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Bringt das Coronavirus die nächste Euro-Krise?

Die Coronakrise trifft die Volkswirtschaften in Südeuropa aktuell besonders hart. EU-Hilfen sind unvermeidlich. Eine Analyse dieser prekären Situation.

  • Hohe Schulden, schwaches Wachstum und immense Arbeitslosigkeit lasten schwer auf den Volkswirtschaften im Süden Europas. Die Bekämpfung des Coronavirus könnte für sie deshalb besonders schwerwiegende Folgen haben. Es bräuchte EU-Hilfen, doch innerhalb des Staatenverbunds herrscht wenig Einigkeit.

  • Schlimmer als in Italien geht es nicht. Auch in Spanien droht ein enormer Wirtschaftseinbruch. Und in Griechenland trifft beispielsweise der fehlende Tourismus die Wirtschaft schwer.

  • Guntram Wolff, der Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, warnt im Interview mit dem Handelsblatt vor den Folgen der Coronakrise für die Euro-Zone und fordert die Einführung von Euro-Bonds.

  • Der Bestsellerautor Yuval Harari spricht im Interview mit dem Handelsblatt über die langfristigen Folgen der Corona-Pandemie für die Europa-Idee, für die Weltordnung und für unser Verhältnis zur Technik.

Olaf Scholz muss derzeit nicht nur der deutschen Wirtschaft helfen, sondern auch seiner Stimme. Als der Bundesfinanzminister am Dienstag zunächst mit seinen Kollegen aus den G7-Staaten und später mit seinen europäischen Kollegen in einer Videoschalte konferierte, gab es vorher erst einmal Hustensaft.

Das kleine Fläschchen „Bronchicum Elixir“ steht griffbereit auf seinem Schreibtisch, etwas abseits außerhalb der Kamera der Videokonferenz. Auf der anderen Seite des Schreibtischs liegt eine Packung Ricola-Bonbons, Sorte „Schweizer Kräuterzucker“, aus der sich der SPD-Mann ausgiebig bedient.

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Scholz plagt seit Tagen eine schwere Erkältung. Trotzdem muss er die vielen Telefonschalten durchstehen. Schon als er am Samstagabend in einer Telefonkonferenz mit Haushalts- und Wirtschaftspolitikern des Bundestags die gigantischen Corona-Rettungspakete präsentierte, gingen einige Zahlen im Husten des Ministers unter.

Später hörten die Abgeordneten dann im Hintergrund, wie Scholz bei sich zu Hause den Kaffeeautomaten anschmiss. Der Minister hat lange Arbeitstage und bekommt kaum Schlaf.

Gesund ist der Lebensstil von Olaf Scholz sicher nicht. Und es ist bei Weitem nicht nur der kritische Zustand der deutschen Corona-geplagten Wirtschaft, der dem Minister den Schlaf raubt. Es ist vor allem der Ausnahmezustand der südeuropäischen Volkswirtschaften, der ihn umtreibt. Denn dort droht eine Krise einer ganz neuen Dimension. Eine Krise, die die Euro-Schuldenkrise, die vor zehn Jahren ausbrach und bis heute nicht bewältigt ist, in den Schatten stellen könnte.

Wenn selbst Deutschland wegen der staatlich verordneten Zwangsstilllegung ein Einbruch der Wirtschaftsleistung von 20 Prozent droht, so wie es das Münchener Ifo-Institut in seinem Worst-Case-Szenario darstellt – was bedeutet das dann für die ohnehin viel schwächeren Ökonomien des Südens?

Beispielsweise Italien, das im vergangenen Jahrzehnt wenn überhaupt nur in homöopathischen Dosen gewachsen ist und einen Schuldenberg von 2,4 Milliarden Euro, das heißt 130 Prozent der Wirtschaftsleistung, vor sich herträgt.

Was bedeutet es für Spanien, das auch nach zwölf Jahren immer noch mit den Folgen der geplatzten Immobilienblase kämpft und eine Arbeitslosigkeit von 13 Prozent, unter Jüngeren sogar von 30 Prozent aufweist? Oder für Griechenland, jenes hoffnungslos überschuldete Land, das die Euro-Krise ausgelöst hatte und mit 175 Prozent der Wirtschaftsleistung und trotz mehrerer Schuldenschnitte immer noch die mit Abstand höchste Schuldenquote aufweist.

