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Hersteller warnen: Chipmangel könnte bis ins dritte Quartal andauern

Anders als Volkswagen sehen Zulieferer und Halbleiterhersteller keine baldige Entspannung. Sie fordern verbindlichere Chip-Lieferverträge.

Die Krise bei der Versorgung mit Chips für die Autoindustrie wird sich nicht so schnell auflösen – das meint zumindest Reinhard Ploss. Ploss muss es wissen. Er ist Chef von Infineon. Der Dax-Konzern ist der größte Autochiphersteller der Welt.

Und Ploss bat am Donnerstag Autohersteller und -zulieferer um Geduld. „Es wird dauern, bis zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung stehen“, sagte der Infineon-Chef zur Vorlage der Zahlen für das vierte Quartal. „Viele unserer Kunden unterschätzen die Komplexität der Lieferkette.“

Ploss‘ Aussage klingt jedenfalls deutlich anders als das, was Volkswagen sagt. Der Autobauer hatte Anfang der Woche verkündet, dass das Gröbste bereits überstanden sei. Ab der zweiten Jahreshälfte rechnet VW wieder mit einer zuverlässigen Chipversorgung. Betriebsratschef Bernd Osterloh rechnet sogar mit Sonderschichten.

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Die Einschätzung von Volkswagen ist überraschend. Marktexperten von IHS Markit sind nicht so optimistisch. Der Datenanbieter gilt als einer der zuverlässigsten Prognosengeber in der Autoindustrie. IHS warnt, dass sich der Chipengpass wohl bis in das dritte Quartal hinziehen wird, was den von Wolfsburg herbeigesehnten Aufholprozess beeinträchtigen würde.

Fast 700.000 Fahrzeuge werden IHS zufolge bis Jahresende wegen des akuten Chipmangels nicht produziert. Der Unternehmensberatung McKinsey zufolge sind die Lieferzeiten für die Mikrocontroller zuletzt von drei auf vier Monate gestiegen.

Bosch-Chef Volkmar Denner äußerte sich ebenfalls vorsichtig. „Man darf nicht vergessen: Die Halbleiterindustrie hat sehr lange Durchlaufzeiten, bei komplexen Chips bis zu einem halben Jahr“, sagte Denner. Deshalb sei es schwierig, auf kurzfristige Abrufschwankungen zu reagieren.

„Da die Ursache für diese Einschränkungen in der steigenden Nachfrage der Autobauer und dem begrenzten Angebot an Halbleitern liegt, wird diese erst behoben, wenn beide Entwicklungsstränge sich aufeinander abstimmen“, sagte Phil Amsrud, Semiconductor-Analyst bei IHS Markit, dem US-Branchenportal „Automotive News“. Und genau das könnte noch erheblich Zeit in Anspruch nehmen.

Eine Rekonstruktion der Ereignisse seit Ausbruch der Coronakrise macht deutlich, warum: Wenn ein Autobauer mit einem Zulieferer einen Liefervertrag abschließt, sendet der Autohersteller alle sechs bis acht Wochen eine aktualisierte Abrufmenge an die Werke der Zulieferer.

Da die Halbleiterherstellung ein zeitaufwendiger Prozess ist, dem ein Vorlauf von sechs bis acht Monaten vorausgeht, müssen Autozulieferer Lagerbestände für Halbleiterprodukte aufbauen, um eventuelle Marktschwankungen abfedern zu können. Die Größe des Lagerbestandes eines Zulieferers richtet sich nach den Markterwartungen von Datenanbietern wie IHS Markit und den Plattformplanungen der Autobauer.

Im Shutdown der ersten Coronawelle standen die Produktionsbänder der Autobauer still und wurden die Lieferketten zwischen den Herstellern und den Zulieferern zum Teil komplett gestoppt. Bei den Autozulieferern liefen deswegen die Chip-Lager voll. Erst gegen Mai wurde auf diese Lagerbestände wieder zugegriffen, nachdem die Autobauer ihre Produktion hochgefahren hatten.

Ab da wird es undurchsichtig, wer von den Beteiligten, also Autobauer, Zulieferer oder Halbleiterhersteller, zu spät auf den erhöhten Chipbedarf reagiert hat. Verantwortung will keiner übernehmen. Aus Zulieferersicht habe es weder in April noch im Mai Anzeichen für eine starke Erholung der weltweiten Pkw-Absatzzahlen gegeben. IHS Markit war von einer flachen Absatzkurve ausgegangen.

