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„Wir dürfen nicht aufgeben!“

Die große Welle der Flüchtlingseinwanderung ist vorbei. Welche Probleme eine langfristige Integration noch erschweren und welche Lösungen es dafür gibt, diskutierten Akteure der deutschen Wirtschaft in Bielefeld.

Unternehmer, Angestellte, Politiker, Auszubildende – eines haben die Gästen der Veranstaltung „Wir zusammen schaffen Zukunft“ alle gemeinsam: Sie beschäftigen sich mit der Integration von geflüchteten Menschen. Die Probleme zu thematisieren, mögliche Lösungen zu erörtern und sich zu vernetzen – darum ging es gestern in Bielefeld.

„Wir brauchen jedes Unternehmen“, ruft Marlies Peine, Projektleiterin der 2015 ins Leben gerufene Initiative „Wir zusammen“, zum Mitmachen auf. Im Moment zählt die Initiative 204 Mitglieder, die unter einem Dach eigene, aber auch kooperative Flüchtlingsprojekte ins Leben gerufen haben. So zum Beispiel Henkel, DHL und Telekom, die sich in NRW in enger Zusammenarbeit um Integrationsangelegenheiten kümmern. Diesem Beispiel sollen nach Peine noch viele weitere Unternehmen folgen, denn seit der Gründung von „Wir zusammen“ haben die Akteure viel gelernt – Wissen, das Neueinsteigern nutzen kann.

„Vernetzung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, als Unternehmen bei der Integration von Geflüchteten erfolgreich zu sein“, stimmt Joachim Stamp zu, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Doch es stellt sich in letzter Zeit zunehmend heraus, dass gute Kontakte und umfangreiche Pläne zur Integration von Geflüchteten noch lange keine Garantie für Erfolg sind. Oft mache das System den Unternehmen einen Strich durch die Rechnung, erklärt Stamp: „Ich bekomme nahezu täglich Anrufe von Unternehmen, deren Flüchtlinge abgeschoben werden sollen.“ Und das passiere leider ungeachtet der Tatsache, dass sie sich in einem Praktikum, einer Ausbildung oder einem Angestelltenverhältnis befinden, kritisiert er.

Diese Erfahrung hat auch Susanne Sollner bei ihrem Arbeitgeber Burgbad, ein Hersteller für Badezimmermöbel, gemacht. Das Unternehmen mit Sitz im Sauerland gab vor anderthalb Jahren einem jungen Mann aus Guinea eine Perspektive, als es ihn in die Firma holte. Sein bisheriger Aufenthaltsstatus – einer von 64 verschiedenen, die in Deutschland existieren – verbietet ihm ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Nun kam der Abschiebungsbescheid. „Wir haben ihn sehr lieb gewonnen und wollen ihn auch in unserem Unternehmen nicht verlieren“, sagt Sollner. Burgbad hat den Vertrag soweit wie gesetzlich möglich verlängert und hilft seinem Angestellten, gegen die Abschiebung zu klagen. „Mehr können wir im Moment nicht tun“, so Sollner.

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Für Ministerpräsident Stamp sind solche Fälle auf das Versagen des Rechtssystems zurückzuführen. Er fordert mehr Möglichkeiten zur legalen Einreise und ein definiertes System nur für Kriegsflüchtlinge – zumindest solange, wie ein ausgearbeitetes Einwanderungsgesetz noch aussteht. „Darauf können wir noch viele Monate warten“, befürchtet Stamp. „Wir brauchen aber jetzt eine Lösung für die 300.000 Geflüchteten, die bereits in NRW leben!“ Es könne nicht sein, dass diejenigen, die unsere Sprache gelernt haben und sich ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren, abgeschoben werden, „während wir die Kriminellen nicht loswerden.“

Dabei könne nur eine erfolgreiche, langfristige Integration verhindern, dass die einstige Willkommenskultur einer von Misstrauen geprägten weiche, schlussfolgert Handelsblatt-Ressortleiter Grischa Brower-Rabinowitsch, Moderator des Abends. Und dieser Wandel ist bereits in vollem Gange, wie die Ergebnisse der Landtagswahlen zeigen. Zeit zu warten gibt es eigentlich keine mehr.


„Am Engagement scheitert es nicht“

Fakt ist aber: Bürokratie, fehlende Strukturen und unklare Gesetze zögern die Integrationsarbeit hinaus. „An dem Engagement von Unternehmen scheitert es jedenfalls nicht“, meint Stamp. Diese lassen sich einiges einfallen, um Geflüchteten eine Chance auf Bildung und Arbeit zu ermöglichen. Denn „das ist eine ethische Herzensangelegenheit, macht aber auch unternehmerisch Sinn“, sagt Thomas Richter, Geschäftsführer der Bundesagentur für Arbeit in Bielefeld. Es wirke dem demographischen Wandel und dem daraus resultierenden Fachkräftemangel entgegen.

Die Bundesagentur für Arbeit hat zum Beispiel ihre Maßnahme der Einstiegsqualifikation (EQ) auf Flüchtlinge ausgeweitet. Diese bereitet in elf Monaten auf eine Ausbildung in Deutschland vor, indem sie sich aus verschiedenen Elementen der Ausbildung zusammensetzt. Die EQ beinhaltet die Arbeit im Betrieb und intensive Sprachförderung – „die Schlüsselqualifikation für eine erfolgreiche Integration“, wie sich alle Anwesenden einig sind. „Die EQ-Maßnahme ist eine schlaue Sache. Es funktioniert quasi wie eine vorgeschaltete Probezeit, in der man schon mal üben kann“, so Thomas Richter. „Nahezu alle Teilnehmer bekommen danach einen Ausbildungsplatz.“

Einen Ausbildungsplatz hat auch der 20-jährige Dea aus Syrien bekommen, wie die Gäste der Veranstaltung beim Perspektivwechsel erfuhren: Er lebt seit drei Jahren in Deutschland und absolviert nun bei Thyssen-Krupp eine Ausbildung als Mechatroniker. Unter dem Titel „we help“ will Thyssen-Krupp 150 neue Ausbildungs- und 230 Praktikumsplätze für Flüchtlinge einrichten. „Damit begegnen wir auch dem Vorurteil, dass Geflüchtete Deutschen den Arbeitsplatz wegnehmen würden. Es handelt sich hierbei um zusätzliche Stellen“, unterstützt Thyssen-Krupp-Auszubildende Cosima das Engagement des Konzerns.

Der Zugang zu Arbeit reicht allerdings in vielen Fällen noch nicht aus, um einen Menschen, der sich noch nie mit den Gepflogenheiten der Deutschen beschäftigen musste, erfolgreich zu integrieren. Bevor sein Werksleiter ihn persönlich an die Hand genommen hat, konnte Burgbads Neuankömmling nicht mit Geld umgehen und „hat sein erstes Gehalt an einem Tag zum Fenster rausgeschmissen“, erklärt Susanne Sollner. Außerdem bekam der junge Mann Ärger mit seinen Nachbarn, weil er nicht wusste, dass man den Müll trennen muss.

Laut Marlies Peine ist es genau das, was die Projekte, die sich unter dem Dach von Wir zusammen gesammelt haben, ausmachen: Die Mitarbeiter helfen nicht nur, Flüchtlinge in die Arbeitswelt zu integrieren, sondern werden auch persönliche Paten. Daraus entwickeln sich nicht selten Freundschaften. Das macht die Tatsache, dass viele bereits integrierte Menschen von heut auf morgen das Land verlassen müssen, noch verheerender. Und trotzdem ist es der einzige Weg, wie Peine auf den Punkt bringt: „Wir dürfen nicht aufgeben!“