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Chinas Schnellzug-Attacke gegen Siemens

Eine Revolution? Nun ja. Sollte Peter Köhler sie im Schilde führen, kann er diese Absicht zumindest gut verstecken. Der Chef des tschechischen Bahnbetreibers Leo Express sitzt in seinem Büro in der Zentrale mitten in Prag. Er trägt Jeans, Pulli und blaues Sakko. In seinen Händen knetet der 45-Jährige einen Kugelschreiber mit Sparkassen-Logo. Er spricht ruhig, ohne Emotionen. Dabei ist das, was der Bahnmanager zunächst in Tschechien und bald auch in Deutschland vorhat, doch der Versuch, eine ganze Branche umzupflügen.

Vor zwei Jahren hat der Unternehmer Züge beim chinesischen Hersteller China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) bestellt – der erste Auftrag dieser Art in ganz Europa. Nun sollen drei weitere, vom neuesten Typ folgen. „Damit wären wir preiswerter unterwegs als ein Fernbus“, sagt Köhler. Mit dem neuen Modell aus China „werden wir das schaffen“, fügt der Manager hinzu.

Es ist eine Kampfansage an die alte Garde der Industrie aus Siemens und Co. Und Köhler ist nicht irgendwer, sondern innerhalb der Bahnbranche in Europa als eigensinniger und erfolgreicher Regelbrecher bekannt. Vor fünf Jahren half er in der tschechischen Hauptstadt beim Aufbau des Start-ups Leo Express, das Züge, Fernbusse und Carsharing-Dienste betreibt. Auf der Schiene bietet das Unternehmen der tschechischen Staatsbahn inzwischen erfolgreich Paroli. Den Einstieg als Zugbetreiber in Deutschland hat Leo Express mit der Übernahme des einst insolventen Locomore ebenfalls bereits geschafft. Der ganz große Coup, so hofft Köhler, soll Mitte dieses Jahr folgen. Dann erhält Leo Express die drei neuen Züge von CRRC, die bei Höchstgeschwindigkeiten von 160 Kilometer pro Stunde energiesparender und günstiger fahren sollen als die gesamte Konkurrenz.

Köhlers Deal mit den Chinesen hat es in sich: Denn auch CRRC ist nicht irgendein Zughersteller, sondern der weltweit größte und aggressivste. Und er prescht in neue Märkte vor. Sollte die tschechisch-chinesische Zusammenarbeit gelingen, wäre der Damm gebrochen und der Angriff von CRRC gegen die etablierten Zughersteller Siemens, Alstom und Bombardier auf dem Kontinent nicht mehr aufzuhalten – vor allem Deutschland steht im Fokus der Expansionspläne. Europas Bahnkonzerne, die vor zwei Jahrzehnten nach China aufbrachen, um Technologie zu liefern und Milliardenumsätze zu sichern, werden nun von ihrem einstigen Zögling angegriffen. Siemens und Alstom rüsten sich nun zur Gegenwehr.

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Steigbügelhalter aus Prag

Köhler weiß um die Bedeutung seiner Partnerschaft mit den Chinesen. In der Řehořova Straße in Prag, einem ehemaligen Arbeiterviertel nicht weit von der durchsanierten Innenstadt, arbeiten junge Tschechen an der Blaupause für den Erfolg. Die Eingangstür bei Leo Express sieht aus wie eine Zugtür. Im Treppenhaus hängt ein Monitor mit Livedaten über die aktuellen Passagierzahlen in den Zügen und Fernbussen, die Leo Express durch Tschechien, Polen und die Slowakei schickt. 817 fahren gerade in der Economyklasse, 88 in den Business- und 18 in den Premiumabteilen. Das Drei-Klassen-Konzept war Köhlers Idee. Er will anders sein als die meist staatliche Konkurrenz. „Wir bieten mehr Komfort, gutes Catering und faire Preise an“, sagt der 45-Jährige, der in Wien als Banker gearbeitet hat, bevor er 2012 zusammen mit Partnern beim Aufbau von Leo Express geholfen hat. 80 Prozent gehören dem tschechischen Investor Leoš Novotný, Köhler hat einen kleinen Anteil und leitet die Geschäfte. Der Umsatz liegt bei mehr als 15 Millionen Euro.

