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Contis Antriebssparte steht vor gewaltigem Umbruch

Jobabbau, Umstrukturierungen und neue Technologien: Die Sorgen-Sparte des Zulieferers steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Was das für Konzern und Mitarbeiter bedeuten könnte, zeigt der Fall eines US-Konkurrenten.

Andreas Wolf hat den wohl derzeit schwersten Job in der Zuliefererbranche. Er ist Chef von Continentals Antriebssparte, die seit dem 1. Oktober Vitesco Technologies heißt. Der erste Teil des Namens sei vom lateinischen „vita“ abgeleitet, was übersetzt „Leben“ bedeutet, teilt der Konzern in einem Schreiben mit. Für den Hannoveraner Zulieferer stehe das für „Energie, Schnelligkeit und Agilität“ – jene Eigenschaften, die Wolfs Job so schwer machen. Denn genau diese besitzt das Unternehmen aus Regensburg noch nicht.

„Es geht viel schneller und radikaler in Richtung Elektrifizierung, als alle gedacht haben“, sagt Wolf dem Handelsblatt. Seine Schlussfolgerung: „Es wird keine Renaissance des Verbrennungsmotors geben.“

Zusätzlich angetrieben wird dieser Umbruch von Volkswagen. Der Autobauer aus Wolfsburg hat sich klar zur Elektromobilität bekannt und investiert Milliarden in neue E-Autos. Für Continental dürfte sich damit der Druck erhöht haben, das Produktportfolio zu elektrifizieren.

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Kaum ein Bereich in der Zuliefererbranche steht vor so tiefgreifenden Veränderungen wie das Antriebssegment. Einer Studie des Analysehauses Evercore ISI zufolge müssen sich Antriebsunternehmen wie Vitesco Technologies in den kommenden zehn Jahren einem so starken Wandel unterziehen, wie es ihn zuvor noch nie in der Automobilgeschichte gegeben hat – dem Wandel vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität.

Zulieferer von Motorkomponenten müssen deswegen innerhalb weniger Jahre Werke, in denen sie Teile für Diesel- und Benzinmotoren herstellen, schließen oder restrukturieren und altes Personal durch neues ersetzen, weil Software und Elektronik an die Stelle von Mechanik treten.

Felix Mogge, Partner beim Beratungsunternehmen Roland Berger, sieht darin eine gewaltige Aufgabe. „Entwicklungsteams von reinen Verbrennungsmotoren fit für das Zeitalter der Elektromobilität zu machen, ist eine große Herausforderung“, sagt er. Außerdem sei der Aufwand Verbrennungsmotoren- in Elektromotorenwerke umzubauen erheblich. „Es müssen komplett andere Komponenten gefertigt werden, die Anlagentechnik unterscheidet sich und die Produktionszyklen müssen angepasst werden“, sagt der Autoexperte.

Das kürzlich von Continental veröffentlichte Sparprogramm zeigt, welche Auswirkungen dieser Wandel auf die Branche haben wird. Weltweit sind in den kommenden zehn Jahren 20.000 Arbeitsplätze beim Zulieferer von den Veränderungen der Branche betroffen. Allein in Deutschland sind es 7000. Wie viele Menschen in dieser Phase der Konsolidierung ihre Stellen verlieren werden, ist unklar.

Auch bei den Konkurrenten Bosch und ZF müssen die Mitarbeiter in den Verbrennungsmotorwerken um ihre Jobs bangen. Gewerkschaften und Belegschaft der größten Zulieferer des Landes sind nervös, an einigen Standorten werden Demonstrationen vorbereitet oder haben bereits stattgefunden, wie im Falle von ZF in Friedrichshafen.

An der aktuellen Lage sind die Zulieferer nicht ganz unschuldig. Zu lange haben sie den Wandel zur Elektromobilität hinausgezögert, weil die Margen aus Diesel- und Benzin-Zeiten einfach zu verlockend waren und das weltweite Wirtschaftswachstum kein Ende zu finden schien. „Continental hätte bereits viel früher mit einer Restrukturierung seiner Antriebssparte beginnen müssen“, sagt etwa Jürgen Pieper, Autoanalyst vom Bankhaus Metzler.

