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Daimlers Elektro-Offensive stockt – nicht das einzige Problem von Dieter Zetsche

Der Start von Daimler ins Elektrozeitalter beginnt mehr als holprig. Nach den Lieferengpässen beim E-Smart verzögert sich nun auch der Markteintritt der Mercedes-Elektromarke „EQ“. Der Geländewagen „EQC“ werde zwar im September vorgestellt, komme aber nicht wie geplant Anfang 2019 auf den Markt, erfuhr das Handelsblatt aus Konzernkreisen. Der neue Termin ist jetzt für Juni 2019 angesetzt.

Auch die elektrische S-Klasse braucht länger als gedacht. Die Neuauflage des Topmodells soll 2020 zunächst nur mit Verbrennungsmotor starten, bevor im Jahr darauf der E-Antrieb folgt. Grund für die Verspätungen seien neben technischen Problemen unter anderem Engpässe bei den Batterien. Daimler hatte die Informationen auf Anfrage zunächst nicht kommentiert. Am Montagabend sagte ein Sprecher: „Wir sind im Plan, es gibt keine Verzögerungen bei EQC und S-Klasse.“

Konzernchef Dieter Zetsche kämpft derzeit mit vielen Problemen. Daimler hat nur noch eine Woche Zeit, dem Kraftfahrt-Bundesamt sämtliche fragwürdigen Softwarefunktionen seiner Dieselmotoren zu erklären. Es drohen Rückrufe und hohe Bußgelder. Hinzu kommen Probleme bei der Kleinwagentochter Smart und Forderungen des chinesischen Großaktionärs Li Shufu. Der Geely-Eigner kontrolliert auch den schwedischen Autobauer Volvo und drängt Daimler zur Kooperation. Zetsche, dessen Vertrag bis Ende 2019 läuft, steht vor schwierigen Wochen.

Das sah vor gar nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aus.

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Amsterdam im Februar. Alle Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet. Bevor es losgeht, schmunzelt Dieter Zetsche noch einmal kurz. Er weiß schließlich, was kommt. „Hey Mercedes, erzähl mir einen Witz“, sagt der Daimler-Chef vor 400 geladenen Gästen bei der Premiere der A-Klasse. „Tut mir leid, meine Entwickler waren Deutsche“, antwortet das Auto. Wie jetzt, grübelt Zetsche: Schwaben sollen keinen Humor haben? „Ich bin völlig anderer Meinung“, entgegnet der Manager mit einem Augenzwinkern.

Der Scherz kommt an. Zetsche wird an diesem Abend in einer ehemaligen Schiffsmotorenfabrik in der niederländischen Großstadt gefeiert wie ein Popstar. Dutzende Fans drängeln sich um den Schnauzbartträger, um ein Selfie zu knipsen. Viel besser hätte der Mann, der seit mehr als zwölf Jahren die Geschicke von Daimler bestimmt, der Weltöffentlichkeit sein erstes „Smartphone auf Rädern“ mitsamt cleverem Sprachassistenten wohl nicht präsentieren können.

Auf der Zielgeraden kommt Zetsche die Leichtigkeit abhanden

Der 65-jährige Zetsche ist der einzige deutsche Manager von Weltformat. Der beste Verkäufer der Republik. Bei seinen durchchoreografierten Auftritten wirkt er cool, selbstironisch und überzeugend. Im vergangenen Jahr wurde er über die Karriereplattform Glassdoor von seinen Mitarbeitern zum beliebtesten Manager Deutschlands gekürt.

Zetsche steht an der Spitze der Automobilwelt, sieht sich auf Augenhöhe mit den Größen des Silicon Valley. Seit 42 Jahren im Konzern, seit zwölf Jahren ganz oben. Doch auf der Zielgeraden seiner Karriere kommt ihm die Leichtigkeit abhanden.

Wer Zetsche dieser Tage beobachtet, erlebt einen Getriebenen. Die charmante Art und der unbeschwerte Auftritt, den er vor einigen Wochen noch zelebrierte, sind gewichen. Als bleiern beschreiben ihn jene, die ihn besser kennen. Kein Wunder: In seinem Konzern stapeln sich die Probleme. Und immer mehr bestimmen andere die Agenda.

Kommende Woche muss der Daimler-Chef abermals zum Rapport bei Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Neben dem Diesel-Ultimatum aus Berlin köcheln aber noch weitere Krisen.

