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Bundesländer ließen im Dieselskandal Millionen liegen

Die Stadt Bonn hat in der Dieselaffäre 470.000 Euro Schadensersatz von VW erstritten. Viele Länder und Kommunen taten dagegen nichts. Juristen sprechen von möglicher Untreue.

Für den Kämmerer der Stadt Bonn war es ein Tag der Freude. Am 20. Mai gewann seine Stadt den Schadensersatzprozess gegen Volkswagen. 27 vom Dieselbetrug betroffene Fahrzeuge hatte Bonn in seiner Flotte – und bekam dafür vom dortigen Landgericht 469.120,79 Euro zugesprochen. Die Fahrzeuge muss die Stadt dafür zurückgeben.

Wenige Tage später entschied dann auch der Bundesgerichtshof (BGH) höchstrichterlich: Halter von abgasmanipulierten VW-Dieseln haben Anspruch auf Schadensersatz gegen den Wolfburger Autokonzern. Der Stadtkämmerer am Rhein hatte alles richtig gemacht.

Viel falsch gemacht haben dagegen offenbar nahezu alle Bundesländer und viele Kommunen in Deutschland. Nach Recherchen des Handelsblatts in allen 16 Ländern und den 20 größten Kommunen haben sich die Verantwortlichen weitgehend gegen Klagen gegen Volkswagen entschieden und mit dem vom Konzern angebotenen Softwareupdate abspeisen lassen.

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Selbst als viele Landgerichte und erste Oberlandesgerichte den Fahrzeughaltern recht gaben, wiesen viele Ministerpräsidenten und Bürgermeister ihre Rechtsreferate offenbar nicht an, juristisch gegen VW vorzugehen.

Nun dürfte es dafür zu spät sein. Laut Michael Heese, Jura-Professor in Regensburg, sind die zivilrechtlichen Ansprüche, die sich auf Millionen Euro summieren, in der Regel verjährt. Die Folge: Die Manipulationen von Volkswagen gehen auf Kosten der öffentlichen Hand.

„Dass die Gemeinden und Länder trotz des bekannten Wertverlusts keine Ansprüche geltend machen wollten, sodass der Schaden jetzt durch den Steuerzahler zu tragen ist, kann nicht im Sinne des Haushaltsrechts sein“, sagt Marco Rogert, dessen Kölner Kanzlei Rogert & Ulbrich die Stadt Bonn vertrat.

Mehr als 4000 Autos in den Fuhrparks

Um welche Schadensgröße es sich dabei handelt, zeigt die Handelsblatt-Umfrage. Insgesamt befinden oder befanden sich über 4000 mutmaßlich manipulierte Diesel in den Fuhrparks der Länder – wobei vier Länder keine Angaben dazu machten. Lediglich Bayern klagte – die Gerichtsverhandlung wird Ende 2020 erwartet.

Von den bundesweit 20 größten Kommunen reichte neben Bonn bislang lediglich die Stadt Wuppertal Klage ein. Mitte Juni wird sich das Landgericht Wuppertal mit sechs betroffenen Fahrzeugen beschäftigen. In einem gesonderten Prozess wird es um drei weitere Fahrzeuge gehen, die auf die Abfallwirtschaftsgesellschaft Wuppertal zugelassen sind.

Nimmt man das Bonner Urteil zum Maßstab, das im Schnitt pro Fahrzeug rund 17.300 Euro zusprach, hätten damit allein die Länder, die auf die Umfrage antworteten, zusammengenommen knapp 70 Millionen Euro einstreichen können.

Tatsächlich dürfte der Betrag weit höher liegen. Viele Länder gaben lediglich die Fahrzeuge an, die im Besitz von Polizei und Feuerwehr sind. Autokäufe in den Stadtbezirken von Stadtstaaten, bei Verkehrsbetrieben oder Stadtreinigungen wurden nicht berücksichtigt, sie fallen teilweise nicht in die Zuständigkeit der Länder. Außerdem gibt es in Deutschland insgesamt etwa 1600 Kommunen. Deren Fahrzeugbestand ist allerdings in der Regel deutlich kleiner als in den Ländern.

Besonders viele Fahrzeuge waren neben Bayern und Brandenburg mit 470 Autos etwa in Sachsen betroffen. Selbst im kleineren Bundesland Mecklenburg-Vorpommern waren es nach Auskunft des Innenministeriums allein bei der Polizei 370 VW-Diesel. In Hessen waren es 359, in Berlin 357. Sie alle enthalten nach den Angaben der Länder den manipulierten Motor EA 189 sowie teilweise dessen Nachfolger EA 288.

