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Report aus der Millionenmetropole Shenzhen: China testet seine Digitalwährung

Die Volksrepublik prescht voran mit ihrer Digitalwährung. Im bislang größten Feldversuch verteilt die Regierung im südchinesischen Shenzhen erste E-Yuan – ein Besuch.

Wan Pinde zeigt sich wenig beeindruckt. „Ich weiß gar nicht, was das genau ist“, sagt der Verkäufer in einem kleinen Kiosk im südchinesischen Shenzhen und schaut auf das Schild auf den Tresen vor ihm. „Digitaler Renminbi“ steht dort in chinesischen Schriftzeichen und darunter „E-CNY“.

In rund 3400 Läden im Stadtteil Louhu können die Kunden seit Mitte Oktober mit einer neuen Währung zahlen: dem digitalen chinesischen Renminbi. Es ist ein Feldversuch, der die Zentralregierung in Peking ihrem Ziel ein Stück näher bringen soll, als erstes großes Land weltweit eine staatliche Digitalwährung flächendeckend einzuführen.

Befürworter versprechen sich von einer digitalen Währung einen unkomplizierteren internationalen Geldtransfer und mehr automatisierte Zahlungen.

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Laut einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der Dachorganisation der Notenbanken weltweit, befassen sich 80 Prozent der Notenbanken weltweit mit dem Thema Digitalwährung. Jede fünfte von ihnen geht davon aus, dass sie innerhalb der nächsten sechs Jahre eine Digitalwährung für den privaten Gebrauch herausbringt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) veröffentlichte jüngst einen längeren Report über die Vor- und Nachteile. Sie will bis Mitte kommenden Jahres entscheiden, ob sie das Projekt startet. Auch andere Nationen wie die USA und Schweden arbeiten schon konkret an Digitalwährungen. Doch Peking will allen zuvorkommen.

E-Yuan als Konkurrenz zur Facebook-Währung Libra

Bereits seit 2014 treibt die chinesische Regierung die Entwicklung des neuen Zahlungsmittels, das das Bargeld in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt einmal komplett ersetzen soll, voran. Seit vergangenem Jahr hat sie die Arbeit an dem Projekt deutlich beschleunigt. Als Hintergrund gilt die Verkündung von Facebook, schon bald eine eigene Digitalwährung namens Libra auf den Markt zu bringen. Die chinesische Regierung fürchtete eine unkontrollierbare Kapitalflucht in das neue Zahlungsmittel.

Im Sommer dieses Jahres wurde der E-Yuan zunächst nur an ausgewählte Mitarbeiter staatlicher Unternehmen ausgegeben, seit Mitte Oktober wird das neue Zahlungsmittel im groß angelegten Feldversuch in Shenzhen, Sitz des Smartphone-Konzerns Huawei und des Telekommunikationsunternehmens ZTE, getestet.

Dazu verloste die Stadt 50.000 Hong Bao, virtuelle rote Umschläge, mit jeweils 200 Yuan (rund 25 Euro). Laut Angaben der Lokalregierung nahmen fast zwei Millionen Menschen an der Lotterie teil. Wer gewonnen hatte, musste das Geld innerhalb einer Woche ausgeben.

Anfang Oktober kamen Mitarbeiter der staatlichen Bank of China bei Wan im Laden vorbei, erzählt er. Hinter ihm sind Zigarettenpackungen gestapelt, neben ihm hinter dem Tresen liegt ein Junge mit nackten Füßen auf dem Boden und spielt mit seinem Smartphone.

Die Bankmitarbeiter sagten, so Wan, dass bei dem Unternehmen, zu dem sein Kiosk gehört, die Kunden jetzt auch mit der Digitalwährung zahlen könnten. Sie erklärten ihm, wie er das neue Zahlungsmittel annehmen soll, klebten den „E-CNY“-Sticker auf seinen Tresen und gingen wieder. Installieren musste er nichts.

Die Regierung plant die großflächige Ausgabe der Digitalwährung als zweistufiges System: Die Zentralbank gibt sie an die vier staatlichen Großbanken Bank of China, China Construction Bank, ICBC und Agricultural Bank of China aus, die sie dann wiederum an ihre Kunden weitergibt. Im Gegensatz zu den in China weit verbreiteten digitalen Zahlungsapps WeChat und Alipay muss der Nutzer aber kein Konto bei einer Bank haben, um digital Geld zu erhalten oder auszugeben.

Chinas E-Währung ist im Grunde das gleiche wie Bargeld, nur elektronisch. Zentralbankgeld in Form von physischen oder elektronischen Banknoten – und entsprechend die chinesische E-Währung – wird durch die Notenbank ausgegeben und garantiert. Alipay und We Chat Pay sind hingegen lediglich Zahlungssysteme.

