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Die Coronakrise macht die Erfolge im Kampf gegen den Hunger zunichte

Die Zahl der hungernden Menschen wird bis 2021 um 150 Millionen steigen. Entwicklungsminister Müller verlangt klare Prioritäten zur Förderung der Landwirte in Afrika.

Das Ziel der Vereinten Nationen ist ambitioniert: Bis 2030 soll niemand auf der Erde mehr Hunger leiden müssen. Darauf hatte sich die Staaten-Weltgemeinschaft 2015 geeinigt. Inzwischen scheint es jedoch „nicht wahrscheinlich, dass dieses Ziel erreicht werden kann“, schreibt die Welthungerhilfe in ihrem neuen Welthunger-Index: „Die Verbesserungen sind zu langsam.“

Das ist stark untertrieben: Ausgerechnet seit 2015, dem Jahr des UN-Beschlusses, steigt die Zahl der Hungernden wieder, nachdem sie seit 1990 von 1,9 Milliarden stetig bis auf 653 Millionen gesunken war. Die Weltbank fürchtet nun, dass sie wegen der Corona-Pandemie bis 2021 noch schneller steigen wird: Zu den 690 Millionen Hungernden des Jahres 2019 könnten weitere 150 Millionen Menschen hinzukommen.

Der Hunger kehrt mit Macht zurück auf die Tagesordnung der Weltpolitik. Wie dringlich das Thema ist, zeigt auch die Vergabe des Friedensnobelpreises an das UN-Welternährungsprogramm. In Deutschland hat die Welthungerhilfe mit einer Fernsehansprache des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, ihres Schirmherren, die Woche der Welternährung ausgerufen. Ihr neuer Welthunger-Index, der heute veröffentlicht wird, zeigt eine Zunahme der Zahl der Hungernden vor allem in Afrika.

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Auch auf der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank wird es diese Woche um mehr Hilfen für Notleidende gehen. Weltbank-Präsident David Malpass hat bereits einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder gefordert.

Das Problem Hunger jedenfalls ist gravierend. Bezieht man alle Menschen mit ein, die sich nicht sicher sein können, auch morgen genug zu essen zu haben, hatten 2019 bereits zwei Milliarden Menschen keinen ausreichenden Zugang zu nährstoffreichen gesunden Lebensmitteln, so die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO.

Das UN-Welternährungsprogramm wiederum kann lediglich Nothilfe leisten. Wenn es zu lange in einem Land hilft, können seine Lebensmittellieferungen das Geschäft lokaler Landwirte zerstören, warnt die Welthungerhilfe.

Hunger trifft Kinder besonders hart

Sie betont, dass die Folgen des Klimawandels die Landwirte in Entwicklungsländern besonders hart treffen – Dürreperioden nehmen zu. Wie stark die Corona-Pandemie die Ärmsten trifft, hängt wiederum davon ab, wie die Weltrezession überwunden wird.

Für jeden Prozentpunkt, den das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr sinkt, werden 700.000 Kinder dauerhafte Wachstumsverzögerungen erleiden. Erwartet werden bisher vier bis fünf Prozent Verlust beim Welt-BIP.

Die Welthungerhilfe misst Hunger in vier Kategorien: unzureichende Kalorienaufnahme, Unterernährung und Wachstumsstörungen bei Kindern unter fünf Jahren sowie Kindersterblichkeit. Die Daten stammen von Uno-Organisationen, der Weltbank und anderen Entwicklungsorganisationen.

Sie werden in den jährlichen Welthunger-Index eingeordnet, dessen Werte von „gravierend“, über „sehr ernst“, „ernst“ und „mäßig“ bis „niedrig“ reichen. Im grünen Bereich „niedrig“ finden sich lateinamerikanische und asiatische Schwellenländer wie China wieder.

Große Hungerprobleme gibt es nach dem Welthunger-Index vor allem in Afrika, aber auch in asiatischen Ländern. In der schlechtesten Kategorie „gravierend“ findet sich aktuell kein Land, aber in elf Staaten ist die Situation „sehr ernst“.

