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Die Coronakrise erschwert die ohnehin geringe Gleichstellung

Frauenministerin Franziska Giffey sieht durch die Coronakrise Rückschritte in der Gleichstellung. Doch nach fünf Jahren Frauenquote fällt die Bilanz ohnehin zwiespältig aus.

Nach sieben Wochen Shutdown mehren sich die Stimmen, die vor den schwerwiegenden Folgen der Coronakrise für die Frauen warnen. Foto: dpa
Nach sieben Wochen Shutdown mehren sich die Stimmen, die vor den schwerwiegenden Folgen der Coronakrise für die Frauen warnen. Foto: dpa

In der Coronakrise brauche SAP „klare Führung“ für ein „schnelles, entschlossenes Handeln“ – so erklärte der Softwarekonzern jüngst den Abgang von Co-Chefin Jennifer Morgan. Damit ist die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns nach nur sechs Monaten schon wieder Geschichte. Die Geschäfte führt mit Christian Klein nun wieder allein ein Mann.

Existiert zu wenig Bereitschaft zur Diversität

Auch wenn das Aus von Morgan nicht ausschließlich auf die Coronakrise zurückzuführen ist, so zeigt sich in schwierigen Zeiten einmal mehr, wie es hierzulande um Frauen in Führungspositionen bestellt ist: bescheiden.

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So nannte Simone Menne, einst Finanzchefin der Lufthansa und des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim und heute in zahlreichen Aufsichtsräten, Morgans Abgang „ein Desaster“. Es gebe immer noch Männer die behaupteten, es gebe in der Industrie keine für die oberste Führungsriege geeigneten Frauen. Janina Kugel, bis vor Kurzem Managerin bei Siemens, beklagte, es existiere ohnehin wenig Bereitschaft zur Diversität in der deutschen Wirtschaft. Nun fürchtet sie, die Coronakrise könnte als Ausrede für Rückschritte genutzt werden.

Corona: Geschlossene Schulen und Kitas sind ein Rückschritt für die Gleichstellung

Tatsächlich mehren sich nach sieben Wochen Shutdown die Stimmen, die vor den schwerwiegenden Folgen der Coronakrise für die Frauen warnen. Unter dem Titel „Zurück in der Männerwelt“ kritisierte Gruner + Jahr-Chefin Julia Jäkel in einem Gastbeitrag für die „Zeit“, Homeoffice bedeute für Tausende Frauen gerade vor allem „home“ und wenig „office“.

„Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden. Wer mit der Krise gut umgeht, wer dem Druck standhält, wer die richtigen Prioritäten setzt, wer seine Leute mitnimmt und seine Teams lebendig hält, der kann gerade ganz besonders auf sich aufmerksam machen“, meint Jäkel. Sie kommt zu dem Schluss: „Frauen sind viel weniger weit, als wir gedacht haben.“ Die Corona-Krise mache offensichtlich, wer in Deutschland „wirklich, wirklich“ entscheide, wie die realen Strukturen seien und dass das Gebot der Diversität offenbar nur an ruhigen Tagen zähle.

Giffey: “Frauen schaffen es immer noch zu selten in die Führungsetagen”

Die Pandemie vergrößere alle gleichstellungs- und frauenpolitischen Probleme und Schieflagen, klagt der Deutsche Juristinnenbund und fordert unter anderem „Rahmenbedingungen und Arbeitszeiten, die es Eltern ermöglichen, sich die Care-Arbeit gerecht zu teilen.“

Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) ist alarmiert. „Frauen schaffen es trotz all ihrer Talente, exzellenter Ausbildung und ihrem ganzen Einsatz immer noch zu selten in die Führungsetagen“, sagte Giffey dem Handelsblatt. „Die Corona-Krise verstärkt diese Situation leider.“ Die Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch geschlossene Schulen und Kitas müssten überwiegend die Frauen lösen.

BERLIN, GERMANY - APRIL 09: Families Minister Franziska Giffey speaks to the media during the coronavirus crisis on April 9, 2020 in Berlin, Germany. The number of confirmed coronavirus cases in Germany has surpassed 100,000 and the number of deaths continues to rise. While public support for the measures imposed by authorities to limit public life in an effort to slow the spread of virus remains strong, people are wondering how long the measures will last, especially as the economic impact of the disruptions becomes more acute. (Photo by Omer Messinger-Pool/Getty Images)
Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) (Bild: Getty Images)

Giffey verweist auf erste Umfragen, nach denen Frauen in alte Rollenbilder zurückgedrängt werden und eher ihre Arbeitszeiten verkürzen als Männer, um die anfallende Sorgearbeit zu erledigen. „Dass Arbeitgeber Frauen während dieser Doppel- und Dreifachbelastung befördern, ist dagegen unwahrscheinlich“, kritisiert die SPD-Politikerin.