Warum es den E-Yuan genau gibt und welche Pläne die Regierung damit hat, erklärten die Bankmitarbeiter Wan nicht. „Immerhin bringt die Aktion neue Kunden“, sagt er und lacht. Viele Menschen kämen in seinen Laden und kauften irgendetwas, was sie gar nicht bräuchten, nur um das gewonnene Geld auszugeben.

So auch Sun Congwang. Der 33-jährige Angestellte in einem staatlichen Unternehmen ist heute das erste Mal in Luhou. Er lebt und arbeitet in einem anderen Teil von Shenzhen, hatte sich aber dennoch um die 200 E-Yuan beworben. In seinen Händen hält er mehrere Tüten mit Snacks. „Ich brauche das alles eigentlich gar nicht, aber ich muss das Geld ja jetzt ausgeben“, sagt er. Denn bald läuft die Frist ab.

Als er vor Wans Tresen steht, holt Sun sein Smartphone aus seiner Hosentasche und tippt auf eine App, auf der auf rotem Hintergrund ein weißes Yuan-Zeichen abgebildet ist. Das Mini-Programm hat er vor ein paar Tagen installiert. Der Link dazu stand in der Nachricht, dass er bei der Lotterie gewonnen hat.

Die App öffnet sich und zeigt das virtuelle Abbild eines Yuan-Scheins, komplett mit dem typischen Konterfei von Chinas früherem Staatschef Mao Zedong. Das Mini-Programm erzeugt einen QR-Code, den Sun dem Verkäufer Wan über den Tresen reicht. Der hält einen Scanner über den Code, es piept, die Zahlung ist erledigt.

„Ich glaube, das ist die Zukunft“, sagt Sun, „früher haben wir doch auch Briefe geschrieben, und jetzt haben wir digitale Kommunikation“. Dann macht er sich auf die Suche nach anderen Läden, die den E-Yuan annehmen, denn er hat immer noch E-Yuan, die er ausgeben muss.

In einer App der Stadt sind alle teilnehmenden Läden verzeichnet: Große Ketten wie die Sportmarke Adidas oder das Schmuckunternehmen Swarowski machen mit, aber auch viele kleine, inhabergeführte Unternehmen. Sun steuert ein Restaurant an und gibt seine letzten E-Yuan aus. Diesmal tippt die Verkäuferin den Betrag in ein Kartenlesegerät. Dann hält sie es über Suns QR-Code. Zahlung erledigt.

An digitale Zahlungen gewöhnt

Wenn man mit Kunden und Verkäufern in Shenzhen spricht, wird schnell klar: Für die meisten Chinesen ist die Digitalwährung nichts Besonderes. Auch Lin Shao, der einen Großhandel für Jeansstoffe in Shenzhen betreibt, findet das alles nicht aufregend. Er sitzt auf einem kleinen Hocker in seinem Laden, in dem Mitarbeiterinnen gerade Inventur machen.

Am Verkaufstresen hinter ihm klebt das E-Yuan-Schild. „Die Menschen sind doch längst gewöhnt daran, kein Papiergeld mehr zu benutzen“, sagt Lin. „Es ist nur eine andere Methode, aber am Ende ist es doch alles das Gleiche.“

Dass die Chinesen durch die weit verbreiteten Apps WeChat und Alipay schon an digitale Zahlungen gewöhnt sind, wird die Einführung der neuen digitalen Währung beschleunigen und könnte China so einen Vorsprung verschaffen. Mehr als 57 Prozent der Chinesen bezahlen bereits mit mobilen digitalen Zahlungsmitteln.

Was genau die technologische Basis für die Digitalwährung sein wird, lässt die Zentralbank bislang offen. Sicher ist nur, dass sie – wenn überhaupt – nicht allein auf Blockchain basieren soll. Denn um in China auch nur im Privatkundenbereich zu funktionieren, müsste das System laut Mu Changchun, der bei der chinesischen Zentralbank die Entwicklung der Digitalwährung verantwortet, 300.000 Transaktionen pro Sekunde bewältigen können. Das würde die Blockchain schlicht überfordern.

China-Beobachter wie Hanns-Günther Hilpert, Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), halten es für möglich, dass die Volksrepublik innerhalb der nächsten Jahre eine Digitalwährung flächendeckend eingeführt haben wird, und mahnen Europa, seine Bemühungen zu beschleunigen.

„Die chinesische Regierung verfolgt mit dem digitalen Renminbi drei Ziele“, sagte Hilpert im Gespräch mit dem Handelsblatt, „mehr Kontrolle über die Finanzströme, einen Propagandaerfolg als Erfinder der ersten Digitalwährung der Welt und die Stärkung der chinesischen Währung als internationales Zahlungsmittel.“

China könnte mit dem digitalen Renminbi erreichen, was es seit Jahrzehnten erfolglos versucht: Die Etablierung der eigenen Währung auf dem Weltmarkt. Bislang werden bei internationalen Transaktionen laut der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) zum größten Teil US-Dollar oder Euro genutzt, wie es in einer Analyse von China Power, einem Projekt des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies, heißt.

