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Jobabbau, Qualitätsmängel und ein Börsengang: Die schwierige Mission von Daimlers Lkw-Chef

Der Vertrag von Lkw-Vorstand Martin Daum soll vor dem geplanten Börsengang vorzeitig verlängert werden. Vor allem in Europa läuft es für die Sparte aber schlecht.

Daimler Trucks ist in Übersee stark positioniert. In Europa dagegen hat das Lastwagengeschäft aktuell nur noch einen Marktanteil von 19,3 Prozent. Foto: dpa
Daimler Trucks ist in Übersee stark positioniert. In Europa dagegen hat das Lastwagengeschäft aktuell nur noch einen Marktanteil von 19,3 Prozent. Foto: dpa

Kraftlos und amtsmüde wirkte Daimler-Vorstand Martin Daum auf viele Kollegen noch vor einem Jahr. Intern wunderten sich nicht wenige, warum der Leiter des wichtigen Truckgeschäfts bei dem Stuttgarter Autobauer eigentlich so viel Zeit an seinem Zweitwohnsitz im amerikanischen Portland verbrachte – während in Europa die Marktanteile beharrlich bröckelten.

Selbst hochrangige Kollegen begannen, gegen Daum zu sticheln: Dieser hätte 2019 „den Mund zu voll genommen“ und abermals nicht die versprochene Umsatzrendite von acht Prozent geliefert, lästerte ein Topmanager. Daums Stern bei dem Mercedes-Hersteller schien zu sinken, zumal der globale Absatz seiner Lastwageneinheit seit Jahren stagniert. Doch mittlerweile sind die Kritiker weitgehend verstummt.

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Der 61-Jährige strotzt neuerdings nur so vor Arbeitseifer. Nahezu im Wochentakt werden bei Daimler Trucks Strukturen verschlankt, bilanzschonende Kooperationen geschlossen und strategische Makel ausgemerzt. Die Wirkung ist in diesem Geschäft mit seinen langen Zyklen nicht gleich erkennbar, aber die Weichen sind gestellt.

Der Aufsichtsrat jedenfalls ist von seiner Leistung angetan. Folglich dürfte sein Anfang 2022 auslaufender Vertrag zeitnah um zumindest drei Jahre verlängert werden, erfuhr das Handelsblatt aus Konzernkreisen. Daimler lehnte einen Kommentar zu der Vertragsverlängerung ab.

Klar ist: Daum kann sowohl auf die Rückendeckung von Daimler-Chef Ola Källenius als auch von Betriebsratschef Michael Brecht zählen. Viele Alternativen zu dem Diplom-Kaufmann, der das Lastwagengeschäft seit 2017 leitet, gibt es ohnehin nicht.

Die Konzernführung hält ihm zugute, dass er die US-Tochter Freightliner solide aufgestellt hat. „Das soll er nun bei Mercedes in Europa wiederholen“, sagte eine Führungskraft. Källenius werde die Entwicklung sehr genau verfolgen. Daum soll nämlich eine der wichtigsten Aufgaben erfüllen, die der Daimler-Chef auf der Agenda hat.

Börsengang 2022 realistisch

Der Auftrag an Daum lautet, das fast 45 Milliarden Euro Umsatz schwere Lastwagen- und Busgeschäft im Eiltempo börsenreif zu sanieren. Bereits Ende 2021 könnte Daimler Trucks vom Rest separiert werden und an die Börse gehen, verlautet aus Konzern- und Finanzkreisen. „Wahrscheinlicher ist der Schritt aber im Jahr 2022“, sagte eine Führungskraft. Daimler wollte sich zu den Überlegungen nicht äußern.

Beim ersten Blick auf die nackten Zahlen erscheint ein Listing zwar derzeit wenig erfolgversprechend. Gebeutelt von der Coronakrise, ist der Betriebsgewinn der Daimler Truck AG von Januar bis Ende September auf 32 Millionen Euro eingebrochen – ein Minus von 99 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Parallel dazu sackte der Umsatz um mehr als ein Fünftel ab, der Absatz sogar um ein Drittel. Insbesondere das Geschäft mit Reisebussen ist „mausetot“, heißt es intern ernüchtert. Bestelleingang: null.

Auf den zweiten Blick scheint ein Börsengang oder Spin-off der Lkw-Einheit allerdings gar nicht mehr so abwegig. 2020 wäre auch ohne Corona ein schwaches Jahr für die Truck-Industrie geworden. Die Branche befindet sich im zyklischen Abschwung nachdem es zuvor jahrelang aufwärtsging.

