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Cecilia Malmström: „Es fällt mir schwer, Trump zu verstehen“

Die EU-Handelskommissarin rechnet im Airbus-Streit fest mit Strafzöllen der USA. Was der US-Präsident aber eigentlich will, weiß auch sie nicht.

„Die USA begründen Zölle gegen uns damit, wir seien eine Bedrohung für die nationale Sicherheit – das ist unerhört.“ Foto: dpa
„Die USA begründen Zölle gegen uns damit, wir seien eine Bedrohung für die nationale Sicherheit – das ist unerhört.“ Foto: dpa

Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström geht davon aus, dass die US-Regierung im Streit um die Subventionen für den Flugzeugbauer Airbus ernst machen. „Die US-Strafzölle werden am Freitag sehr wahrscheinlich in Kraft treten“, sagte sie dem Handelsblatt. Malmström hatte die USA zuvor gedrängt, die Strafmaßnahme auf Eis zu legen und über eine gütliche Lösung des Konflikts zu verhandeln.

Washington hatte nach der Freigabe der Welthandelsorganisation (WTO) Anfang Oktober angekündigt, Strafzölle auf Einfuhren aus der EU im Wert von 7,5 Milliarden Dollar zu erheben. Die US-Regierung will auf diesem Wege die an Airbus beteiligten EU-Staaten dazu bringen, ihre Subventionen für den Flugzeugbauer einzustellen.

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Malmström sagte, die EU sei „dazu bereit, aber nur, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht“. US-Konkurrent Boeing werde bis heute vom Bundesstaat Washington subventioniert. Sie gehe davon aus, dass die WTO die Europäer Anfang nächsten Jahres zu Vergeltungsmaßnahmen in ähnlicher Höhe ermächtigen werde wie zuletzt die USA.

Zu der jüngsten Teileinigung im Handelskonflikt zwischen USA und China äußerte sie sich kritisch. „Es ist immer gut, die Wogen etwas zu glätten“, sagte sie. „Aber die Vereinbarung löst keines der großen Probleme.“

Washington und Peking hatten am vergangenen Freitag vereinbart, dass China mehr US-Landwirtschaftserzeugnisse importiert und die US-Regierung im Gegenzug die Erhöhung der Zölle auf chinesische Importe im Wert von 250 Milliarden US-Dollar aussetzt. In den nächsten Wochen sollen beide Seiten die Einzelheiten dieses „substanziellen Phase-1-Deals“ ausarbeiten, sagte US-Präsident Donald Trump.

Malmström zweifelt allerdings an der Substanz der Abmachung. „China kauft mehr Agrargüter, und die USA verhängen keine weiteren Zölle – ist das ein Deal?“, fragte sie. „Ein Handelsabkommen ist es jedenfalls nicht.“

Lesen Sie hier das ganze Interview.

Frau Kommissarin, Ihre Amtszeit endet bald …
Warten wir mal ab, wie lange wir noch ausharren müssen! (lacht)

Der Start der Von-der-Leyen-Kommission verzögert sich, Ihr Nachfolger Phil Hogan dürfte Anfang Dezember übernehmen. Freuen Sie sich darauf, die vielen Handelskonflikte hinter sich zu lassen?
Ich habe das als Herausforderung begriffen. Aber es ist natürlich nicht schön, dass inzwischen Zölle als Instrument der Geopolitik eingesetzt werden, dass die Spannungen mit unserem wichtigsten Verbündeten, den USA, zunehmen. All das richtet viel Schaden an, das zeigen ja auch die Prognosen für die Weltwirtschaft. Es wird wichtig sein, dass Phil Hogan bei allen Konflikten zumindest in Teilen eine positive Agenda mit den USA bewahrt.

Das ist eine ernüchternde Erkenntnis.
Das stimmt. Aber die USA begründen Zölle gegen uns damit, wir seien eine Bedrohung für die nationale Sicherheit – das ist unerhört. Wir sind zusammen in der Nato, haben die Nachkriegsordnung gemeinsam aufgebaut. Die Väter meiner Kollegen haben mit US-Soldaten in der Normandie gekämpft – für sie ist das eine Beleidigung.

Rechnen Sie damit, dass Präsident Donald Trump mit der gleichen Begründung Autozölle anordnen wird? Die selbst gesetzte Frist endet Mitte November.
Es ist ein wenig ruhiger geworden darum. Aber wir wissen nicht, was der Präsident denkt. Er hat auch in seinen Gesprächen mit Vertretern der Mitgliedstaaten keine Hinweise gegeben. Wir stellen aber fest, dass in der US-Industrie nur wenige die Autozölle für eine gute Idee halten.

Es heißt, auch Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer lehne Autozölle ab.
Manche Berater raten ihm wohl dazu, andere davon ab. Die Frage wird sein, auf wen er hört.