Im Juli 2020 wurde die amerikanische Währung in rund 39 Prozent und die europäische in rund 37 Prozent aller internationalen Zahlungen eingesetzt – der Renminbi jedoch nur bei nicht einmal zwei Prozent. Grund sind unter anderem die strengen Kapitalverkehrskontrollen in der Volksrepublik, die die Währung unattraktiv machen.

Kurz- und mittelfristig geht es in China jedoch zunächst einmal darum, die eigene Bevölkerung davon zu überzeugen, dauerhaft auf das digitale staatliche Zahlungsmittel umzusteigen. Ein Test wird sein, ob die Lotteriegewinner auch weiterhin mit dem E-Yuan bezahlen wollen. Bislang gibt es nur wenige, die mehr Guthaben aufgeladen haben – obwohl diese Option besteht. Gerade mal 901.000 Yuan (rund 114.00 Euro) haben die 50.000 Gewinner laut den aktuellsten offiziellen Angaben bislang aufgeladen.

Für viele ist vor allem die beliebte App WeChat mehr als nur ein Zahlungsdienstleister, wie sich etwa bei einem Gespräch mit dem Shenzhener Stoffgroßhändler Jack Fang zeigt. Ein paar Gehminuten von Lins Jeans-Laden entfernt sitzt er im Untergeschoss eines Großmarkts für Stoffe.

„Orient Clothes Accessoires Curtain Plaza“ steht in großen Buchstaben auf Englisch und Chinesisch auf dem Gebäude. Auf sieben Etagen stellen hier Händler Tausende Bahnen Stoff, Knöpfe und Reißverschlüsse aus. Pailletten-bestickt, kariert, gestreift, bedruckt, neonfarbig – die Auswahl ist riesig. An vereinzelten Ausstellungsräumen kleben kleine Aufkleber, die auf den Digital-Renminbi hinweisen.

„WeChat ist nicht nur zum Bezahlen“, sagt Fang, der im Untergeschoss inmitten von bunten Stoffproben auf Kunden wartet. „Wir kommunizieren über WeChat mit unseren Kunden.“ Der 29-Jährige arbeitet im Laden seines Vaters, ein Familienunternehmen, das dieser vor rund 40 Jahren gegründet hat.

E-Yuan auch offline verfügbar

Fang nimmt sein Smartphone vom Tisch in die Hände und zeigt die App, die er nach einem Besuch von Mitarbeitern der Bank of Construction installiert hat, um das Digitalgeld anzunehmen. Darauf zu sehen ist wieder der blaue Geldschein mit Mao-Konterfei. Fang sieht einen Vorteil in der neuen Währung: Der digitale Renminbi soll auch – anders als WeChat oder Alipay – offline verwendbar sein. Das könnte ein Vorteil sein: „Man hat nicht immer überall Empfang“, sagt er.

Für Peking ist der digitale Renminbi eine Möglichkeit, mehr Kontrolle über seine Bürger auszuüben. Seit Staats- und Parteichef Xi Jinping an der Macht ist, hat der den Überwachungsapparat deutlich ausgeweitet. „Eine Digitalwährung könnte nicht nur dabei helfen, Schwarzhandel und Korruption aufzudecken, sondern auch, um soziale Kontrolle auszuüben oder Material zu sammeln, um politische Gegner zu erpressen“, sagt SWP-Experte Hilpert.

Mit einer digitalen Währung kann der ausgebende Staat jederzeit bei jedem einsehen, was man wo und wann kauft oder wem man wie viel Geld gibt. Bundesbürger sind laut einer Umfrage der Deutschen Bank aus dem Jahr 2020 daher skeptisch in Bezug auf den Datenschutz bei einer Digitalwährung.

Unter insgesamt 3600 Personen, unter anderem aus Deutschland und aus China, sagten 42 Prozent der Deutschen, dass sie sich Sorgen um ihre Privatsphäre bei einer solchen Zahlungsmethode machen würden, in China sagte das hingegen nur ein Zehntel der Befragten.

Sorgt sich Fang um seine Privatsphäre? Er beantwortet die Frage mit einer Anekdote. Ihm sei letztens Geld gestohlen worden, sagt er und schüttet sich und seinen Gästen noch etwas schwarzen Tee in die Gläser.

Als er bei der Polizeistation die Videoaufnahmen eingesehen hat, um herauszufinden, wer der Dieb war, sah er, wie viele Bildschirme sie dort hatten – eine Wand so groß wie sein ganzer Laden, sagt er und macht eine auslandende Geste mit seinen Armen. „Sie sehen alles“, die Digitalwährung mache da keinen Unterschied mehr.

Mitarbeit: Jan Mallien