„Wir sollten es aber nicht einfach so akzeptieren, denn die Krise hat uns eins gezeigt: Ohne Frauen kommt unsere Gesellschaft besonders in schwierigen Situationen nicht aus“, zeigte sich Giffey überzeugt. „Das gilt genauso für die Krankenschwester wie auch für die Vorstandsfrau, denn Frauen besitzen Kompetenzen, die in der Krisenbewältigung besonders gefragt sind.“ Daher benötige Deutschland dringend mehr Frauen in Führungsetagen.

“Corona-Krise stellt weibliche Führungskräfte vor Herausforderungen“

Auch Frauen in Top-Positionen registrieren die aktuellen Entwicklungen zunehmend mit Sorge. „Die Corona-Krise stellt gerade weibliche Führungskräfte vor besondere Herausforderungen“, sagte Commerzbank-Personalvorständin Sabine Schmittroth dem Handelsblatt. „Sie tragen auch heute noch deutlich häufiger als ihre männlichen Kollegen zusätzlich die Verantwortung für die Kinderbetreuung.“

Das Finanzinstitut unterstützt nach eigenen Angaben durch das Arbeiten von zu Hause, flexiblere Arbeitszeiten und digitale Angebote, zum Beispiel für die Kinderbetreuung. „Zugleich sind Absprachen in der Familie von besonderer Bedeutung, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in dieser außergewöhnlichen Situation zu bewältigen“, meint Schmittroth. Das gelte über alle Führungsebenen hinweg und betreffe Führungskräfte genauso wie Mitarbeiter.

Faire Bezahlung: Warum Frauen über ihr Gehalt reden sollten

Die Personalvorständin beteuert: „Auf die Karrierechancen von Frauen in der Commerzbank hat die Corona-Krise keinen Einfluss.“ Es gebe attraktive Aufstiegsmöglichkeiten. Aktuell sei jede dritte Führungsposition mit einer Frau besetzt.

Doch dass insgesamt bei Frauen in Führungspositionen hierzulande – auch unabhängig von der Coronakrise – noch viel Luft nach oben ist, zeigt eine aktuelle Auswertung der Wirtschaftskanzlei Allen & Overy, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Untersucht wurde, wie die 30 im Dax und 60 im MDax notierten Unternehmen mit den gesetzlichen Vorgaben zur fixen und flexiblen Frauenquote umgegangen sind, die vor fünf Jahren in Kraft traten.

Firmen werteten Frauenquote als Einmischung in die Unternehmensführung

Seitdem gilt das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG). Damit wurde die fixe Geschlechterquote für Aufsichtsräte eingeführt: Börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen müssen einen Anteil von 30 Prozent des „unterrepräsentierten“ Geschlechts in den Aufsichtsrat bringen. In der Praxis sind das stets Frauen. Die fixe Quote greift derzeit bei etwas mehr als 100 Gesellschaften.

Studie: Frauen verdienen im Leben nur halb so viel wie Männer

Zudem gibt es die flexible Frauenquote: Börsennotierte und/oder mitbestimmte Unternehmen müssen „Zielgrößen“ für den Frauenanteil im Vorstand, auf der ersten und zweiten Führungsebene und zum Teil auch für den Aufsichtsrat festlegen. Nach Schätzung der Bundesregierung gilt die flexible Frauenquote für etwa 3.500 Gesellschaften.

Der Aufschrei in der Wirtschaft war groß, als die Vorschriften kamen. Die Firmen werteten sie als Einmischung in die Unternehmensführung. Inzwischen machen viele, aber nicht alle Unternehmen Angaben zu ihren Quoten.

Je höher die Hierarchiestufe, desto weniger Frauen

Fazit von Katharina Stüber, Gesellschaftsrechtlerin und Expertin für „Gender Diversity“ bei Allen & Overy: „Es geht voran, aber von einer Parität sind wir noch weit entfernt.“ Je höher die Hierarchiestufe in den Unternehmen, desto „dünner“ werde die Luft, also desto weniger Frauen seien dort anzutreffen.

Laut ihrer Analyse hat rund die Hälfte der Dax- und MDax-Unternehmen noch immer gar keine Frau im Vorstand, acht Prozent haben nicht einmal auf der ersten Führungsebene weibliche Chefs. Nur acht Prozent können einen Anteil von 30 Prozent oder mehr Frauen im Vorstand vorweisen.

Und noch immer gibt es Unternehmen, die keine Ambitionen haben, Frauen in Führungspositionen zu bringen, auch wenn es hier seit Geltung des FüPoG deutliche Verbesserungen gegeben hat. So nannten 2015 noch 33,3 Prozent der Dax-Unternehmen die Zielgröße Null für Frauen im Vorstand, 2018 waren es nur noch 7,7 Prozent.

