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In der Brexit-Frage wird Nordirland wieder zum Brennpunkt – und die EU ist in der Defensive

Die Nordirlandfrage eskaliert erneut. Die Regierung in London will die Ausnahmeregelungen für britische Exporteure bis 2023 verlängern.

Einen Monat nach dem Brexit wird Nordirland erneut zum Brennpunkt zwischen Großbritannien und der EU. Britische Politiker und Wirtschaftsverbände fordern, die EU-Kontrollen für britische Exporte nach Nordirland dauerhaft zu lockern.

In einem Brief an die EU-Kommission schlug die britische Regierung vor, die dreimonatige Übergangsregelung für Lebensmittel, Medikamente und Päckchen bis zum 1. Januar 2023 zu verlängern. Auch solle das Verbot für die Einfuhr von Tieren und Pflanzen von Großbritannien nach Nordirland aufgehoben werden.

Man werde sicherstellen, dass es keine Barrieren in der Irischen See gebe, sagte Premierminister Boris Johnson am Mittwoch im Parlament. Sein Vize Michael Gove trug die Forderungen am Nachmittag in einer Videoschalte mit EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic vor. Die beiden leiten die Arbeitsgruppe, die das Nordirland-Protokoll des EU-Ausstiegsvertrags umsetzen soll. Sefcovic wird nun in der kommenden Woche zu Gesprächen in die britische Hauptstadt reise, wie nach der Online-Sitzung bekannt wurde.

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Britische Unternehmen klagen seit dem Brexit über erhebliche Hürden bei ihren Lieferungen nach Nordirland und haben den Handel teilweise eingestellt. Vor allem jedoch fürchten sie, dass am 1. April weitere Hindernisse hinzukommen. Wenn die Übergangsregelungen nicht verlängert werden, müssen etwa britische Supermarktketten Gesundheitszeugnisse für tierische Lebensmittel wie Wurst oder Eier vorweisen.

„Wir haben über 40 Jahre lang Rugby gespielt. Jetzt sollen wir auf einmal Cricket spielen, und die Regeln werden noch geschrieben“, klagt Michael Bell von der Foods and Drinks Association, dem nordirischen Verband der Lebensmittelindustrie. Er hofft, dass einige der neuen Vorschriften wieder abgeschafft werden.

Zum Beispiel gebe es keinen einleuchtenden Grund, warum nun wärmebehandelte Paletten für den Transport notwendig seien. Sie würden nur die Kosten treiben und letztlich Lebensmittel teurer machen. „Ist das eine Bestrafung für den Brexit?“, fragt Bell.

Der Ausstiegsvertrag sieht für Nordirland einen einzigartigen Zwitterstatus vor: Die Provinz ist Teil des britischen Zollgebiets, gehört aber gleichzeitig zum Europäischen Binnenmarkt.

Darauf hatten sich beide Seiten geeinigt, um Kontrollen an der EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland zu vermeiden. Der Handel zwischen den beiden Inselteilen läuft nun reibungslos weiter. Güter aus Großbritannien hingegen werden kontrolliert bei Ankunft in nordirischen Häfen.

Die EU-Kontrollen an der neuen Seegrenze mitten im britischen Staatsgebiet waren den nordirischen Unionisten von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie fürchten, dass Nordirland nach und nach von Großbritannien abgeschnitten wird. Nach den ersten Schwierigkeiten im Handel wittern sie nun die Gelegenheit, die ungeliebte Regelung doch noch zu kippen. Das Nordirlandprotokoll sei „nicht umsetzbar“, sagt Arlene Foster, Chefin der nordirischen Regionalregierung.

Empörung über das Nordirlandprotokoll

Ihre Partei, die DUP, hat eine Kampagne „Befreit Nordirland vom Protokoll“ gestartet. Foster hält nichts davon, die Übergangsphase für einzelne Bereiche zu verlängern, sondern fordert eine langfristig tragbare Lösung. Bei der nordirischen Polizei sind auch schon die ersten Gewaltdrohungen gegen die Brexit-Kontrolleure eingegangen. Solche Drohungen werden in der einstigen Bürgerkriegsprovinz ernst genommen. Die Regionalregierung und die EU zogen ihre Kontrolleure am Dienstag vorerst aus den Häfen ab.

Die Empörung über das Nordirlandprotokoll wurde durch den jüngsten Fauxpas der EU-Kommission noch angeheizt: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche den Artikel 16 des Protokolls bemüht, um den Export von Impfstoffen aus der EU nach Nordirland zu kontrollieren. Der Artikel erlaubt es beiden Seiten, Teile des Protokolls aufzukündigen, wenn „wirtschaftliche, gesellschaftliche oder umweltpolitische Probleme“ drohen.

Mit der Ankündigung, die Landgrenze in Irland zu kontrollieren, verstieß von der Leyen gegen das Grundprinzip der Brexit-Verhandlungen. Nach einem Aufschrei in Irland und Großbritannien trat die CDU-Politikerin binnen weniger Stunden den Rückzug an. Doch der Fehltritt wirkt nach. Die EU ist in der Defensive, und die Regierungen in London und Belfast nutzen die Vorlage, um auf eine Aufweichung der Seegrenze zu dringen.

„Vertrauen wurde untergraben“, erklärte Gove diese Woche. Die EU müsse das Vertrauen wiederherstellen, indem sie mit London zusammen die Probleme im Handel mit Nordirland löse. Der irische Außenminister Simon Coveney erinnerte am Mittwoch daran, dass der Grund für die neuen Handelshürden immer noch der Brexit sei, nicht das Nordirlandprotokoll.

Die britische Regierung habe entschieden, den Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen, sagte er der BBC. Das Nordirlandprotokoll sei nur der Versuch, die Folgen abzumildern. Man werde nun daran arbeiten, das Protokoll zu verbessern. Coveney stellte neue „Flexibilitäten“ in Aussicht.

Corona-Lockdown verdeckt die wahren Probleme

Noch wird das ganze Ausmaß der Handelshürden ohnehin durch den Corona-Lockdown verdeckt. Das Handelsvolumen bei Lebensmitteln liege 30 Prozent unter Normalniveau, weil Hotels und Gastronomie geschlossen seien, sagt Bell. Er rechne damit, dass die Lieferprobleme bis zum Sommer noch zunähmen, wenn die Vorschriften nicht gelockert würden.

In dem Fall drohe eine politische „Destabilisierung“, sagt er. Im Juli ist die Stimmung in Nordirland traditionell angespannt, weil die probritischen Protestanten dann ihre jährlichen Märsche durchführen. Besonders das Einfuhrverbot für britische Wurst ist hochumstritten. „Lebensmittel sind eine Identitätsfrage“, sagt Bell. „Die Menschen reagieren sehr emotional, wenn sie bestimmte Produkte nicht mehr bekommen.“

Der einzigartige Status von Nordirland als Teil des Binnenmarkts wird ein Quell für Konflikte bleiben – insbesondere wenn künftig die Standards von Großbritannien und der EU abweichen sollten. Als Beispiel nennt Bell das Glyphosat-Verbot in Deutschland. Wenn die EU dem deutschen Beispiel folge, müsse auch Nordirland das Pestizid verbieten – und könne möglicherweise bestimmte britische Lebensmittel nicht mehr importieren. „Das ist ein Beispiel eines kleinen technischen Problems, das in den kommenden Jahren sehr groß werden kann“, sagt Bell.