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Wie die Corona-App aussehen könnte

Noch gibt es in Deutschland keine App, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Doch wie könnte ein rechtlich unbedenkliches Modell aussehen?

Manche Politiker in Deutschland halten den Einsatz einer App für denkbar, um die Corona-Ausbreitung in der Bevölkerung zu verringern. Foto: dpa
Manche Politiker in Deutschland halten den Einsatz einer App für denkbar, um die Corona-Ausbreitung in der Bevölkerung zu verringern. Foto: dpa

Auch wenn die derzeitigen strikten Kontaktbeschränkungen noch andauern, um die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen, so geht es doch schon um mögliche Exit-Strategien aus dem Shutdown. Eine Möglichkeit, den Ausstieg zu unterstützen, wäre die Einführung einer „Corona-App“, um Kontakte mit Infizierten im öffentlichen Leben zu vermeiden. Diesen Mittwoch sollen Details zu einer Tracking-App vorgestellt werden.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte ursprünglich geplant, in Zeiten einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ den Behörden zu erlauben, Kontaktpersonen von Erkrankten anhand von Handy-Standortdaten zu ermitteln.

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Nach heftiger Kritik stellte Spahn diese Pläne jedoch zurück. Am Dienstag betonte er allerdings in Düsseldorf, es gehe darum, die Kontakte von Infizierten „sehr, sehr schnell“ zu identifizieren und diese Menschen aufzufordern, zuhause zu bleiben. Das sei digital „viel einfacher“ zu leisten als mit Hinterhertelefonieren.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hält die Nutzung einer Handy-App zur Feststellung von Coronavirus-Kontaktpersonen für denkbar. Dies müsse aber auf Freiwilligkeit beruhen, sagt die SPD-Politikerin am Dienstag im Deutschlandfunk.

Das Gute sei, dass es in der Bevölkerung eine ganz große Bereitschaft gebe, dies für eine bestimmte Zeit zu tun. Wichtig sei aber, dass der Umgang mit den Daten geklärt werde. Die Daten müssten anonymisiert und später schnell wieder gelöscht werden. Dann könne man die Bereitschaft für eine solche App deutlich steigern.

Bluetooth-Technologie sei vielversprechender

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte ein Tracking von Covid-19-Infizierten und ihren Kontaktpersonen anhand von Funkzellendaten der Mobilfunkanbieter, wie es Spahn ins Spiel gebracht hatte.

„Dieser Vorschlag Spahns taugte schon praktisch nicht, weil eine Funkzelle mit ihrer Größe von mindestens mehreren tausend Quadratmetern keine Aussage über den direkten Kontakt zwischen Menschen und damit über das Infektionsrisiko offenbaren kann“, schrieb Leutheusser-Schnarrenberger in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. „Verfassungsrechtlich gesprochen war der Vorschlag deswegen schon ungeeignet und damit unverhältnismäßig.“

Vielversprechender und zugleich grundrechtsschonender wäre hierfür die Nutzung der Bluetooth-Technologie. Sie sei zwar schon etwas in die Jahre gekommen, könne aber aufgrund ihrer Funktionsweise – Datenübertragung zwischen Geräten über kurze Distanz per Funk – die technische Basis für eine freiwillig genutzte Smartphone-Applikation bilden. Leutheusser-Schnarrenberger unterstrich: „Es geht also: Grundrechte sind auch in Krisenzeiten mit dem Schutz der Bürger in Einklang zu bringen.“

Doch welche Möglichkeiten für eine Corona-App gibt es nun? Welche rechtlichen Aspekte müssten bei der Ausgestaltung berücksichtigt werden? Und was könnte die App leisten?

Bekannt geworden ist die App „TraceTogether“ aus Singapur. Sie nutzt die Bluetooth-Technologie und identifiziert darüber andere Nutzer, die sich in der Nähe des eigenen Handys aufhalten, und auf deren Handys die App ebenfalls installiert ist.

