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Conti-Aufsichtsrat beschließt verschärftes Sparprogramm – Aus für Werke Aachen und Karben

Die Aufseher haben die stark umstrittenen Sparpläne von Continental abgesegnet. IG Metall und IG BCE stemmen sich gegen betriebsbedingte Kündigungen.

Arbeitnehmer und Gewerkschafter protestieren auf der Expo-Plaza in Hannover. Foto: dpa
Arbeitnehmer und Gewerkschafter protestieren auf der Expo-Plaza in Hannover. Foto: dpa

Die knapp 60.000 Continental-Mitarbeiter in Deutschland haben nach der Sitzung des Aufsichtsrats an diesem Mittwoch traurige Gewissheit: 13.000 von ihnen an 25 Standorten werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bis 2024 nicht mehr für Conti arbeiten. Mehr als jede fünfte Stelle in Deutschland ist in Gefahr.

Besonders betroffen sind Mitarbeiter aus einem Reifenwerk in Aachen. Hier fallen bis Ende 2021 rund 1800 Arbeitsplätze weg. Außerdem hat der Aufsichtsrat der Schließung des Standorts Karben in Hessen bis Ende 2024 sowie einem deutlichen Arbeitsplatzabbau in Regensburg zugestimmt.

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„Uns ist bewusst: Das ist ein schmerzhafter Prozess, den die Automobilindustrie und wir derzeit und in den kommenden Jahren zu bewältigen haben. Gleichzeitig eröffnen sich darin neue, profitable Wachstumschancen in einer sich fundamental verändernden Welt der Mobilität“, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Reitzle.

„Diese Mehrheitsentscheidung des Aufsichtsrats war leider zu erwarten“, teilte die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Vize-IG-Metall-Chefin Christiane Benner mit: „Conti wird seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht.“

Wegen des Einbruchs der Autokonjunktur und des beschleunigten Strukturwandels hatte Conti Anfang September das Sparprogramm aus dem vergangenen Jahr verschärft. Nicht 7000 Stellen, sondern nunmehr 13.000 Arbeitsplätze in Deutschland stehen zur Disposition. Weltweit ist die Zahl der gefährdeten Jobs von 20.000 auf 30.000 gestiegen. Auf diese Weise will der Konzern ab 2023 die jährliche Sparsumme von 500 Millionen auf eine Milliarde Euro erhöhen.

Insgesamt rechnet der Vorstand mit Kosten in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für den Umbau. Davon sind 660 Millionen Euro bereits im vergangenen Jahr verbucht worden. Die verbliebenen knapp 1,2 Milliarden Euro sollen noch im aktuellen Geschäftsjahr verrechnet werden.

Das Management um Konzernchef Elmar Degenhart sieht sich seit Wochen massiver Kritik von allen Seiten ausgesetzt. IG Metall und IG BCE sprachen vorab von einem „Kahlschlag“. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezichtigte das Management des „kalten Kapitalismus“. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zeigte kein Verständnis für Contis „radikales Jobabbau-Programm“.

Benner sagte dem Handelsblatt: „Das Continental-Management hat wie nie zuvor die Arbeitnehmerseite gegen sich aufgebracht.“

Continental ist längst zu einer Projektionsfläche für den verschlafenen Strukturwandel in der Autoindustrie geworden, für den laut Gewerkschaften nun die eigenen Mitarbeiter vor allem in Deutschland geradestehen müssen.

Degenhart hat mit Laschet telefoniert

Es war dann das Reifenwerk in Aachen, das die Stimmung kippen ließ. Zwei Wochen nachdem das Management seinen verschärften Sparkurs öffentlich angekündigt hatte, teilte das Unternehmen Mitte September per Aushang den Mitarbeitern mit, dass sie im Zuge von Kapazitätsanpassungen bis Ende 2021 ihren Job verlieren werden.

Die IG BCE reagierte erzürnt, weil das Aachener Werk eigentlich profitabel arbeitet. Der Gewerkschaft zufolge war dieser Schritt nicht abgesprochen. Und auch die Landesregierung um Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wurde von Conti über die Maßnahmen nicht vorab in Kenntnis gesetzt.

In einem Gespräch mit Journalisten im Anschluss an die Aufsichtsratssitzung gestand Konzernchef Degenhart, dass die Art und Weise, wie die Maßnahmen in Aachen kommuniziert und veröffentlicht wurden, nicht gut gelaufen sei. „Das hätten wir besser machen können“, sagte Degenhart. „Ich habe seitdem zweimal mit Herrn Laschet telefoniert und mich für dieses Vorgehen entschuldigt.“

An der Entscheidung selbst rüttelt Degenhart aber nicht. „Wir wollten lieber jetzt eine Entscheidung treffen und nicht erst in zwei oder drei Monaten und auf diese Weise keine falsche Hoffnungen wecken.“

Das Werk in Aachen würde aufgrund von Überkapazitäten in der europäischen Reifenproduktion geschlossen. Die Entscheidung fiel auf Aachen, da es laut Conti „das kleinste und der kostenintensivste Standort im gesamten europäischen Produktionsnetzwerk des Unternehmens“ sei. Mittlerweile hat Conti auch die ersten Sondierungsgespräche mit der Landesregierung und der Stadt Aachen aufgenommen.

Der Vorstand sieht vor allem in den nachhaltig sinkenden Pkw-Produktionszahlen ein Problem. Lösen will Conti es, indem der Wert der Komponenten, die der Zulieferer je Fahrzeug liefert, erhöht wird. Das könne nur mithilfe von innovativen Produkten gelingen, die hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung verlangen, sagte Degenhart. Und die wiederum müssten über einen positiven Cashflow finanziert werden. Daher sah sich das Management dazu gezwungen, schnelle Entscheidungen zu treffen.