Jetzt aber treffen gesellschaftlich motivierte und politisch geforderte Umweltvorgaben die Zulieferer in einer Zeit, in der die Konjunktur nicht mehr aushilft. Die Umsätze in der Autobranche schmelzen zusammen, weil die weltweite Autoproduktion im laufenden Jahr um voraussichtlich fünf Prozent sinken wird. Für die Antriebssparten von Bosch und ZF und für Vitesco Technologies könnte die Herausforderung derzeit kaum größer sein.

Sparprogramm trifft Antriebswerke

Zur Veröffentlichung der Zahlen für das zweite Quartal verkündete Continental daher eine überraschende Entscheidung: Bestimmte Komponenten für Verbrennungsmotoren werde der Zulieferer nicht mehr weiterentwickeln, weitere Aufträge nicht mehr annehmen. Ein paar Monate später folgte das Sparprogramm, das, wie zu erwarten war, vor allem die Antriebsmitarbeiter betrifft.

Das Werk im bayerischen Roding mit 540 Mitarbeitern wird unter dem Protest der IG Metall und des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger geschlossen, ebenso das Antriebswerk in Newport News in den USA, wo fast 740 Stellen wegfallen. Mitarbeiter im Werk im sächsischen Limbach müssen mit harten Einschnitten rechnen und im italienischen Pisa stehen 500 der 940 Arbeitsplätze im Feuer. In allen genannten Werken werden hydraulische Komponenten für Diesel- und Benzinmotoren hergestellt.

Und das dürfte noch nicht das Ende des Maßnahmenpakets sein. In der Mitteilung zum Sparprogramm erklärte der Konzern, dass „alle weiteren Projekte über die genannten hinaus über die Laufzeit des Strukturprogramms im Detail noch ausgearbeitet, und danach bekannt gegeben werden“. Das Strukturprogramm ist auf zehn Jahre angelegt.


Konkurrent Delphi zeigt, wie eine Restrukturierung aussehen kann

In diesem herausfordernden Umfeld sucht Continental zudem nach einem Weg, Vitesco Technologies über einen Teilbörsengang oder einer Abspaltung zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen, damit die Antriebssparte jene Eigenschaften erlangt, die sich im Firmennamen verbergen sollen. „Wir müssen uns agiler bewegen können, weil wir es als Antriebssparte mit disruptiven Elementen zu tun haben“, sagt Wolf. Das könne man besser, wenn man eine gewisse Selbstständigkeit hätte.

Ein IPO dürfte in Zeiten konjunktureller Rückgänge eher unwahrscheinlich sein. Ein Spin-off wiederum wirft die Frage auf, wer bereit ist, in das noch lahmende Geschäft von Vitesco zu investieren.

Dass es Vitesco Technologies noch an Agilität mangelt, lässt sich an den Zahlen des Unternehmens ablesen. Im ersten Halbjahr 2019 standen einem Umsatz von knapp vier Milliarden Euro ein Ebit von gerade einmal 117,2 Millionen Euro gegenüber, was eine mickrige Ebit-Marge von gerade einmal drei Prozent ergibt. Damit ist Vitesco die mit Abstand margenschwächste Sparte innerhalb des Konzerns.

Continental-Chef Elmar Degenhart vertraut darauf, dass Wolf der richtige Mann ist, um das zu ändern. Der erfahrene Manager hatte bereits in seiner Zeit im Geschäftsbereich Body & Security zwischen 2007 und 2018 mit einer Verdreifachung der Marge seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt.

Eine der wichtigsten Aufgaben für Wolf wird sein, Geld mit der Elektromobilität zu verdienen. Denn derzeit fließen noch große Teile des Gewinns aus dem Stammgeschäft in die Elektromobilität – ein Phänomen, dass alle Antriebshersteller betrifft. „Wir nehmen entsprechend Geld in die Hand, um die Produktionskapazitäten insbesondere auf der Elektrifizierungsseite sicherzustellen“, sagt Wolf.

