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Claudia Roth warnt andere Parteien: „Dürfen Erdoğan nicht zum Wahlkampfthema machen“

claudia roth gruene
claudia roth gruene

Während sich die Bundesregierung im Spagat zwischen Erdoğan, Trump und Putin beweisen muss, gehen die Oppositionsparteien in den Angriffsmodus über. Wahlkampf ist angesagt, und nur wenige führen politische Debatten so leidenschaftlich wie die Grünen-Politikerin Claudia Roth. Der Business Insider hat mit der Bundestags-Vizepräsidentin über die größten Versäumnisse der Bundesregierung gesprochen, über anti-türkische Ressentiments und den politischen „Heckenschützen“ Horst Seehofer.

Business Insider: Frau Roth, der Konflikt mit der Türkei dürfte Deutschland noch lange in Atem halten. Macht die Bundesregierung überhaupt Fortschritte?

Claudia Roth: „Nein, sie ist viel zu vorsichtig. Ich warne davor, jetzt, wo die AKP auf weitere Wahlkampfevents in Deutschland verzichtet, so zu tun, als wäre alles wieder in bester Ordnung. Ich finde: Nichts ist in Ordnung.

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Ich finde: Nichts ist in Ordnung.

Die Große Koalition hat viel zu lange, viel zu laut über Dinge wie die radikale Entdemokratisierung und die Abschaffung des Rechtsstaats geschwiegen. Fakt ist doch: Erdoğan will die Türkei in eine Diktatur verwandeln.“

Business Insider: Das wird die Kanzlerin auch wissen. Die Frage ist: Wie sollte sie reagieren?

Roth: „Dass die Bundesregierung so lange nicht reagiert hat, liegt vor allem daran, dass man sich mit dem Flüchtlings-Deal von Erdoğans Gnaden anhängig gemacht hat. Das rächt sich jetzt. Umso mehr müssen wir nun zeigen, dass wir Freunde der Türkei sind, aber eben Freunde der demokratischen und weltoffenen Türkei. Dass wir auf der Seite der vielen Menschen in der Türkei stehen, die eine europäische Perspektive sehen. In Deutschland wird viel zu stark der Eindruck vermittelt, Erdoğan sei die Türkei. Dem ist aber nicht so, deshalb muss es nun viel mehr darum gehen, Demokratie und Opposition in der Türkei zu unterstützen.“

Business Insider: Liegt das einzig an der deutschen Regierung?

Roth: „Nicht nur. Die komplette Wahrnehmungshaltung in Deutschland muss sich ändern. Das gilt für die Medien, die Zivilgesellschaft aber eben zuallererst für die Bundesregierung.“

Business Insider: Wie kann ein außenstehender Staat die Demokratie in einem anderen Land fördern, ohne ebendiese zu untergraben?

Roth: „Dabei geht es um Dinge wie die EU-Beitrittshilfen. Von Brüssel sind von den bis 2020 geplanten 4,45 Milliarden Euro sogenannter Heranführungshilfen nur knapp 167 Millionen ausgezahlt worden. Diese Gelder sollten nur an Organisationen gehen, die sich für demokratische und rechtstaatliche Werte einsetzen. Wenn eine Regierung die Demokratie abschaffen will, und diese Organisationen nach und nach verbietet, finde ich es richtig, dass diese Gelder immer weiter zurück gefahren werden.

Wenn eine Regierung die Demokratie abschaffen will, und diese Organisationen nach und nach verbietet, finde ich es richtig, dass diese Gelder immer weiter zurück gefahren werden.

Die Bundesregierung sollte es da ähnlich halten und es also nicht bei Kritik belassen, sondern gezielte Maßnahmen ergreifen, die Erdoğans empfindliche Stellen treffen. Nur so können wir den Türkinnen und Türken, die sich eine andere Türkei wünschen — und das sind immerhin um die 50 Prozent — helfen, nicht unterdrückt zu werden.“

Business Insider: Welche Maßnahmen meinen Sie da konkret?

Roth: „Wir müssen die Opposition unterstützen und wir müssen Journalisten unterstützen. Die Bundesregierung müsste jeden Tag fordern, dass Deniz Yücel und auch die 150 weiteren Journalisten sofort freigelassen werden. Der türkische Botschafter hätte in dem Fall nicht nur eingeladen, sondern formell einbestellt werden müssen. Die Bundesregierung fordert ein ‚faires Verfahren‘. Ich erwarte überhaupt kein Verfahren gegenüber einem Journalisten, der seine Arbeit macht, sondern verlange seine sofortige Freilassung.

Dass die Bundesregierung noch Rüstungsexporte in die Türkei genehmigt, geht meiner Meinung nach gar nicht. Auch ein Nato-Partner muss sich an Menschenrechte halten. Unsere deutschen Richtlinien für den Rüstungsexport verbieten den Waffenexport in Länder, die Menschenrechte mit Füßen treten — was die Türkei laut einem UN-Bericht gerade tut.“

Business Insider: Was würde ein rigoroserer Umgang mit Erdoğan für in Deutschland lebenden Türken bedeuten?