Sollte sich der Präsident für Autozölle entscheiden: Wie wird die EU reagieren?
Die Mitgliedstaaten haben schon im Frühjahr entschieden, in dem Fall die Handelsgespräche abzubrechen und Gegenzölle zu erheben.

Bereits an diesem Freitag dürfte die US-Regierung Strafzölle gegen die EU verhängen. Sie will die an Airbus beteiligten Staaten so dazu bringen, die Hilfen für den Flugzeugbauer einzustellen. Wird ihr das gelingen?
Wir sind dazu bereit, aber nur, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Viele der alten Subventionen für Airbus wurden bereits abgeschafft, und die vier Mitgliedstaaten werden natürlich die Vorgaben der Welthandelsorganisation befolgen. Aber Boeing hat auch viele Fehler gemacht, und der Bundesstaat Washington subventioniert das Unternehmen bis heute. Deshalb haben wir vorgeschlagen, über die fünf oder sechs Bereiche zu reden, in denen Hilfen fließen. Und die Zölle so lange auszusetzen.

Die US-Regierung will aber bei sich selbst kein Fehlverhalten erkennen. Ist eine Spirale aus Zöllen und Gegenzöllen daher unvermeidlich?
Die US-Strafzölle werden am Freitag sehr wahrscheinlich in Kraft treten. Wir erwarten, dass die WTO uns zu Vergeltungsmaßnahmen in ähnlicher Höhe ermächtigen wird, der Schiedsspruch dürfte Anfang nächsten Jahres kommen. Unsere Zolllisten dafür sind mehr oder weniger fertig. Wir werden dann mit den Mitgliedstaaten darüber diskutieren, wie wir verfahren.

Diese US-Regierung verlangt stets viel von den anderen und will selbst wenig geben. Kann man mit ihr überhaupt Deals schließen?
Es ist schwierig. Wir wollen zudem umfassende Abkommen abschließen, die USA hingegen sehr eng begrenzte Deals, die kaum mit den WTO-Regeln vereinbar sind.

So wie gerade mit China?
Was sie jetzt mit China vereinbart haben, was soll das sein? China kauft mehr Agrargüter, und die USA verhängen keine weiteren Zölle – ist das ein Deal? Ein Handelsabkommen ist es jedenfalls nicht.

Eher ein Waffenstillstandsabkommen.
Es ist immer gut, die Wogen etwas zu glätten. Aber die Vereinbarung löst keines der großen Probleme.

Europa wird zum Kollateralschaden des Konflikts zwischen USA und China. Die exportabhängige deutsche Wirtschaft taumelt bereits am Rande der Rezession.
Auch die gesamte EU leidet darunter, ebenso wie die Weltwirtschaft. Ich höre von vielen Unternehmen, dass sie Investitionen auf Eis legen, und zwar sowohl in den USA als auch in China. Die Unsicherheit ist groß, nichts mögen Investoren weniger.

Der Handelskonflikt zwischen USA und China ist politisch stark aufgeladen. Ist eine Einigung da überhaupt noch möglich?
Wer weiß das schon.

Worum geht es Ihrer Meinung nach? Um den Kampf um die Vorherrschaft?
Der Konflikt hat viele Ebenen. Die USA kritisieren zum einen das Verhalten Chinas – dass China seine Industrie subventioniert, Überkapazitäten schafft, die Preise verdirbt und Know-how stiehlt. All das teilen wir. Aber es geht auch um die Angst vor Dominanz: Laut Prognosen wird Chinas Wirtschaft in 15 Jahren größer sein als die US-amerikanische.

Geht es Trump auch um die wirtschaftliche Entkoppelung von China, um De-Globalisierung?
Der Präsident hat seinen Wählern „America first“ versprochen. Das bedeutet auch, die Abhängigkeit von anderen Ländern und globalen Wertschöpfungsketten zu reduzieren und abgewanderte Fertigung zurückzuholen. Insofern ist er konsistent.

Wird die Strategie funktionieren?
Ich glaube nicht. Die Entkoppelung ist in einer modernen Ökonomie kaum erreichbar und auch nicht erstrebenswert.

Sie waren bei dem Treffen von Jean-Claude Juncker und Trump im Weißen Haus dabei, und sprechen regelmäßig mit Trumps Beratern. Haben Sie ein Gespür entwickelt, wie der US-Präsident denkt?
Einige Dinge sind recht offensichtlich. Diese Regierung mag Zölle und setzt sie gerne als geopolitisches Instrument ein. Sie misst den Wert von Handelsbeziehungen einzig in Handelsdefiziten oder -überschüssen. Sie misstraut China, und sie misstraut dem Multilateralismus. Aber was diese Regierung stattdessen anstrebt, das ist mir weniger klar.