Klar ist: Die Elektrowende gelingt nur, wenn die Kosten sinken und das Unternehmen restrukturiert wird. Was genau das für die Standorte und Mitarbeiter von Vitesco Technologies bedeutet, wird sich noch zeigen. Doch ein Blick auf die jüngere Vergangenheit beim US-Konkurrenten Delphi Technologies lässt erahnen, wie so eine Restrukturierung aussehen könnte.

Delphi Technologies verlagert Produktion nach Rumänien

Denn die Wege des US-Anbieters von Antriebskomponenten und der Regensburger ähneln sich. So ist Delphi Technologies Ende 2017 aus einem Spin-off mit Aptiv, einem Zulieferer für Fahrerassistenzsysteme, hervorgegangenen. Beide Unternehmen gehörten zum US-Zulieferer Delphi, der sich 1999 von General Motors getrennt hatte. Bereits vor der Abspaltung von Aptiv hatte auch der Delphi-Konzern mit der Restrukturierung seiner Antriebssparte begonnen, erklärt Richard Dauch, CEO von Delphi Technologies, dem Handelsblatt.

„Vor etwa drei Jahren hatte Delphi beschlossen Fabriken und Technikzentren in Spanien, Deutschland und Großbritannien zu schließen“, sagt der 58-Jährige. „Derzeit sind wir dabei eine große Fabrik in Großbritannien zu schließen und sie nach Rumänien zu verlegen. In Polen und der Türkei wiederum bauen wir völlig neue Fabriken.“ Dauch glaubt, dass Delphi Technologies deswegen gegenüber der Konkurrenz einen Vorsprung habe. „Deutschen Zulieferern wie Continental oder Bosch zum Beispiel steht diese Restrukturierung erst noch bevor“, sagt er.

Die Konjunkturdelle trifft zwar auch Delphi Technologies. Wie Continental musste der Konzern seine Prognose für das Gesamtjahr nach unten korrigieren. Hinsichtlich des Elektroproduktportfolios wiederum ist Vitesco Technologies dem US-Antriebshersteller überlegen. „Kaum ein Anbieter bietet ein so breites Produktspektrum und hat sich in einer solchen Klarheit für die E-Mobilität entschieden wie Vitesco Technologies“, sagt Wolf.

Allerdings zeigt der direkte Vergleich der Zahlen zum ersten Halbjahr 2019, dass Delphi Technologies mit 7,2 Prozent eine mehr als doppelt so hohe Ebit-Marge erreicht hat. Für das Gesamtjahr rechnet das US-Unternehmen mit einer operativen Marge von acht Prozent, während Vitesco Technologies einer Prognose von Evercore ISI zufolge nur 3,5 Prozent erreichen wird.

Delphi Technologies hat in margenstarken Zeiten seine Konzernstruktur verschlankt und Teile davon in Ländern mit niedrigeren Löhnen verlagert. In spätestens drei Jahren soll laut Dauch die Restrukturierung abgeschlossen sein. Bei Vitesco Technologies ist man noch nicht so weit.

Jürgen Pieper ist sich deswegen sicher, dass die Mitarbeiteranzahl beim Regensburger Unternehmen noch deutlich sinken wird. Ein Vergleich des Umsatzes pro Mitarbeiter zwischen Vitesco Technologies und Delphi Technologies zeigt, wie groß der Unterschied noch ist. Während jeder Mitarbeiter des US-Konzerns, basierend auf den Zahlen des vergangenen Jahres, einen Umsatz von 242.900 Dollar erwirtschaftet hat, kommen die deutschen Kollegen bei Vitesco auf umgerechnet 208.270 Dollar.

Auf Andreas Wolf dürften daher in den kommenden Monaten noch unangenehme Personalfragen zukommen, bis er Vitesco Technologies neue „vita“ einhauchen kann.