Roth: „Erdoğan ist nicht die Türkei. Er will sich für den Wahlkampf inszenieren. Und deshalb sucht er einen äußeren Feind, deshalb ist Deutschland für ihn jetzt auch Nazi-Deutschland. Wir müssen verstärkt darauf achten, dass in unserem Land jemand, der Murat heißt, nicht unter Generalverdacht gestellt wird.

Wir müssen verstärkt darauf achten, dass in unserem Land jemand, der Murat heißt, nicht unter Generalverdacht gestellt wird.

Dass wir nicht dazu übergehen, den Türkinnen und Türken in Deutschland zuzuschreiben, sie würden automatisch Erdoğans Positionen vertreten.

Wir müssen darauf achten, dass anti-türkisches Ressentiment nicht gewinnt, auch wenn Erdoğan täglich immer mehr eskaliert.“

Business Insider: Wird sich Deutschlands Umgang mit Erdoğan durch den anstehenden Wahlkampf verändern? Der Konflikt wird ja sicher zum großen Wahlkampfthema.

Roth: „Da warne ich massiv vor. Wir sollten in jedem Punkt deutlich machen: So kontrovers wir in unserer bunten Demokratie agieren, sollten wir Erdoğan als Person und wofür er steht nicht zum Wahlkampfthema machen. Das wäre fürchterlich, gießt nur Öl ins Feuer und vergiftet die Stimmung in unserem Land. Wir sollten eine politische Debatte über unsere Werte führen, aber wir dürfen nicht populistischen Wahlkampf machen.“

Business Insider: Abgesehen von parteipolitischen Differenzen, wer würde als Kanzler in Ihren Augen besser mit Erdoğan umgehen, Schulz oder Merkel?

Roth: „Ich erwarte von jedem Kanzler, dass er oder sie die eigenen Maßstäbe nicht hinter schäbigen Deals aufgibt oder versteckt. Ich glaube, dass wir in Gefahr sind, weil Europa bislang nicht willens war, eine eigene Flüchtlingspolitik zu definieren.

Ich glaube, dass wir in Gefahr sind, weil Europa bislang nicht willens war, eine eigene Flüchtlingspolitik zu definieren.

Wenn wir mit Regimen wie der Türkei unter Erdoğan schmutzige Deals abschließen, die unsere eigenen Kriterien untergraben, verlieren wir den Kompass für eine werteorientierte Außenpolitik.

Wenn unser Innenminister allen Ernstes in der Bundespressekonferenz von der Türkei als ‚sicherer Drittstaat‘ spricht, wissen alle anwesenden Journalisten im Raum, dass das mit der Realität nichts zu tun hat. Aber diese Behauptung ist die Voraussetzung dafür, dass man Deals abschließt. Und genau da verlieren wir gerade. Wenn wir Waffen liefern, obwohl die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, Dörfer zerstört und Zivilisten getötet werden, dann verlieren wir unsere eigenen Maßstäbe, verlieren unsere Glaubwürdigkeit.“

Business Insider: Die Grünen liegen laut aktuellen Umfragen bei sieben Prozent. Wo wollen Sie im September stehen?

Roth: „Ich bin schon lange im Geschäft, da weiß ich, dass man Umfragen nicht zu ernst nehmen sollte. Wir müssen vor allem darauf achten, dass der Bundestagswahlkampf kein Zwei-Personen-Stück wird — mit Merkel in der einen, Schulz in der anderen Rolle … und Horst Seehofer womöglich noch als Heckenschütze im Hintergrund. Vielmehr muss es darum gehen, den Wählern klarzumachen, in welchen Bereichen es die grüne Stimme braucht. Das werden die grünen Kernthemen sein: Ökologie, die bäuerliche Landwirtschaft, die Verteidigung der Offenen Gesellschaft und der Kampf für mehr Gerechtigkeit.“

Business Insider: Vermissen Sie die FDP im Bundestag?

Ich weiß auch nicht, wofür die FDP steht, außer für Herrn Lindner.

Roth: „Nein, überhaupt nicht. Ich weiß auch nicht, wofür die FDP steht, außer für Herrn Lindner. Der kandidiert in Nordrhein-Westfalen nur, um dann in den Bundestag zu kommen.

Lest auch: FDP-Vize Suding attackiert Martin Schulz: „Seine Rolle rückwärts bei der Agenda 2010 ist brandgefährlich“

Wenn ich Ihnen sage, dass ich in der Zwischenzeit eine Verfassungsschützerin geworden bin, dann klingt das fast ein bisschen ironisch, so meine ich es aber nicht. Die Verteidigung der Verfassung und des Grundgesetzes ist bei uns in sehr guten Händen, da braucht es die FDP nicht, die gerade mit ziemlich nationalistischen und wenig liberalen Tönen in der Flüchtlingspolitik punkten will.“

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