Wegen des EA 288 sind mittlerweile Hunderte Klagen an deutschen Gerichten anhängig. Anders als beim EA 189 ist bei diesem Motor noch keine Verjährung eingetreten. Die Städte München und Karlsruhe wollen deshalb nun immerhin prüfen, wie viele Fahrzeuge vom Motorentyp EA 288 betroffen sein könnten, um dann gegebenenfalls rechtlich Schritte einzuleiten.

Zur Begründung, warum sie nicht gegen den Wolfsburger Autokonzern klagten, berufen sich die meisten Länder darauf, dass man die Prozessrisiken sorgfältig abgewogen habe. Mit dem Softwareupdate seien die Fahrzeuge in Ordnung gebracht worden. „Die Fahrzeuge sind für die polizeilichen Einsatzzwecke voll einsatzfähig“, teilte etwa Sachsen mit.

Damit ignorieren die Länder allerdings Untersuchungen, etwa der Deutschen Umwelthilfe, sowie Gerichtsentscheidungen, die das Update als unbrauchbar beurteilten. Zudem gibt VW keine Garantie darauf, dass durch das Update auf Dauer nicht andere Teile des Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen werden.

Hinzu kommt: Spätestens mit dem BGH-Urteil steht unverrückbar fest, dass die Fahrzeuge ihren Kaufpreis nicht wert waren. Laut BGH können Halter deshalb das Auto zurückgeben und den vollen Kaufpreis zurückverlangen. Sie müssen sich lediglich die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen.

Genau diese Nutzungsentschädigung führen die Länder als zweites Argument gegen eine Klage ins Feld. Die Laufleistung der Fahrzeuge habe eine Rückabwicklung nicht lohnenswert gemacht, heißt es aus Hessen und gleichlautend aus anderen Bundesländern. Auch das NRW-Finanzministerium rechtfertigte seine Untätigkeit schon 2019 damit, dass bei einer Klage angesichts der hohen Laufleistung der Autos finanziell nichts herausgekommen wäre.

Dem widerspricht der Fall der Stadt Bonn. Obwohl Bonn erst Ende 2018 klagte und die Fahrzeuge damit offensichtlich lange Zeit nutzte, konnte die Stadt noch erheblichen Schadensersatz einstreichen. Ein großes Prozessrisiko fürchtete die Stadt offenbar nicht – schließlich war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu übersehen, dass immer mehr Gerichte gegen Volkswagen urteilten.

Privatleute klagten, Kommunen nicht

Eine Recherche des Handelsblatts wies dies im Detail nach. Die Auswertung von rund 200 einschlägigen Urteilen zeigte im März 2018, dass Richter landauf, landab eine „sittenwidrige Schädigung“ der VW-Kunden durch Volkswagen für erwiesen hielten. Doch obwohl Hundertausende Privatleute die Signale der Justiz hörten und vor Gericht zogen, ließen es viele Bundesländer und Kommunen sein.

Einigen Ländern, die den Autokonzern schonten, scheint das Klagethema deshalb jetzt unangenehm. Niedersachsen etwa: Das Land ist einer der Hauptaktionäre des Unternehmens. Es ließ die Handelsblatt-Anfrage nach der Zahl der manipulierten VW-Diesel in seinem Besitz unbeantwortet. Andere wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zogen es vor, erst gar nicht zu reagieren. Auch viele Kommunen antworteten selbst auf mehrfache Nachfrage nicht.

Manche Städte können oder wollen offenbar gar nicht so genau wissen, wie viele städtische Fahrzeuge von den Dieselbetrügereien betroffen sind. Frankfurt am Main gab etwa an, man habe keinen Überblick darüber. Der Fuhrpark sei dezentral organisiert, kurzfristig sei eine Abfrage bei allen Ämtern nicht möglich.

Laut Strafrechtsexperten könnte Ländern und Kommunen damit strafrechtliches Unheil drohen. Sie müssten prüfen, ob die Urteile auf ihre Fahrzeugflotten anzuwenden sind und ob ihnen die Geltendmachung einen wirtschaftlichen Vorteil bringe oder ob sie einen Nachteil vermeide – in Relation zu den Prozessrisiken, sagt der Strafrechtler Björn Krug. „Tun sie das wissentlich nicht und verursachen die Verantwortlichen dadurch einen Schaden, dann wäre das theoretisch eine Untreue.“

In den meisten Fällen ist der Schaden aber längst unwiederbringlich eingetreten. Die überwiegende Zahl der Fahrzeuge in den Flotten von Ländern und Kommunen enthalten den Motor EA189 – bei ihm trat Ende 2019 die Verjährung ein.