Hält die Corona-Pandemie mehrere Monate an, werden diese Länder sich aus eigener Kraft nicht mehr aus der Krise befreien können. Acht Jahre nach dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise droht erneut der Zusammenbruch der Währungsunion.

Damals schon konnte der Euro nur gerettet werden, weil Mario Draghi, der kürzlich abgetretene Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), mit ebenso unorthodoxen wie umstrittenen Aktionen die Währungsgemeinschaft zusammenhielt.

Nachtsitzungen bei der EZB

Es ist wieder so weit. Draghis Nachfolgerin, die Französin Christine Lagarde, musste Angriffe von Spekulanten auf die schwächsten Mitglieder der Währungsunion abwehren. Die Notenbank beschloss ein Pandemie-Notfall-Kaufprogramm (PEPP) in Höhe von 750 Milliarden Euro, nachdem die Renditen italienischer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit innerhalb weniger Wochen von unter einem auf mehr als drei Prozent nach oben schossen.

Zusammen mit dem bereits laufenden Anleihekaufprogramm weist die Zentralbank bis Ende 2020 ein Kaufvolumen von 100 Milliarden Euro auf – monatlich.

Wieder war es eine außerordentliche Nachtsitzung der EZB. Wieder war es eine Garantieerklärung – angelehnt an die legendäre „Whatever it takes“-Rede ihres Vorgängers in London 2012 auf dem Höhepunkt der letzten Euro-Krise. Erst am Donnerstag musste die Zentralbank wieder zur Tat schreiten.

Diesmal hob sie die Limits für ihr neues Ankaufprogramm auf. Bislang darf die EZB nach ihren selbst gesteckten Grenzen nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Landes kaufen. Dieser Grenze haben sich die Frankfurter Währungshüter nun entledigt.

Die Absicht ist klar: Die Notenbank, die jetzt schon italienische Bonds im Wert von 370 Milliarden Euro in ihren Büchern hält – das entspricht 18 Prozent des Gesamtvolumens italienischer Anleihen –, will sich alle Optionen offenhalten: für den Notfall.

Das Tragische an dieser neuen durch ein Virus ausgelösten Krise: Wieder trifft es die schwächsten Mitglieder der Euro-Zone am härtesten. Die Zahl der Corona-Infizierten in Italien ist inzwischen auf 74.000 gestiegen, die der Todesopfer auf mehr als 7500.

Um die Pandemie zu stoppen, versetzte die Regierung in Rom das Land in eine Art künstliches Wachkoma – nur noch „systemrelevante Unternehmen“ dürfen produzieren. Ein Total-Stillstand fast der gesamten Ökonomie über Wochen, vielleicht Monate – wann hat es so etwas schon gegeben?

Die Bilder von den menschlichen Tragödien, die in Italien täglich zu besichtigen sind, könnte es in wenigen Tagen auch in Spanien geben. Das Land beklagt inzwischen 2323 Todesopfer – die Zahl der Infizierten liegt bei 49.000.

Der Süden braucht die Solidarität des Nordens – er braucht humanitäre und vor allem auch finanzielle Unterstützung. Massive Konjunkturpakete zur Stützung der Wirtschaft, so wie es der Bundestag gerade verabschiedet hat – Gesamtsumme 1,2 Billionen Euro –, können sich weder Spanien noch Italien leisten.

Die Staatsverschuldung der drittgrößten Volkswirtschaft des Währungsgebiets beträgt gigantische 2,4 Billionen Euro – das ist fast ein Viertel der gesamten Euro-Zonen-Verschuldung. Auch auf dem spanischen Staat lastet eine Staatsschuld in Höhe der Wirtschaftsleistung.

Aus eigener Kraft werden es die dritt- oder viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone nicht schaffen: „Bei hochverschuldeten Ländern könnte es zu einem Kollaps des Vertrauens kommen“, warnt Ifo-Chef Clemens Fuest. Das gelte vor allem für Italien.

„Die Staaten des Euro-Raums einschließlich der EZB müssen klar signalisieren, dass alle Länder konsequent gestützt werden und Ausfälle bei Staatsschulden ausgeschlossen sind“, warnt der konservative Ökonom. Jetzt seien „drastische Maßnahmen erforderlich“.

Auch Guntram Wolff, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Bruegel, mahnt: „Italien kann noch Schwierigkeiten an den Anleihemärkten bekommen.“ Die Euro-Zone müsse dringend „gegensteuern, um spekulative Angriffe gegen südeuropäische Staaten zu vermeiden“.