Die Elektromarke EQ ist zu spät gestartet, jetzt lassen sich die Zeitpläne für das erste Modell, den Geländewagen „EQC“ nicht mehr halten.

Bei Smart fehlt mit dem plötzlichen Abgang von Annette Winkler nicht nur die Führung, sondern auch eine Strategie.

Und hinter den Kulissen macht der neue Großaktionär Li Shufu Druck: Daimler soll sich an Volvo beteiligen, einer Tochter von Shufus Geely-Konzern. Konkret will der Chinese, dass Daimler dem Konkurrenten Volvo Motoren liefert und sogar Anteile übernimmt. Zähneknirschend lassen sich die Mercedes-Manager in eine ungeliebte Kooperation treiben.

In der Daimler-Zentrale in Stuttgart-Untertürkheim rumort es. Führungskräfte beklagen den Stillstand. Es fehle die Diskussion, das offene Ringen um Lösungen. „Mit dem Abgang von Wolfgang Bernhard ist eine der letzten Figuren gegangen, die im Vorstand eine offene Meinung vertreten hat“, beschreibt ein Manager die Situation. Bernhard, lange ein Wegbegleiter von Zetsches Karriere, warf Anfang 2017 das Handtuch, weil er keine Chancen auf den Vorstandsvorsitz mehr sah.

Seitdem ist Dieter Zetsche nun beides: Mächtiger denn je und gleichzeitig getrieben wie nie. Sein Plan, im Jahr 2019 mit glänzenden Zahlen vom Vorstand in den Aufsichtsrat zu wechseln, wackelt ein Jahr vor dem Ziel. Zwar stimmen die Zahlen. Absatz, Umsatz und Gewinn sind auf Rekordniveau und der ewige Rivale BMW bleibt auf Distanz.

Doch am Ende der Ära Zetsche bestimmen andere, wo es lang geht: Der Großaktionär Li Shufu, der mit seiner Beteiligung Zetsches Unternehmenspolitik offen infrage stellt. Die Staatsanwälte in Stuttgart, die ihre Ermittlungen auf weitere Motorenbaureihen ausweiten und deren Erkenntnisse auch dem Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) bekannt sind. Und natürlich der neue Verkehrsminister Scheuer, der aus eigenem Kalkül keine Milde walten lässt.

Zetsche, der seit gut zwei Jahrzehnten alle Krisen im Konzern erfolgreich gemeistert hat, ist auf den letzten Metern angezählt. Will er sich auf der Hauptversammlung 2019 als Nachfolger von Aufsichtsratschef Manfred Bischoff empfehlen, muss er die folgenden fünf Probleme bewältigen.

1. Risiko Diesel

Die Frist ist kurz, die Hektik groß. Nicht einmal mehr eine Woche Zeit hat Daimler noch, um dem Kraftfahrt-Bundesamt sämtliche fragwürdigen Funktionen seiner Dieselmotoren OM 622 und 626 offenzulegen. Führende Daimler-Manager gehen davon aus, dass die Behörde neben dem Transporter „Vito“ weitere Mercedes-Modelle beanstanden wird, beispielsweise die populäre C-Klasse. Damit wäre für mindestens 120 000 Autos der Rückruf fällig, es könnten aber auch bis zu 700.000 werden, hatte Scheuer im Gespräch mit Zetsche vergangene Woche gedroht.

Die bisher nicht gekannte Entschlossenheit der Behörden setzt den Daimler-Chef massiv unter Druck. Er hatte 2015 erklärt, Daimler habe bei seinen Dieselmotoren weder manipuliert noch betrogen. Erweist sich dieser Satz als falsch, dann drohen hohe Strafen und Zetsches Position wäre beschädigt. Alleine in Deutschland könnten bis zu 3,75 Milliarden Euro fällig werden, wie Verkehrsminister Scheuer dem Autoboss laut Branchenkreisen Anfang vergangener Woche deutlich gemacht hatte. Zuerst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet.

Nach zwei Jahren des Taktierens und Aussitzens steht Daimler mit dem Rücken an der Wand. Einen Informationsvorsprung haben Zetsches interne Ermittler nicht mehr. Längst sind die Behörden über die Abläufe im Konzern bestens im Bilde. Bei einer Razzia im vergangenen Jahr hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart umfangreiche Unterlagen beschlagnahmt.