Die App vergibt zudem „Timestamps“, hält also fest, welche Person wann mit wem zusammengetroffen ist. Daraus entsteht dann ein Warnsystem: Erkrankt eine Person an Covid-19, werden alle engen Kontakte dieses Nutzers informiert. Es werden allerdings nur die Nutzer-IDs der Handys weitergegeben, nicht die eigentlichen Namen oder Telefonnummern.

App in Österreich speichert Begegnungen mit anderen Menschen

In Österreich hat das Rote Kreuz die „Stopp Corona-App“ herausgegeben. Sie speichert Begegnungen mit anderen Menschen und zielt auf Kontakte, die sich länger als 15 Minuten in einer Distanz von zwei Metern aufhalten. Bei gegenseitigem Einvernehmen wird die ID des anderen Nutzers zusammen mit Datum und Uhrzeit lokal auf dem Endgerät gespeichert – der sogenannte digitale „Handshake“.

Im Falle einer Erkrankung werden alle Personen mit diesem digitalen Handschlag, die in den vorangegangenen 48 Stunden Kontakt mit dem Erkrankten hatten, über die App informiert und gebeten, sich in Quarantäne zu begeben.

„Bislang war in Deutschland das Hauptargument gegen Corona-Apps, dass Sicherheitsbehörden nicht Tür und Tor für den Zugriff auf Standortdaten der Nutzer geöffnet werden sollte“, sagt Ingemar Kartheuser, Rechtsanwalt und Datenschutzexperte bei der Kanzlei Linklaters.

Das sei aber gar nicht zwingend erforderlich. Es könnten Nahfeldtechnologien wie Bluetooth eingesetzt werden. „Statt einer Aufzeichnung von Bewegungsabläufen ist es sinnvoller, direkte Mitteilungen und Warnungen an die Endgeräte der Nutzer zu versenden, wenn diese mit einem infizierten oder sonst gefährdeten Nutzer zusammengetroffen sind, oder um diese von Orten fernzuhalten, an denen sie sich mit dem Corona-Virus infizieren können“, erklärt der Rechtsexperte.

Über die digitale Technik entstehe bei jedem positiven Test ein Netzwerk von benachrichtigten Personen. Datenschutzrechtliche Bedenken stünden der App nicht entgegen, wenn sie entsprechend ausgestaltet sei.

Als Modell skizziert der Linklaters-Experte: Die App jedes Nutzers speichert automatisch fortlaufend, mit welchen Personen es in den letzten Tagen zum Kontakt gekommen ist, wer sich zum Beispiel näher als zehn oder 15 Meter aufgehalten hat.

Ist ein Nutzer positiv auf Covid-19 getestet worden oder treten bei ihm entsprechende Symptome oder Verdachtsmomente auf, dann gibt er diese Information in die App ein. In der Folge werden alle gespeicherten Kontaktpersonen informiert.

Gleichzeitig werden auch die Nutzer informiert, die mit einer solchen Kontaktperson im gleichen Zeitraum in Kontakt gekommen und somit auch als Risikopersonen einzuordnen sind. Die Benachrichtigungen können anonym erfolgen, der Name und das Gerät des Nutzers müssen also nicht offengelegt werden.

Möglich wären auch automatische Push-Warnmeldungen, wenn ein Nutzer sich örtlich in die Nähe von Personen begibt, die als Risikopersonen gelten, die also etwa positiv auf Covid-19 getestet wurden.

„Bei dem vorgeschlagenen Modell ist es also nicht erforderlich, dass die Sicherheitsbehörden Zugriff auf Standortdaten der Nutzer erhalten, weder anonym noch personenbezogen“, erklärt Datenschutzexperte Kartheuser. „Denn die Information über die App erfolgt ausschließlich zwischen den Endgeräten der Nutzer, es ist also keine zentrale Datenspeicherung notwendig.“

Flächendeckender Einsatz müsste gewährleistet werden

Die Nutzung der App sollte optimalerweise verpflichtend oder zumindest mit starken staatlichen Anreizen ausgestattet sein, um einen flächendeckenden Einsatz zu gewährleisten, sagt der Rechtsexperte. Das müsse gesetzlich abgesichert werden, etwa im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes. „Wenn etwa nur die Hälfte der Bevölkerung die App nutzt, wäre die Verbreitung des Coronavirus vermutlich nur unzureichend gehemmt“, meint Kartheuser.

