Corona-Comebackrally: Krise, welche Krise?
Nach den größten wöchentlichen Kurszuwächsen seit 1938 fragen sich immer mehr Anleger, ob der schwerste Teil der Coronakrise zumindest an der Börse bereits überwunden ist. War der panikartige Ausverkauf übertrieben?
COVID-19, war da was? Während die Corona-Pandemie immer drastischere Ausmaße annimmt und in der vergangenen Woche das 100.000ste Menschenleben kostete, haben die Weltbörsen zuletzt immer massiver in den Rallymodus geschaltet.
All major indexes closed in positive territory, wrapping up a big week of gains. The S&P 500 gained 1.4% while the Dow advanced 281 points, or 1.2%. The Nasdaq Composite closed 0.8% higher. https://t.co/mlYvOWBaFy pic.twitter.com/FlfXBFxidO
— CNBC (@CNBC) April 9, 2020
Den Ostermontag, an dem der Handel jenseits des Atlantiks schon wieder aufgenommen wurde, einmal außer Acht gelassen, liegt hinter Aktionären die erfolgreichste Börsenwoche seit 1938: Der marktbreitere S&P 500-Index wie auch der Leitindex Dow Jones legten beide um mehr als 12 Prozent zu, während die Technologiebörse Kurszuwächse von mehr als 10 Prozent verbuchte. Traderherz, was willst du mehr?
„Wenn Kapitalismus in der letzten Phase ein Selfie schießt“
Wie die explosiven Kursgewinne, die die Verluste des Corona-Crashs seit Ende Februar damit bereits um die Hälfte reduziert haben, zu den realwirtschaftlichen Entwicklungen passen, steht auf einem anderen Blatt. „Wenn Kapitalismus in der letzten Phase ein Selfie schießt“, geißelte die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez die von CNBC-Moderator James Cramer kommentierte Börsenrally.
When late stage capitalism takes a selfie: pic.twitter.com/2OMI8JRz95
— Alexandria Ocasio-Cortez (@AOC) April 10, 2020
Was Ocasio-Cortez dabei vor allem aufstoßen dürfte: Während die Börse eine exzessive Party feiert, verlieren Millionen Amerikaner ihre Jobs. Auch in der vergangenen Woche nämlich meldeten sich wieder mehr als sechs Millionen jobsuchend und schraubten das Niveau der Anträge auf Arbeitslosenhilfe nun auf enorme 17 Millionen – allein in den letzten drei Märzwochen.
More than 16 million Americans have now lost their jobs in three weeks.⚡️ “Unemployment in the age of coronavirus” by @CNBC https://t.co/ma8gFKhqiT
— CNBC (@CNBC) April 9, 2020
Wall Street wettet auf schnelle Rückkehr zur Normalität
Zu einem Großteil dürfte die neuerliche Börseneuphorie von der Hoffnung befeuert werden, dass die Corona-Pandemie in der westlichen Welt zumindest in der ersten Welle in diesen Tagen ihren Höhepunkt erreicht haben könnte oder bald erreichen dürfte. Die Folge: Immer lauter wird Forderung formuliert, aus dem Lockdown-Modus schrittweise zur Normalität zurückkehren.
I repeat, the shutdown is the most devastating economic force ever. #COVID19 #EndTheShutdown https://t.co/5UeGMkn7VD
— michaeljburry (@michaeljburry) April 8, 2020
„Ich wiederhole: Der Shutdown ist die schlimmste wirtschaftliche Kraft aller Zeiten“, positioniert sich etwa der Vermögensverwalter Michael J. Burry, der es in der Verfilmung seines Charakters in „The Big Short“ zu Weltruhm brachte, klar für ein schnelles Ende der aktuellen Maßnahmen.
April 2010: I Saw the Crisis Coming. Why Didn’t the Fed?
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April 2020: I Don't See a Crisis, Why Does the Government?#oof #COVID19 #murraymodel #endthelockdown https://t.co/fgScJBKhY4— michaeljburry (@michaeljburry) April 8, 2020
Provokativ merkt der promovierte Doktor und frühere Hedgefondsmanager an, im April 2010 habe er in einem New York Times-Artikel frühzeitig auf die Subprime-Krise hingewiesen, als sie keiner ernst nahm. Zehn Jahre würde die Regierung nun all diese billionenschweren Krisenmaßnahmen tätigen, obwohl er keine ernsthafte Krise sehe, die dies rechtfertigen würde.
Sorge vor neuer Depression
Damit steht Burry jedoch im krassen Gegensatz einer Vielzahl hochdekorierter Wirtschafts- und Wall Street-Experten, die mit den schlimmsten ökonomischen Folgen erst noch rechnen, selbst wenn die Pandemie vorbeigezogen sei. „Dies ist zwar nicht die neue Große Depression“, merkt der Nobelpreisträger Robert Shiller am Wochenende gegenüber CNBC mit dem Verweis an, dass sich die wirtschaftliche Erosion in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts über mehr als eine Dekade zog.
Doch die drastischen Folgen der Coronakrise dürften durchaus „ein, zwei Jahre“ zu spüren sein. Der Rückschlag an der Börse und in der Wirtschaft werde einschneidend sein. „Es kann gut sein, dass viele Menschen jahrelang nicht mehr zu Sportveranstaltungen oder ins Restaurant gehen, weil die Krankheit nicht vollständig ausgerottet ist“, gibt Shiller zu bedenken. Entsprechend könnte es Jahre dauern, „bis sich der Arbeitsmarkt erholt“.
„Amerika sollte sich auf harte 18 Monate einstellen“
Neel Kashkari, Chef der Notenbank von Minneapolis, schwant ein ähnliches Szenario. Kashkari glaubt unterdessen nicht an ein schnelles Ende der medizinischen Krise, selbst wenn sich die Zahl der mit Corona Infizierten in den nächsten Monaten eindämmen ließe. „Wir könnten immer wieder Wellen des Aufflackerns sehen, dann neue Kontrollen, dann neues Aufflackern, neue Kontrollen, bis wir endlich eine Impfung gefunden haben“, erklärte Kashkari am Sonntagabend gegenüber CBS.
Die Folge: „Dies könnte einen langen, steinigen Weg bis zur einer effektiven Therapie oder Impfung zur Folge haben. Er ist für mich schwer zu erkennen, wie wir in diesem Szenario eine V-förmige Erholung erleben sollen“, gibt sich Kashkari pessimistisch. Ob Anleger diesen mittel- bis langfristigen Risiken mehr Gewicht beimessen, wird die Multi-Billionen-Dollar-Frage der kommenden Handelswoche...