Außerdem ist da noch der Zulieferer Bosch, der umfassend bei den Behörden in den USA und Deutschland ausgepackt hat. Bosch ist der Lieferant der Software, mit der die Abgaswerte von Dieselautos unerlaubt gesenkt worden sein sollen. Daimler, so klagen die internen Aufklärer, sei gegenüber den Staatsanwälten inzwischen gläsern. Auf dieser Basis eine Verteidigungslinie aufzubauen, ist schwer. Zumal Folgeschäden drohen: Investoren könnten sich getäuscht fühlen und Schadensersatz fordern. In den USA sind bereits Sammelklagen anhängig, auch das US-Justizministerium hat sich eingeschaltet.

Nach Handelsblatt-Informationen steht eine Einigung in den USA kurz bevor, ein Schuldeingeständnis in Deutschland könnte einen Deal aber kurz vor dem Abschluss noch gefährden. Auch deshalb will Daimler Widerspruch gegen die Rückrufbescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes einlegen und notfalls vor Gericht ziehen, wie es in Unternehmenskreisen heißt. Selbst wenn Daimler sich dem Diktat des Verkehrsministers fügen würde – es gilt, juristisch weiter die Überzeugung der eigenen Unschuld zu demonstrieren.

2. Wackelige Elektrooffensive

Der Diesel ist in Europa der meist verkaufte Antrieb. Die verbrauchseffizienten Selbstzünder sollen die Klimabilanz der Mercedes-Flotte im Lot halten. Daimler liegt freilich noch immer gut zwanzig Prozent über den geforderten Grenzwerten für 2021, im vergangenen Jahr gingen die Emissionen sogar leicht nach oben. Überschreiten die Stuttgarter das von der EU vorgeschriebene Flottenziel in drei Jahren von maximal 95 Gramm CO2-Ausstoß pro gefahrenem Kilometer, werden hohe Strafzahlungen fällig.

Ohne Diesel, der bis zu 15 Prozent weniger klimaschädliches Kohlenstoffdioxid ausstößt als ein Benziner, wird es schwierig, die Grenzwerte einzuhalten. Ohne Elektroautos wird es unmöglich. Lange hat Mercedes mit seinen Stromern gewartet, den Rivalen BMW und Tesla den Vortritt gelassen.

Getrieben vom Abgasskandal gab Zetsche auf dem Autosalon in Paris 2016 das Signal zum Aufbruch: „Jetzt legen wir den Schalter um“, erklärte er damals. Ein Dutzend neue Elektroautos sollten zunächst bis 2025 auf den Markt. Kurz darauf legt Zetsche dieses Ziel auf 2022 vor, auch weil die Konkurrenz in das neue Geschäft vorstieß.

Der Druck lastet auf dem Kronprinzen Ola Källenius. Der Entwicklungsvorstand hat nach Bernhards Abgang seinen Platz am Vorstandstisch direkt neben Zetsche eingenommen und soll mit dem „EQC“ endlich das erste Elektroauto von Mercedes auf die Straße bringen. Das Fahrzeug sei im Grunde fertig, allerdings gebe es Probleme bei der Versorgung mit Batterien, erfuhr das Handelsblatt aus Konzernkreisen. Der Engpass ist schwer zu beseitigen – Källenius aber will den Zeitplan nach außen hin partout einhalten.

Seine Lösung: Anfang September soll der „EQC“ in Stockholm vorgestellt werden, bestätigte ein Daimler-Sprecher. In den Verkauf geht der Stromer laut Konzernkreisen aber erst frühestens im Juni 2019. Die Folge: Der Anlauf des „EQC“ verzögert sich gegenüber den internen Planungen um einige Monate. Daimler betonte, dass das Modell wie angekündigt auf dem Markt kommen werde. Audi allerdings ist deutlich schneller: Die VW-Tochter will ihren E-Geländewagen „Etron“ ab 2018 ausliefern.

Der Mangel an Batterien bei Mercedes bremst nicht nur den „EQC“ aus. Auch anderen Elektromodellen aus dem Hause Daimler droht ein Stotterstart. Bereits jetzt müssen Kunden fast ein Jahr auf einen E-Smart warten. Laut Branchenkreisen soll die neue S-Klasse im Jahr 2020 noch als Verbrenner gestartet werden. Befürchtet werde, dass die Elektroversion erst ein Jahr später folgen könnte. Für den wichtigsten Absatzmarkt China, wo die Elektromobilität gerade Fahrt aufnimmt, ein schwaches Statement. Ihren Werbeslogan „Das Beste oder nichts“ können die Ingenieure aus dem Schwabenland so nicht erfüllen.

