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Schreckensszenarien aus der AfD-Echokammer

Mit seinem Lob für deutsche Wehrmachtsoldaten löst Alexander Gauland einen Proteststurm aus. Seine Anhänger lässt das kalt. Bei einer Wahlveranstaltung in Berlin feiern sie den AfD-Spitzenkandidaten für seine Thesen.

Die beiden sind aufgebracht. „Sie wollen Herrn Gauland in die rechte Ecke stecken“, erregt sich ein grauhaariger älterer Herr mit weit aufgerissen Augen, als er von einem holländischen Fernsehteam auf das Wehrmachts-Lob des AfD-Spitzenkandidaten angesprochen wird. Seine Begleitung, ebenfalls in die Jahre gekommen, sekundiert: „Wir haben genug deutsche Geschichte aufgearbeitet, jetzt reicht`s.“ Über Gaulands neue Provokation wollen sie nicht weiter reden. Sie lassen die Journalisten stehen. Denn kritische Töne sind an diesem Abend unerwünscht.

Der AfD-Bezirksverband Berlin-Zehlendorf hat zum Bürgerdialog ins Bezirksrathaus geladen. Mit Alexander Gauland als Top-Redner. Der 76-Jährige absolviert fast täglich Wahlkampfauftritte. Dazwischen kommentiert er die tagespolitische Lage, wenn seiner Partei mal wieder etwas mächtig gegen den Strich geht. Oder wenn er selbst mal wieder für Schlagzeilen sorgt. So wie heute. Den ganzen Tag über wird im politischen Berlin über ein Video mit einer Rede Gaulands vom 2. September diskutiert. Darin findet der Partei-Frontmann, die Deutschen dürften stolz sein auf „die Leistungen deutscher Soldaten“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig fordert Gauland, einen Schlussstrich unter die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zu ziehen.

Parteiübergreifend ist die Empörung groß. SPD und Grüne werten die Äußerungen als weiteren Beleg für rechtsextreme Tendenzen in der AfD. Beim AfD-Bürgerdialog ist davon nicht die Rede. Mit keinem Wort wird der neuerliche Ausfall Gaulands erwähnt. Nur das Fernsehteam aus Holland will dazu Reaktionen einfangen und wird brüsk abgewiesen. Das ältere Paar will sich den Abend aber nicht verderben lassen. „Ich freue mich auf Herrn Gauland“, sagt der Mann und betritt den Bürgersaal. Rund 250 Leute finden hier Platz. Und als Gauland dann da ist, ist auch fast jeder Stuhl besetzt.

Solche Bürgerdialoge veranstaltet die AfD überall in Deutschland. Kurz vor der Bundestagswahl scheint es für die Partei ein nützliches Veranstaltungsformat zu sein, um mit den Wählern ins Gespräch zu kommen. Doch ganz so simpel ist es nicht. Die AfD sucht sich schon selbst aus, wer zu solchen Bürgerdialogen kommen darf und wer nicht. Über das Internet kann man sich anmelden, wer eine Einladung erhält, wird hereingelassen. Andere werden abgewiesen. „Wir müssen schon aufpassen, wer kommt“, sagt der Türsteher vor dem Zehlendorfer Bürgersaal. „Wir haben ja eine Bedrohungslage“, schiebt er als Begründung hinterher. Die Bedrohung steht etwa 100 Meter weit weg – eine Gruppe von vielleicht 20 Leuten, die friedlich und mit lauter Musik gegen die AfD demonstriert.

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Nach drinnen kommen nur die, die auf der Liste stehen. Einen Stock höher geht es dann Richtung Saal. Davor, im Foyer, hat die AfD Stehtische aufgestellt. Darauf Wahlkampf-Flyer und in AfD-Papier gehüllte Bonbons. Das Catering ist umsonst. Wasser, Apfelschorle, Brezeln. Die überwiegend älteren Leute greifen gerne zu. Noch ist Zeit. Gauland ist noch nicht da. Man kommt schnell ins Gespräch. Der Tenor ist immer derselbe. Manche Leute sind richtig wütend auf die da oben, auf die Merkel-Regierung, die macht, was sie will. Und sie setzen darauf, dass die AfD das alles ändert.

Für die AfD ist die Veranstaltung ein Heimspiel. Bei handverlesenem Publikum auch kein Wunder. Die „Bedrohungslage“ schweißt zusammen, man bleibt unter sich. Fast kommt man sich vor, wie in einem Echoraum. So wie in sozialen Netzwerken, wo Computer-Programme Nutzern oft nur Meinungen präsentieren, die ihren eigenen entsprechen. Beim Gauland-Event in Zehlendorf tritt dieser Effekt fast ständig ein.

Etwa als im Saal der AfD-Kreischef Gottfried Curio ans Mikrofon tritt. Er gibt an diesem Abend den Einpeitscher, bevor Gauland seine Rede hält. Curio ist Physiker und sitzt für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus. Er kandidiert hinter der Landesvorsitzenden Beatrix von Storch auf Listenplatz zwei und dürfte damit bei Umfragewerten zwischen 8 und 12 Prozent wohl sicher in den Bundestag einziehen. In seiner Ansprache malt er ein Schreckensszenario nach dem anderen. Und das ist ganz nach dem Geschmack der Zuhörer. Wenn er von einer „gefühlten Ent-Heimatung“ spricht, die die „linksgrüne“ Flüchtlingspolitik zu verantworten habe, erntet er laute Zustimmung. „Jawohl!“, rufen einzelne. Oder: „Bravo!“


„Sturzflug in den Staatsuntergang“

Curio genießt es regelrecht, den Empörungshunger der Anwesenden mit seiner verbalen Achterbahnfahrt zu stillen. Jeder seiner Sätze klingt wie eine ausgefeilte Verschwörungstheorie. Etwa wenn der promovierte Wissenschaftler gegen Parallelgesellschaften wettert, die, so seine Theorie, schon bald in eine „Parallelherrschaft“ münden könnten. Dann aber, vollendet Curio sein Vision, folge unausweichlich ein „Sturzflug in den Staatsuntergang“. So weit will der Landtagsabgeordnete es aber nicht kommen lassen. Und verspricht, die AfD werde das zu verhindern wissen, wenn sie im Bundestag sitzt. Damit trifft er bei den Zuhörern ins Schwarze. Sie goutieren seine Ausführungen mit tosendem Beifall und „Bravo“-Rufen.