„Der Zeitdruck resultiert aus den wirtschaftlichen Gegebenheiten. In den vergangenen Monaten haben wir Milliarden Euro an Cash verbrannt“, erklärte Degenhart. „Ohne Gegenmaßnahmen hätten wir noch größere Probleme“, sagte der 61-Jährige.

Die IG Metall macht dagegen Managementfehler aus der Vergangenheit für die aktuelle Situation verantwortlich. In den ertragreichen Jahren von 2009 bis 2018 habe die Konzernführung um Degenhart mit zahlreichen Übernahmen Wachstum erkauft und die Strukturen aufgebläht. Nun versuche das Management, diese ineffizienten Strukturen wieder abzubauen. Aber: „Es ist überhaupt nicht mehr klar, wohin dieser Konzern langfristig steuern will“, sagte Benner dem Handelsblatt. „Seit Monaten fordern wir eine Strategie und Konzepte ein.“

Obwohl Conti über ein begehrtes Produktportfolio verfügt und vor allem im Sensorikbereich als führend gilt, litt besonders das Kerngeschäft mit Autokomponenten bereits vor Corona unter mangelndem Ertrag. Arbeitnehmervertreter kritisieren die nach wie vor komplizierten Strukturen im Automotive-Bereich. Die Abspaltung von Vitesco wiederum ist zwar vorbereitet, doch nach mehreren Verschiebungen wird kein konkretes Datum mehr für einen Börsengang genannt.

Christiane Benner kündigte an, dass sich das Conti-Management nach der Aufsichtsratssitzung auf harte Verhandlungen einzustellen hat. Dann nämlich muss geklärt werden, wie die Maßnahmen Standort für Standort umgesetzt werden. „Wir verlangen Perspektiven, Weiterbildung und Qualifikation, statt stumpfe betriebsbedingte Kündigungen“, sagte Benner.

Der Ton zwischen den Arbeitnehmervertretern und dem Konzernvorstand ist rauer geworden. Dabei hatte es Ende Juni noch danach ausgesehen, als würde das Management nach sozial verträglichen Lösungen suchen. Personalchefin Ariane Reinhart warf eine kollektive Absenkung der Arbeitszeit in den Raum, gepaart mit Weiterbildungsmöglichkeiten in der frei gewordenen Zeit. Dadurch sollten so viele Arbeitnehmer wie möglich in die neue Ära der Elektromobilität und der Software gerettet werden.

Laut Gewerkschaftskreisen seien die ersten Gespräche vielversprechend verlaufen. Doch dann kam am 1. September der große Bruch. Von den Arbeitnehmervertretern heißt es, dass das Management ohne vorherige Absprache das deutlich angeschärfte Sparprogramm veröffentlicht hat.

Aachener Werk wird nicht verlagert

Die Gewerkschaften vermuten, dass Conti die Gunst der Stunde nutzt, um in der Krise Jobs in Länder mit niedrigeren Lohnkosten zu verlagern. Im Falle des Werks im hessischen Babenhausen, wo Conti Fahrzeuganzeigen wie Tachometer herstellen lässt, ist das auch der Fall. Hier werden die Stellen zum Teil nach Serbien verlagert. Das Reifenwerk in Aachen sei nach Unternehmensangaben jedoch kein Thema in Bezug auf Verlagerungen.

Der neue Umfang der Sparmaßnahmen und die Art und Weise, wie Conti sie umsetzt, haben viele Arbeitnehmer und Branchenbeobachter überrascht. Wenn man mit Betriebsräten und Gewerkschaftern spricht, vermuten viele die Handschrift des Aufsichtsratsvorsitzenden hinter den harten Maßnahmen. „Schauen Sie sich doch an, was Herr Reitzle mit Linde Praxair angestellt hat“, sagte zuletzt ein Bezirksleiter der IG Metall.

Als Aufsichtsratschef hatte der 71-Jährige die Fusion des Industriegaseherstellers mit Praxair vorangetrieben. Das Unternehmen wird operativ aus Irland und den USA durch Linde-Praxair-CEO Steve Angel geführt. Stellenabbaumaßnahmen in Deutschland stehen seitdem im Raum. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass in der gleichen Zeit Umsatz und Gewinn des fusionierten Unternehmens deutlich gestiegen sind.

Aus Aufsichtsratskreisen ist die Kritik gegen den Conti-Vorstand dennoch zum Teil vernichtend. Der Autozulieferer sei „strategiebefreit“, heißt es. Das Management verschanze sich im Elfenbeinturm und zeige keine Bereitschaft zu Verhandlungen. Conti habe Tabus gebrochen, das Image und die Unternehmenskultur nachhaltig geschädigt.

Wie sehr die Marke Continental leidet, zeigt eine Onlinepetition gegen die Sparmaßnahmen, die Konzernbetriebsrat Hasan Allak gestartet hat. Über 22.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet. Selbst VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh hat sich beteiligt und via Instagram zur Unterzeichnung aufgerufen.

„Der Continental-Aufsichtsrat hat alle Proteste und Appelle der Kolleginnen und Kollegen ebenso ignoriert wie die Kritik aus Politik und Regierungen“, sagte Konzernbetriebsrat Allak von der IG BCE. „Doch diese Entscheidungen bestärken unsere Entschlossenheit, mit all unserer Kraft in Verhandlungen mit dem Vorstand Perspektiven für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu schaffen.“