Wenig Gemeinsamkeit

Doch die Realität sieht anders aus. Erst mal wird gestritten. Kleinstaaterei und nicht die Suche nach einer gemeinsamen Lösung dominiert die politischen Gespräche zwischen den Regierungszentralen in Europa. Grenzen werden geschlossen, ohne Absprache, Exportstopps für Schutzmasken und Sauerstoffgeräte verhängt, ohne die Betroffenen Länder auch nur zu informieren. Der einheitliche Binnenmarkt, die größte Errungenschaft der europäischen Integration – er existiert nicht mehr.

Konfrontation statt Kooperation – das ist die Stimmung unter Europas Krisenmanagern. Ihre Gereiztheit ist der Tatsache geschuldet, dass diese Krise eine völlig neue Qualität hat – nicht nur was ihre globale Ausbreitung und die unglaubliche Dimension der ökonomischen Schäden, die sie anrichtet, angeht. Auch die Mittel im Kampf gegen diese Krise hat es so noch nicht gegeben.

In ihrer Not setzten die EU-Finanzminister am vergangenen Montag den Europäischen Stabilitätspakt komplett außer Kraft, überhaupt zum ersten Mal in der Geschichte des Euros. Die EU-Limits für Staatsdefizite (drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt) und für die Gesamtverschuldung (60 Prozent vom BIP) gelten nicht mehr – von heute auf morgen.

Allein das ist eine kleine Revolution. Jahrzehntelang hatten die Europäer um diesen Pakt gerungen, um endlich ihre Währungsunion auf ein stabiles Fundament zu stellen.

Jetzt kommt ein nationales Rettungspaket nach dem anderen. Wer die Rechnung am Ende bezahlt? Alles offen. Auf 13 Prozent des Euro-Zonen-BIP beziffert die Euro-Gruppe die bisherigen Stützungsmaßnahmen und Garantien. Das sind mehr als 1,5 Billionen Euro.

Schon jetzt aber lastet auf der Euro-Zone eine Staatsverschuldung von insgesamt mehr als zehn Billionen Euro. Die Nervosität in den Regierungspalästen und den Schaltstellen der EU wächst.

Stillstand in Brüssel

In dem sonst so hektischen Europaviertel Brüssels herrscht in diesen Tagen eine außergewöhnliche Stille. Die Fahnen der EU-Staaten flattern im Frühlingswind, ab und zu fährt ein leerer Nahverkehrsbus vorbei. Die Europaparlamentarier sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt, geben bei Abstimmungen per E-Mail ihr Votum ab. EU-Regierungschefs und Ministerräte tagen nur noch per Videoschalte.

Die 27 EU-Kommissare kommen zwar noch ins Büro in den oberen Stockwerken des Berlaymont, dem Stammsitz der EU-Behörde. Doch persönlich begegnen dürfen sie sich dort auch nicht mehr. Selbst Tür an Tür sitzende Kommissare sind gehalten, per Video zu kommunizieren.

Der Politikbetrieb in Brüssel ist fast zum Stillstand gekommen – und das in der vielleicht größten Krise der Nachkriegsgeschichte. Dass die Coronakrise den europäischen Zusammenhalt gefährdet, scheint auch den Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten inzwischen zu dämmern.

Am Donnerstagabend wollten sie sich erneut zu einer Videokonferenz zusammenschalten, um zu retten, was zu retten ist. Die Schalte begann erst nach Andruck dieser Ausgabe, doch im Entwurf einer Erklärung, die bei dem virtuellen EU-Gipfel beschlossen werden sollte, heißt es: Befristete Grenzkontrollen seien zwar erlaubt, doch ein „reibungsloser“ grenzüberschreitender Verkehr „von Personen und Gütern“ müsse sichergestellt werden. Exportverbote für medizinische Schutzmasken sollten „vollständig aufgehoben“ werden. Auch gelte es, die „sozio-ökonomischen Konsequenzen“ der Coronakrise gemeinsam „anzupacken“.

Das sind zurückhaltende, ja zaghafte Formulierungen, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht. Warum die Europäische Union in diesen Tagen so machtlos wirkt, zeigt bereits eine Schalte der Euro-Finanzminister am vergangenen Dienstag.

Die Frage der Euro-Bonds

Rund zwei Stunden dauerte die Telefonkonferenz der Euro-Finanzminister, zu der sich Olaf Scholz aus seinem Büro im Bundesfinanzministerium zugeschaltet hatte. Er und seine Kollegen berieten darüber, wie sie die enormen ökonomischen Schäden, die Corona verursacht, abmildern können.

