Wert darauf, dass eine solche digitale Grundrechtecharta den verfassungsrechtlich garantieren Datenschutz lediglich ergänzen, ihn aber nicht ersetzen dürfe.

Dass dies kein leichtes Unterfangen ist, zeigt schon die Debatte über die Verankerung des Datenschutzes ins Grundgesetz. Die Bürger, mahnten die Grünen schon vor zehn Jahren, sollten ihre grundlegenden Rechte aus der Verfassung „auch im Bereich der neuen Technologien in hinreichender Klarheit entnehmen können“. Eine entsprechende Ergänzung des Grundrechtekatalogs scheiterte jedoch am Widerstand Großen Koalition.

Das Thema ist seitdem nicht aus dem Blick geraten, es hat sogar deutlich an Brisanz gewonnen. Das zeigen nicht zuletzt die Entwicklungen etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder die Möglichkeiten biometrischer Überwachung beziehungsweise des social scoring, also der Vermessung und Charakterisierung von Menschen durch Zahlen.

Union und SPD betonen denn auch in ihrem Koalitionsvertrag mehrfach: „Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts.“ Oder: „Daten sind der Treibstoff für Innovationen und neue Dienste.“ Und damit verbunden auch das Risiko des Datenmissbrauchs.

Umso größer ist das Bestreben, den Datenschutz in den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes aufzunehmen. „Gerade im Bereich der Grundrechte ist es wünschenswert, dass die Bürger ihre grundlegenden Rechte aus der Verfassung selbst auch im Bereich der neuen Technologien in hinreichender Klarheit entnehmen können“, erklärten die Grünen einst.

Der Hamburger Datenschützer Caspar geht noch weiter: Die informationelle Selbstbestimmung steht für ihn am Anfang eines „Schutzkonzeptes für ein Leben in Freiheit und Menschenwürde, nicht an dessen Ende“.