Chaos um Corona-Hilfen sorgt bei Unternehmen für Verzweiflung
Versprochene Gelder kommen bei den Firmen nicht an. Durch nachträgliche Änderungen im Kleingedruckten steht vielen nun weniger zu als erwartet.
Die Verärgerung in den Unternehmen ist groß. Die Bundesregierung hatte ihnen aufgrund der Einschränkungen in der Corona-Pandemie schnelle und großzügige Hilfen versprochen. Doch erst seit Dienstag kann etwa die Auszahlung der Novemberhilfen in den Ländern starten. So lange ließ die Software auf sich warten.
Bisher hatten die von den Zwangsschließungen direkt und indirekt betroffenen Betriebe nur geringe Abschlagszahlungen erhalten. Das brachte viele noch mehr in finanzielle Schwierigkeiten.
Hinzu kommt ein weiteres Ärgernis: Die Bedingungen für die Überbrückungshilfe II und November- und Dezemberhilfen wurden im Kleingedruckten nachträglich verschärft. Denn diese müssen mit EU-Beihilferecht konform gehen. Viele Unternehmer fürchten, dass ihnen nun weniger Geld als erhofft zusteht. Sie verzweifeln immer mehr am bürokratischen Chaos rund um die Corona-Hilfen.
Kleine Firmen: Die Perspektive fehlt
Stefan Romberg betreibt das Ausflugslokal „Heimliche Liebe“ in Essen. Für den Gastronomen ist es ein „Unding“, dass man erst Anfang der Woche mit der finalen Prüfung der Novemberhilfen angefangen hatte und die Auszahlung erst ab Mitte Januar erfolgt. „Wir sind jetzt schon im dritten Monat ohne Hilfen. Bisher kam nur eine Abschlagszahlung für November in Höhe von 10.000 Euro“, sagt Romberg.
Den endgültigen Bescheid habe er immer noch nicht. Der Umsatz sei bei ihm um 90 Prozent eingebrochen im November und Dezember. Nun hofft er, die versprochenen 75 Prozent vom Vorjahresumsatz auch zu bekommen. Gewinne hätte er auch damit nicht gemacht. Was ihm fehlt, sei eine Perspektive.
Komplizierter ist es für Hotelier Haakon Herbst. Eines von fünf seiner Häuser der Kette Hotel Friends musste er bereits schließen. „Ob es Ende des Jahres noch vier sind, weiß ich nicht“, sagt er konsterniert. Von 150 Mitarbeitern sind 55 geblieben. Die Fixkosten liegen bei Hotel Friends pro Monat bei bis zu 250.000 Euro.
Im Frühjahr hatte er nur für drei seiner Häuser Soforthilfe bekommen, macht 75.000 Euro. Damals beantragte er auch einen KfW-Kredit über 800.000 Euro. Aus heutiger Sicht sieht er das als Fehler. Seit nun klar ist, dass er damit nach europäischem Recht die Höchstgrenze überschreitet, wurde sein Antrag auf Überbrückungsgeld I abgelehnt.
Derzeit überlegt er, den KfW-Kredit – zum Teil auch aus privaten Mitteln – zurückzuzahlen, um das Überbrückungsgeld II zu beantragen. Damit könnte er bis zu 75 Prozent der Umsätze der Vorjahresmonate erhalten – das wären an die 800.000 Euro.
Die Summe müsste er aber nicht zurückzahlen, anders als den KfW-Kredit. „Ich hätte dann zwar nichts gewonnen, aber keinen Kredit noch zusätzlich zu tilgen.“ Schließlich drücken ihn noch die Stundungen der Pacht und viele weitere Kosten.
Mittelgroße Firmen: „Die Politik lässt uns im Regen stehen“
Für das GOP Varieté, Europas größten Varietébetrieb, sind die klammheimlichen Änderungen im Kleingedruckten der Corona-Hilfen ein herber Schlag. „Wir fühlen uns bei den November- und Dezemberhilfen von der Politik getäuscht“, sagt Olaf Stegmann, Mit-Geschäftsführer des Familienunternehmen, das sieben Varieté-Häuser von Bremen bis München betreibt.
GOP erwirtschaftete mit mehr als 1000 Mitarbeitern zuvor 47 Millionen Euro Umsatz. Vor der Pandemie war das Unternehmen nie auf Subventionen angewiesen.
Das Varieté hatte auf Hilfen bis 75 Prozent vom Umsatz (abzüglich Kurzarbeitergeld und anderer Hilfen) für November und Dezember gehofft. „Plötzlich bekommen etwas größere Unternehmen wie wir höchstens 70 Prozent der ungedeckten Fixkosten, sprich unserer Verluste, erstattet. Diese kleinen Änderungen haben dramatische Folgen für uns“, sagt er.
GOP hatte sich mehr als sieben Millionen Euro insgesamt für November und Dezember an Hilfen ausgerechnet, nun wäre es schätzungsweise nur ein Viertel. „Ein himmelweiter Unterschied“, ärgert sich Stegmann.
Er moniert zudem eine „gravierende Ungleichhandlung“ zwischen kleinen und großen Firmen bei den November- und Dezemberhilfen. Denn bei Antragstellern für Hilfen bis einer Million Euro gelte weiter die Erstattung von Umsatz und nicht von Verlusten.