Frankreich, Italien und Spanien fordern seit Tagen, dass die Euro-Zone einen Beitrag leisten müsse, da die Staaten überfordert sein könnten. So forderte der spanische Notenbankchef Pablo Hernández de Cos weitreichende Stützungsaktionen der Euro-Partner. Diese Krise sei „in der modernen Geschichte beispiellos“, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Deshalb ist eine ehrgeizige und koordinierte Antwort auf europäischer Ebene erforderlich.“

Die Ausgabe von Euro-Bonds sei „eine Möglichkeit, diese europäische Antwort zu geben. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragt der Notenbanker.

Solche Pläne stoßen in Berlin auf wenig Gegenliebe. Aber dass es ein starkes Signal vonseiten der Euro-Partner an die Finanzmärkte geben muss, davon ist auch die Bundesregierung überzeugt. So geht es derzeit vor allem um die Frage, wie und in welcher Form der europäische Rettungsschirm ESM im Kampf gegen die Krise eingesetzt wird.

Doch auch hier sind die Fronten zunehmend verhärtet. Frankreich, Italien und Spanien und sechs weitere Länder dringen auf europäische „Coronabonds“, um damit ein großes EU-Hilfsprogramm gegen die Krise zu finanzieren.

Die EU müsse an einem „gemeinsamen Schuldeninstrument arbeiten, heißt es in einem Brief, die die Regierungschefs der neun Länder am Mittwoch an EU-Ratspräsident Charles Michel schickten. Nur so lasse sich eine langfristig stabile Finanzierung der Politik gegen die Pandemie und ihre Folgen sicherstellen.

Das Schreiben ist eine Kampfansage an die sogenannte Hanse-Gruppe in der EU. Angeführt wird sie von den Niederlanden. Der Gruppe gehören die skandinavischen und die baltischen Länder an. Sie lehnen europäische Corona-Anleihen strikt ab, weil sie darin einen Einstieg in die gemeinschaftliche Haftung für Staatsschulden in Europa sehen.

Auch Deutschland will von Corona-Anleihen momentan nichts wissen, schließt sie aber für die Zukunft nicht komplett aus. Es sei verfrüht für solche völlig neuen Programme, heißt es in Berlin. Zum jetzigen Zeitpunkt würden die vorhandenen Instrumente des Euro-Rettungsfonds völlig ausreichen, um die Krise zu bewältigen.

Deutschland als Vermittler

Die Bundesregierung sieht sich in einer Mittlerrolle zwischen der Hansa-Gruppe und den Südstaaten. So war es bereits am Dienstag in der Telefonschalte. Trotz intensiver Diskussionen konnten sich die Euro-Staaten nicht auf einen Einsatz des Euro-Rettungsfonds ESM einigen.

Centeno erklärte zwar anschließend, dass er „breite Zustimmung“ für einen möglichen ESM-Einsatz sehe. Weniger diplomatisch verklausuliert bedeutet das aber: Wirklich einig ist man sich nicht.

Vor allem der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra warnte am Dienstag wiederholt, den ESM jetzt schon zu nutzen. Er wolle ihn in der Reserve haben, sollte es ganz schlimm kommen. Unterstützt wird er von Österreich.

Deutschland zeigt sich hingegen durchaus willig. Das Problem ist nur: Der Rettungsfonds wurde während der Euro-Krise eigentlich für andere Fälle konstruiert. So schreibt der ESM-Vertrag vor, dass Hilfen mit Reformauflagen verknüpft werden müssen.

Allerdings ist die Frage der Konditionalität nach Einschätzung von Insidern keine unüberwindbare Hürde. Schließlich müssten potenzielle Empfänger wie Italien kein vollwertiges Programm wie Griechenland oder Portugal beantragen, das umfassende makroökonomische Auflagen nach sich ziehen würde.

Bei einer Kreditlinie, die Italien beim ESM beantragen könnte, wäre es möglich, nur wenige und begrenzte Auflagen zu erteilen. Diese könnten sich auf den Gesundheitsbereich beschränken zur Bekämpfung der Coronakrise. „Es käme nun wirklich niemand auf die Idee, von Italien Reformen des Rentensystems oder des Arbeitsmarktes zu fordern, wenn es in der derzeitigen Lage wegen der Coronakrise um Hilfe beim ESM bittet“, heißt es in Berlin.