Dazu zählen Tschad, Timor-Leste und Madagaskar. Auch Burundi, die Zentralafrikanische Republik, die Komoren, der Kongo, Somalia, Südsudan, Syrien und Jemen sind in dieser Kategorie. Konflikte und Kriege verschärfen neben dem Klimawandel und Naturkatastrophen die Lage.

Eine Welt ohne Hunger?

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verlangt trotz allem, das Ziel, den Hunger bis 2030 abzuschaffen, nicht aufzugeben. „Eine Welt ohne Hunger ist möglich“, sagte er dem Handelsblatt. Am Dienstag will er auf einer Videokonferenz mit der EU-Kommissarin für Internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, die Ergebnisse zweier Studien vorstellen.

Sie wollen zeigen, was zu tun ist, damit die Landwirtschaft in Armutsländern gestärkt wird. „Wir müssen weg von der Krisenreaktion hin zur Prävention“, sagt er. „Hunger ist der größte vermeidbare Skandal auf unserem Planeten.“

Sein Plan: Um 500 Millionen Menschen vom Hunger zu befreien, müssten die sieben größten Industriestaaten (G7) ihr Versprechen vom Gipfel 2015 in Elmau erfüllen und gemeinsam 14 Milliarden Euro pro Jahr mehr dafür ausgeben. Das entspräche einer Verdoppelung der bisherigen G7-Entwicklungsgelder für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Um den Hunger einschließlich seiner Zunahme durch Corona endgültig zu besiegen, sind nach Aussage von Wissenschaftlern allerdings jährlich zusätzlich 50 Milliarden nötig.

Dieses Geld sollte vor allem für kleinräumige Bewässerungssysteme, für besseres Saatgut und robuste Traktoren ausgegeben werden. Vier von fünf Bauern in Afrika bestellten ihr Land immer noch per Hand. „Eine Motorhacke ist da quasi schon Hightech“, so Müller.

Umbau der Entwicklungshilfe

Im Auftrag seines Ministeriums haben zwei Wissenschaftlergruppen mögliche Hilfsprogramme und ihre Wirksamkeit analysiert. Die Studien der Forscherteams um Experten der Cornell University und des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) werden ebenfalls am Montag veröffentlicht.

Helfen würde demnach zusätzlich zu Bewässerungssystemen eine dezentrale Energieversorgung in den Dörfern Afrikas und der Aufbau von Genossenschaften – wie vor 150 Jahren in Deutschland, so Müller. Für die Bauern müsse es außerdem sichere Landrechte geben, damit sich für sie Investitionen lohnen. Müller sagt aber auch, was definitiv nicht hilft: „Großbetriebe und Hightech-Maschinen sind nicht die Zukunft in Afrika“, sagte er.

Eine weitere Erkenntnis: Düngemittelsubventionen würden den Bauern weniger nutzen als Beratungsdienste, berufliche Bildungsangebote und ein Basis-Sozialstaat. In Ländern mit Hunger müsse die Landwirtschaft im Mittelpunkt der Regierungspolitik stehen.

Um den Hunger zu besiegen, verlangt die Welthungerhilfe auch, das globale Ernährungssystem fairer zu gestalten. Dazu zähle auch, dass Menschenrechte und Umweltschutz entlang der Lieferketten eingehalten werden, wie es in Deutschland demnächst ein neues Lieferkettengesetz den Unternehmen vorschreiben soll.

Die Handels- und Entwicklungspolitik der reichen Länder benachteiligt demnach systematisch kleinbäuerliche Betriebe und arme Länder. Die meisten reichen Länder sicherten sich trotz Entwicklungshilfe Marktvorteile durch „nichttarifäre Handelshemmnisse“. Darunter fallen auch die EU-Agrarsubventionen.

Mehr: Lesen Sie hier, warum Weltbankchef David Malpass eine neue Schulden- und Finanzkrise fürchtet.