2021 dürften die Spediteure aber allmählich mehr Volumen ordern. Pandemie-bedingte Nachzieheffekte könnten mancherorts sogar eine kleine Sonderkonjunktur einleiten. Gepaart mit ersten spürbaren Sparerfolgen sind die Aussichten für Daimler Trucks vielleicht besser als gemeinhin angenommen. Damit würde auch ein Teilbörsengang denkbar, so das Kalkül.

Strukturell ist ein Listing von Trucks seit mehr als einem Jahr problemlos möglich. Schließlich fungiert die Daimler AG seit November 2019 nur noch als Dachgesellschaft von drei rechtlich selbstständigen Einheiten (Auto, Lastwagen, Finanzdienste). Daimler hatte im Zuge des organisatorischen Umbaus zwar stets betont, keine Zerschlagung des Konzerns anzustreben, aber wozu sonst haben die Schwaben mehr als 700 Millionen Euro für die Umstrukturierung aufgewendet?

Fix ist zwar nichts, die Planspiele in Stuttgart werden allerdings konkreter. Die Frage sei längst nicht mehr, ob Trucks gelistet wird, sondern nur noch wann, verlautet aus Konzernkreisen. Es gelte jetzt, den besten Zeitpunkt abzupassen, um für Daimler und die Aktionäre das meiste rauszuholen. Der unglückliche Börsengang der VW-Nutzfahrzeugholding Traton (MAN, Scania) Mitte 2019 gilt den Stuttgartern dabei als abschreckendes Beispiel. Solch einen Flop wolle man vermeiden.

Voraussetzung dafür ist – da sind sich alle einig –, dass Daimler Trucks zuvor solider aufgestellt wird. „Die Braut muss noch viel hübscher werden“, konstatiert ein Daimler-Veteran. Insbesondere das Europageschäft um die Kernmarke Mercedes-Benz Trucks liefert chronisch schlechte Ergebnisse ab. Martin Daum soll die Dauerbaustelle abräumen, das notleidende Geschäft endlich drehen.

Qualitätsmängel und verärgerte Kunden

Der gelernte Bankkaufmann aus Karlsruhe hat schon einmal bewiesen, dass er ein Unternehmen erfolgreich sanieren kann. Daum gilt als Architekt des Turnarounds der US-Nutzfahrzeugtöchter Freightliner und Western Star. Unter seiner Führung von 2009 bis 2016 stieg Freightliner sogar zur profitabelsten Lastwagenmarke der Welt auf. Seither kommt der Großteil der Gewinne bei Daimler Trucks aus Nordamerika.

Die Schwaben sind in Übersee stark positioniert, der Marktanteil bei schweren Sattelschleppern schoss in den vergangenen Jahren auf mehr als 39 Prozent in die Höhe. Völlig entgegensetzt verlief parallel die Entwicklung in Europa. Hier hat Daimler seit 2014 gut fünf Prozentpunkte im Vergleich zur Konkurrenz eingebüßt und weist aktuell nur noch einen Marktanteil von 19,3 Prozent aus. Die Probleme in der EU waren und sind mannigfaltig.

So verärgerten etwa Qualitätsmängel beim Retarder, das ist eine verschleißlose Dauerbremse, zahlreiche Kunden. Das Flaggschiff Actros gilt zudem als „overengineered“. Viele Spediteure würden im Zweifel lieber auf Schnickschnack wie Video-Rückspiegel verzichten, wenn die Sattelschlepper dafür ein bisschen weniger kosten würden. Darüber hinaus wird das Vertriebsnetz teils als lückenhaft empfunden, Spitzenservice liefert hier eher Scania als Mercedes.

Daimler-Truck-Vorstand Daum will die Schwachstellen beseitigen. Mit dem F-Actros bringt er beispielsweise eine Art abgespeckte Basisversion seines wichtigsten Produkts auf den Markt. So hofft er, Rivalen wie MAN im harten Preiskampf besser Paroli bieten zu können.

Allein will er den Weg der Neuaufstellung nicht gehen: Bei der Brennstoffzelle paktiert Daum mit Volvo Trucks, beim autonomen Fahren mit der Google-Schwesterfirma Waymo. In beiden Fällen will er die Kosten für die teure Technik halbieren.

In Europa wird parallel rigoros gespart. Tausende Verwaltungskräfte sollen gehen, die Führungstruppe wird dezimiert und der Vertrieb unter dem Projektnamen „Force 2025“ neu organisiert. Mit den Betriebsräten knallt es nun häufiger. Nicht zuletzt, weil die Antriebswende weg vom Verbrenner hin zu Elektromotoren die heimischen Lastwagenstandorte hart treffen dürfte.