The new logo of the German personal care company Beiersdorf is pictured at the main entrance of the Beiersdorf AG research center in Hamburg, Germany, 08 January 2014. The manufacturer of products like the popular Nivea moisturiser renews it's logo for the first time in 35 year's. Photo: MAJA HITIJ/dpa | usage worldwide   (Photo by Maja Hitij/picture alliance via Getty Images)
Die Beiersdorf AG peilt Parität an. (Bild: Getty Images)

Im MDax sank der Anteil der Unternehmen mit der Zielgröße Null für Frauen im Vorstand von 75,6 Prozent auf 48,1 Prozent. Nur rund elf Prozent der untersuchten Gesellschaften in Dax und MDax haben sich aber eine Zielgröße von 30 Prozent oder mehr für Frauen im Vorstand gegeben.

Fortschritte können noch dauern: Die Unternehmen haben den gesetzlichen Spielraum vielfach ausgeschöpft und sich selbst die längstmöglichen Fristen zur Erreichung der Ziele gesetzt. Meist läuft die Frist für den Vorstand bis 2022 oder sogar bis 2023 oder 2024.

“Eignung und Qualifikation” im Vordergrund

Auf der ersten Führungsebene setzen sich die Unternehmen maximal eine Zielgröße von 40 Prozent Frauen. Auf der zweiten Führungsebene beträgt die höchste Zielgröße 50 Prozent: Die Beiersdorf AG peilt Parität an.

Laut Studie erklärte ein Unternehmen, das das selbstgesteckte Ziel nicht erreichte, dass trotz aller Maßnahmen und Ziele letztlich „Eignung und Qualifikation“ bei der Besetzung der Position im Vordergrund stehe und so während des maßgeblichen Zeitraums stets die für die konkrete Position am besten geeigneten Bewerber ausgewählt wurden. Auch sei die Fluktuation nur sehr gering.

Die gesetzliche Quote für Aufsichtsräte von mindestens 30 Prozent haben nach der Studie von Allen & Overy 89,3 Prozent der Dax-Unternehmen erreicht und 86,7 Prozent der MDax-Unternehmen.

Diversität: Gleichstellung in Deutschland kommt nur langsam voran

„Wenn es in diesem Tempo weitergeht, habe ich Zweifel, dass ich in meinem Berufsleben noch eine Parität auf breiter Front erlebe“, meint Studien-Autorin Stüber. Allerdings hätten die Unternehmen verstanden, dass sie das Thema angehen müssten. Aber auch Frauen müssten bereit sein, Quotenfrauen zu werden. „Keine Frau bekommt einen Posten, nur weil sie eine Frau ist. Sie bekommt ihn, weil sie qualifiziert ist“, sagt Stüber. „Aber wir müssen auch mitmachen, damit sich etwas bewegt.“

Bundesfrauenministerin Giffey plant bereits ein FüPoG II

Bundesfrauenministerin Giffey plant bereits ein FüPoG II. Es sieht unter anderem eine Frauenquote für Vorstände vor: Besteht in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen der Vorstand aus mehr als drei Mitgliedern, soll künftig mindestens eine Frau vertreten sein.

Zwar steht von dem Vorhaben nichts im Koalitionsvertrag. Auch zeigt sich der Koalitionspartner alles andere als begeistert. Dennoch hat Giffey den Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben. So will sie die Union zwingen, das Thema öffentlich zu diskutieren. Ausgang offen. Doch auch hier schlägt die Coronakrise zu.

Gleichstellung: Gleiches Einkommen, gleiche Rente, gleiche Chancen – Franziska Giffeys große Ziele

„Unser Gesetzentwurf sollte jetzt eigentlich ins Kabinett kommen“, sagte Giffey dem Handelsblatt. „Das verzögert sich allerdings wegen der Bewältigung der Coronakrise, ist aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.“

Die Ministerin betonte, die Krise führe der Gesellschaft gerade vor Augen, wie wichtig diese Themen seien – nicht nur was Frauen in Führung angehe, sondern auch was Vereinbarkeitsfragen und die dringend notwendige Aufwertung der sozialen Berufe betreffe. „Die Reform des Gesetzes für mehr Frauen in Führungspositionen ist deshalb notwendiger denn je“, bekräftigte die SPD-Politikerin.

Coronakrise mit positivem Schub für Gleichstellung?

Auch Juristin Stüber von Allen & Overy fragt sich angesichts der gerade von ihr erhobenen Daten zu Dax- und MDax-Unternehmen, „ob das bislang geltende Gesetz der Weisheit letzter Schluss“ sei. Sie hält es juristisch jedoch für schwieriger, eine fixe Quote für den Vorstand vorzugeben als für den Aufsichtsrat.

Dass die Coronakrise die Situation für Frauen nun verschärft, findet Stüber zwar auch. Sie sieht darin aber auch eine Chance für die Zukunft: „Das Homeoffice trifft schließlich auch Männer.“ Dadurch entstehe eine größere Akzeptanz. „Auch die männlichen Führungskräfte sehen, dass Videokonferenzen und Telefonkonferenzen funktionieren. Vielleicht ergibt sich daraus ein positiver Schub für die Gleichstellung.“

VIDEO: Studie: Französische Unternehmen sind bei der Gleichstellung vorn