Nicht nur technisch wird das Elektroauto ein Abenteuer. „Der Aktienmarkt ist skeptisch, ob Daimler im Zuge der Elektroautowelle die gleiche Profitabilität erzielen kann wie heute“, sagt Ingo Speich von Union Investment. Konkret fürchten Aktionäre und Börsianer, dass auf die Rekordfahrt von Daimler mit einem Nettogewinn von fast elf Milliarden Euro alleine in 2017 nun magere Zeiten folgen könnten. Denn das Produktportfolio der Schwaben kommt allmählich in die Jahre, Wettbewerber ziehen nach. „Es besteht das Risiko“, mahnt Speich, „dass Daimler jetzt in ein Loch fällt und von Konkurrenten wie BMW überholt wird“.

Diese Sorge drückt auf den Aktienkurs. War das Papier von Daimler zu Jahresbeginn noch mehr als 70 Euro wert, sind es aktuell lediglich 62 Euro. Alleine in der vergangenen Woche sackte der Kurs der Daimler-Aktie um fast fünf Prozent ab. Neben den hausgemachten Problemen des Konzerns würden die „drohenden Zölle auf Mercedes-Autos in den USA, negative Währungseffekte und etwaige konjunkturelle Dellen“ die Investoren verunsichern, erläutert Fondsmanager Speich.

3. Der fordernde Großaktionär

Die Probleme bei den Elektroautos dürften dem neuen Großaktionär aus China wenig gefallen. Li Shufu, Gründer der chinesischen Automarke Geely und Eigner von Volvo Pkw, hatte im Februar mit einem Schlag knapp zehn Prozent von Daimler erworben und das Management damit überrumpelt. Die Führung um Zetsche hatte mit einer deutlich kleineren Beteiligung gerechnet.

Darauf angesprochen, reagiert der Daimler-Chef zunehmend gereizt. Die Beteiligung von Shufu sei „nichts völlig Ungewöhnliches, oder Weltbewegendes“, sagte Zetsche zuletzt im April. Zu Hause in Stuttgart brodelt es freilich gehörig, seit der Chinese zum Aktionärskreis zählt.

Mit Shufu verändert sich die Statik im Daimler-Reich, auch wenn sich der neue Investor demütig gibt. „Daimler ist ein herausragendes Unternehmen mit erstklassigem Management“, erklärte der Geely-Gründer seinen Einstieg . Aber: „Die Wettbewerber, die uns im 21. Jahrhundert technologisch herausfordern, kommen nicht aus der Automobilindustrie.“ Um den „Eindringlingen von außen“ mit vereinten Kräften zu begegnen, brauche es Freunde und Partner. „Es ist Zeit für ein neues Denken. Mein Engagement bei Daimler reflektiert diese Vision.“

Der Freund und Partner stellt Forderungen. Nicht öffentlich, aber hinter verschlossenen Türen. Mehrere Treffen habe es zwischen den Chinesen und den Stuttgartern bereits gegeben, heißt es. Die Vertreter von Li Shufu sollen bei diesen die fortlaufenden Investitionen in die Dieseltechnologie bemängelt haben. Besser wäre es, so der Ratschlag der Chinesen, das Geld in die Elektromobilität zu investieren.

Außerdem, so eine Forderung, soll Daimler mit der Geely-Tochter Volvo kooperieren und zumindest einen Teil übernehmen. Der Widerwillen in den Reihen der Mercedes-Verantwortlichen ist groß. Volvo sei ein Wettbewerber, klagt ein Manager. Zudem unterhalten die Schweden in Göteborg ein gemeinsames Technologiezentrum, dass den Transfer europäischer Technik nach China ermöglicht. Dennoch: Dem Ansinnen des Großaktionärs könnten sich Zetsches Mannen nicht dauerhaft verschließen, heißt es in Branchenkreisen.

Mit dem Chinesen im Aktionärskreis steigt der Druck. Angesichts der wachsenden Unsicherheit beim Diesel erodiert der Kurs der Daimler-Aktie zusehends. Unter Investmentbankern wird bereits diskutiert, dass Li Shufu seine Beteiligung auf bis zu 15 Prozent erhöhen könnte. Zetsche sollte dies nicht als Bedrohung sehen, sondern als Chance. Denn mit einem strategischen Investor aus China würden aktivistische Aktionäre abgeschreckt. Die könnten die Zerschlagung von Daimler fordern.