Köhler hat sich bewusst für CRRC entschieden, weil die Chinesen keinen Zug von der Stange produzieren. „Wir bestimmen das Design der Züge“, sagt Köhler, „unsere Partner aus China bauen die Technik.“ Er ist begeistert von der Detailversessenheit der Chinesen. CRRC-Ingenieure seien regelmäßig vor Ort in Prag. „Die Kooperation läuft außerordentlich professionell“, sagt er. „Wir wollen Innovationen anbieten, die es heute noch nicht gibt.“


Technologische Weltspitze

Das ungleiche Paar braucht einander. Leo Express profitiert von modernster Batterietechnik made in China, die sich auf elektrifizierten Strecken auflädt und Strecken ohne Oberleitungen überbrücken soll, wie es oft vorkommt in Tschechien. „Beim Einsatz der Superkondensatoren sind die Chinesen weltweit führend“, sagt Köhler. Für CRRC hingegen wäre es der erhoffte Durchbruch auf dem Weg nach Europa. Eine geplante Übernahme des tschechischen Zugherstellers Škoda, der nichts mit dem Autobauer zu tun hat, ist gescheitert. Spekulationen über den Kauf von Stadler aus der Schweiz haben Zugkraft verloren. Leo Express ist Plan B.

Genau der könnte funktionieren. CRRC geht in Europa so vor, wie es der Bahnprimus mit Sitz in Peking auch schon in Asien und Afrika erfolgreich getan hat. Leo Express bekommt nicht nur einen guten Preis für seine drei Züge, der laut Branchenkreisen in der Größenordnung von 20 Millionen Euro liegen soll. Leo Express werden die Kredite zur Finanzierung von CRRC gleich mitgeliefert. So soll der Markteinstieg der Chinesen gelingen. „Wir wollen Leo Express von unserer hohen Qualität und den guten Dienstleistungen überzeugen“, sagt Ouyang Jingping, Europa-Managerin von CRRC in London der WirtschaftsWoche, „und damit andere europäische Bahnbetreiber auf unsere Züge aufmerksam machen.“

Köhlers Start-up ist damit Steigbügelhalter für den Großangriff von CRRC auf Siemens, Alstom, Stadler und Bombardier, die in Europa produzieren und ihre Zugzentralen haben. Gerade erst haben die beiden Marktführer in Europa Siemens und Alstom als Reaktion auf die sich ankündigende Übermacht entschieden, ihre Zugsparten bis Jahresende zusammenzulegen. Doch Siemens-Alstom wäre nur halb so groß wie der Weltmarktführer aus China, der umgerechnet 32 Milliarden Euro umsetzt.

Auch technisch spielen die Asiaten in der Champions League. „CRRC ist technologisch längst in der Weltspitze angekommen“, sagt Maria Leenen von SCI Verkehr. Die Beratung aus Hamburg hat sich auf den Eisenbahnsektor spezialisiert. „Zwar gehen die meisten Bahninnovationen von japanischen und europäischen Herstellern aus, aber CRRC bietet gute und verlässliche Produkte an“, sagt Leenen. CRRC habe viel Erfahrung im eigenen Land gesammelt. Außerdem habe das Unternehmen „finanziell einen langen Atem“.

Auch weil die Politik in Peking den Konzern gepäppelt hat wie ein Kleinkind. Man kann es auch kluge Industriepolitik nennen. Peking schickte einst zwei unabhängige Bahnunternehmen ins Rennen: China North (CNR) und China South (CSR) machten sich so lange Konkurrenz, bis die Staatsregierung 2015 entschied, die Unternehmen zu fusionieren. In der ersten Hälfte 2017 fuhr der neue Gigant zwar noch einen Verlust von 450 Millionen Dollar ein. Dieser lag allerdings aufgrund umfassender Umstrukturierungen bereits rund 60 Prozent niedriger als noch im Vorjahr. Der Umbau geht weiter. Bald will sich das Unternehmen auch Privatinvestoren öffnen.

Berlin–München in zwei Stunden

Das Konglomerat und seine 180.000 Mitarbeiter sind mehr als nur ein weiterer Staatskonzern aus dem Riesenreich, der weltweit seinen Siegeszug antreten soll. Es ist Teil des politischen Plots, Chinas Eisenbahn zum wichtigsten Verkehrsträger zu machen und Mobilität nachhaltig zu verändern. 2005 hat China mit dem Bau der ersten Hochgeschwindigkeitsstrecke von Peking ins 120 Kilometer entfernte Tianjin begonnen. Ab da emanzipierte sich China von seinen einstigen Techniklieferanten und Lehrmeistern Siemens und Co. Heute hat das Land mit 15.000 Kilometern das längste Schnellstreckennetz der Welt – fast sechs Mal größer als das deutsche. Und CRRC baut die Züge. Mit dem neuesten Zug Fuxing setzt CRRC weltweit Maßstäbe: Die 1200 Kilometer lange Strecke zwischen Peking und Shanghai fährt der Zug mit Tempo 350 in dreieinhalb Stunden. Das wäre so, als würde der ICE von Berlin nach München etwas mehr als zwei Stunden benötigen statt wie derzeit rund vier Stunden.