Der Vorteil einer solchen ESM-Hilfe ist, dass damit theoretisch auch Unterstützung der EZB möglich wird, über deren sogenanntes OMT-Programm. Dieses Programm hatte Draghi auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2012 durchgesetzt. Das Instrument erlaubt es, unbegrenzt Staatsanleihen eines bestimmten Landes anzukaufen.

Es wurde bislang aber nicht eingesetzt – auch weil es vor allem in den nördlichen Euro-Ländern extrem umstritten ist. Bei ihren bisherigen Programmen kauft die EZB Anleihen verteilt über alle Euro-Staaten nach dem sogenannten Kapitalschlüssel auf, orientiert sich also an der Größe der Volkswirtschaften. Allerdings weichte die EZB am Donnerstag diese Beschränkungen ein Stück weit auf.

Fakt ist: OMT könnte für nachhaltigen Eindruck bei Investoren sorgen. Schon die Ankündigung der EZB vergangene Woche, dass sie ihre Anleihekäufe mit ihrem neuen PEPP getauften Programm massiv ausweiten könnte, trug entscheidend zur Beruhigung bei.

Vergangene Woche herrschte in den Hauptstädten zeitweise Panik, man fürchtete, dass sich Investoren erneut aus der Währungsunion zurückziehen könnten und keine Staatsanleihen mehr von Euro-Ländern kaufen. Anzeichen dafür gab es. Doch seit der EZB-Ankündigung habe sich die Lage nachhaltig entspannt, der Markt für Euro-Anleihen sei wieder liquide. „Der Druck ist erst mal raus“, sagt ein Regierungsbeamter.

Das kann aber auch ein Nachteil sein. Denn nun werden die Regierungen sich mehr Zeit lassen mit einer gemeinsamen Antwort, die dringend notwendig, aber wegen der Blockadehaltung der beiden EU-Blöcke unwahrscheinlich ist.

Während die nordeuropäischen Länder beim ESM-Einsatz bremsen, lässt vor allem Italien bisher keine Bereitschaft erkennen, ein offizielles Hilfeersuchen beim Rettungsfonds zu stellen. Die Italiener haben ein grundsätzliches Problem mit den ESM-Hilfen: Denn mit dem Antrag ist eine Stigmatisierung verbunden, Italien würde offiziell als Krisenland gelten.

Einen Ausweg könnte ein besonderes Instrument bieten. Beim Euro-Rettungsfonds ESM, Gesamtvolumen 410 Milliarden Euro, soll eine vorsorgliche Kreditlinie (Enhanced Conditions Credit Line oder ECCL) eingerichtet werden für Staaten, die mit der Coronakrise überfordert sind.

Centeno erklärte, der ESM könne bis zu zwei Prozent der jeweiligen nationalen Wirtschaftsleistung als ECCL-Kredit ausgeben. Das entspricht einem Betrag von bis zu 240 Milliarden Euro für Länder der Währungsunion. Staaten müssen beim ESM einen ECCL-Kredit beantragen.

Im Gegenzug kann der ESM vom Empfängerland Strukturreformen verlangen. Italien und Spanien wollen sich solche Vorschriften aber nicht machen lassen, bislang haben sie keine Absicht erkennen lassen, den ESM um einen ECCL-Kredit zu bitten.

Die ECCL-Kreditlinien könnten womöglich einen Weg zu einem Kompromiss öffnen. Zwar ist der ESM kein Instrument für ein allgemeines europäisches Stützungsprogramm und eine Änderung des ESM-Vertrags würde viel zu lange dauern. Doch möglicherweise könnten die ECCL-Kreditlinien in der Öffentlichkeit als allgemeines Hilfsprogramm wegen der Coronakrise verkündet werden. Rechtlich bliebe es allerdings trotzdem dabei: Jedes Land müsste individuell einen Antrag beim Rettungsfonds stellen.

Streitfall Coronabonds

Eine andere Möglichkeit wäre die Einführung von „Coronabonds“, also gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten ausschließlich zur Finanzierung des Kampfes gegen die aktuelle Krise. Doch dafür gibt es bisher keine konkreten Pläne. Auch die Regierung in Rom soll dazu bisher nichts Konkretes vorgelegt haben.

So ist komplett unklar, welche Institution solche Anleihen ausgeben sollte, wie sie besichert würden und nach welchem Schlüssel die Mittel dann verteilt würden. Eine Idee ist, dass der ESM die Anleihen begibt. Ob das so einfach möglich ist im bisherigen ESM-Regelwerk, da gibt es allerdings starke Zweifel.