Jobabbau „leider unvermeidlich“

Einem Extremszenario zufolge könnte bei Daimler Trucks bis 2035 sogar die Hälfte der 30.000 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen. Ganz so schlimm wird es zwar voraussichtlich nicht kommen, aber die Arbeitnehmer sind alarmiert, wettern gegen einen breitflächigen „Kahlschlag“.

Daum stellt sich der Kritik. Willkürlich werde man keine Jobs abbauen, versicherte der tiefgläubige Christ jüngst seinen Beschäftigten in einem internen Schreiben. Zugleich machte der Manager deutlich, dass es „leider unvermeidlich“ sei, im Zuge des Auslaufens der Dieseltechnik viele Stellen zu streichen. Daimler könne nur überleben, wenn der Konzern profitabel wirtschafte. „Hier dürfen wir keine Kompromisse machen. Ansonsten gefährden wir für kurzfristige Scheinerfolge langfristig das große Ganze“, bläute Daum seiner Truppe ein.

Solche klaren Ansagen kommen an der Konzernspitze gut an. Wichtiger aber noch: Daum widmet sich endlich der strategischen Achillesferse von Daimler Trucks: China. Im weltgrößten Lastwagenmarkt bauen die Stuttgarter mit ihrem Partner Foton zwar günstige Nutzfahrzeuge unter der Marke Auman. Diese sind aber weder Verkaufsschlager noch Gewinnbringer.

Höhere Margen und fünfstellige Absätze soll in Fernost dafür bald ein anderes Produkt bringen. Ab 2022 will Daum in der Volksrepublik den Mercedes-Actros bauen. „China kann eines Tages unser größter Markt für den Actros werden“, prophezeit Daum. Es wäre genau die Wachstumsstory, die dem Manager derzeit fehlt. Aber jede Expansion bringt auch Risiken mit sich.

2012 startete Daimler-Trucks etwa eine Offensive in Indien. Doch das Geschäft läuft schleppend, die Schwaben verlieren schon wieder massiv Marktanteile. Kaum besser geht es in der Türkei voran, und in Brasilien verbrennt der Konzern seit Jahren Geld. Allein zwischen 2017 und 2019 summierten sich die Verluste in dem südamerikanischen Land laut KPMG-Werthaltigkeitsbericht auf 866 Millionen Euro. In dieser Zahl ist zwar auch das Minus aus dem Autogeschäft inkludiert, aber der Truckbereich steht bei der Mercedes-Benz do Brasil Ltda. für mehr als 80 Prozent des Ergebnisses.

Lkw-Einheit ist 30 Milliarden Euro wert

Daimler-Chef Källenius und Finanzvorstand Harald Wilhelm machen Druck. Die beiden Manager wollen die Marktkapitalisierung des Autobauers von aktuell mehr als 60 Milliarden Euro deutlich erhöhen, um die Unabhängigkeit des Konzerns zu sichern. Den größten Hebel dabei verspricht ein Börsengang von Trucks. Bernstein-Analyst Arndt Ellinghorst bewertet die Sparte mit rund 30 Milliarden Euro. Eine Abspaltung des Bereichs mache strategisch Sinn.

Dabei wurde Trucks bei Daimler lange nur als „second business“ neben dem alles überragenden Autogeschäft betrachtet. Jetzt hat die Sanierung des Bereichs plötzlich oberste Priorität im Konzern. Das führt zu einer paradoxen Situation: Obwohl die Einheit bald mehr Freiheiten denn je bekommen soll, wird Trucks aktuell an Fzder kurzen Leine der Holding geführt, verlautet aus Konzernkreisen.

Spartenchef Daum genießt zwar prinzipiell das Vertrauen des 20-köpfigen Truck-Aufsichtsrats, in dem Källenius und Wilhelm den Ton angeben, aber zu sicher darf er sich nicht sein. Im kleinen Zirkel wird alternativ zu einem Teilbörsengang noch ein anderes Szenario diskutiert: Ein größerer Anteil von Trucks könnte in einem ersten Schritt auch an einen Private-Equity-Investor veräußert werden. Mithilfe eines externen Partners könnte Trucks „kompromissloser“ gemanagt und eine schnellere Wertsteigerung generiert werden, heißt es in Konzernkreisen.

Bei den Arbeitnehmern käme das nicht gut an. Für die Betriebsräte kommt schon ein Teilbörsengang nur dann infrage, wenn die Einnahmen daraus wieder ins eigene Geschäft investiert würden. Sonderausschüttungen an die Aktionäre lehnt Arbeiterführer Brecht dagegen strikt ab – und einen Investor, der ins operative Geschäft eingreift, wohl erst recht. Nun liegt es an Lkw-Chef Daum, welchen Pfad Daimler einschlägt.