Die Gefahr ist real, wie sich an Thyssen-Krupp zeigt. Den Industriekonzern von der Ruhr wollen aggressive Anteilseigner in seine einzelnen Stücke zerlegen. Mag Geely schon unangenehm sein, Heuschrecken wären für Zetsche der Albtraum.

Gleichzeitig muss Zetsche aber behutsam vorgehen und darf Shufu nicht zu sehr entgegenkommen – gerade in China. Zwar sind Allianzen und Kooperationen von Daimler und Geely im Reich der Mitte denkbar, etwa bei Mobilitätsdiensten. Aber die Stuttgarter haben mit BAIC bereits einen Joint-Venture-Partner in China. „Daimler muss aufpassen, BAIC nicht zu verschrecken“, mahnt ein Branchenkenner. Die Gemengelage ist explosiv, erfordert fiel diplomatisches Fingerspitzengefühl. Schließlich sind BAIC und Geely Wettbewerber. Ein Disput unter den Partnern könnte fatale Folgen haben. China ist der wichtigste Absatzmarkt für Daimler. Mehr als ein Drittel ihrer Fahrzeuge verkaufen die Schwaben in Fernost.

Zetsche weiß das. Auf der Bejing Motorshow, der weltgrößten Automobilmesse, umarmte er daher demonstrativ Xu Heyi, den Chairman von BAIC. Innig plauderte der Daimler-Chef mit seinem „guten Freund“ und lobte die tolle Zusammenarbeit. „Wir reichen uns die Hände, um eine neue Ära einzuläuten“, erwiderte Xu Heyi die zuneigungsvollen Gesten von Zetsche. Auf einer überdimensionierten, etwa sechs Fahrzeuge langen Leinwand wurde die ohnehin unmissverständliche Botschaft noch mit einem Symbolfoto im Hintergrund untermauert. Darauf zu sehen war ein kraftvoller Händedruck zweier Männer. Shufu, der zeitgleich beim Messestand von Volvo auftrat, hielt Zetsche auf Abstand.

4. Das Sorgenkind Smart

Im Februar verkündete BMW-Chef Harald Krüger ein ehrgeiziges Vorhaben: Mini, die Kleinwagenmarke der Münchener, will gemeinsam mit Great Wall ein großes Werk für Elektroautos in China bauen. Die E-Minis sollen für BMW den schnell wachsenden Markt für Stromautos in China erschließen. Ein ambitionierter Plan, die beiden Partner wollen rasch auf große Stückzahlen kommen, China ist der Mini-Markt der Zukunft.

Bei dem Mini-Konkurrenten Smart herrscht hingegen Tristesse: Auch nach zwanzig Jahren hat es Mercedes nicht geschafft, die Marke aus den Verlusten zu holen. An die Stückzahlen und den Erfolg des Mini kommt der Smart nicht heran. Mehrfach wurde das Konzept verändert, neue Strategien entwickelt und wieder verworfen. Seit Anfang des Jahres liegen die Absätze sieben Prozent unter denen des Vorjahres.

Nun geht die Chefin von Bord: Annette Winkler, die jahrelange Vertraute von Konzernchef Zetsche wird nach acht Jahren an der Spitze zum September ihren Stuhl räumen. Sie stolperte laut Konzernkreisen über die schwache Performance, soll aber auch einen Zwist mit Britta Seeger ausgetragen haben. Zetsche hatte Seeger im vergangenen Jahr überraschend das Vertriebsressort anvertraut.

Offen ist nicht nur, wer Winkler nachfolgt, sondern die Zukunft der Marke Smart insgesamt. Ursprünglich sollten die kleinen Elektroflitzer den Flottenverbrauch von Daimler senken und den Konzern so den EU-Klimavorgaben näherbringen. Doch auch die kleinen Motoren schaffen die Verbrauchsvorgaben zu selten.

Für die Klimabilanz ist nun vor allem die Mercedes-Elektromarke „EQ“ zuständig, die massiv ausgebaut wird. In dem schwach ausgelastetem Smart-Werk Hambach soll nun auch der „EQA“ gebaut werden, die geplante elektrische Variante der A-Klasse. Zwar hat auch Mercedes die Grundsatzentscheidung getroffen, den Smart auf Elektroantrieb umzustellen. Ob sich der neue Großaktionär Shufu eine gemeinsame Produktion in China vorstellen kann, ist bislang aber nicht bekannt.