Die Autobauer wiederum beharren darauf ihre Zulieferer früh genug informiert zu haben. Volkswagen beispielsweise hätte seine Zulieferer in einem Schreiben bereits im April auf eine in der zweiten Jahreshälfte stark steigende Pkw-Produktion und einen erhöhten Chipbedarf hingewiesen, sagte ein Sprecher des Autokonzerns. Im Mai und Juni folgten weitere Schreiben an die Zulieferer.

Im April gab es keine Anzeichen für die große Chipnachfrage

Ein Einkaufsleiter eines großen Zulieferers widerspricht dieser Ansicht. Im April habe es keinerlei Anzeichen gegeben, dass die Chip-Nachfrage sechs Monate später solche Ausmaße annehme, sagte er dem Handelsblatt. Die Abrufmenge habe sich schrittweise erhöht, die Lagerbestände wurden nach und nach abgebaut. Mit unklarer Sicht auf die künftige Entwicklung des Pkw-Absatzes war es offenbar schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um rechtzeitig neue Chips von den Herstellern zu ordern.

Im Oktober dann war ein Großteil der Chip-Bestände bei den Zulieferern abgebaut. Die Nachfrage der Autohersteller jedoch war ungebrochen hoch. Ab diesem Zeitpunkt wurde klar, dass die Prognosen hinsichtlich des Pkw-Absatzes nicht zutreffen werden. Ein Chip-Engpass wurde unvermeidlich. Im November informierte unter anderem Conti seine Kunden über den drohenden Engpass, der letztlich im Januar in Produktionsstopps von Volkswagen, Daimler, Ford & Co. mündete. Daimler zeigte sich am Donnerstag immerhin optimistisch: Der Autobauer fährt die von den ngpässen betroffene Produktion in den Mercedes-Werken in Rastatt und Bremen Anfang kommender Woche wieder hoch. Die Werke liefen planmäßig wieder an, sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Man beobachte die Situation kontinuierlich in enger Abstimmung mit den Lieferanten und passe falls notwendig das Vorgehen an, hieß es.

Dazu kommt: Autochips stehen nur für acht Prozent vom gesamten Umsatz der Branche. Der iPhone-Produzent Apple kauft allein so viele Chips ein wie die gesamte Autoindustrie. Das heißt: Bei Apple kommen Auftragsfertiger wie TSMC oder Samsung auf viel höhere Stückzahlen. Volkswagen hatte daher bereits angekündigt, die Halbleiterbeschaffung an den Zulieferern vorbei selbst in die Hand zu nehmen.

Zulieferer sind von dieser Idee weniger begeistert. So würde Volkswagen Chips lediglich für die eigenen Fahrzeuge ordern. Zulieferer wie Bosch oder Conti hingegen nehmen Chipherstellern wie Infineon höhere Mengen ab, da sie deutlich mehr Marken mit Chips beliefern können. Ihre Verhandlungsposition dürfte daher im Vergleich mit der eines Autobauers stärker sein.

Aus Zuliefererkreisen heißt es daher, dass neue Verträge hermüssten, um solche Chipengpässe in Zukunft zu vermeiden. „Es ist meine feste Überzeugung, dass die Erfahrung aus dem jetzigen Chipmangel die Vertragskonstruktionen zwischen Autobauer, Zulieferer und Halbleiterhersteller nachhaltig verändern wird“, sagt ein Manager eines Zulieferers.

Entlang der gesamten Lieferkette müssten demnach alle Marktteilnehmer, also Autobauer, Halbleiterhersteller und Zulieferer, größere Lager für Chips aufbauen und höhere Lagerkosten hinnehmen. Außerdem müssten nach dem Vorbild von Smartphoneherstellern wie Apple Autobauer mit den Zulieferern verbindliche Abnahmemengen vereinbaren.

Zwar könnten die Autobauer bei höheren Abrufmengen nach einem erneuten Markteinbruch auf einer hohen Menge nicht verbauter Chips sitzen bleiben. Aber „was die Autobauer jetzt erleben, wollen sie vermutlich auch nicht mehr erleben wollen“, sagt ein Einkaufsleiter eines Zulieferers.

Als Lehre aus der aktuellen Krise fordert der Chef des Autozulieferers ZF Friedrichshafen, Wolf-Henning Scheider, mehr Halbleiter-Fabriken in Europa. „Es ist durchaus begrüßenswert, wenn wir Chipfabriken nach Deutschland, nach Europa bekommen“, sagte Scheider am Mittwoch bei der Online-Konferenz „Europe 2021“ von Handelsblatt, „Tagesspiegel“, „Wirtschaftswoche“ und „Zeit“.