Statt einer Verpflichtung ließe sich auch mit einem Anreizsystem arbeiten: Wer die App installiert und nutzt, der ist von den Kontaktbeschränkungen ausgenommen und kann sich freier bewegen. Wer die App nicht nutzt, für den gelten dann bestimmte Beschränkungen weiter.

Zusätzliche Komponenten der App könnten ebenfalls eingeführt werden, seien aber möglicherweise nur mit personenbezogenen statt anonymen Daten umsetzbar, sagt der Rechtsexperte. Dies sei etwa der Fall, wenn an besonders gefährdeten Orten wie etwa U-Bahnen, Konzertsälen, Bars oder Theatern eine „Eingangskontrolle“ per App stattfinde.

„Nutzer, die Risikopersonen sind, würden dann von der App aufgefordert, den jeweiligen Ort nicht zu betreten oder – noch weitergehend – vom Betreiber entsprechender Einrichtungen nicht hereingelassen“, unterstreicht Kartheuser. Er weist darauf hin, dass „Türkontrollen“ eine Stigmatisierungswirkung entfalten und damit als unverhältnismäßig erscheinen könnten.

Datenschutzrechtliche Probleme sieht Rechtsexperte Kartheuser nicht. „Bleiben die zwischen den Handys der Nutzer übertragenen Informationen rein anonym, gilt die Datenschutzgrundverordnung grundsätzlich nicht“, betont er.

Unternehmen könnten Zugang zum Betriebsgelände regeln

Sollten die Nutzerdaten tatsächlich doch einmal Personenbezug aufweisen, etwa bei Eingangskontrollen an besonders risikobehafteten Orten, so sei auch die Verarbeitung solcher personenbezogenen Daten erlaubt.

„Sicherzustellen ist bei allen Maßnahmen, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet wird“, sagt der Rechtsexperte. Eine Einwilligung der Nutzer sei nicht zwingend erforderlich. Kartheuser verweist etwa auf den Passus im Datenschutzrecht, nach dem „aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit“ eine Datenverarbeitung zulässig ist.

Ebenfalls denkbar wäre der Einsatz der Apps für Unternehmen, beispielsweise um den Zugang zum Betriebsgelände zu regeln. Voraussetzung sei, dass die Mitarbeiter Firmen-Handys benutzten. „Das wäre eine elektronische Kontrolle mit relativ geringem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“, meint Kartheuser.

Natürlich müsse der App-Einsatz aber arbeitsrechtlich abgeklärt werden: Ist das vom Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst? Ist es notwendig, eine Betriebsvereinbarung dazu abzuschließen? Muss oder sollte der Datenschutzbeauftragte eingebunden werden?

„Eine App wäre eine geeignete flankierende Maßnahme, um die Coronakrise in den Griff zu bekommen,“ sagt Kartheuser. Es gehe um eine temporäre Maßnahme mit einer kurzfristigen Speicherung von Daten, die sich an der Inkubationszeit plus einem Puffer orientieren könnte.

Der Staat fertige auch keine umfassende Datenbank an. „Wir haben eine massive Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens, aber auch der Wirtschaft. In diesem Licht erscheinen mir die durch eine App ausgelösten Persönlichkeitseingriffe – wenn sie überhaupt existieren und die App nicht rein anonym ist – verhältnismäßig.“ Die Akzeptanz einer App ließe sich stärken, wenn – wie etwa in Singapur geplant – Quellcode und Software offengelegt würden.

Das Robert Koch-Institut (RKI) arbeitet derzeit konkret an einer Corona-App. „Wir halten das für ein sinnhaftes Konzept“, hatte RKI-Präsident Lothar Wieler kürzlich gesagt. „Der Vorteil wäre, dass wir Gesundheitsämter enorm unterstützen.“