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Bundesrechnungshof prangert Finanztricks der Krankenkassen an

Mit einer Reform wollte Gesundheitsminister Spahn die Verteilung der Gelder im System regeln. Doch dem Bundesrechnungshof geht das nicht weit genug.

Über Jahre sollen Krankenkassen bei der Geldverteilung im Gesundheitssystem getrickst haben. Foto: dpa
Über Jahre sollen Krankenkassen bei der Geldverteilung im Gesundheitssystem getrickst haben. Foto: dpa

Gesundheitsminister Jens Spahn hat im Februar eine Reform des Finanzausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Bundestag gebracht. Mit dem Gesetz wollte der CDU-Politiker auch verhindern, dass sich Krankenkassen bei der Verteilung der Gelder im System einen Vorteil verschaffen, indem sie ihre Versicherten auf dem Papier möglichst krank aussehen lassen.

Der Bundesrechnungshof hält die neuen Regeln nicht für ausreichend. Dem Handelsblatt liegt ein Gutachten der Prüfer vor, in dem die Strategien bei der Beeinflussung von ärztlichen Diagnosen untersucht werden. Von den Krankheitsdiagnosen bei Versicherten hängt ab, wie viel Geld eine Kasse zugewiesen bekommt.

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Einige Krankenkassen fanden demnach auch nach gesetzlichen Verschärfungen immer wieder Wege, Ärzte mit finanziellen Anreizen zu verleiten, bestimmte Diagnosen zu stellen. Das Problem sieht der Bundesrechnungshof in der zersplitterten Kontrolle: Für einige Kassen sind Aufsichten in den Ländern zuständig, für andere das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS).

Die Behörden würden unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Daher sei ein einheitliches Aufsichtshandeln des Bundes und der Länder „zwingend erforderlich“, um Wettbewerbsverzerrungen zu verringern. „Krankenkassen, die sich rechtstreu verhalten, darf kein Wettbewerbsnachteil entstehen“, heißt es in dem Gutachten.

Der Bundesrechnungshof hat im vergangenen Jahr stichprobenhaft mehrere Krankenkassen unter die Lupe genommen. Die Prüfer schauten sich nach eigenen Angaben auch beim BAS, beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung und beim Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) um. Um die passenden Diagnosen zu erhalten, ließen Krankenkassen Ärzten demnach Millionensummen zukommen – ohne dass dies mit einer echten Mehrleistung in der Versorgung verbunden war.

Einflussnahme auf Diagnosen

Beim Finanzausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Beitragsgelder der Versicherten und ein Steuerzuschuss auf die mehr als 100 Krankenkassen in Deutschland verteilt. Seit 2009 spielte dabei auch der Gesundheitszustand der Versicherten eine große Rolle, aus dem Gesundheitsfonds gibt es Zuschläge für bestimmte Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck.

Das Geld fließt aber nur, wenn Ärzte die entsprechenden Diagnosen stellen. Krankenkassen führten sogenannte Betreuungsstrukturverträge ein, die Mediziner über Sondervergütungen dazu bewegen sollten, die passenden Krankheitsbilder zu dokumentieren.

Die Grenzen zwischen einer Optimierung der Diagnosen und einer Manipulation schienen dabei fließend zu sein. Vorreiter dieser Konstrukte waren die Ortskrankenkassen, auch die Barmer und Techniker Krankenkasse (TK) machte mit, viele weitere Kassen folgten.

TK-Chef Jens Baas sprach in einem Interview 2016 erstmals offen über die Praxis und bezeichnete diese als „Manipulation“. Ein Jahr später führte der Gesetzgeber strengere Regeln ein – doch laut Bundesrechnungshof suchten einige Kassen anschließend nach neuen Möglichkeiten, bei niedergelassenen Ärzten mittels finanzieller Anreize für die richtigen Diagnosen zu sorgen. Das sei vor allem über sogenannte Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung geschehen.

Das Bundesgesundheitsministerium erklärte auf Nachfrage: „Die Feststellungen des Bundesrechnungshofs sind uns bekannt und im Kern nicht neu.“ Spahns Haus verweist auf das im April in Kraft getretenen Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz, das eine Einflussnahme der Kassen auf die Diagnosen und damit auf die Geldverteilung aus dem Gesundheitsfonds unterbinden solle.

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Das Gesetz sieht unter anderem eine „Manipulationsbremse“ vor. Demnach sollen Auffälligkeiten bei bestimmten Krankheitsdiagnosen berücksichtigt werden, die eine Beeinflussung durch Krankenkassen nahelegen. Gibt es einen Manipulationsverdacht, fallen für diese Diagnosen die Zuweisungen aus dem Finanzausgleich weg.

Bundeseinheitliche Aufsicht

Allerdings: Spahn konnte sich nicht durchsetzen mit dem Vorhaben, eine vertragliche Verknüpfung von Diagnose und ärztlicher Vergütung zu verbieten. Außerdem scheiterte er mit seinem Plan, alle regionalen Kassen unter die Bundesaufsicht des BAS zu holen.

Das hätte vor allem die Ortskrankenkassen betroffen – die unter Länderaufsicht stehen und bei den umstrittenen Versorgungsverträgen besonders aktiv sind. Die bundesweit agierenden Kassen beklagen sich, dass die regionalen Ortskrankenkassen von den zuständigen Ländern wohlwollender geprüft würden.

Der Bundesrechnungshof stellte sein Gutachten fertig, als die Arbeiten an Spahns Gesetz bereits beendet waren. Die Prüfer zeigten sich skeptisch, dass die Reform des Ministers ohne eine bundeseinheitliche Aufsicht über die Krankenkassen wirklich funktioniert.

„Ist es einer Krankenkasse gelungen, die Diagnosedokumentation zu beeinflussen und dadurch höhere Zuweisungen zu erhalten, führt dies zu einem finanziellen Wettbewerbsvorteil“, heißt es in dem Gutachten. „Sie könnte unter Umständen niedrigere Beitragssätze anbieten oder besondere Versorgungsangebote für ihre Versicherten bereitstellen.“ Andere Krankenkassen müssten die notwendigen Mittel zur Versorgung der Versicherten dann durch höhere Beitragssätze finanzieren.

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