Zudem würde die Schaffung eines solchen komplett neuen Instruments viel zu lange dauern. „Der ESM steht bereit. Warum nun über neue Mittel diskutieren?“, fragt man sich in Berlin. „Wir brauchen jetzt Hilfsmittel und nicht in ein oder zwei Jahren.“

Deshalb blockt auch Scholz die Diskussion um die Coronabonds ab. Man solle mit einer solchen Kontroverse nicht die Diskussion um die ESM-Hilfen erschweren, so die Warnung des Bundesfinanzministers. Er fürchtet, dass die Niederlande, Österreich oder Finnland sich komplett querstellen, wenn nun noch über Coronabonds diskutiert würde. Denn das könnte die Regierungen dort unter Druck setzen, schließlich sehen viele Bürger dort eine Vergemeinschaftung von Schulden ähnlich skeptisch wie die deutsche Bevölkerung.

Das ist auch der Grund, warum die Bundesregierung die Debatte um Euro-Bonds nicht führen will, obwohl niemand bezweifelt, dass eine gemeinsame europäische Staatsanleihe das effizienteste Instrument im Kampf gegen Spekulationsattacken auf die Währungsunion wären – selbst dann, wenn sie nur einen Bruchteil der gesamten europäischen Staatsschulden abdecken würde.

In Berlin hält man das allerdings für eine theoretische Debatte von Ökonomen, da die rechtlichen Hürde viel zu hoch sind. Oder wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, ein Vertrauter von Merkel, im Handelsblatt-Interview sagte: „Die Diskussion über Euro-Bonds ist eine Gespensterdebatte.“

Im Kampf gegen den ökonomischen Absturz bleibt also erst einmal jeder Euro-Staat auf sich gestellt – abgesehen von den Aktionen der EZB. Doch diese sieht sich mit ihrer durch Anleiheeinkäufe inzwischen auf fünf Billionen Euro aufgeblähten Bilanzsumme zunehmend überlastet.

So ist es kein Wunder, dass auch Lagarde dringend gemeinsame Aktionen der Euro-Partner im Kampf gegen die Coronakrise anmahnt. So soll die ehemalige IWF-Chefin den Finanzministern der Euro-Zone am Dienstag nahegelegt haben, ernsthaft die einmalige Ausgabe gemeinsamer „Corona-Anleihen“ zu erwägen.

Es war ein Notruf. Denn Lagarde weiß: Die 410 Milliarden des Euro-Rettungsfonds sind zwar eine stattliche Summe – doch sollten mit Italien und Spanien der dritt- und der viertgrößte Euro-Staat am Ende doch beim ESM um Hilfe bitten, könnten die Mittel schnell versiegen.

Lagarde dürfte die gleiche Erfahrung machen wie ihr Vorgänger. Auch Draghi hatte die Politik gebetsmühlenartig gewarnt, dass die gewählten Regierungschefs die Schuldenkrise lösen müssten, die EZB sei damit überfordert.

Es hatte nichts geholfen, am Ende lag die Verantwortung fast ganz bei seiner Behörde. Zwischen den Euro-Partnern mangelte es damals an Kraft und am Ende auch am Willen zur Solidarität, um die Euro-Krise nachhaltig zu überwinden. Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Lage.

China und Russland greifen ein

Wenn es so etwas wie ein Symbol für den mangelnden Zusammenhalt in Europa gibt, dann ist das der Mundschutz. Der Mundschutz ist nicht nur Symbol für den grassierenden Mangel an medizinischer Ausrüstung in dieser so existenzbedrohenden Pandemie.

Der Mundschutz steht auch für den ersten Sündenfall der größten Volkswirtschaft des Kontinents. Deutschland war der erste Staat, der einen Exportstopp verhängte, als die Krise in Italien schon dramatische Ausmaße erreicht hatte.

Auch wenn die Bundesregierung diesen Fehler einräumt und Italien inzwischen mit Lieferungen medizinischer Güter unterstützt – sind es jetzt vor allem Russland und China, die sich in Italien als die großen Helfer inszenieren.

Fast täglich landen dort medienwirksam die riesigen Transportflieger aus Moskau und Peking. Es mag in Teilen Propaganda sein, aber es ist vielleicht auch das sichtbarste Zeichen für das Unvermögen Europas.

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