Breitseite gegen Siemens

Für die Regierung in Peking hat CRRC höchste Priorität. Die staatliche „China Daily“ hat die „chinesische Erfindung“ der Schnellzüge kürzlich zu einer der vier großen Errungenschaften Chinas im 21. Jahrhundert erklärt, vergleichbar mit der Erfindung des Kompasses vor 1000 Jahren. Für die Kommunistische Partei sind die CRRC-Züge daher ein Vehikel für die Neuentdeckung der Welt. China will das Riesenreich per Schiene besser mit Europa verbinden. Die Regierung hat dazu 2013 den Plan verkündet, eine neue Verkehrsinfrastruktur entlang der ehemaligen Seidenstraße aufzubauen. Die Umsetzung ist nur eine Frage der Zeit.

Bis dahin muss CRRC vor allem im Ausland wachsen. „CRRC hat die weltweit modernsten Zugfabriken“, sagt Beraterin Leenen, „aber viele sind nicht mehr ausgelastet.“ 2016 hat die Chicago Transport Authority, der Betreiber des Chicagoer Nahverkehrsnetzes, rund 850 Wagen bei dem chinesischen Giganten bestellt. Auftragswert: 1,2 Milliarden Euro. Zwei Jahre davor gingen für 385 Millionen Euro bereits rund 280 Wagen für die Bostoner U-Bahn in die USA. Auch in Kenia, Indien und Thailand fahren in Zukunft Züge aus China. In Bangkok liefert CRRC in den kommenden Jahren 24 neue Züge, Siemens konnte nur 22 an die Thais verkaufen.

Doch die Europäische Union ist ein noch relativ unbekanntes Terrain. Vor zwei Jahren haben Deutsche Bahn und CRRC zwar ein Memorandum of Understanding unterschrieben, um sich gegenseitig über Produkte und Projekte zu informieren. Die Deutsche Bahn unterhält seit zwei Jahren außerdem ein Einkaufsbüro in Shanghai, um näher an der asiatischen Eisenbahntechnik zu sein. So will sich das Unternehmen unabhängiger von einzelnen Zugherstellern wie Siemens, Alstom und Bombardier machen. Wettbewerber wie Pesa aus Polen und Škoda aus Tschechien stehen bereits auf der Zuliefererliste. Doch Rahmenverträge, geschweige denn Kaufverträge mit CRRC stünden derzeit „nicht im Raum“, so ein Bahnsprecher.

Das könnte sich bald ändern. Im Nahverkehr wird bis 2023 mehr als jeder zweite Zugkilometer neu ausgeschrieben. Der Preis für neue Züge ist bei den Vergaben der Verkehrsverbünde und Landesverkehrsgesellschaften oft entscheidend. „Das macht auch den Einsatz von CRRC-Zügen zu einer möglichen Option“, sagt Leenen.

Fuxing statt ICE

Das gilt langfristig auch für den Fernverkehr. Über die Ticketplattform des Fernbusanbieters Flixbus verkauft Leo Express die Fahrkarten in Deutschland für seine Züge. Bislang läuft das Geschäft erfolgreich. Mehr als 70.000 Tickets wurden seit Sommer verkauft. Derzeit fährt Leo Express vier Mal pro Woche von Stuttgart nach Berlin und zurück. „Das sind rund eine halbe Million Zugkilometer pro Jahr“, sagt Leo-Express-Chef Köhler. „In den kommenden fünf Jahren wollen wir unser Angebot in Deutschland verzehnfachen.“

Die Frage ist, mit welchen Zügen. Und da steht die Liaison mit den Chinesen hausintern und extern unter besonderer Beobachtung. Leo Express könnte weitere Züge aus einem Rahmenvertrag mit CRRC abrufen. Für die Chinesen ist Deutschland ohnehin „der führende Markt für Zugtechnologie in Europa“, sagt CRRC-Managerin Jingping. „Wir haben in den vergangenen 15 Jahren viel von deutschen Unternehmen gelernt“, sagt sie. „Jetzt haben wir ausgereifte Technologien und wollen unsere Erfahrungen gerne unseren künftigen Kunden in Deutschland anbieten.“ Auch mit der Deutschen Bahn wolle man die Chancen auf eine „engere Kooperation ausloten“.

Gerade erst hat die Deutsche Bahn zwar für fünf Milliarden Euro Siemens-Züge gekauft. Die ersten ICE4 rollen seit diesem Jahr im Regelbetrieb zwischen Hamburg und München. Doch langfristig sieht CRRC Potenzial für eigene Hochgeschwindigkeitszüge. Eine Breitseite gegen Siemens’ Vorzeigezug ICE, der in der Vergangenheit bei Kälte und Hitze schon mal Probleme gemacht hat, kann sich Jingping nicht verkneifen. „Kälte oder Hitze, Feuchtigkeit oder Trockenheit können unseren Zügen nichts anhaben.“