Auch bei den Überbrückungshilfen I und II gebe es eine extreme Benachteiligung. „Man kann immer nur einen Antrag stellen und Fixkostenerstattung erhalten, egal ob man einen, zehn oder 100 Betriebe hat“, sagt der Unternehmer. „Einmal 50.000 Euro pro Monat – ganz gleich wie hoch der Schaden ist. Das ist Wettbewerbsverzerrung.“
„Wir hatten uns auf die zugesagten November- und Dezemberhilfen verlassen. Ansonsten hätten wir über eine Klage nachgedacht.“ Mit den ertragsstarken Monaten November bis Februar subventioniert der Varieté-Betrieb sonst die flaue Sommerzeit quer. Nach zehn Monaten mit Verlusten seien nun alle Reserven aufgebraucht. GOP musste einen mittleren Millionenbetrag als KfW-Kredit aufnehmen.
Bisher hat die Gruppe seit März rund 960.000 Euro Fördergelder erhalten. „Das hört sich erst mal viel an“, so Stegmann. Das seien aber nicht einmal zehn Prozent der seit März aufgelaufenen Verluste. Der Umsatz dürfte 2020 um etwa 90 Prozent auf etwa fünf Millionen Euro eingebrochen sein.
Stegmann fordert eine Unterstützung, die sich nach dem Grad der Betroffenheit des Unternehmens bemisst statt nach EU-Beihilferegelungen. „Es geht um unsere Existenz, und die Politik lässt uns im Regen stehen.“
Für das Bewirtungsgeschäft des Münchener Gastronomen Rudi Kull tickt die Uhr. „Selbst jetzt im Januar wissen wir noch nicht, ob wir für den vergangenen Dezember und die Monate danach überhaupt Corona-Hilfen bekommen“, klagt der 51-Jährige.
Ursprünglich hatten sich Kull und sein Kompagnon Albert Weinzierl auf das Versprechen der Bundesregierung verlassen, dass ihnen für November und Dezember 75 Prozent des verlorenen Umsatzes als Corona-Hilfe ausgezahlt wird. Schließlich haben sie sechs Restaurants und das „Cortiina“-Boutiquehotel mit 75 Zimmern zu finanzieren, ohne dass es zuletzt zu nennenswerten Umsätzen kam.
„Monatlich haben wir 105.000 Euro Miete zu zahlen“, berichtet Kull. Als Hilfsleistung aber überwies ihm der Bund seit November gerade einmal 10.000 Euro. Um das Unternehmen liquide zu halten, verkaufte Kull bereits nach dem ersten Lockdown das Hotel „Louis“ am Münchener Viktualienmarkt.
Inzwischen seien aber die Rücklagen aufgebraucht. „Wir leben aus der Substanz und von Krediten der Bank“, berichtet der Gastronom. „Die ursprünglich angekündigte Corona-Hilfe wäre gut und wichtig gewesen.“
Große Firmen: Beihilferegeln sorgen für Probleme
„Der Lockdown kostet uns täglich 150.000 Euro“, sagt Mirko Silz, Chef der Pizza- und Pastakette L’Osteria mit rund 130 Restaurants. Trotzdem hat das Unternehmen noch keine Corona-Hilfen beantragt – „wegen unzureichender Informationslage und der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit“. „Die Höhe der für uns vorgesehenen Zahlungen war auch von unseren kompetenten Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern nicht final zu ermitteln“, sagt Silz konsterniert.
„Die Stimmungslage in unserem Unternehmen und in der gesamten Gastronomie könnte schlimmer nicht sein. Viele stehen vor dem Aus“, sagt Silz. Seit dem ersten Lockdown habe L’Osteria trotz erheblicher Kostensenkungsprogramme Verluste im Millionenbereich zu verzeichnen. „Entsprechend haben wir uns verschuldet“, sagt Silz.
Aufgrund der Größe der Restaurantkette ist das EU-Beihilferecht für Corona-Hilfen relevant. Silz fordert, dass die Bundesregierung nun im Eiltempo die Interessen des Mittelstands in Brüssel durchsetzt. Die Beihilfegrenzen müssten erheblich nach oben korrigiert und hinderliche Regularien für Verbund- oder Mischbetriebe ersatzlos gestrichen werden, fordert der L’Osteria-Chef.
Otto Lindner, Hotelier in zweiter Generation und Chef von 36 Häusern, kann es kaum fassen. „Unbürokratisch, schnell und großzügig sollten die Corona-Hilfen fließen“, erinnert sich der 58-jährige Düsseldorfer an das Versprechen der Minister von Anfang November. „Jetzt stellt sich heraus, dass die Bundesregierung diesem Anspruch nicht einmal teilweise gerecht wird.“
Seit März lebt die Hotelkette aus der Substanz. Statt der zum Überleben notwendigen Belegung von 62 Prozent waren zuletzt gerade einmal sechs bis acht Prozent der Zimmer ausgebucht. Die Häuser auf Sylt und Oberstaufen, sonst nur von Touristen genutzt, sind komplett geschlossen. 90 Prozent von Lindners Mitarbeitern sind in Kurzarbeit, viele Hochqualifizierte haben frustriert den Betrieb verlassen.
Doch die versprochene Hilfe floss weder schnell noch großzügig. „Der entgangene Umsatz, der zu 75 Prozent ersetzt werden sollte, liegt im niedrigen zweistelligen Millionenbereich“, sagt Otto Lindner. Was er an Hilfe bislang erhielt: 10.000 Euro.