5. Der Umbau

Der Druck der Investoren wächst, die Anteilseigener drängen auf Fokussierung, wenn es sein muss auch auf Abspaltungen. Schon vor dem Einstieg von Li Shufu hatten Zetsche und Finanzchef Bodo Uebber die Idee für einen Befreiungsschlag: Das Unternehmen soll in eine Holding umstrukturiert werden. Zwar gilt der Umbau offiziell noch als Option, intern ist das Manöver aber längst beschlossen. Die einzelnen Sparten (Pkw & Vans, Lkw & Busse und Financial Services) werden unter dem Dach der Muttergesellschaft mehr Eigenständigkeit erhalten, theoretisch ist auch ein Börsengang der Lastwagen-Sparte denkbar.

Den fordern die Investoren schon länger, um mehr Potenzial aus der Aktie zu holen. Zetsche, der sich ebenso wie Finanzvorstand Uebber gerne die Idee mit der Holding zuschreiben lässt, will auf jeden Fall auf der Hauptversammlung im kommenden Jahr als Vorstandschef den Plan umsetzen. Dann sollen die Aktionäre der Umstrukturierung zustimmen. Zetsche könnte dann als Macher und Visionär den Spitzenjob abgeben und sich für noch höhere Weihen empfehlen.

Sein Kalkül: Mit der Umwandlung in eine Holding könnten die Aktionäre ihm auch den schnelleren Einzug in den Aufsichtsrat ermöglichen. Eigentlich müsste Zetsche für zwei Jahre pausieren, wenn er den Vorstandsvorsitz niedergelegt hat – so schreibt es der Corporate Governance Kodex vor, dem sich Daimler verpflichtet hat. Stimmt ein Viertel der Investoren zu, kann ein Vorstand aber auch ohne Auszeit wechseln. Ganz so wie BMW-Aufsichtsratschef Norbert Reithofer, der 2015 ebenfalls ohne Umweg vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechseln durfte, dank des Wohlwollens der Familie Quandt.

Einen solchen Fürsprecher hat Zetsche nicht. Anders als bei BMW und Volkswagen fehlt dem Daimler-Chef ein Großaktionär, der ihn protegiert. Er muss nun auf sein bewährtes Geschick vertrauen, die letzten heiklen Monate heil zu überstehen. Ob sein letzter großer Plan aufgeht, ist in diesen Tagen fraglicher denn je. Eng stimmt sich Zetsche dabei mit Daimler Aufsichtsratschef Manfred Bischoff ab. „Kein Blatt Papier passt zwischen die beiden Männer“, sagt eine Führungskraft. Der mittlerweile 76-jährige Bischoff hat sich seinen Vertrag mit einigen Kniffen bis 2021 verlängern lassen, um Zetsche den Stuhl an der Spitze des Kontrollgremiums freizuhalten.

Union-Investment-Manager Ingo Speich ist eigentlich ein Fan der angedachten Holding. Aber er warnt lieber schon einmal vorsorglich: „Unternehmen geht vor Person. Die Struktur darf nicht als Beförderungsvehikel missbraucht werden.“

Die frühe Festlegung, Mercedes habe in der Dieselaffäre nicht manipuliert oder betrogen, könnte Zetsche im letzten Jahr seiner Amtszeit noch einholen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft lähmen den Konzern, jeder Rückruf kratzt an Zetsches Reputation. Das Smart-Debakel, der Verzug bei den E-Modellen und der fordernde Großaktionär sorgen im Haus zusätzlich für Unruhe. Und so geht es in diesen Tagen um die Frage, wie Zetsche der Nachwelt in Erinnerung bleiben wird: Gibt es einen zweiten Fall Volkswagen und einen Manager, der auf dem Zenit seines Schaffens abstürzt? Oder gelingt es Zetsche, auch diese Situation heil zu überstehen?

Der Autonarr kennt solche Situationen: Zu Beginn seiner Amtszeit im Januar 2006 verkaufte Zetsche die Verlusttochter Chrysler und setzte damit den Grundstein für den Wiederaufstieg von Mercedes. Mit einer beispiellosen Modelloffensive gelang ihm der Wiederaufstieg an die Spitze der Branche. In den letzten Monaten seiner Karriere entscheidet sich, ob Zetsche aus einer Amtszeit eine Ära macht.