Damit ist der Boden stimmungsmäßig für Gauland bereitet. Mit dem für ihn typischen braunem Tweet-Sakko und grüner Hundekrawatte tritt er freundlich lächelnd ans Rednerpult. In teilweise ermüdenden Endlosschliefen führt er die Zuhörer dann über Politikfelder, die die AfD umpflügen will. Das Publikum hört gebannt zu. Dass Gauland nicht mit neuen Ideen aufwartet, stört nicht. Darum geht es auch nicht in der AfD-Echokammer namens Bürgersaal. Die Leute wollen Gauland sagen hören, was sie selbst denken und meinen. Und er tut ihnen den Gefallen.

Mehr als eine halbe Stunde lang spricht er fast nur über Flüchtlinge. Über die „Masseninvasion“, die die AfD stoppen wolle. Darüber, dass Deutschland nicht mehr der „Fußabtreter der Nationen“ sein dürfe. Er redet sich dabei aber nicht in Rage. Er bleibt ruhig, konzentriert. Manchmal wirkt sein Vortrag so, als würde man der Vorlesung eines altgedienten Hochschullehrers lauschen. Gaulands Stimme verliert sich dabei hin und wieder in den Weiten des Raumes. Fast möchte man einschlafen. Dann ertönen Rufe aus den hintersten Stuhlreihen, er solle doch lauter sprechen.

Und Gauland spricht lauter. Er spricht vor allem Vielen aus der Seele, wenn er etwa die osteuropäischen Länder für ihre klare Haltung gegen Flüchtlinge lobt und unterstreicht, dass auch die AfD keine multikulturelle Gesellschaft wolle. Jedenfalls, sagt er, wird es mit ihm keine Politik geben nach dem Motto: „Rein kommste immer, raus kommste nimmer.“ Denn die Folge wäre sonst: „Andere übernehmen diesen Staat und das deutsche Volk löst sich auf.“ Das aber wolle die AfD verhindern. Ein Versprechen, das ankommt. Die AfD-Fans im Saal reagieren mit lautstarkem Klatschen und „Bravo“-Rufen. Und so geht es immer weiter. Gauland trifft den Nerv des Publikums, auch wenn er nicht ganz so tief in die Verschwörungstheorien-Kiste greift wie sein Vorredner Curio.

Gauland versucht es mit einfachen Sätzen und einfachen Botschaften. Das reicht, um den Saal und die „lieben Freunde“, wie er das Publikum nennt, zum Beben zu bringen. Etwa wenn er schlichte Lösungen für den Flüchtlingszustrom skizziert. Klar würde er auch Migranten aus Afrika abweisen, sollten sie an der deutschen Grenze stehen, macht er ohne Umschweife deutlich. „Wer diesen Weg freiwillig geht, der kann den Weg auch wieder zurückgehen“, gibt er die Marschrichtung vor und erntet dafür ein fast schon geschrienes „Jawohl!“. Und so geht es weiter. Denn der AfD-Vize weiß, dass es vor allem die Flüchtlingsfragen sind, die den Leuten unter den Nägeln brennen. Da kommen ihm auch Zitate der politischen Konkurrenz ganz recht, wenn sie denn in seinen Kontext passen.

Gauland knöpft sich den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vor, zitiert ihn mit dem Satz: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.“ Und schiebt dann seine Version hinterher: „Wir brauchen eine Partei im Bundestag, die wirklich sagt, was wertvoller als Gold ist, nämlich das deutsche Volk.“ Dass Gauland den Schulz-Satz nicht vollständig zitiert, stört ihn nicht, stört auch andere nicht. Richtig lautet der Satz: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold. Es ist der Glaube an Europa.“

Das soll an diesem Abend aber nicht mehr das große Thema sein. Die Leute sind schon froh damit, dass Gauland ihrem Deutschland wieder mehr Geltung verschaffen will. Das ist auch ganz im Sinne des älteren Herrn, der zu Beginn der Veranstaltung Gauland in Schutz genommen hatte. Warum solle man heute die deutsche Geschichte auch nicht in einem anderen Licht sehen, gibt er dem AfD-Vize Rückendeckung. Viele Wehrmachtsoldaten seien doch gegen ihren Willen eingezogen worden.

Das sieht auch Gauland so. Am Rande der Veranstaltung diktiert er einer Mitarbeiterin der Nachrichtenagentur dpa in den Block, dass er bei seinem Wehrmachts-Lob bleibe. Denn Millionen deutscher Soldaten hätten ihre Pflicht getan für ein „verbrecherisches System“. Aber da sei das System Schuld und nicht „die Soldaten, die tapfer waren“.

Draußen ist es inzwischen dunkel geworden, als Gauland den Bürgersaal verlässt. Begleitet von Personenschützern bahnt er sich den Weg zu seinem Auto. Ringsum stehen Polizisten, die zum Schutz der Veranstaltung angefordert wurden. „Ist ja gottseidank ruhig geblieben“, sagt ein Beamter. Und wünscht einen schönen Abend.