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Die Coronakrise zwingt Gesellschafter Gerd Oliver Seidensticker zurück ins operative Geschäft

Seidensticker konnte bislang besser umsteuern als mancher Konkurrent – zum Beispiel auf Schutzmaskenproduktion. Vieles in der Firma geht auf dem kleinen Dienstweg.

Gerd Oliver Seidensticker neigt nicht zu Schwarzseherei. Der groß gewachsene Mann strahlt eigentlich immer einen gesunden Grundoptimismus aus. Doch nun ist das anders. „Die Coronakrise ist die ernsteste Situation, die unser Unternehmen in seiner 100-jährigen Geschichte erlebt hat“, sagt der Gesellschafter des gleichnamigen Bielefelder Hemden- und Blusenherstellers dem Handelsblatt.

„In Deutschland ist unser Umsatz um 70 bis 80 Prozent eingebrochen“, berichtet der 54-Jährige. Die 33 eigenen Läden waren ja ebenso geschlossen wie die der Handelspartner, von Galeria Karstadt Kaufhof bis hin zu kleinen Läden in der Provinz. Auch traf die Coronakrise das Familienunternehmen zu einem Zeitpunkt, „wo wir mal durchatmen wollten“, wie Seidensticker sagt.

Im Vorjahr hatte er 120 Stellen ab- und das Unternehmen umgebaut, weil er einen wichtigen Kunden verloren hatte. Die Restrukturierung führte im Geschäftsjahr 2018/19, das am 30. April endete, zu einem Fehlbetrag nach Steuern von 6,8 Millionen Euro. Nun hatte er sich auf ein normales Jahr gefreut.

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Doch daraus wird nichts. „Wir erwarten im Gesamtjahr ein Umsatzminus von voraussichtlich 20 Prozent“, sagt Seidensticker. Er geht davon aus, „dass wir noch rund 24 bis 36 Monate brauchen, um unser altes Umsatzniveau zu erreichen“. Laut Bundesanzeiger hat Seidensticker im Geschäftsjahr 2018/19 einen Umsatz von 178 Millionen Euro erzielt.

Die staatlich verordnete Schließung der Läden hat viele Modefirmen in Existenznöte gebracht. So hat zum Beispiel die Modekette Hallhuber Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet, und das Damenkonfektionsunternehmen Gerry Weber, das gerade aus der Insolvenz gekommen ist, strich nun noch einmal 200 Stellen.

Seidensticker konnte in der Krise bislang zumindest besser umsteuern als mancher Konkurrent. Es kauft seine Hemden und Blusen nicht in Fernost ein, sondern fertigt sie selbst in drei eigenen Werken in Indonesien und Vietnam. „Wir haben unsere Produktion in Vietnam und Indonesien innerhalb von rund zwei Wochen auf Schutzmasken umgestellt“, sagt Seidensticker. Jetzt kann er fast drei Millionen Masken monatlich fertigen.

Die Aktion war für Gerd Oliver Seidensticker ein Grund, noch einmal tief ins operative Geschäft einzusteigen. Er kümmerte sich darum, die Lieferkette für die Masken aufzubauen. Sein Cousin und Mitgesellschafter Frank Seidensticker baute den Vertrieb zu den Abnehmern der Masken auf.

Vieles in der Firma geht auf dem kleinen Dienstweg

Das war eine wirkliche Ausnahmesituation. Eigentlich hatten sich die beiden Seidenstickers zu Jahresbeginn aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Seitdem steuert ein Trio aus externen Managern das Tagesgeschäft, an der Spitze Silvia Bentzinger. Die 43-jährige arbeitet seit 2008 für das Unternehmen.

Funktioniert denn die neue Aufgabenteilung zwischen den beiden Seidenstickers, die das Unternehmen seit 2004 führten, und dem neuen Management im Familienunternehmen? „Ich arbeite ja seit Jahren eng und gut mit den beiden Gesellschaftern von Seidensticker zusammen“, sagt Bentzinger. „Wir tauschen uns regelmäßig aus.“ Vieles geht in der Firmenzentrale mit seinen 200 Mitarbeitern auf dem kleinen Dienstweg.

Gerd Oliver Seidensticker kümmert sich nicht nur um strategische Fragen im eigenen Unternehmen, sondern auch um das Große und Ganze in der Modebranche. So ist er Präsident des Branchenverbands German Fashion in Köln. In dieser Funktion tritt er für die Interessen der Modebranche ein – eine besondere Herausforderung angesichts der Existenznöte vieler Unternehmen in der Coronakrise.

Er selbst zeigt sich froh darüber, dass er im eigenen Unternehmen rechtzeitig ins Onlinegeschäft investiert hat. So erzielt er schon ein Fünftel des Markenumsatzes im Onlinegeschäft. Das Markengeschäft wiederum macht rund die Hälfte des Gesamtumsatzes aus. Die andere Hälfte erwirtschaftet er im sogenannten Private-Lable-Geschäft mit der Hemden- und Blusenproduktion für andere Markenhersteller.

Weniger Nachfrage nach formeller Bürokleidung

Im Markengeschäft gibt es große Konkurrenten. So haben zum Beispiel Olymp und Eterna dem Bielefelder Unternehmen in den vergangenen Jahren Marktanteile abgenommen. Hinzu kommt, dass der Durchschnittspreis für Hemden in Deutschland weniger als 20 Euro beträgt. Seidensticker liegt mit dem Preis von 49 Euro deutlich darüber.

Außerdem wollen immer weniger Menschen klassische Bürokleidung kaufen. „Bei formeller Kleidung gehen die Ausgaben der Verbraucher stark zurück“, sagt Jessica Distler, Handelsexpertin der Boston Consulting Group.

Seidensticker versucht, sich mit der Konzentration auf den Premiummarkt auch gegen große Konkurrenten wie dem schwedischen Filialisten H & M oder Massimo Dutti von der spanischen Inditex-Kette zu wehren. „Wir haben schon vor vier Jahren begonnen, die Marke neu zu positionieren“, sagt Silvia Bentzinger.

Bei so viel operativem Know-how in der Geschäftsführung kann Seidensticker dann doch mal entspannen. Das macht er auf seinem kleinen Segelboot, mit dem er auf einem See in der Region vom Alltag abschaltet. Außerdem baut er seit Jahren motorbetriebene Modellflugzeuge, die er per Funkfernbedienung steuert.

Er bezeichnet sich selbst denn auch mit einer gewissen Ironie als „pragmatischen Intellektuellen“. Er ist froh, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung die Corona-Beschränkungen für Modellflugplätze aufgehoben hat.