Ist Trump ein Ideologe oder flexibel genug, um Kompromisse zu machen?
Es steht mir nicht zu, den US-Präsidenten mit Schlagwörtern zu beschreiben. Aber es ist sehr schwer vorherzusagen, was aus dem Weißen Haus kommt. Die Stimmung schwankt bisweilen. Es fällt mir immer noch schwer, das wirklich zu verstehen.

Die USA blockieren die Berufung neuer Richter an der Berufungsinstanz der WTO, Mitte Dezember dürfte das Streitschlichtungsgremium handlungsunfähig werden. Was passiert dann?
Dann wird nur noch die erste Instanz übrig sein, viele der komplizierten Fälle gehen aber in die zweite. Sollte es dazu kommen, wäre das sehr bedauerlich. Die USA sind bislang nicht bereit, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Sie haben alle unsere Reformvorschläge abgelehnt, aber sie sagen auch nicht, was sie stattdessen wollen.

Die EU will ein Streitschlichtungsgremium parallel zur WTO aufsetzen, wenn die USA weiter blockieren. Finden Sie dafür genügend Mitstreiter?
Wir brauchen dazu eine kritische Masse von Ländern, und die haben wir noch nicht. Viele Länder halten sich bislang bedeckt. Ich hoffe, das ändert sich, wenn die Krise wirklich akut werden sollte.

Wird die EU künftig robuster auftreten und stärker ihr wirtschaftliches Gewicht nutzen müssen, um politische Interessen durchzusetzen? Die neue Präsidentin Ursula von der Leyen spricht davon, sie wolle eine „geopolitische Kommission“.
Wenn wir uns in der EU einig sind, können wir viel erreichen. Die von uns abgeschlossenen Freihandelsabkommen zeugen davon, und sie senden auch ein politisches Signal. Aber wenn wir uns nicht verständigen können, bekommen wir verwässerte Stellungnahmen zu den großen Konflikten in der Welt. Das schwächt uns.

Sollten die EU-Staaten also künftig in außenpolitische Fragen nicht mehr einstimmig, sondern mit Mehrheit entscheiden?
Ich hielte das für richtig. Aber dafür wäre eine Änderung der EU-Verträge nötig, und das ist ein sehr schwieriges Thema für viele Mitgliedstaaten. Aber man könnte ja mit wenigen Fragen anfangen.

Was halten Sie von den Überlegungen, Investitionen aus Ländern wie China in der EU noch genauer zu prüfen?
Ich habe nichts dagegen. Allerdings haben wir ja gerade erst einen neuen Koordinierungsmechanismus auf EU-Ebene für das Screening solcher Investitionen beschlossen. Dieser sollte sich erst einmal einspielen. Die Diskussion darüber hat schon viel bewegt: Mein Heimatland Schweden etwa hat den Mechanismus lange abgelehnt, aber nun gibt es auch dort Vorschläge, ein eigenes Kontrollsystem einzuführen.

Sie selbst propagieren, über Handelsabkommen die europäischen Werte und Ziele zu exportieren ...
Und es funktioniert! Vietnam hat gerade damit begonnen, auf unseren Druck hin sein Arbeitsrecht zu reformieren.

Können Sie über das Mercosur-Abkommen auch Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro dazu bewegen, den Regenwald im Amazonas zu schützen?
Das Abkommen ist jedenfalls ein sehr wichtiges Instrument dafür. Die brasilianische Regierung hat darin verbindlich zugesagt, ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen etwa zur Aufforstung zu erfüllen. Und ich habe dem Außenminister klar gesagt: Wenn Sie diese Zusagen nicht erfüllen, werden wir das Abkommen nicht ratifizieren können. Es ist aber ein sehr wichtiges Abkommen für Brasilien und die Bemühungen der Regierung, die eigene Wirtschaft zu reformieren.

Sie haben 2014 als Handelskommissarin angefangen, auf dem Höhepunkt der Proteste gegen TTIP. Sie enden mit Mercosur, das ebenfalls viele Bürger besorgt. Warum ist Freihandel so umstritten?
Die meisten Europäer unterstützen den freien Handel. Sechs von zehn Bürgern sagen in einer noch unveröffentlichten Eurobarometer-Umfrage, dass sie davon profitieren. Das sind 16 Prozentpunkte mehr als 2010. Früher ging es bei Handelsabkommen nur um die Abschaffung von Zöllen. Heute geht es um sehr viel mehr. Um Themen, die die Menschen bewegen: den Regenwald, die Sicherheit unserer Lebensmittel, die Arbeitsbedingungen. Der Handel wird für viele Probleme in die Haftung genommen, kann sie aber allenfalls teilweise lösen. Die Verantwortlichen müssen deshalb erklären, was wir erreichen können, und was nicht.

Sie persönlich betrifft das bald nicht mehr. Was werden Sie künftig machen?
Ich verlasse die Politik. Ich gehe zurück nach Schweden und habe vor, mein Wissen weiterzugeben, solange es noch frisch und wertvoll ist.

Frau Malmström, vielen Dank für das Interview.